4. Sonntag im Jahreskreis A 1 Kor 1,26-31
26 Seht doch auf eure Berufung, Brüder und Schwestern! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, 27 sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. 28 Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, 29 damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott.
30 Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. 31 Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn; so heißt es schon in der Schrift.
(1) In der Stadt Jericho „geht Zachäus Jesus schauen“. Er, der kleine Mann, will von ihm gesehen werden. Er steigt auf den Maulbeerfeigenbaum und schaut erwartungsvoll auf den Kommenden. Jesus nimmt den Zöllner wahr, nimmt ihn in den Blick und gibt ihm damit Ansehen und stellt dadurch sein Leben auf den Kopf.
Der Zöllner Zachäus steht für viele Menschen, die sich nach Ansehen, Bejahung und Bestätigung sehnen. Diese Sehnsucht kann aber leicht in Sucht umschlagen, nämlich dann, wenn die innere Sicherheit gering ist, und der Selbstwert nur von außen her bezogen wird. Das führt dann oft dazu, dass die Betroffenen anfangen sich selbst zu geben, was ihnen - ihrer Meinung nach - vorenthalten wird. Sie beginnen sich selbst zu loben und zu rühmen. Das steht allerdings im Gegensatz zur Auffassung des Völkerapostels und zur Seligpreisung des heutigen Evangeliums: "Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Weil Zachäus sich mit seiner „Armut“ und Schwachheit angenommen hat, konnte Jesus ihm Ansehen geben (Lk 19,1-10).
Eines der Probleme in der jungen Christengemeinde von Korinth, mit denen der Apostel Paulus konfrontiert wird, ist geistliche Überheblichkeit eines Teiles der Gemeindemitglieder. Korinthische Christen haben offenbar eine sehr hohe Meinung vom Auferstandenen und seiner Einheit mit dem Heiligen Geist und von sich selbst. Für den irritierend schändlichen Tod Jesu haben sie weniger Verständnis. Das hat Folgen für das Miteinander in der Gemeinde. Sie schauen auf die geistlich weniger Begabten herab. Das gefällt dem Gemeindegründer Paulus überhaupt nicht und er nimmt engagiert dagegen Stellung.
(2) Die heutige Lesung ist aus jenem Abschnitt des Korintherbriefes genommen, der in der Einheitsübersetzung mit der Überschrift „Die Botschaft vom Kreuz (1,18-31)“ versehen ist und im größeren Kontext der Spaltungen in der Gemeinde steht. Hier nun schreibt Paulus in einer Art angewandter Kreuzestheologie gegen die Tendenzen der Selbsterhöhung an. Zunächst öffnet er den Hörern die Augen für die gemeindliche Realität und klärt den Stellenwert von weiße und töricht, von stark und schwach, von angesehen und verachtet in den Augen Gottes. Dann betont er, wem Christen alles verdanken, nämlich Gott, denn von ihm her sind sie in Jesus Christus. Es folgt die Spitzenaussage: "Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn; (1,31)"
Es gibt also keinen Grund, sich besser oder überlegen vorzukommen und auf die Mitchristen herabzuschauen.[1] Erkenntnis und Weisheit, wenn sie echt und nicht eingebildet sind, kommen von Gott. Dankbarkeit ist in solchem Falle angemessen und nicht Stolz oder Überheblichkeit. Der Versuchung des Vergleichens gilt es zu widerstehen und die bevorzugte Liebe Gottes zu den Armen, Schwachen und Niedrigen ernst zu nehmen. Gottes Torheit – sein Handeln in Jesus Christus in Schwachheit und Ohnmacht - ist echte Weisheit.
Hier wird sichtbar, dass Paulus den Menschen die Freude am Leben nicht vermiesen will, sondern im Gegenteil. Paulus stößt die Weisen, Mächtigen und Vornehmen vom Podest. In ihnen wuchert der Keim des Stolzes und der Versuchung "sein zu wollen wie Gott". Die Schwachen, Entrechteten und die ohne Ansehen, kommen in der Gemeinde zu Ehren durch die neuen Maßstäbe, die Jesus in die Welt gebracht hat. So zumindest sollte und könnte es sein.
(3) Wie Münchhausen können wir uns nicht selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Wir können uns nicht selbst erlösen, auch wenn wir noch so klug, stark oder vornehm sind. Wir dürfen glauben, dass Jesus Christus uns durch seinen Tod am Kreuz erlöst hat, und zwar auf dem Weg der Teilhabe an unserer Leidensgeschichte. Das ist keineswegs Weltverachtung, sondern absolute Weltbejahung. Ich bin durch Jesus Christus das, was ich bin. Dessen kann ich mich rühmen.
Paulus öffnet uns die Augen für die Wahl, vor der wir stehen: Weise ich die Erlösung stolz zurück, weil ich alles weiß und kann, und mich daher nicht für erlösungsbedürftig halte oder nehme ich sie dankbar an?
[1] Bedenkenswert ist auch der Grundsatz, den Paulus vertritt: "'Nicht über das hinaus, was in der Schrift steht', dass also keiner zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen sich wichtig machen darf. Denn wer räumt dir einen Vorrang ein? Und was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?" (1 Kor 4,6b-7)
3. Sonntag im Jahreskreis 1 Kor 1,10-13.17
10 Ich ermahne euch aber, Brüder und Schwestern, im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid vielmehr eines Sinnes und einer Meinung!11 Es wurde mir nämlich, meine Brüder und Schwestern, von den Leuten der Chloë berichtet, dass es Streitigkeiten unter euch gibt. 12 Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas - ich zu Christus. 13 Ist denn Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? … 17 Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird.
(1) Die Evangelien berichten über das Leben, Sterben und die Auferstehung Jesu. Die Apostelgeschichte zeigt, wie der Same, den Jesus ausgestreut hat, durch den Dienst der Missionare im Mittelmeerraum, allmählich aufgeht und Frucht bringt. Die neutestamentlichen Briefe sind schriftliche Verkündigung des Evangeliums. Sie thematisieren die Probleme in den gegründeten Gemeinden, dienen ihrem Aufbau und sind Zeugnis für die Inkulturation des Evangeliums in juden- und heidenchristlichen Gemeinden.
Paulus hat den ersten Brief an die Gemeinde von Korinth zwischen 53 und 55 nach Christus in Ephesus geschrieben. Der Grund für den Brief sind Fragen, die ihm von "Leuten der Chloe" und durch eine schriftliche Anfrage übermittelt wurden. Der Brief gibt Einblick in das Leben und die Probleme einer von Paulus gegründeten heidenchristlichen Gemeinde. Es ist erstaunlich, dass der Völkerapostel sich Zeit nimmt und Kraft investiert, um sich eingehend mit den Problemen der von ihm gegründeten Gemeinde auseinanderzusetzen.
(2) Die "Leute der Chloe" meldeten, dass es Streit und Zank in der Gemeinde gibt. Damit wird ihr Zeugnis verdunkelt. Die Sicht auf die "Stadt auf dem Berg“ wird verstellt. So kann die Gemeinde weder "Salz der Erde", noch "Licht der Welt" sein (Mt 5,13-16). Offenbar ist es für den Apostel selbstverständlich, dass er mutig und konkret vor der gemeindlichen Öffentlichkeit in Form eines Briefes dazu Stellung nimmt. Und er hat auch kein Problem, die Übermittler des Missstandes zu nennen.[1] Paulus mahnt eindringlich zur Einmütigkeit. Spaltungen sind ein absolutes "No go" und er fordert die Gemeindemitglieder auf, eines Sinnes und einer Meinung zu sein.
Als Grund für den Streit und den Zank werden Parteiungen genannt, weil offenbar jeder zu jemand anderen hält: "Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas - ich zu Christus." Die Wortführer der unterschiedlichen Gruppen missbrauchten die Namensträger für ihre eigenen Interessen. Möglicherweise sahen deren Parteigänger ihre Wünsche und Erwartungen bei dieser oder jener Person und dessen Anhängerschaft besser aufgehoben.
Welche Gründe können ausschlaggebend sein, sich dieser oder jener Gruppe anzuschließen? Vielleicht ist es eine Idee oder eine Vorstellung, die jemand veranlasst, sich dieser oder jener Gruppierung anzuschließen? Oder ist es ganz einfach ein materieller Vorteil oder Nutzen, sich für eine dieser Gruppen zu entscheiden? Vielleicht ist es auch der ganz banale Wunsch, mit jemandem eine alte Rechnung begleichen zu wollen? Eigensinn, Eigennutz und Eigenwille sind die treibenden Kräfte. Obwohl es allzu menschlich ist, dass Menschen erwarten, dass Gott ihnen ihre Wünsche und Träume erfüllt, Getaufte jedoch sollten sich mühen, Gottes Willen und Träume zu erfüllen. Die Einheit kann dann am besten gewahrt werden, wenn die Beteiligten bei einer gemeinsamen Entscheidungsfindung sich ehrlich fragen: „Will ich der Sache Gottes dienen oder meiner eigenen?“
Die Antwort des Paulus lautet: "Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber ließ wachsen. So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt... Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau... Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus." (1 Kor 3,6-11)
Paulus weiß sich von Jesus Christus gesandt, das Evangelium zu verkünden, aber so, "damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird." Wenn Paulus vom Kreuz Christi spricht, geht es ihm auch um Teilhabe an der Demut, dem Gehorsam und der Liebe Jesu.
(3) Das ist es, was uns die heutige Lesung zu bedenken gibt: Ist uns bewusst, dass wir als Gemeinde - auch und vor allem durch unseren Umgang mit Fragen, Konflikten und Problemen - die Botschaft Christi verdunkeln oder bestätigen? Bestehen unsere Gemeinden bloß aus Individualisten, die ihr persönliches Heil suchen, oder gibt es eine gemeinsame Praxis aufgrund des gemeinsamen Glaubens? Sind wir ehrlich miteinander oder bevorzugen wir ein Denunziantentum? Geht es uns um die Sache Christi oder um die eigene?
[1] Viele Diözesanleitungen, die ein sensibles Gehör für Denunziationen und anonyme Anklagen haben, sich aber scheuen ein Problem in der gemeindlichen Öffentlichkeit auszutragen bzw. den Gemeinden zu helfen, handeln in krassem Gegensatz dazu.
Taufe des Herrn A Apg 10,34-38(40)
34 Da begann Petrus zu reden und sagte: Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, 35 sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist. 36 Er hat das Wort den Israeliten gesandt, indem er den Frieden verkündete durch Jesus Christus: Dieser ist der Herr aller.
37 Ihr wisst, was im ganzen Land der Juden geschehen ist, angefangen in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hat: 38 wie Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, wie dieser umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.
(39 Und wir sind Zeugen für alles, was er im Land der Juden und in Jerusalem getan hat. Ihn haben sie an den Pfahl gehängt und getötet. 40 Gott aber hat ihn am dritten Tag auferweckt und hat ihn erscheinen lassen…)
(1) Zwei Visionen bestimmen das Geschehen dieses Kapitels. Dem römischen Hauptmann der Italischen Kohorte, die in Caesarea stationiert ist, Kornelius, erscheint ein Engel, der ihm aufträgt nach Simon Petrus zu schicken, der sich in Joppe im Haus Simons des Gerbers aufhält. Kornelius gehorcht und beauftragt drei Männer Petrus abzuholen (Apg 10,1-8). Auch Petrus hat in Joppe eine Vision. Dem eingefleischten Judenchristen bringt der Heilige Geist mit sanftem Druck bei, dass er nicht für unrein erklären darf, was Gott für rein erklärt hat. Schlussendlich stehen die drei von Kornelius gesandten Männer vor der Haustür und legen Petrus ihren Auftrag vor. Er folgt ihnen widerspruchslos, weil er in der Vision dazu aufgefordert worden war (Apg 10,9-23).
Bevor Petrus sich erklären lässt, warum nach ihm geschickt wurde, erzählt er den Anwesenden, was Gott ihn gelehrt hat: „Ihr wisst, dass es einem Juden nicht erlaubt ist, mit einem Nichtjuden zu verkehren oder sein Haus zu betreten; mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf. (Apg 10,28)“ Nach Kornelius Auskunft, weshalb er nach Petrus schickte, sprach Petrus ausführlich zu den anwesenden Verwandten und Freunden des Hausherren Kornelius. Seine Ausführungen mündeten in die Taufe des Hauptmannes und seines Hauses.
(2) Die Öffnung der Kirchentür auch für die Heiden wird für den eingefleischten Judenchristen Petrus nicht leicht gewesen sein. Aber Gott belehrte ihn eines anderen und er gehorchte. Sein Bekenntnis, dass Gott nicht auf die Person schaut,[1] „sondern ihm in jedem Volk willkommen ist, wer Gott fürchtet und tut, was gerecht ist“, kommt überraschend und ist daher umso erstaunlicher. Jesu öffentliches Wirken und sein Sterben öffnete durch seine Auferstehung und die Sendung des Heiligen Geistes auch den Heiden die Tür zur Kirche.
Der Heilsweg der Kirche steht allen offen und dieser Heilsweg ist Jesus Christus. Die Botschaft Gottes ist zunächst an die „Kinder Israels“ ergangen. Ihnen wurde durch Jesus „Frieden“ verkündet. Der Friede mit Gott ist die wesentliche Voraussetzung allen Heils. Aber Jesus Christus und sein Friedenswerk reicht über Israels Grenzen hinaus[2]: „Er ist der Herr aller.“
Da Petrus von der Bedeutung des irdischen Lebens Jesu für die nachösterliche Verkündigung überzeugt ist, referiert er vor den Anwesenden die Lebensgeschichte Jesu. Um Jesus zu kennen, ihn zu lieben und ihm zu folgen bedarf es dieser Kenntnis. Petrus folgt in seiner Predigt (Apg 10,36-40)[3] den Schwerpunkten der Verkündigung wie sie auch im Lukas-Evangelium genannt werden: Taufe, öffentliche Verkündigung, Tod, Auferstehung und Erscheinungen.
Petrus betont, dass Jesus nicht irgendwo wirkte, sondern im ganzen Land der Juden, in Galiläa und in Jerusalem. Damit bezeugte Jesus sein Judesein und sah sich als Erfüllung der Verheißungen Gottes (Lk 4,16-21). Jesus wollte ganz Israel sammeln und neu an Gott orientieren und gab sein Leben für alle hin. Ein markantes Ereignis im Leben Jesu war für Petrus die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer. Für Jesus war der Täufer nicht nur der größte Prophet, sondern auch der Größte unter den Menschen. Er war der Wegbereiter des Messias. Er hat mit Wasser getauft, damit Jesus nach ihm mit Wasser und Heiligem Geist taufen konnte. Johannes betonte, dass Gott in seinem Zorn über die Sünder im Recht ist. Jesus setzte sich davon ab und betont, dass Gott noch mehr mit seiner Liebe im Recht ist.
In seiner Darstellung der Jesusgeschichte hebt Petrus die Salbung Jesu durch Gott hervor. Durch die Salbung wird ein Mensch in die Sphäre Gottes gehoben. Er wird geheiligt, um eine Aufgabe zu erfüllen z.B. gerecht zu herrschen, das Wort Gottes zu verkünden oder die Sünder mit Gott zu versöhnen. Diese drei Momente des Königlichen, des Priesterlichen und Prophetischen verbinden sich mit der Gestalt des Messias (Gesalbter, Christus). Die Salbung Jesu schließt den Auftrag zur messianischen Verkündigung ein. Jesus beginnt sie sofort nach der Taufe. Er wurde in der Taufe als gesalbter, messianischer Gottessohn dem Volk Gottes geoffenbart. Die Kraft, die Jesus bei der Salbung geschenkt wurde ist Kraft für sein Heilswirken. Auf Jesu Machttaten wies Petrus schon in seiner Pfingstpredigt hin.
Jesu Heilungen sind ein wichtiges Zeichen. Krankheiten zu seiner Zeit bedeuteten nicht bloß ein medizinisches, sondern auch ein religiöses und soziales Problem. Aussätzige z. B. wurden in die Isolation verbannt. Durch ihre Heilung sind sie nicht nur gesund geworden, sondern auch sozial und religiös wieder integriert worden. Sie kehrten zurück in das Leben mit anderen (Lk 5,12-16). Drastisch redet Petrus von den Heilungen derer, die „in der Gewalt des Teufels waren“. Gemeint sind die von einem Dämon besessenen, also fremdbestimmte Menschen. Die Macht Gottes bricht in Jesus die Macht des Widersachers, der will, dass die Menschen elend zugrunde gehen. Diese Heil-Kraft wirkt nach Ostern weiter, aber immer als Heil-Kraft, die Gott Jesus verliehen hat.
Petrus schließt Jesu Wirken mit einer kurzen Notiz: „denn Gott war mit ihm.“ Ein Unterschied zum Evangelium fällt auf. Dort heißt es, dass Jesus mit Gott war, dass er Gottes Nähe im Gebet gesucht und gefunden hat (Lk 3,21; 6,12; 9,18.28 u.a.). In Petrus Predigt ist Gott Jesus nah d.h. Gott stellt sich auf die Seite Jesu, seines Gesalbten; er ist gegenwärtig, wo Jesus ist. In Jesus begegnet uns Gott selbst.
Schließlich verweist Petrus auf die Zeugen, zu denen er sich auch selbst zählt und beruft sich dabei auf das, was die Augenzeugen und die Diener des Wortes überliefert haben. Es sind die Apostel, die im Idealfall von der Taufe Jesu bis zu seiner Aufnahme in den Himmel dabei waren und alles Entscheidende über Jesus wissen.
(3) Der römische Hauptmann Kornelius, der mit seinem ganzen Haus fromm und gottesfürchtig lebte, „gab dem Volk reichlich Almosen und betete beständig zu Gott. (Apg 10,2)“ Gott führte ihn mit Petrus zusammen. Dieser vervollständigte dessen Wissen über die Geschichte Jesu und wurde so zu einem Akteur der ersten Taufe eines Heiden: „Kann jemand denen das Wasser zur Taufe verweigern, die ebenso wie wir den Heiligen Geist empfangen haben? Und er ordnete an, sie im Namen Jesu Christi zu taufen. (Apg 10,47f)“
[1] Vgl. 1 Sam 16,7
[2] Vgl. Röm 3,2ff; Gal 3,26ff
[3] Vgl. T. Söding, Gottessohn, 231-236
Erscheinung des Herrn Eph 3,2-3a.5-6
2 Ihr habt doch gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch verliehen hat. 3 Durch eine Offenbarung wurde mir das Geheimnis mitgeteilt.[1] ...
5 Den Menschen früherer Generationen war es nicht bekannt; jetzt aber ist es seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist offenbart worden: 6 dass nämlich die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben durch das Evangelium.
(1) „Dass nämlich die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben durch das Evangelium.“ Das ist der Inhalt des Geheimnisses, das Paulus seinen Ansprechpartnern – den Christen aus den Völkern, enthüllt. Die Judenchristen sind Kinder Abrahams und infolgedessen „unmündige“ Erben. Weil Jesus aber durch seinen Tod am Kreuz, die Menschen von ihren Sünden befreite und mit Gott versöhnte sind sie „vollmündige“ Erben. Gott hat durch seinen Sohn dieses Heil in der Welt gewirkt. Aber dieses Heil ist nicht nur dem auserwählten Volk Gottes geschenkt, sondern auch denen „aus den Völkern“ - den Heiden. Sie sind Miterben.
Das „Mit“ bezieht sich auf die Juden. Das Heil geht von den Juden aus, die Gott zu seinem Eigentum erwählt hat. Jesus Christus, der Sohn Gottes, kam als Jude zur Welt und lebte als Jude. Er wusste sich zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Sein Leben und Sterben brachte ihnen die Rettung. Aber eben nicht ihnen exklusiv, sondern auch den Heiden, denn von Anfang an war Israel auf die Welt hin geordnet.
Die Heiden gehören zu demselben Leib. Jesus Christus ist das Haupt des Leibes, dem Juden und Heiden in gleicher Weise angehören. In diesem Leib wird die getrennte Menschheit wieder Eins. Die Verheißung, an der sie zusammen mit Israel teilhaben, versprach das Kommen des verheißenen Retters. Paulus hat ihnen die Frohe Botschaft angesagt, dass Jesus das Evangelium vom Reich Gottes verkündet hat und dass es mit ihm angebrochen ist.
(2) Das Fest „Erscheinung des Herrn“ stellt das Evangelium von der Anbetung des Gottessohnes durch die Weisen aus dem Morgenland in das Zentrum der Aufmerksamkeit: Heiden kommen, egal ob Könige oder Wissenschafter, um Gott anzubeten. Damit ist ein wichtiges Signal für eine entscheidende Etappe in der Geschichte des Heils gegeben: die Erfüllung der von den Propheten verheißenen Völkerwallfahrt hat begonnen. Das endgültige Heilshandeln Gottes beginnt mit der Menschwerdung Jesu und erreicht in seinem Versöhnungs-Tod, seiner Auferweckung und Geistsendung, den Höhepunkt. Nachdem Gott so in der Welt das Heil gewirkt hat, kann sich die Verheißung der Völkerwallfahrt erfüllen.
Am Beginn der Bibel sind die Welt und die Menschheit im Blickpunkt. Nach dem Turmbau zu Babel beginnt Gottes Heilshandeln mit Abraham. Ihn wird er zu einem großen Volk machen und durch ihn sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Israel ist von der ersten Stunde an auf die Welt hin geordnet. Der Prophet Jesaja verheißt eine Wallfahrt der Völker nach Jerusalem, um Gott anzubeten, nachdem etwas umstürzend Neues geschehen ist. Die Völker werden die Tora so anziehend finden, dass sie sich sehnen, danach leben zu dürfen. Diesen Text, in dem auch dem Krieg und der Gewalt abgeschworen wird, beendet der Prophet mit der Aufforderung: „Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.“ (Jes 2,5) Was für die Zukunft verheißen wird, muss im Jetzt verortet werden, muss durch die Israeliten verwirklicht werden. Nur wenn die Völker ihr Tun sehen und attraktiv finden, werden sie sich für die Tora interessieren.
Jesus ging nicht in heidnisches Gebiet, um dort zu missionieren. Er wollte Israel sammeln und auf seine Sendung als Volk Gottes konzentrieren. Erst, als immer klarer wurde, dass Israel ihm nicht folgen würde, öffnete er sein Denken auf die Völker hin: „Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;[2] die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis; dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.“ (Mt 8,11f) Weil das alttestamentliche Gottesvolk seine Sammelbewegung ablehnte, sodass das Licht der Gottesherrschaft unter ihnen nicht aufleuchten konnte, öffnete bereits Jesus das Gottesvolk auf die Heiden hin: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen (Mk 16,15).“
(3) Jesu Sendung ist geprägt von der Öffnung auf die Welt (Heiden) und der Konzentration auf das gelebte Zeugnis der Gottesherrschaft. Sowohl die Kirche als Ganzes, als auch die Pfarrgemeinden vor Ort, dürfen die jeweiligen Herausforderungen des gelebten Zeugnisses und der Öffnung für Neues nicht vernachlässigen.
[1] 3,3-6 Das jetzt offenbar gewordene „Geheimnis“ ist der Beschluss Gottes, alle Völker, und nicht nur Israel, zu retten.
[2] Mt 8,11ff; Der Hauptmann von Kafarnaum wird als der erste Vertreter der Heidenwelt, der zum Glauben kommt, herausgestellt.
1. Jänner - Neujahr Gal 4,4-7
4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, 5 damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen.6 Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater.
7 Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.
(1) Während seines Gefängnisaufenthaltes in Ephesus sieht sich Paulus mit einem schwierigen Problem konfrontiert. Was er nicht für möglich gehalten hat, ist eingetreten. Christen und Christinnen unter den Galatern sind bereit, die Beschneidung anzunehmen und sich freiwillig dem Gesetz zu unterstellen. „Evangeliumsverdrehern“ war es gelungen die Galater zu diesem Schritt zu bewegen. Paulus war entrüstet und etwas ratlos. Hat er ihnen nicht in aller Klarheit und Deutlichkeit versichert, dass sie durch Glauben gerecht gemacht wurden und durch nichts anderes? Paulus musste die Galater überzeugen, dass ihre Entscheidung für die Beschneidung und die Übernahme der Tora ein Irrweg ist.
Menschlich allerdings ist das Vorgehen der betroffenen Galater verständlich. Wer sich beschneiden lässt, der trägt ein äußeres Zeichen der Verbundenheit mit dem Volk Gottes. Das vermittelt die Sicherheit der Zugehörigkeit zu einer großen Gemeinschaft. Wer sich den Mühen der Befolgung der Gebote der Tora unterzieht, der kann eine Leistung vorweisen und auch das gibt Sicherheit. Die äußere Zugehörigkeit und die religiöse Leistung gefährden aber das Eigentliche: das tägliche Mühen um den Glauben, um die Beziehung mit Gott.
(2) Paulus versucht in seinem Brief die Galater argumentativ von seiner Sicht des Heilshandelns Gottes zu überzeugen. Er bezieht sich auf Abraham. Durch ihn sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen (Gen 12,3b). Darüber hinaus soll nicht ein Haussklave, sondern ein leiblicher Sohn sein Erbe sein (Gen 15,4b). Aus diesen beiden Verheißungen formt Paulus einen „Erbschaftsbeweis“, wonach er Juden („unmündige Söhne“) und Heiden („Sklaven“) als legitime Erben der Verheißung darstellt.[1] Auf unterschiedlichen Wegen, die durch ihre Herkunft bedingt sind, erlangen sie das Heil.
In der heutigen Lesung erklärt Paulus in den Versen 4-5 den Galatern wie die Juden die Sohnschaft erlangten und zu rechtmäßigen Erben wurden. Durch die Geburt des Gottessohnes und der Erfüllung seiner Sendung durch seinen Tod am Kreuz hat er die Sünden (die, die Tora aufdeckt und verurteilt) vergeben und die Sünder mit Gott versöhnt, wodurch sie die Sohnschaft erlangten. Dadurch wurden die „Unmündigen“ zu rechtmäßigen Erben.
Ihnen aber, den Galatern, die Söhne sind,[2] sagt Paulus, dass Gott ihnen „den Geist seines Sohnes in ihr Herz sandte, den Geist der ruft: Abba, Vater.“ In wem der Geist Christi zum Vater ruft, der ist nicht mehr Sklave, sondern Sohn. Paulus zieht daraus den logischen Schluss: „Bist du aber Sohn, dann auch Erbe.“[3]
Paulus will den Galatern sagen: Ihr seid bereits Söhne und Erben. Statt euch der Beschneidung und dem Gesetz zu unterwerfen, wäre es sinnvoller, wenn ihr eure ganze Kraft in eure Beziehung zu Gott investieren würdet. Ihm zu trauen und sich ihm anzuvertrauen ist gewiss schwieriger als sich durch Äußerlichkeiten und religiöse Leistungen abzusichern.
(3) „Und wäre Christus tausend Mal in Betlehem geboren, aber nicht in dir, wärst du dennoch verloren.“[4] Wir können Christus Jesus in uns zur Welt kommen lassen, indem wir die von Jesus angebotene Beziehung zu ihm aufnehmen, aus ihr leben und immer wieder vertiefen. Die innere Bewegung, die uns mit Gott verbindet und auf unsere „Sohnschaft“ hinweist, muss nicht der ausdrückliche Abba-Ruf sein. Es ist auch der Geist, der unsere Sehnsucht auf Gott hinlenkt, der uns lobend, dankend und bittend mit ihm verbindet.
[1] Gal 4,1-3: Ich will damit sagen: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in keiner Hinsicht von einem Sklaven, obwohl er Herr ist über alles; 2 er steht unter Vormundschaft, und sein Erbe wird verwaltet bis zu der Zeit, die sein Vater festgesetzt hat. 3 So waren auch wir, solange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte dieser Welt.
[2] Gal 3,26: Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus.
[3] Gal 3,29: Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.
[4] Angelus Silesius
Fest der heiligen Familie Kol 3,12-21
12 Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! 13 Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
14 Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist! 15 Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!
16 Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. In aller Weisheit belehrt und ermahnt einander! Singt Gott Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder in Dankbarkeit in euren Herzen! 17 Alles, was ihr in Wort oder Werk tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Dankt Gott, dem Vater, durch ihn!
18 Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt! 19 Ihr Männer, liebt die Frauen und seid nicht erbittert gegen sie! 20 Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn das ist dem Herrn wohlgefällig! 21 Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden!
(1) Das Schiff Kirche ist vom Schiffbruch bedroht. Aber selbst ein günstiger Seegang ist nutzlos, wenn der Steuermann das Ziel nicht kennt. Wissen die Verantwortlichen der Kirche um die Sendung und das Ziel der Kirche, um die Aufgabe des Volkes Gottes?
Der Gedanke, dass Gott in der Welt ein Volk braucht - nicht um seiner selbst willen, sondern um der Welt willen – durchzieht die biblischen Bücher. Gott will durch sein Volk die Welt verändern und heiligen. Darum darf sich das Gottesvolk weder der Welt anpassen, noch sich ihr anbiedern. Es muss das Neue, das durch Abraham in die Welt gekommen ist und durch Jesus Christus vollendet wurde, unter sich verwirklichen. Die Kirche macht es sich zu leicht, der Welt vorschreiben zu wollen wie sie zu leben habe, sich selbst aber nicht bemüht die Botschaft Jesu glaubhaft zu verwirklichen.
(2) Gemäß der heutigen Lesung soll die Kirche eine Kontrastgesellschaft sein, die sich von der (heidnischen) Gesellschaft[1] unterscheidet. Der Verfasser des Briefes an die Kolosser stellt einer vorausgegangenen Liste von Lastern der heidnischen Gesellschaft[2] das kontrastierende Leben der christlichen Gemeinde gegenüber. In den darauffolgenden Versen wird das neue Leben in Christus durch weitere positive Haltungen beschrieben. In den Schlussversen wird das abweichende Verhalten der Gemeinde auf den familiären Alltag heruntergebrochen.
Unsere Lesung beginnt mit der Entfaltung des Bildes vom Anziehen des „neuen Menschen“. Dies konkretisiert sich in den Haltungen: Erbarmen, Güte, Demut, Milde und Geduld. Die Christen von Kolossä haben Jesus Christus angenommen und werden daher als Erwählte, Heilige und Geliebte bezeichnet. Bei der Aufforderung zur Vergebung geht es um das Vergeben persönlicher Verletzungen. Wie Gott der Herr ihnen vergeben hat, so sollen auch sie einander vergeben. Zu den genannten Haltungen kommt die Liebe hinzu. Sie fasst die Tugenden zu einem schön gebundenen "Blumen-Strauß der Reife" zusammen.[3]
Auf die Aufforderung die Liebe „anzuziehen“ folgt der Wunsch des Friedens. Der Friede solle als „Schiedsrichter“ bei Entscheidungen in ihren Herzen dominieren. In unseren Herzen tobt manchmal ein Kampf zwischen gegensätzlichen Interessen. Egal, ob ich mich für eine von zwei Alternativen bei einer Wahl (z. B. Berufswahl) entscheiden muss oder einen konkreten Schritt in einer Beziehung setzen muss – jener Alternative oder jenem Schritt ist der Vorzug zu geben, bei dem sich der Friede Christi einstellt. Das gelingt nur, wenn sich der Gläubige jeweils neu an Christus wendet.
Paulus appelliert dann an den Charme der Christen von Kolossä. Der soll in ihrer Kommunikation zum Ausdruck kommen. Wenn sie einander lehren und das Evangelium gegenseitig ans Herz legen, sollen sie das in kluger und geschickter Weise tun, um der Redeweise Christi zu entsprechen.
Aber nicht nur in ihrem Reden soll ihr Charme zum Vorschein kommen: Ihre Psalmen, Hymnen und Lieder sollen aus dem Herzen kommen und Schönheit haben. Ihr Reden und Tun insgesamt geschehe "im Namen Jesu" d.h. so wie Jesus es tat und unter seiner Führung. Wenn sie in ihrem Tun von Christus getragen werden, wird ihnen bewusst, dass es Gott ist, der ihnen durch Christus alles schenkt. So können sie den Dank durch Christus, dem Vater zurückgeben.
Die abschließende „christliche Hausordnung“ wird im Wortgottesdienst meist – zu unrecht – willkürlich gestrichen. Man kann der Frau nicht zumuten sich dem Mann unterzuordnen. Aber steht das wirklich da? Der Verfasser des Kolosser-Briefes zeigt eine klare Tendenz, die (vom staatlichen Gesetz) schwächer Gestellten zu stützen. "Er will nicht etwa sagen, dass die gesellschaftliche Unterordnung der Frau speziell durch Christus bedingt sei oder verstärkt würde, sondern dass die Frauen die vorgegebene Ordnung so vollziehen mögen, wie es im Herrn recht ist!"[4] Er gibt der Frau einen Maßstab an die Hand, nach dem sie von Fall zu Fall "im Herrn" d.h. vor Gott „überlegt und sich so, wie sie es jeweils für richtig erachtet, unterordnet."[5] "Christus in euch" ist die letzte Autorität für ihr Handeln.[6] Paulus meint also keine fraglose Unterwürfigkeit der Frau.
"Im Herrn" wird beim Mann nicht wiederholt, gilt aber auch für ihn, wenn er aufgefordert wird seine Frau zu lieben. Er muss sein Handeln am Handeln Jesu orientieren und ihm gegenüber verantworten. Er wird nur allgemein ermahnt, seine stärkere Stellung nicht zu missbrauchen. Warum nur die Väter ermahnt werden ihre Kinder nicht einzuschüchtern, hängt wohl damit zusammen, dass Väter eher zu Machtmissbrauch gegenüber Schwächeren neigen.
(3) Die Kirche ist dann Licht der Welt und Salz der Erde und erfüllt ihre Aufgabe als Volk Gottes in der Welt, wenn sie das kontrastierende Verhalten, welches einem Leben „in Christus“ entspricht, verwirklicht. Es gibt also keinen Grund, Texte aus der Heiligen Schrift einfach nicht zu verkünden, als ob wir „Herren“ über das Wort Gottes wären. Wir dürfen Paulus durchaus unterstellen, dass er Jesus, seinen Herrn, richtig verstanden hat.
[1] Heute hat es allerdings den Anschein, dass in der demokratischen Gesellschaft mehr biblische Werte verwirklicht sind als in der Kirche.
[2] Kol 3,7-10: „Einst war auch euer Lebenswandel von solchen Dingen bestimmt, ihr habt darin gelebt. Jetzt aber sollt auch ihr das alles ablegen: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung und schmutzige Rede, die aus eurem Munde kommt. Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und habt den neuen Menschen angezogen, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen.“
[3] N. Baumert, Berufung, 154
[4] N. Baumert, Berufung, 155
[5] N. Baumert, Berufung, 156
[6] N. Baumert, Berufung, 156: „So möge die Frau vor Gott prüfen und erkennen, wie sie im konkreten Fall eine Unterordnung vollziehen soll (vgl. Eph 5,21-24), ohne ihre Würde zu verlieren... Immer verweist Paulus die Partner auf ihre Gottesbeziehung, von der aus sie jeweils ihre Beziehung zu einander ordnen sollen.“
Weihnachten – Am Tag Hebr 1,1-6
1 Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten;[1]
2 am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat; 3 er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt;
4 er ist um so viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.
5 Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt, und weiter: Ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein?
6 Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen.[2]
(1) Wir schauen heute dankbar auf das Kind in der Krippe. Niemand kann sich seinem Charme entziehen. Aber seine Faszination schwindet oft mit seiner Deutung: In diesem Kind ist Gott Mensch geworden. Dieses Kind ist Gottes Sohn! Hier sagen viele Menschen - auch Christen: Stopp! Ein großer und besonderer Mensch, durch den Gott uns den Weg zu sich weist, ja! Aber doch nicht Gott!
Der Verfasser des Hebräerbriefes musste müde und entmutigte Christen, die von Verfolgung und Verachtung bedroht wurden, mahnen ihrem Glauben treu zu bleiben. Aber Ermahnungen und Ermutigungen lassen immer auch die Frage stellen: Wofür bezahle ich einen so hohen Preis? Wer ist es, für den ich Verfolgung und Verachtung auf mich nehme? Ist er es wert?
Der Text der neutestamentlichen Lesung besteht aus drei Teilen. Zunächst sagt der Verfasser des Briefes, dass und wie Gott zu den Vätern, also zu den Vorfahren des Gottesvolkes Israel, gesprochen hat. Im zweiten Teil geht es um die Endzeit, die durch Jesu Wirken angebrochen ist. Hier wird gesagt, wer Jesus wirklich ist: Er ist der Sohn Gottes. Er ist das nicht erst seit der Auferstehung und Erhöhung, sondern schon vor allen Zeiten, also vor der Schöpfung. Im dritten Teil betont der Verfasser des Hebräerbriefes den Vorrang Jesu vor den Engeln.
(2) Gott hat in der Vergangenheit durch zahlreiche Propheten zu seinem auserwählten Volk gesprochen. Sie haben das Gehörte weitergegeben, egal ob gelegen oder ungelegen. Für ihre Treue zum Wort Gottes mussten sie nicht selten einen hohen Preis bezahlen. Denken wir zum Beispiel an die Propheten Elia, Jeremia oder auch an Johannes den Täufer. Die Aufgabe der Propheten bestand vor allem darin, die Einhaltung der Tora einzufordern oder Abweichungen von ihr anzuklagen und die Konsequenzen schonungslos aufzuzeigen. In der Zeit des babylonischen Exils wurden sie von Gott beauftragt das Volk zu trösten, aufzubauen, zu stärken und zu ermutigen.[3] So hat sich Jahwe als Mitseiender seines Volkes erwiesen, das er aus der Sklaverei in Ägypten befreit hatte und dem er die Tora gab, damit es ein Lichtblick für die Welt sei.
"In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, ..." Mit der Endzeit wird Letztes und Endgültiges angesagt. In Jesus, seinem Sohn, spricht Gott endgültig und unüberbietbar. Über Gott kann nicht mehr gesagt und gesehen werden, als was durch Jesus gehört und sichtbar geworden war. Er ist nicht bloß Mittler des Wortes Gottes, er ist das Fleisch gewordene Wort. "Wer mich sieht, der sieht den Vater." Das sagt Jesus von sich selbst. Das sagt auch der Prolog des Johannesevangeliums, der heute als Frohbotschaft verkündet wird.
Jesus ist also mehr als ein Prophet! Was aber bedeutete es, wenn Jesus nur ein Prophet wäre? Dann wäre es nicht zu verwundern, wenn früher oder später Propheten auftreten würden, die bessere Lösungen für die Probleme der Welt anbieten würden. Dann hätte Gott nicht endgültig in Jesus gesprochen. Er hätte Entscheidendes zurückgehalten und wir lebten in einer letzten Ungewissheit. Dann wäre die Kirche eine rein menschliche Organisation, in deren Sakramente eben Gott nicht handelt. Die Kirche wäre nicht mehr als ein Trost- und Weltverbesserungs-verein. Es gäbe darüber hinaus keine Erlösung im christlichen Sinn. Weil Jesus aber mehr ist als ein Prophet gibt es das Wunder, dass Gott im Angesicht Jesu zu schauen ist (Joh 14,7-9).
Der Lesungstext spricht unter anderem auch davon, dass Gott die Welt durch Jesus erschaffen hat, dass Jesus die Welt von der Sünde reinigte und dass sich Jesus zur Rechten der Majestät gesetzt hat. Für Juden kann nur Gott Sünden vergeben. Die Erhöhungsaussage betont, dass Jesus immer schon Sohn Gottes ist, nicht erst seit Tod und Auferstehung. Nach jüdisch-alttestamentlichem Denken wird damit unmissverständlich gesagt, dass Jesus sowohl Mensch als auch Gott ist. Und so sagt es auch das christliche Bekenntnis: Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, natürlich in Einheit mit dem Vater und dem Geist. Die Nachfolge Jesu ist den hohen Preis wert.
(3) Das hilflose Kind in der Krippe ist der Sohn Gottes. Naturwissenschaftlich lässt sich das nicht beweisen. Es braucht meinen Glaubensmut, denn "den ganz großen Dingen des Lebens kann man nur im Vertrauen begegnen. Liebe kann man nicht beweisen. Man kann sich ihr nur anvertrauen. Erst indem man sich einem anderen anvertraut, erkennt man ihn."[4]
[1] 1,1 - 2,18 Das kunstvoll gestaltete Vorwort (1,1-4) und die anschließenden Zitate aus dem Alten Testament legen dar, dass Jesus als der Sohn Gottes die Engel an Bedeutung weit übertrifft; daher ist auch der von ihm gestiftete Bund dem Alten Bund, der nach jüdischer Auffassung durch Engel vermittelt wurde (vgl. Apg 7,53; Gal 3,19: über das Gesetz), weit überlegen.[2] Dtn 32,43 G; Ps 97,7 [3] Der Prophet Jesaja verkündete, im Unterschied zu den davidischen Messias-Verheißungen, die Sendung eines Gottesknechtes. [4] Gerhard Lohfink, Jesus von Nazaret, 469
Weihnachten - In der Heiligen Nacht Titus 2,11-14
11 Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.
12 Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, 13 während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus.
14 Er hat sich für uns hingegeben, damit er uns von aller Ungerechtigkeit erlöse und für sich ein auserlesenes Volk schaffe, das voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.
(1) Weihnachten ist das große Fest des Schenkens. Gottes Geschenk an uns Menschen ist das Kind in der Krippe zu Bethlehem. Nichts hat es von seiner Strahlkraft bis auf den heutigen Tag verloren. Dieses Geschenk unterscheidet sich aber wesentlich von den Geschenken, die wir unter den Christbaum legen, um einander Freude zu bereiten. Gottes Geschenk, sein Sohn, will mit mir in Beziehung treten. Er spricht mich an und will meine Antwort. Die Annahme dieses Geschenkes Gottes kann der Anfang einer lebenslangen freundschaftlichen Beziehung sein.
(2) Der Apostel Paulus hat Titus, einen seiner engsten Mitarbeiter, auf Kreta zurückgelassen. In dem eher amtlichen Brief gibt Paulus Anweisungen, wie Titus die Christen auf Kreta leiten soll. Bis zu seinem Lebensende hat dieser das Bischofsamt auf der Insel ausgeübt. Im 2. Korintherbrief wird er mehrmals erwähnt. Paulus hat ihn offenbar mit wichtigen Aufgaben betraut, weil er besonnen und verantwortungsbewusst handelte.
Paulus schlägt Titus vor, welche Männer er als Leiter einsetzen, berät ihn wie er mit Irrlehrern umgehen, wie er Männer, Frauen, Jugendliche und Sklaven ermahnen soll und welche Pflichten Getaufte im sozialen Bereich übernehmen sollen. Ungefähr in der Mitte des Briefes steht - als Motivation für die Verwirklichung des empfohlenen Tuns - der Text der Lesung, der in der Einheitsübersetzung mit der Überschrift versehen ist: „Gottes Gnade und christliches Leben.“
Der Abschnitt spricht von der Gnade Gottes, die mit dem Ziel erschienen ist, alle Menschen zu retten. Jesus, die Gnade Gottes, erzieht die Menschen zu einem Herrschaftswechsel. Die Rettung der Menschen setzt sich fort durch das Eigentumsvolk des großen Gottes und Retters Jesus Christus.
(3) Dieser Text sagt einiges über unseren Retter und unsere Rettung. Ist Jesus, das Kind in der Krippe, das ich erstaunt bewundere, über dessen Leben, Sterben und Auferstehen ich merkwürdige Dinge gehört habe, und die mich bei manchen traditionellen Festen in die Kirche führen, der Garant dafür, dass mein Leben - unabhängig von meinem Tun - nicht ins Leere läuft? Oder ist das Kind in der Krippe, das mir seine Hände entgegenstreckt, und das von seinem Sterben und seiner Auferstehung her seine Bedeutung bekommt, die Einladung zu einer erfüllten Beziehung?
Jesus hat Mitarbeiter gesucht und seine Jünger in einer Lern- und Lebensgemeinschaft die Umgangsformen des Reiches Gottes gelehrt. Er rief die Menschen zur Umkehr auf, zur Abkehr von einem fremdbestimmten und eigennützigen Leben und zur Hinkehr zu Gott, ihrem Vater. Das Denken vom anderen her und das gegenseitige Füßewaschen hat er selbst praktiziert und denen, die ihm nachfolgen als bleibende Aufgabe anvertraut. All denen, die seine Einladung zur Nachfolge annehmen, öffnet er einen weiten Sehnsuchtsraum, in dem sie besonnen, gerecht und fromm leben - besonnen mit der nötigen Geduld und Gelassenheit. Sie wissen, dass es auf sie ankommt, aber nicht von ihnen abhängt. Gerecht, weil sie nicht auf den „Waage-gerechten Ausgleich: Wie du mir, so ich dir“, beharren, sondern vielmehr dem „Menschen-gerechten: „Wie Gott mir, so ich dir“, Vorzug geben. Fromm sein, im Verborgenen beten, fasten und Almosen geben, Gottes Wünsche erfüllen und nicht darauf bestehen, dass Gott Wünsche erfüllt - so bemüht sich zu leben, wer das Christkind in sich groß werden lässt.
Jahwe hat Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt und Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit und auf dem Berg Sinai die Tora anvertraut, um in der Liebe Gottes zu bleiben. Das Voraus der Liebe Gottes ist ein Merkmal seines Handelns. Jesus hat uns von unserer Schuld befreit und zu seinem Eigentumsvolk erwählt. Um Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, ist es notwendig, die ausgestreckten Arme des Christkindes zu ergreifen und sich von ihm berühren und führen zu lassen.
4. Adventsonntag Röm 1,1-7
1 Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, das Evangelium Gottes zu verkünden, 2 das er durch seine Propheten im Voraus verheißen hat in heiligen Schriften: 3 das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, 4 der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn. 5 Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um unter allen Heiden Glaubensgehorsam aufzurichten um seines Namens willen;[1] 6 unter ihnen lebt auch ihr, die ihr von Jesus Christus berufen seid.
7 An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
(1) Es ist eher ungewöhnlich, dass Paulus seinen Brief an die Römer nicht mit einer Anrede an die Versammlung (ekklesia) und ihre Verantwortlichen beginnt. Grund dafür dürfte gewesen sein, dass es in Rom mehrere Hausgemeinden gegeben hat. Der Briefschreiber stellt sich vor als berufenen Apostel, als Träger einer Aufgabe, dem die Gabe der Berufung vorausliegt. Er weist also zunächst auf seine Verbundenheit mit Jesus hin und versteht sich als dessen Diener. Diener einer großen Persönlichkeit zu sein war in der Antike ein Ehrentitel. Er weiß sich erwählt und ausgesondert das Evangelium Gottes zu verkünden. Sein Evangelium allen Völkern im Auftrag des Auferstandenen zu verkünden ist er allen schuldig. In diesem Brief kommt er seiner Schuldigkeit den Römern gegenüber nach. Sein Verkündigungs-Auftrag ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet. Es ist die gute Kunde und Botschaft Gottes, die er bereits durch seine Propheten in heiligen Schriften angekündigt hatte und es handelt sich darüber hinaus um das „Evangelium von seinem Sohn“.
Damit will Paulus den Judenchristen in Rom sagen, dass seine Botschaft von ihnen nicht verlangt, dass sie sich von ihren jüdischen Wurzeln trennen. Der, den er als Sohn Gottes verkündet ist vielmehr die Erfüllung der Verheißungen, die ihnen die Propheten zugesagt haben. Auch Jesus selbst hat seine Sendung im Rahmen der Offenbarung Gottes an Israel erklärt. Den Heidenchristen sagt Paulus damit, dass sie Anteil haben an der erfüllten Verheißung an die Juden. Von ihnen müssen sie lernen.
(2) Was der Apostel hier in der Briefeinleitung (Präskript) in wenigen Worten verdichtet ist eine Kurzfassung des Evangeliums. Die Wendungen „Das Evangelium von seinem Sohn“ (Vers 3a) und „das Evangelium von Jesus Christus“ (Vers 4c) rahmen diese Kurzfassung. Zunächst betont Paulus, dass der Sohn Gottes seinem Menschsein nach aus Israel erwuchs. Er war der erwartete Sohn Davids. „Dem Fleische nach“ betrifft seine fleischliche Existenz und hebt sein Leben in Schwachheit und Hinfälligkeit hervor. Der Formulierung „der dem Fleisch nach“ (Vers 3) wird die „der dem Geist der Heiligkeit nach“ (Vers 4) gegenübergestellt. „Christus dem Geiste nach“ betont die andere Seite der menschlichen Existenz Jesu.[2] Damit nimmt der Apostel zwei unterschiedliche Existenzweisen Christi Jesu in den Blick.
Zuerst handelt er von der Existenzweise des menschgewordenen Sohnes Gottes in seiner Schwachheit und Hinfälligkeit. Er, der Sohn Gottes ist, wurde wirklicher Mensch aus dem Samen Davids. Vom Sohn Gottes in Schwachheit und Hinfälligkeit sagt der Apostel, dass Gott ihn zum „Sohn Gottes mit Macht“ erhoben hat.[3] Christus ist in seiner geistlichen Existenz geprägt durch Heiligkeit, die mit der Auferstehung gegeben ist. Jesus wird in seiner geistlichen Existenz durch Tod und Auferstehung geheiligt. Christus ist für uns gestorben und auferstanden in eine Geist-Existenz, zu der er alle Menschen führen will, wenn sie sich auf ihn einlassen, ihn annehmen und mit ihm sterben.
Durch den Gesalbten Jesus hat Paulus Gnade und Apostelamt empfangen. Der Völkerapostel weiß sich gesandt die Botschaft des Trauens[4] zu verkünden. Trauen besagt nicht primär Glauben, sondern betont, dass Gott uns in Christus Jesus mit Trauen entgegenkommt, um so unser Trauen herauszulocken. Gemeint ist eine Wechselbeziehung, in der Gott die Initiative ergreift. Gott kommt also auf uns Menschen zu durch Jesus mit Trauen, wie er auch auf Abraham zugekommen war. Den Israeliten war Gott durch Mose mit dem Gesetz entgegen-gekommen. Dieses heilsgeschichtliche Konzept wird Paulus im Brief an die Römer entfalten. Er hat vom erhöhten Christus als Gabe und Aufgabe das Apostelamt empfangen, die Sendung von Gottes Trauen mit Autorität und Vollmacht den Völkern zu verkünden.
Paulus bezeichnet seine Adressaten als „Berufene Jesu Christi“ (Nomen) und anschließend als „berufene Heilige“. Dieser Sprachgebrauch ist bei ihm sehr selten und drückt seine Wertschätzung gegenüber den Römern aus. Als Christen in Rom haben sie einen besonderen Status (Berufung). Bald wird die Nachricht von ihrem Trauen die ganze damalig bekannte Welt erreichen (Vers 8). Er sieht die Christen und Christinnen in Rom mit einer Berufung für die Völker vergleichbar seiner eigenen Berufung.
(3) Die Erwähnung des Namens der Hauptstadt hat für die Zeitgenossen einen besonderen Klang. Er apostrophiert sie als „Geliebte und berufene Heilige“, womit er seine und ihre persönliche trauende Verbindung mit Christus zum Ausdruck bringt. Die christusgläubigen Juden und Heiden Roms, die die Botschaft vom Trauen Gottes angenommen haben weiß Paulus mitverantwortlich für die Sendung zu allen Völkern, um allen die Botschaft vom Trauen zu bringen.
[1] Ich übersetze die Verse 5 und 6 mit N. Baumert, Hochform, 13: „Durch ihn haben wir empfangen die Gabe einer bevollmächtigten apostolischen Sendung an seiner Statt (anstelle seiner Person) für eine Botschaft von Trauen (die wir auszurichten haben) unter allen Völkern, unter welchen auch ihr ‚Berufene Jesus Christi‘ seid.“
[2] Paulus unterscheidet auch beim Gläubigen Geist und Fleisch.
[3] Damit wird nicht geleugnet, dass er schon immer Sohn Gottes ist und dass der Erhöhte immer noch Mensch ist.
[4] Mit „Trauen“ beschreitet N. Baumert einen neuen Weg in der Paulus-Exegese. N. Baumert, Hochform, 15f
2. Adventsonntag A Röm 15,4-9
1 Wir müssen als die Starken die Schwäche derer tragen, die schwach sind, und dürfen nicht für uns selbst leben. 2 Jeder von uns soll dem Nächsten zu Gefallen leben, zum Guten und zur Auferbauung. 3 Denn auch Christus hat nicht sich selbst zu Gefallen gelebt; vielmehr steht geschrieben: Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.
4 Denn alles, was einst geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schriften Hoffnung haben. 5 Der Gott der Geduld und des Trostes aber schenke euch, eines Sinnes untereinander zu sein, Christus Jesus gemäß, 6 damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einmütig und mit einem Munde preist. 7 Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes!
8 Denn, das sage ich, Christus ist um der Wahrhaftigkeit Gottes willen Diener der Beschnittenen geworden, um die Verheißungen an die Väter zu bestätigen; 9 die Heiden aber sollen Gott rühmen um seines Erbarmens willen, wie geschrieben steht: Darum will ich dich bekennen unter den Heiden / und deinem Namen lobsingen.
(1) Es ist Gift für eine Gemeinschaft, wenn in ihr Parteiungen entstehen, die sich gegeneinander durch Denken und Handeln abgrenzen und die jeweils andere Gruppe verachten oder verurteilen. Diese Entwicklung wiegt umso schwerer, wenn es sich um eine Gemeinschaft handelt, deren Ziel es ist, den Wert der Einheit und des gelingenden Miteinander vorlebend zu bezeugen. Einer christlichen Gemeinde wird es schwer möglich sein „Salz der Erde und Licht der Welt“ zu sein, wenn in ihr Streit und gegenseitige Verurteilung dominieren.
Paulus wurde in der Gemeinde von Rom mit einer solchen Situation des Verlustes der Einheit konfrontiert. Er sah sich herausgefordert den zentrifugalen Kräften entgegenzuwirken. Es ging offenbar um das Thema Essen oder Fasten an dem sich die Gemüter erhitzten. Es kam zu Verurteilungen und Verwerfungen. Paulus ruft ihnen ins Gewissen: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Und du, was verachtest du deinen Bruder?“ (14,10) Es sollte in die andere Richtung gehen: „Lasst uns also dem nachjagen, was dem Frieden dient und der gegenseitigen Auferbauung! Reißt nicht wegen einer Speise das Werk Gottes nieder!“ (14,19f) Er kommt zu dem Schluss: „Jeder von uns soll dem Nächsten zu Gefallen leben, zum Guten und zur Auferbauung. Denn auch Christus hat nicht sich selbst zu Gefallen gelebt;“ (15,2f)
(2) In dieser problematischen Intervention macht der Apostel den Römern klar, warum es zu so einer Fehlentwicklung innerhalb der Gemeinde kommen konnte und dass es nur einen Ausweg aus der Misere gibt. Dass es so weit kommen konnte hat zur Ursache, dass sie das Wesentliche aus den Augen verloren haben: „Wer Fleisch isst, tut es zur Ehre des Herrn, denn er dankt Gott dabei. Und wer kein Fleisch isst, unterlässt es zur Ehre des Herrn und auch er dankt Gott. Denn keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“ (14,6-8) Die Gläubigen in Rom haben Christus aus den Augen verloren und den Eigeninteressen Macht über sich gegeben. Neuorientierung an Christus ist notwendig.
Paulus spricht nun (ab Vers 2) beide Gruppen, die Starken und die Schwachen, die er mit den Begriffen „verachten“ und „richten“ kennzeichnete, an und fordert sie auf einander „zu Gefallen leben“. Statt ideologischen Eifer an den Tag zu legen, sollen sie bedenken, was dem anderen „guttut“ (gefällt). Dabei sollen sie an Jesus Christus Maß nehmen, der auch nicht „sich zu Gefallen gelebt hat.“ Christus Jesus hat aber auch nicht einfach den Menschen „zu Gefallen gelebt“, sondern er ist vor den Menschen für Gott eingetreten und hat daher „Gott zu Gefallen gelebt“. Wie aber können sie einander einen Gefallen erweisen? Es ist offensichtlich, indem sie einander statt Geringschätzung Hochachtung, statt Verurteilung Respekt entgegenbringen!
Aber wie hängt das mit der Erwähnung zusammen, dass Christus dem Schriftwort entsprochen habe (Psalm 69,8-13)? In diesem Abschnitt des Psalms liegt der Anlass zur Schmähung im Fasten und in der Buße (Vers 11f). Wer einen Menschen deswegen schmäht, schmäht damit zugleich auch Gott selbst. Für diejenigen also, die kein Fleisch essen, die Schwachen, die geringschätzig behandelt werden, kann es eine Stärkung bedeuten, wenn sie den Spott mit Christus in Rückbindung an Gott tragen. Denn auch Christus hat Schmähung ertragen, die sich zugleich auch an Gott richtete. Indirekt ist dies auch eine Zurechtweisung derer unter den Starken, die die Fastenden verspotteten.
Ausführlich begründet Paulus die Verwendung des Schriftwortes als ob er wüsste, dass dessen Anwendung schwer verständlich ist. Dieser Gebrauch ist legitim, weil die Schrift zu unserer Belehrung aufgeschrieben wurde. Eine Belehrung aus der Schrift soll ja durch Geduld und Trost, durch Festhalten und Ermutigung Hoffnung bewirken. Ziel der Hoffnung aber ist das Festhalten an einer gegenwärtigen, aber unsichtbaren Realität und von ihr zu leben, als wäre sie schon.
An die Begründung schließt der Apostel einen Segenswunsch an: „Gott aber schenke euch, eines Sinnes untereinander zu sein, Christus Jesus gemäß.“ Er will nicht, dass sie dasselbe denken und die gleichen Ansichten haben, sondern in Einheit und in gutem Miteinander leben. Die Einstellung der anderen mögen sie der Prüfung Gottes überlassen und nicht zum Gegenstand des Streites machen. Nur ein Miteinander im Geiste Christi kann den Konflikt im Leib Christi entschärfen. Jedes Glied soll sich mit seinen Fähigkeiten auf das gemeinsame Werk ausrichten. Daraus kann der gemeinsame Lobpreis „des Vaters unseres Herrn Jesus Christus entstehen.“ Grundlage für die Einmütigkeit im Heiligen Geist, so dass alle „mit einem Munde“ Gott verherrlichen bedeutet, dass alle in Jesus Christus leben. Folgt man anderen Maßstäben stehen die Grundlagen auf dem Spiel.
Als Konsequenz appelliert Paulus an beide Seiten: „Nehmt einander auf!“ Maßstab dafür ist einmal mehr Christus Jesus: „Er hat uns (beide) aufgenommen.“ Sich gegenseitig aufnehmen schließt ein, die Überzeugung des anderen zu achten, denn Gott selbst ist es, der den Einzelnen prüft und schützt, er weiß, wie er es meint. Gott hat „uns“ (Starke und Schwache, Juden und Völker) durch Christus an- und aufgenommen, so dass nun Herrlichkeit in uns aufstrahlt.
Abschließend will der Völker-Apostel die Christen in Rom ermutigen: Wie es Jesu Speise war den Willen Gottes zu erfüllen, so sollen auch sie, die Adressaten seines Briefes in Rom „Gott zu Gefallen leben“. Er stellt ihnen Christus Jesus als Diener Gottes für die Rettung von Juden und Heiden vor Augen. Er hat für Israel die Verheißungen an die Väter erfüllt. Gottes Diener hinsichtlich der Völker war er, indem er ihnen Gottes Erbarmen bezeugte, um Gott vor ihnen zu verherrlichen.
(3) „Was Gott an uns tat, das waren wir nun unserem Bruder schuldig. Je mehr wir empfangen hatten, desto mehr konnten wir geben, und je ärmer unsere Bruderliebe, desto weniger lebten wir offenbar aus Gottes Barmherzigkeit und Liebe. So lehrte uns Gott selbst, einander so zu begegnen, wie Gott uns in Christus begegnet ist. ‚Nehmet euch untereinander auf, gleich wie euch Christus aufgenommen hat zu Gottes Lobe‘ (Röm 15,7).“[1]
[1] Bonhoeffer Brevier, 164
1. Adventsonntag A Röm 13,11-14a(b)
11 Das tut im Wissen um die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!
13 Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht!
14a Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an (14b und sorgt nicht für euren Leib, dass die Begierden erwachen.[1])
(1) Dem Abschnitt der Kapitel 12 und 13 im Brief des Apostels Paulus an die Römer hat die Einheitsübersetzung die Überschrift „Weisungen für das Leben der Gemeinde“ gegeben. In Mahnungen und Anweisungen vermittelt er der Gemeinde wie sie sich nach außen und innen präsentieren soll. Zum Abschluss dieser Einheit richtet er einen Appell an die Gemeinde, es nicht beim Lesen bzw. Hören bewenden zu lassen. Alles Geschriebene und Diskutierte bleibt wertlos, wenn es nicht in die Tat umgesetzt wird. Er ermutigt sie, das Gebot der Stunde ernst zu nehmen und mit der Verwirklichung des Gelesenen/Gehörten besser heute als morgen zu beginnen.
(2) Paulus möchte, dass die Christen und Christinnen in Rom die Gnade des Augenblicks erkennen und handeln. Er will sie motivieren, auf ihrem Weg seit ihrer Bekehrung entschlossen weiterzugehen. Sie haben das Geschenk des Rufes Gottes angenommen und sich für einen Herrschaftswechsel entschieden. Nicht mehr die (von Egoismus, fleischlich bestimmte) Welt soll ihr Leben dominieren, sondern Gott. Sie wollen in ihrem Leben Gott Herrschaft über sich einräumen und in der Beziehung mit Jesus Christus, seinem Sohn, wachsen. Und so sind sie nun bereits ein Stück des Weges seit der Umkehr mit ihm gegangen.
Der Völker-Apostel ist überzeugt, dass es nun an der Zeit sei, eine höhere Stufe der Beziehung mit Jesus Christus und in der Glaubenserfahrung zu erklimmen. Es ist höchste Zeit, vom Schlaf aufzustehen! Der vollzogene Herrschaftswechsel soll nun auch im konkreten Leben sichtbar werden. Er hat die Kraft nicht nur Denken, Fühlen und Reden zu verwandeln, er muss sich auch in einem veränderten Lebensstil Ausdruck verschaffen. Die, die Jesus nachfolgen sollen Salz der Erde und Licht der Welt sein. Nichts kann bleiben wie es vor dem Herrschaftswechsel war. Alles bekommt ein neues Vorzeichen. Das Vorzeichen des Lebensstiles Jesu.
Paulus ermutigt zu diesem Schritt nach vorn in der Beziehung mit Jesus durch den Hinweis, dass uns die Rettung jetzt näher ist als damals, da wir anfingen, Gott zu trauen. Je intensiver wir unser Denken, Reden und Handeln an Jesus orientieren, desto mehr reduziert sich der Einfluss der „Finsternis“ auf unser Leben. Ein „geistliches Leben“ führen, bedeutet nicht, sich von der Welt zurückzuziehen und sie ihrem Schicksal zu überlassen, sondern im Geiste Christi „mit den Waffen des Lichts“ mithelfen, ihr die Würde und Schönheit des Schöpfungsmorgens zurückzugeben. Und das heißt ein Leben zur größeren Ehre Gottes zu führen.
Nach den Metaphern „Tag“ und „Nacht“, „Finsternis“ und „Licht“ spricht der Apostel direkt an, was einem Leben in der Nachfolge Jesu entgegengesetzt ist. Nach dieser klaren Abgrenzung folgt eine eindeutige Schlussfolgerung im Kontrast, die der liturgische Text allerdings beschnitten hat. Die Einladung „Zieht unseren Herrn Jesus Christus an“, im Sinne von „nehmt seine Denkweise an“ ist selbstredend und bedeutet: Schlüpft in die Rolle Jesu. Die schwer zu übersetzende Fortsetzung erinnert an das chinesische Sprichwort: „Achte auf deine Gedanken, sie sind der Anfang der Tat.“ Die kontrastierende Mahnung ruft auf, den bösen Anfängen zu wehren: Es gibt diese gottfernen Gedanken und Pläne in euch; sie sind auch jetzt noch da (vgl. 8,13) und haben die Tendenz, euch mehr und mehr zu gewinnen! Seid also wachsam; wenn solche von Gott wegziehende Impulse kommen, dann gebt ihnen nicht Raum, sonst wird daraus eine Begehrlichkeit, über die ihr dann nicht mehr Herr werdet![2]
(3) Mit Taufe und Firmung ist unser Christsein noch lange nicht am Ziel. Wer die Taufgnade angenommen hat lebt in Beziehung mit Jesus Christus und diese Beziehung durchläuft verschiedene Wachstumsstadien. Jede neue Ebene erfordert nicht nur größere Entschiedenheit, sondern auch eine vertiefte Hinwendung zu Christus. Je näher wir ihm kommen, umso entscheidender ist es, dass wir auf seine weiteren Sendungen eingehen und nicht denken, wir hätten unser Heil schon erreicht. Christus-förmig werden zu wollen im Leben mit dem Auferstandenen ist eine lebenslange Aufgabe.
[1] Ich übersetze mit N. Baumert, Hochform, 272:„Vielmehr zieht an unseren Herrn Jesus Christus (nehmt an seineVerhaltensweise). Eine sündige Überlegung und Tendenz lasst nicht von euch auszu Begehrlichkeit anwachsen.“ [2] N. Baumert, Hochform, 275
34. So C Christkönigssonntag Kol 1,(9-11)12-20(21-23)
(9 Daher hören wir seit dem Tag, an dem wir davon erfahren haben, nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichen Einsicht erfüllt werdet. 10 Denn ihr sollt ein Leben führen, das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet. Ihr sollt Frucht bringen in jeder Art von guten Werken und wachsen in der Erkenntnis Gottes. 11 Er gebe euch in der Macht seiner Herrlichkeit viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt.)12 Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind.
13 Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. 14 Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.
15 Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, / der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. 16 Denn in ihm wurde alles erschaffen / im Himmel und auf Erden, / das Sichtbare und das Unsichtbare, / Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; / alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. 17 Er ist vor aller Schöpfung / und in ihm hat alles Bestand. 18 Er ist das Haupt, / der Leib aber ist die Kirche. /
Er ist der Ursprung, / der Erstgeborene der Toten; / so hat er in allem den Vorrang. 19 Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, / 20 um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen. / Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, / der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.
(21 Auch ihr standet ihm einst fremd und feindlich gegenüber; denn euer Sinn trieb euch zu bösen Taten. 22 Jetzt aber hat er euch durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt, um euch heilig, untadelig und schuldlos vor sich hintreten zu lassen. 23 Doch müsst ihr im Glauben bleiben, fest und in ihm verwurzelt, und ihr dürft euch nicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, abbringen lassen. In der ganzen Schöpfung unter dem Himmel wurde es verkündet und ich, Paulus, bin sein Diener geworden.)
(1) Vor dem Hintergrund des heutigen Stellenwertes der christlichen Gemeinden und ihrer Ausdünnung erstaunt die Aufmerksamkeit, das Engagement und der Zuspruch des Verfassers für eine Gemeinde, die er nur vom Hörensagen kennt und Gottes Wirken in ihr dankbar wahrnimmt und es bewusst zu machen versucht. Gemeinde wächst von unten, wo Menschen sich hineinziehen lassen in die Gestalt Christi.
In dieser wertschätzenden Einstellung dankt der Verfasser (höchstwahrscheinlich Paulus) Gott für das, was er in der judenchristlichen Gemeinde in Kolossä wirkt. Er betont, dass er und seine Mitarbeiter für die Gemeindeglieder in Kolossä beten und für sie bitten, dass sie in der Erkenntnis des Willens Gottes wachsen und Frucht bringen in der Verwirklichung guter Werke. Zweimal wird vom Wachsen in der Erkenntnis geredet. Gemeint ist eine Art „Zu-Erkenntnis“. Angesprochen sind Juden-Christen, die die Tora, Propheten und Schriften (das Alte Testament) als ihre Bibel anerkennen und darüber hinaus als ihre Vollendung auch das Evangelium Jesu Christi. Er betet auch darum, dass sie ein Leben führen, das die Quelle sichtbar macht, aus der sie leben und aus der ihre guten Werke entspringen. Diese Sendung in ihrer jüdischen und heidnischen Umgebung zu realisieren braucht viel Geduld und Ausdauer, eine Kraft, die nur Gott geben kann (Verse 9-11).
Als Außenstehender möchte Paulus den Kolossern verdeutlichen wie und was Gott bei ihnen gewirkt hat und wohin er sie auf dem Weg des Trauens führen möchte. Er bezeugt vor der Gemeinde seinen persönlichen Glauben, der vom Damaskus-Erlebnis bestimmt ist.
Der Lesungstext (Verse 12-20) wird in eine Überschrift und drei Abschnitte gegliedert.[1] Die Überschrift (Verse 13-14) verbindet das Schöpfungshandeln Gottes in Jesus Christus mit seinem Erlösungshandeln in Jesus Christus. In Abschnitt I (Verse 15-18a) geht es um Christus als „Erstem“ in der Schöpfung; in II (Verse 18b-20) um Christus als „Erstem“ der Auferweckung und in III (Verse 21-23) um die Aufgabe aus der Gabe der Versöhnung.
(2) Paulus fordert die Kolosser auf, Gott zu danken, weil er sie befähigt hat „Erb-Anteil der Heiligen im Licht“[2] zu haben. Die „Heiligen im Licht“ sind Menschen aus dem Gottesvolk Israel, die in Jesus Christus das von Gott verheißene „Erbe“ erkannt haben und nun in neuem Licht leben. Bei den „Heiligen“ handelt es sich um die Glieder des alttestamentlichen Gottesvolkes, die Jesus als Messias (noch) nicht angenommen haben. Die Judenchristen sollen den Messias vor den übrigen Juden, und darüber hinaus auch vor den unter ihnen lebenden Völkern (Heiden) bekennen. Denn „durch“ Abraham sollen alle Völker gesegnet werden (Gen 12,3).
In der Überschrift (Verse 13-14) wird die Geschichte Gottes mit den Menschen durch den „Sohn seiner Liebe“ thematisiert. Paulus will von Anfang an klar machen, dass Christus über allem steht, was ihr Leben bestimmt und sie fordert.
Paulus beginnt mit einem typisch jüdischen Lobpreis der Großtaten Gottes: „Er hat uns herausgerissen aus der Finsternis in sein Licht und Vergebung gewirkt.“[3] Damit bringt er seine persönlichen und pastoralen Erfahrungen zum Ausdruck. Ziel des befreienden Handelns Gottes ist das „Einpflanzen in die Königsherrschaft und in den Schutzbereich des Sohnes seiner Liebe.“ Dieser Herrschaftswechsel ermöglicht ein erlöstes, befreites und heiliges Leben in Frieden mit Gott.
I. Der „Sohn seiner Liebe“ steht schon von Anfang an mit allen Menschen in Beziehung. Er wird als „Bild und Repräsentant des unsichtbaren Gottes“ vorgestellt, einerseits als Gegenüber der Menschen und andererseits als ihr „Erstgeborener“ (als Einer von ihnen).[4]
Aber es geht hier zunächst nicht um den auf Erden wandelnden Jesus, sondern um seinen Ursprung. Christus, der als Jesus auf Erden wandelte und wirkte, ist größer als ein Mensch und hat eine Vergangenheit, die bis an den Urgrund der Schöpfung reicht. Er ist seit der Schöpfung Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Aber er ist auch der Repräsentant Gottes, der aus der Unsichtbarkeit und Ewigkeit Gottes hervorgetreten ist.
Die Schöpfung wird zusammengefasst „in den Himmeln und auf der Erde“. In den Blick genommen sind die Menschen. „Das Ganze in den Himmeln“ bezieht sich auf die Verstorbenen[5] und das Ganze „auf der Erde“ auf die Menschen, die auf Erden leben. Es geht um die menschlichen Geschöpfe, für die Christus „Erstgeborener“ ist.
Unterschieden wird auch „das Sichtbare und das Unsichtbare“.[6] „Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten“ sind jedenfalls keine unsichtbaren Wirklichkeiten. Gemeint sind innerseelische Autoritäten, die das Handeln des Menschen bestimmen. „Throne“ steht für den ersten Platz in der Seele (also ein „Gegenstand“ für einen unsichtbaren Sachverhalt), den man mit Prioritäten wiedergeben kann. Für „Herrschaften“ steht in derselben Logik Gültigkeiten. Dazu passen auch „Grundsätze (Prinzipien) und Befugnisse“. Gott hat das Äußere und das Innere des Menschen erschaffen und hat ihm Maßstäbe mitgegeben. Paulus beabsichtigt, den Lesern klar zu machen, dass Prioritäten und Grund-Sätze etc. von Gott durch Jesus Christus in das Innere des Menschen gelegt sind. Wo diese verletzt wurden, bietet Gott dem Menschen durch Christus Versöhnung an. Von diesem Maßstab darf sich der Mensch nicht abbringen lassen und muss sich den widersetzlichen weltlichen Regelungen entziehen.
Der Verfasser begründet, dass nichts der Autorität Christi entzogen ist (Vers 17). Denn aus der Ursprungsbeziehung ergibt sich eine permanente Angewiesenheit aller Maßstäbe auf Christus. Er ist nicht nur Grund, sondern auch Ziel aller geschaffener Elemente und aller Lebensregeln. Erstgeborener“ (Vers 15) wird in Vers 18 durch „Haupt“ aufgenommen. Sein „Leib“ ist die „Versammlung“. Diese meint hier aber nicht Kirche, sondern die ganze Menschheit als Einheit. Für sie ist Christus seit Anbeginn das „Haupt“, das sie in einem „Leib“ zusammenhält und die Menschen nach dem Sündenfall durch seine Menschwerdung zusammenführt.
II. In der neuen Einheit (Verse 18-20), lenkt Paulus den Blick vom Uranfang hin auf die Menschheitsgeschichte seit dem Sündenfall bis in die Gegenwart. Christus wird jetzt als „Anführer, Erstgeborener“ bezeichnet und ist damit „Erster“ in einem Prozess der Heimführung. „Er, der immer schon ihr ‚Haupt‘ ist, ‚wurde‘ in neuer Weise inmitten aller Sterblichen nun ‚Erster‘, und damit für jeden von ihnen ‚Anführer‘ aus dem Tod in ein unzerstörbares Leben.“[7]
Gott realisiert seinen Entschluss, die sündige Menschheit wieder mit sich zu verbinden, indem er vorher im Tod seines Sohnes Frieden anbietet. Hier ist noch nicht von versöhnen[8] die Rede, sondern davon, dass Gott im Voraus „im Blut Christi“ von seiner Seite her Frieden machte, um die Menschen mit sich zu verbinden.[9] Gott verbindet wieder, was durch den Sündenfall getrennt wurde. Die Neuaufnahme dieser Beziehung gibt Gott der Menschheit sofort, als Vertrauens-Vorschuss, unabhängig von ihrer Zustimmung.
Der Vater hat in der Ohnmacht des Sohnes gezeigt, wie er sich selbst den Menschen gegenüber verhält. Um ihretwillen hat der Sohn das Blut vergossen; er nahm die Schuld der Menschen auf sich.
III. Paulus wendet sich abschließend wieder direkt an die jüdischen Adressaten des Briefes, erinnert sie an ihre feindliche Einstellung gegenüber Jesu in der Vergangenheit und geht dann auf ihre neue Situation ein, da sie das Friedens- bzw. Verbindungsangebot Gottes angenommen und sich von Gott durch Jesus, dem Christus haben versöhnen lassen.
Gott hat sie mit sich versöhnt im Tod Christi. Das schließt ein, dass sie mit ihm in diesen Tod hineingenommen sind. Sie sollen sich als heilig und tadellos erweisen, also dieser geschenkten und angenommenen Versöhnung entsprechend leben und nicht mehr den Weg der Sünde gehen. Das ist nur möglich im Trauen.[10]
Die Christen-Gemeinde in Kolossä soll zu einem Ort werden, „wo bezeugt und ernst genommen wird, dass Gott die Welt in Christus mit sich selbst versöhnt hat, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn für sie hingab.“[11]
[1] Die Verse 13-14 bilden eine Art Überschrift zum Text der Verse 15-23. Die Verse 21-23 sprechen wieder von den Adressaten und bilden eine weitere Einheit. Vers 12 gehört zur Einheit der Verse 9-12.
[2] Die unter Anführungszeichen gesetzten Übersetzungsvarianten stammen jeweils von N. Baumert, Berufung, 48.60f
[3] Das setzt voraus, dass die Adressaten wissen, dass er von Gott spricht und auch die Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 kennen.
[4] Dass Christus, der Sohn, seit Anfang am Schöpfungsvorgang der Menschheit beteiligt ist, ist für die Juden neu. Er stellt ihnen die innere Einheit von Vater und Sohn vor Augen und will ihnen so helfen, auch aufgrund seiner Damaskus-Erfahrung, anzunehmen, dass Gott wirklich einen Sohn hat.
[5] Für Juden ist die Unterwelt nicht die einzige Lokalisierung der Toten. „Generell gesprochen war in der zeitgenössischen griechischen Vorstellung kein Platz für das Reich der Toten unter der Erde.“ (Mussner)
[6] Das hat mit dem Anlass des Briefes zu tun: Einige Christusgläubige der Gemeinde konfrontierten die übrigen mit unangemessenen Aufforderungen: „nicht anfassen, nicht kosten“ etc. (2,20f) Um diese weltlich bestimmten Regelungen außer Kraft zu setzen nennt Paulus die echten Maßstäbe des Handelns. Diese sind ihrer Natur nach unsichtbar und werden deshalb vom Sichtbaren des Menschen unterschieden.
[7] N. Baumert, Berufung, 74
[8] Vom Versöhnen ist erst im Vers 22 die Rede.
[9] Zur Versöhnung bedarf es der Zustimmung eines jeden Einzelnen. Gott zwingt niemanden in die Versöhnung.
[10] N. Baumert, Berufung, 78: Dranbleiben im Trauen setzt voraus, „dass sie bereits die Zu-Erkenntnis im ‚Trauen‘ angenommen haben, wobei das Wort offen ist für ein wechselseitiges Trauen: von Gott her und als Antwort von ihnen her (Eph 2,8).“
[11] Bonhoeffer Brevier, 456
33. Sonntag im Jahreskreis C 2 Thess 3,(6)7-12(13)
(6 Im Namen Jesu Christi, desHerrn, gebieten wir euch, Brüder und Schwestern: Haltet euch von jenen fern,die ein unordentliches Leben führen und sich nicht an die Überlieferung halten,die sie von uns empfangen haben!)
7 Ihr selbst wisst, wie manuns nachahmen soll. Wir haben bei euch kein unordentliches Leben geführt8 und bei niemandem unser Brot umsonst gegessen; wir haben uns gemüht undgeplagt, Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zufallen. 9 Nicht als hätten wir keinen Anspruch auf Unterhalt; wir wollteneuch aber ein Beispiel geben, damit ihr uns nachahmen könnt. 10 Denn alswir bei euch waren, haben wir euch geboten: Wer nicht arbeiten will, soll auchnicht essen.
11 Wir hören aber, dass einige voneuch ein unordentliches Leben führen und alles Mögliche treiben, nur nichtarbeiten. 12 Diesen gebieten wir und wir ermahnen sie in Jesus Christus,dem Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr eigenes Brot zu essen. (13 Ihraber, Brüder und Schwestern, werdet nicht müde, Gutes zu tun!)
(1) Paulus hat imVerlaufe der Auseinandersetzung mit dem Pseudopropheten die Gemeinde vonThessaloniki im Glauben an das Evangelium, das er ihnen verkündet hatte,gestärkt. Anschließend wendet er sich einem anderen Problem in der Gemeinde zu,das mit dem Auftreten des Irrlehrers verbunden sein könnte. Der Völker-Apostelgibt den Brüdern, zusammen mit seinen Ko-Autoren, die Weisung, sich von jenemBruder fernzuhalten, der sowohl einen ungeordneten Lebenswandel führt als auchdarüber hinaus der übernommenen Überlieferung nichtentspricht. Worin aber bestehen der ungeordnete Lebenswandel und dieAbweichung? Für die Adressaten des Briefes genügte scheinbar die Anspielung„herumarbeiten“ (herumwerkeln, alles Mögliche tun), um zu wissen, was er meint.Wir müssen es indirekt erschließen.
(2) In den weiterenAusführungen weist Paulus darauf hin, dass diese Entwicklung irgendwie zuerwarten war, denn schon beim „letzten Besuch“ haben sie wiederholt darauf bestehenmüssen: „Wenn jemand nicht bereit ist zu arbeiten, soll er auch nicht essen!“[1](Vers 10) Im folgenden Vers wendet sich Paulus mit aller wünschenswertenKlarheit mit der Weisung und Ermahnung in Jesus Christus an die betreffendenLeute. Er spricht mit moralischer und religiöser Autorität: „Sie mögen selbstfür ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen, indem sie in Ruhe und Zufriedenheitarbeiten!“[2]
Der Apostel willoffenbar verhindern, dass ein ungeordnetes Leben dem Evangelium und derenVerkündern die Glaubwürdigkeit nimmt oder untergräbt. Nur wenn das verkündeteWort und das Leben dessen der es predigt, übereinstimmen, kommt es bei denHörern als glaubwürdig an. Wenn Wort und Praxis nicht den Geist Jesu atmen,dann sind Wort und Tun vergeblich. Jene, die „herumarbeiten“ (alles Möglichetreiben) legen vermutlich eine religiöse Geschäftigkeit an den Tag, durch die sieandere belästigen. Paulus befürchtet, dass dies dem Zeugnis der Gemeinde einen schlechtenDienst erweist. Es könnte sein, dass es sich bei den angesprochenen Personen umjene handelt, von denen bereits in der Auseinandersetzung mit dem falschen Prophetendie Rede war: „Betet auch darum, dass wir von den bösen und schlechten Menschengerettet werden.“ (3,2)
Paulus belässt es aber nichtbei der strengen Maßnahme zum Schutz der glaubwürdigen Verkündigung. Er willauch den Geist sichtbar machen, der glaubwürdiges Handeln in der Nachfolge Jesuhervorbringt. Er selbst und seine Gefährten haben dafür ein starkes Zeichengesetzt, das im Gegensatz zum schädlichen Verhalten der Kritisierten steht.Obwohl sie durchaus berechtigt wären ihre Lebenskosten auf die Thessalonicherabzuwälzen, haben sie sich angestrengt und abgemüht, sich durch ihrer eigenenHände Arbeit ihr Brot selbst zu verdienen. In diesem aufgezeigtengegensätzlichen Verhalten manifestiert sich offenbar das „unordentliche“Verhalten: Sie wollen aus der Sache des Evangeliums persönlichen Nutzen ziehen,aber ihr nicht dienen.
Paulus weiß, dass ihr gelebtesLeben im Geiste Jesu ein ebenso wichtiger Bestandteil der Verkündigung ist wieihre gesprochenen Predigten. Die Apostel bemühen sich durch ihr Leben einBeispiel zu geben, das der Nachahmung wert ist, aber aus der rechten Gesinnungkommen muss. Die gelingende Nachahmung ist nur dann keine Kopie, wenn sie sichdem Wirken des Heiligen Geistes öffnet.
Das Gebet um dieErkenntnis, was Gott jetzt will, dass ich Gutes tue und das Tun des erkanntenWillens Gottes bewahrt vor religiösen Spekulationen und irregeleitetenTrugbildern.
(3) Wenn „Christus als Gemeinde“ (DietrichBonhoeffer) in der Welt gegenwärtig sein soll, dann müssen die Tendenzen, diedessen Licht zu verdunkeln drohen, in geistlicher Unterscheidung erkannt undihnen Einhalt geboten werden. Den Anfängen gilt es zu wehren.
Paulus sprichtaber im Unterschied zur Gemeinderegel (Mt 18,15-20) nicht von Ausschluss.Offenbar will er die Brüder mit dem „unordentlichen Leben“ zum Nachdenken unddie Gemeinde zum Gebet für deren Umkehr motivieren.
32. Sonntag C 2 Thess 2,(15)16-3,5
(15 Seid also standhaft, Brüder, und haltet an den Überlieferungen fest, in denen wir euch unterwiesen haben, sei es mündlich, sei es durch einen Brief!) 16 Jesus Christus selbst aber, unser Herr, und Gott, unser Vater, der uns liebt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und sichere Hoffnung schenkt, 17 ermutige eure Herzen und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort.
31 Im Übrigen, Brüder, betet für uns, damit das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird, ebenso wie bei euch! 2 Betet auch darum, dass wir vor den bösen und schlechten Menschen gerettet werden; denn nicht alle nehmen den Glauben an.[1]
3 Aber der Herr ist treu; er wird euch Kraft geben und euch vor dem Bösen bewahren. 4 Wir vertrauen im Herrn auf euch, dass ihr jetzt und auch in Zukunft tut, was wir anordnen. 5 Der Herr richte eure Herzen auf die Liebe Gottes aus und auf die Geduld Christi.
(1) Paulus dankte den Gemeindemitgliedern von Thessaloniki für ihr glaubwürdiges, christliches Zeugnis. Ihr Glaube wuchs kräftig und ihre gegenseitige Liebe nahm zu und sie bewiesen auch Standhaftigkeit in ihren Bedrängnissen. Paulus hatte aber vom Wirken eines Irrlehrers in der Gemeinde erfahren. Er nahm den Vorfall ernst, weil er befürchtete, dass sie sich von ihm haben beschwatzen lassen, betraute sie mit Kriterien für einen Unterscheidungsprozess und forderte, dass sie sich von ihm klar distanzieren.
(2) Mit der Aufforderung standhaft zu bleiben und der Überlieferung die Treue zu bewahren (Vers 15) verbindet Paulus eine Ermutigung. Er geht dabei von eigenen Erfahrungen aus. Er hat mit seinen Mitarbeitern den Thessalonichern das Evangelium verkündet und ihnen damit einen Weg aufgezeigt wie auch sie Gottes Herrlichkeit erreichen können. Gott hat ihm und seinen Mitarbeitern dafür Liebe, Trost und Hoffnung geschenkt. Das ist es, was er sich wünscht, dass Gott auch ihnen schenken möge. Konkret: Liebende Zuwendung Gottes, Tröstung, wo es hart auf hart geht und Stärkung, wo der Mut sinken möchte. Gott möge ihnen in den bevorstehenden Auseinandersetzungen für ihr Tun und Reden das geben, was er selbst und seine Gefährten bekommen haben. Und das werden sie brauchen. Es geht ja nicht bloß darum, sich vom Irrlehrer/Pseudopropheten zu distanzieren. Dieser ist auch eine dominierende Person in der Gemeinde.
Neben dieser stärkenden Ermutigung bittet Paulus die Thessalonicher um ihr Gebet für den Fortschritt ihrer Evangeliums-Verkündigung. Er und seine Gefährten bitten um ihr Gebet, dass der Same des Evangeliums, den sie ausstreuen dürfen, nicht auf steinigen Boden fällt oder in Dornen erstickt, sondern reiche Frucht bringt.
Die Vorkommnisse in Thessaloniki erinnern Paulus daran, dass auch hier, wo er mit seinen Gefährten tätig ist, Querulanten seine Verkündigung behindern. Es handelt sich um Menschen, die das Wort Gottes nicht wirklich an sich heranließen und umkehrten. Sie haben sich unehrlich verhalten und wollten sich selbst profilieren und interessant machen. Sie haben das Wort Gottes nicht mit reinem, absichtslosem Herzen aufgenommen und sich verwandeln lassen, sondern ihre ichbezogenen Ziele verfolgt. Sie sind am falschen Platz.[2] Möge das Gebet der Thessalonicher dazu führen, dass er, Paulus, auf gute Weise von ihnen frei werde, um ungehindert das Evangelium verkünden zu können.
Paulus, der soeben über seine persönliche Situation Auskunft gab, wendet sich wieder den Thessalonichern zu: „Aber der Herr ist treu; er wird euch Kraft geben und euch vor dem Bösen bewahren (3,3).“ Was er hier als Ermutigung ausspricht ist kein Wunsch, sondern ein Bekenntnis. Dieses kann aber nur verstehen und annehmen, wer selbst in der Beziehung mit Gott lebt. Aber das setzt Paulus bei den Thessalonichern voraus. Wer im Bund mit Gott lebt, der darf darauf bauen, dass Gott ihn stärken und vor dem Bösen bewahren wird.[3]
Paulus ist sich zwar nicht ganz sicher, ob sich die Thessalonicher nicht doch haben „beschwatzen“ lassen. Trotzdem formuliert er wohlwollend. Sind sie dem Pseudopropheten doch auf den Leim gegangen, werden sie es selber am besten wissen. Indirekt erneuert er freilich die Mahnung, dass sie seine Weisungen in die Tat umsetzen, denn die Lösung des Problems mit dem Irrlehrer in der Gemeinde ist ja noch nicht endgültig ausgestanden.
Für die bevorstehenden klärenden Auseinandersetzungen bittet Paulus Gott, dass er die Herzen der beteiligten Thessalonicher auf Gottes Liebe und auf die Geduld des Christus richte. Gedacht ist hier nicht an die Liebe zu Gott, sondern die von Gott empfangene und weiterzugebende Liebe. Mit der Geduld des Christus ist Jesu Standhaftigkeit und Gehorsam im Erleiden der Unbilden gemeint, die seine Sendung mit sich brachte.
(3) Konflikte und Probleme wird es in der Kirche immer geben. Solche, die von außen kommen und solche, die innerhalb der Gemeinde entstehen. Paulus setzt sich vehement dafür ein, dass die Überlieferung bewahrt wird, erarbeitet Kriterien für den Unterscheidungsprozess und stellt sie der Gemeinde zur Verfügung. Er plädiert nicht für „Exkommunikation“, sondern für ein von Liebe und Geduld bestimmtes Verhalten gegenüber dem Pseudopropheten.
[1] Ich folge der Übersetzung von N. Baumert, Gegenwart, 177: „2 und dass wir weggerissen werden von den Menschen, die nicht am rechten Platz und von übler Art sind. Nicht alle nämlich sind redlich und zuverlässig.“
[2] Dazu schreibt N. Baumert, Gegenwart 177f in Fußnote 92: „Beim Entstehen neuer, lebendiger Gruppierungen, etwa der Charismatischen Erneuerung, kann man immer wieder beobachten, dass Leute dazukommen, die sich auf das Wesentliche nicht einlassen, aber dieses Forum benutzen, um sich zu profilieren, die auf sich aufmerksam machen und, je nach Persönlichkeit, auch die Leiter verdrängen suchen und das eigentliche Anliegen verfälschen oder die Gruppe sprengen. Sie sind in der Tat ‚atopoi‘ – ‚gehören da nicht hin‘, sind nicht ehrlich und daher letztlich nicht gut gesinnt; sie sind aber lautstark und in ihrer Aktivität schwer zu bändigen. – Und ganz allgemein; dass Unberufene sich in der Kirche nach vorn drängen, ist stets ein Problem.
[3] Paulus hat hinter dem Pseudopropheten/Irrlehrer Satan als Urheber seines Wirkens ausgemacht. (2 Thess 2,9)
Allerheiligen C 1 Joh 3,1-3
1 Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. Deshalb erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. 2 Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. 3 Jeder, der diese Hoffnung auf ihn setzt, heiligt sich, so wie er heilig ist.
(1) Wie in den paulinischen sind auch in den johanneischen Gemeinden Irrlehrer aufgetreten. Gegen diese Irrlehren und deren Verbreiter ist der (oder sind die) Verfasser des 1. Johannesbriefes aufgetreten. Aufgrund der Abweichung von der Überlieferung kam es in der Gemeinde, in der der Verfasser lebte, zu einer Spaltung. Die Anhänger der Irrlehre haben die Gemeinde verlassen und sich anderswo niedergelassen und verkündeten dort ihre von der traditionellen Überlieferung abweichende Botschaft. Daher ist der 1. Johannesbrief auch nicht wirklich ein Brief, sondern gleicht eher einer Kampfschrift. Es wird allgemein angenommen, dass das Johannes-Evangelium zwischen 80 und 90 nach Christus entstanden ist und der 1. Johannesbrief zwischen 90 und 100 nach Christus. Aus manchen Formulierungen im 1. Johannesbrief lassen sich die anstößigen Abweichungen ablesen.
(2) In der katholischen Mess-Liturgie lautet eine der Gebets-Einladungen zum Vaterunser so: „Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. Darum beten wir voll Vertrauen.“ Also eine wörtliche Übernahme des ersten Satzes aus dem 1. Johannesbrief. Das verwundert ein wenig, denn weder im Matthäus-, noch im Lukas-Evangelium, die das Vaterunser überliefern, werden die Jünger bzw. Nachfolger Jesu als „Kinder Gottes“ angesprochen.
Wenn wir auf den Befund im Neuen Testament schauen, dann fällt auf, dass die Bezeichnung „Kinder Gottes“ für Christen und Christinnen eher selten verwendet wird. Paulus verwendet sie kaum, das Johannes-Evangelium ebenso. Am häufigsten der 1. Johannesbrief.
Wenn der Verfasser des Lesungstextes von „Kinder Gottes“ spricht, muss er etwas Besonderes im Sinn haben. Die Christen sind für den Verfasser des 1. Johannesbriefes „Kinder Gottes“ durch eine Zeugungstat Gottes. Diese Zeugungstat Gottes ist in unserem Text ein Handeln seiner schenkenden Liebe. Natürlich ist dabei auch an die Taufe zu denken.[1]
Die Formulierung „Wir heißen Kinder Gottes“ wird ergänzt mit der Erläuterung „und wir sind es.“ Offenbar soll damit betont werden, dass tatsächlich in der Packung „drinnen ist, was außen drauf steht“ und es sich nicht um eine Mogelpackung handelt. Hier geht es nicht um eine plakative Selbstbestätigung, sondern um das Wissen, dass es sich um ein Geschenk handelt mit der sich eine Aufgabe verbindet. Das wird erkennbar durch den letzten Vers des vorausgehenden Kapitels: “Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, erkennt auch, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, von Gott stammt. (2,29)“ Jeder, der die Gerechtigkeit tut ist somit aus Gott gezeugt. Die Gotteskindschaft ist also untrennbar verbunden mit einem Leben, das um die Gefahr der Sünde weiß und dagegen kämpft und ein Leben nach dem Vorbild Jesu einschließt. Das musste gegen die Irrlehrer gesagt werden, weil diese behaupteten, dass die Zeugung aus Gott ein für allemal Aufnahme in die Gemeinschaft Gottes war.
Die betrübliche Feststellung, dass „die Welt uns nicht erkennt“, kann nicht groß verwundern. Dahinter steht die Erfahrung, dass Gott in Jesus Christus und in denen, die ihm nachfolgen, erkennbar nur für die ist, deren Vernunft durch den Heiligen Geist erleuchtet ist.[2] Daher haben sie auch „ihn“ nicht erkannt.
Im „Kind Gottes“ kommt aber nicht nur die Zeugungstat Gottes zum Ausdruck, sondern auch die Chance des Wachsens und Reifens des Kindes im anschließenden Jugend- und Erwachsenenalter. Das Kind weiß um die führende und schützende Hand des Vaters (und der Mutter), rechnet mit deren Ermutigung und Trost und Warnung, wie auch mit einem gut gemeinten, zurechtweisenden Wort. Die „Kinder Gottes“ haben auch ein klares Ziel vor Augen.
Der Autor des Briefes verheißt für die Zukunft ein noch größeres Wunder für die „Kinder Gottes“. Zwar ist noch nicht offenbar, was sie sein werden, aber gewiss ist: Sie werden ihrem Gott und Vater ähnlich sein, denn sie werden ihn schauen wie er ist.[3] „Kinder Gottes“ wissen, dass sie in den verwandelt werden, auf den sie schauen. Sie sollen ihre ganze Zukunftshoffnung auf Gott setzen. Auch das ist als Spitze gegen die Abtrünnigen zu sehen, denn sie meinen durch Glauben und Taufe schon die vollkommene Gemeinschaft mit Gott erlangt zu haben. Konsequenterweise folgt der Aufruf, dass der, der auf diese Hoffnung setzt, sich heiligt, wie er, Jesus sich geheiligt hat.[4]
Jesus Christus erfleht als unser Hohepriester immer neu Vergebung und Reinigung für die sündigen Christen und alle Sünder. Er kann es, weil er selbst rein und sündenlos ist. Wer also Gott schauen will, der muss wie Jesus rein werden, muss nach Reinigung streben. Er kann sie erlangen durch Jesu Blut und Jesu Fürsprache (1,7.9; 2,1f).
(3) Der Mensch/Adam wurde als Ebenbild Gottes geschaffen. Durch seinen Ungehorsam gegenüber dem Willen Gottes hat er diese Würde verloren. Gott hat in Jesus Christus, in seiner Menschwerdung, seinem Leiden und Sterben am Kreuz, sein neues „Ebenbild“ geschaffen. „Wer in der Gemeinschaft des Menschgewordenen und Gekreuzigten steht, in dem er Gestalt gewonnen hat, der wird auch dem Verklärten und Auferstandenen gleich werden… ‚Wir werden ihm gleich sein, denn wir werden ihn schauen wie er ist‘ (1. Joh 3,2) … Wer Christus schaut, der wird in sein Bild hineingezogen, seiner Gestalt gleichgemacht, ja er wird zum Spiegel des göttlichen Bildes. (D. Bonhoeffer, Nachfolge, 302)“
[1] „Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus entgegnete ihm: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Kann er etwa in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und noch einmal geboren werden? Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. (Joh 3,3-6)“
[2] „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. (Joh 1,12f)“
[3] „Niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen. (Joh 6,46)“
[4] Im Urtext steht: „Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist.“ Wahrscheinlich hat der Verfasser Num 8,15.20-22 im Blick.
31. Sonntag C 2 Thess 1,11-2,2(3a)
11 Darum beten wir auch immer für euch, dass unser Gott euch eurer Berufung würdig mache und in seiner Macht allen Willen zum Guten und das Werk des Glaubens vollende.[1] 12 So soll der Name Jesu, unseres Herrn, in euch verherrlicht werden und ihr in ihm, durch die Gnade unseres Gottes und Jesu Christi, des Herrn.
2 1 Brüder, wir bitten[2] euch hinsichtlich der Ankunft Jesu Christi[3], unseres Herrn, und unserer Vereinigung mit ihm: 2 Lasst euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen[4], wenn in einem prophetischen Wort oder einer Rede oder in einem Brief, wie wir ihn geschrieben haben sollen, behauptet wird, der Tag des Herrn sei schon da!3 Lasst euch durch niemanden und auf keine Weise täuschen!
(1) Nach dem Briefeingang hebt Paulus (Silvanus und Timotheus sind als Mitverfasser angegeben) den Dank an die Adressaten besonders hervor. Ihr Glaube nimmt sichtbar zu und ebenso ihre Liebe zueinander. Dazu kommen ihre Standhaftigkeit und ihr Glaube in allen Verfolgungen und Bedrängnissen, die sie zu erleiden haben. Für den Verfasser des Briefes sind dies Anzeichen des gerechten Gerichtes Gottes, denn die Thessalonicher sollen der Königsherrschaft Gottes teilhaftig werden, für das sie zu leiden bereit sind. Gleichzeitig werden die Urheber ihrer Bedrängnisse ihrerseits Bedrängnis erfahren. Den Thessalonichern verheißt er „Ruhe“ zusammen mit ihnen. Wenn Jesus am Jüngsten Tag kommt wird er Vergeltung an denen üben, die Gott nicht kennen und seinem Evangelium nicht gehorchen. Bei den Thessalonichern hat das Zeugnis des Apostels Glauben gefunden und sie gehören nun zum Kreis derer, die den Glauben angenommen haben (Verse 3-10).
(2) Mit den letzten beiden Versen (1,11f) rundet Paulus (bzw. der Verfasser) das erste Kapitel des Briefes ab. Er schließt an das Vorangegangene an – dem Dank für das geduldige Wachsen im Glauben und dem Hinweis auf ihre Standhaftigkeit in Bedrängnissen und Verfolgungen. Nun betet er dafür, dass Gott sie weiterhin mit der Gabe der Geduld in den Herausforderungen der Nachfolge beschenke und weiterhin gütige Pläne zu ihrem Schutz fasse und sie auch verwirkliche. Er betet darum, dass Gott sie auch zukünftig der Berufung zur Königsherrschaft für würdig und ihrer Belastungen für gewachsen halten möge.
Paulus bittet um etwas, was Gottes alleiniges Handeln betrifft und nicht etwa unvollkommenes, bruchstückhaftes menschliches Tun vollendet oder ersetzt. Vielmehr handelt Gott durch berufene Menschen. Man kann sowohl darum bitten, dass Gott einen Plan fasse als auch, dass er ihn ausführt. Paulus bittet darum, dass die Thessalonicher gewürdigt werden „mit Gott verbundenes Werkzeug“ zu sein. Dahinter steht das Bewusstsein sowohl als Jünger Christi im Weinberg des Herrn gebraucht zu werden als auch, nur in der Hand des Herrn etwas bewirken zu können. Menschen erleben dann wie Gottes Geist durch sie hindurch handelt.[5]
Dadurch wird die Person Christi (der Name Jesu) durch sein Leben und Wirken in ihnen an ihnen verherrlicht, und sie werden in ihm verherrlicht. Damit werden Gnade und Zuwendung Gottes ihnen gegenüber sichtbar. Diese Gaben Gottes werden aber nicht nur für sie wahrnehmbar; auch ihre Bedränger müssen zur Kenntnis nehmen, dass in ihnen eine Kraft aufleuchtet, die nicht von Menschen kommt, sondern dass in ihnen Christus wirkt.
Mit dem Neueinsatz (in 2,1) stellt Paulus den Thessalonichern die Frage, ob sie die „Gegenwart des Herrn Jesus Christus“ richtig erkennen. Sie bezieht sich auf eine Offenbarung der Nähe Jesu Christi in der Gemeindeversammlung, um eine geistliche Erfahrung also.[6]
Jemand hat den Eindruck erweckt, dass sich Jesus selbst in ihm offenbart. Aber haben sie das auch geprüft? Oder haben sie zu voreilig und unbedacht zugestimmt? Die Erfahrung der Gegenwart Jesu Christi müsste die Gemeinde fester mit Jesus verbinden, die Gemeinde müsste intensiver am bereits Erkannten festhalten und im Urteil und dem Unterscheidungsvermögen noch sicherer werden. Bewährt sich dies in der Gemeinde, dann ist die Erfahrung der Gegenwart Jesu echt. Paulus liefert ihnen damit einen handhabbaren Maßstab.
Der Apostel hat die Verbundenheit mit Jesus Christus im Blick, wenn er darauf hinweist nicht schwankend zu werden und sich nicht verunsichern zu lassen. Es braucht den Heiligen Geist, der die Vernunft erleuchtet, um sich nicht beschwatzen zu lassen. Die Thessalonicher haben offensichtlich den Maßstab des Apostels nicht angewandt und die Irreführung nicht durchschaut.[7] Sie ließen sich durch eine Pseudo-Offenbarung beeindrucken.
Es geht um die geistliche Qualität dieses Mannes, dem sie da folgen. An der Art und Weise wie er spricht und handelt müssten sie erkennen, wes Geistes Kind er ist und dass er abweicht von dem, was sie schon erkannt haben und dass es dem von Paulus verkündeten Evangelium nicht entspricht. Seine Äußerungen führen nicht zu Christus hin.
(3) Im Anschluss an die heutige Lesung dürfen auch wir füreinander beten, dass Gott uns geduldiges Wachsen im Glauben schenke und uns würdige „mit ihm verbundene Werkzeuge“ zu sein.
Paulus gibt uns einen Maßstab in die Hand, um zu unterscheiden, wo Jesus Christus gegenwärtig ist und mahnt: „Lasst euch durch niemanden und auf keine Weise täuschen!“
[1] Ich folge ab Vers 11b der Übersetzung von N. Baumert: „und ihrer Belastung für gewachsen erachte 11c und er machtvoll einen vollständigen, gütigen Plan fasse 11d und so auch eine zuverlässige Durchführung vollbringe.“ N. Baumert, Gegenwart, 130
[2] Mit N. Baumert, Gegenwart, 130: „fragen“ statt „bitten“.
[3] Mit N. Baumert, Gegenwart, 130: „Gegenwart des Herrn“ statt „Kommen des Herrn“.
[4] Mit N. Baumert, Gegenwart, 130: „ob ihr euch nicht etwa beschwatzen lasst“ statt „Lasst euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen“.
[5] Willi Lambert, Aus Liebe zur Wirklichkeit, 192f
[6] Die Mitteilung des Pseudopropheten wird für eine Manifestation Jesu im Kreise der Gemeinde ausgegeben. Der Betreffende scheint die Gemeinde in seinen Bann zu ziehen und sie zu beeinflussen.
[7] Man behauptet „der Tag des Herrn“ habe sich hier in dieser Versammlung neuerdings ereignet. „Der Tag des Herrn“ (nicht „der letzte Tag“ ist gemeint) bezeichnet das Eingreifen Gottes in die Geschichte hier und jetzt. Paulus jedenfalls stellt diese Behauptung in Frage.
30. Sonntag C 2 Tim 4,6-8.16-18
6 Denn ich werde schon geopfert und die Zeit meines Aufbruchsist nahe. 7 Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treuebewahrt. 8 Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, denmir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nurmir, sondern allen, die sein Erscheinen ersehnen.
16 Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für micheingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnetwerden. 17 Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir die Kraft, damit durchmich die Verkündigung vollendet wird und alle Völker sie hören; und so wurdeich dem Rachen des Löwen entrissen. 18 Der Herr wird mich allem bösen Treibenentreißen und retten in sein himmlisches Reich. Ihm sei die Ehre in alleEwigkeit. Amen.
(1) Paulus bringt seine Erfahrungen als Apostel JesuChristi auf den Punkt. In seinem geistlichen Testament ermutigt er Timotheusebenfalls Jesus nachzufolgen und verheißt ihm den „Kranz der Gerechtigkeit“ undden Beistand Gottes bei seinem Einsatz für die Verkündigung des Evangeliums.
(2) Der Völkerapostel hat seit seiner Christus-Begegnungvor Damaskus nicht nur sein Leben in den Dienst seiner Sendung zumVölker-Apostel gestellt, auch sein Sterben stellt er in diesen Dienst. Wie einStaffelläufer beim sportlichen Wettkampf gibt er den Stab an den nächstenLäufer weiter. Der, dem Paulus übergibt ist sein Freund und Mitarbeiter Timotheus.Paulus will ihn ermutigen und motivieren es ihm gleich zu tun ohne ihm dieSchwierigkeiten, die ihn erwarten, vorzuenthalten. Paulus will weder schönredennoch sich ins Rampenlicht stellen.
Paulus deutet seinen bevorstehenden Tod als Opfer, wörtlichals Trankopfer, das ausgegossen wird. Sein Lebensopfer weist auf JesuLebenshingabe am Kreuz hin und erweist ihn als authentischen Nachfolger JesuChristi. Er tritt seinen letzten Weg ohne Angst und Hadern mit dem Schicksalan, weil er weiß, was das Ziel seines letzten Weges ist. Sein letzter Weg führtihn zu dem, was er so sehr ersehnte: „Denn ich erwarte und hoffe, dass ich inkeiner Hinsicht beschämt werde, dass vielmehr Christus in aller Öffentlichkeit– wie immer, so auch jetzt – verherrlicht werden wird in meinem Leibe, ob ichlebe oder sterbe. Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn.“(Philipperbrief 1,20f)
Angesichts dieser tröstlichen Perspektive lenkt Paulus denBlick auf sein Kämpfen und Ringen in Erfüllung seines Auftrages, den Jesus ihmgegeben hat, den Völkern das Evangelium zu verkünden. Paulus weiß um seineErfolge, sein Scheitern, seine Stärken und Schwächen und vorab um seine Liebezu Jesus Christus. Vor allem aber weiß er, dass er Werkzeug Gottes ist.
Wenn der Apostel vom „Kranz der Gerechtigkeit“[1] spricht, der für ihn schonbereit liegt und den er bei der Erscheinung des Herrn empfangen wird, ist dasnicht Ausdruck seiner Selbstüberschätzung, sondern vielmehr Ansporn fürTimotheus: genau dasselbe darf auch er erwarten, wenn er in seine und in JesuFußstapfen tritt. Timotheus soll wissen, dass der Weg der Nachfolge nichts mit denSchienen eines Zuges zu tun hat, der geradewegs und sicher zum Ziel führt,sondern es ist ein Weg mit Herausforderungen, Infragestellungen, Zweifeln,Ängsten, Versuchungen, Leiden etc., aber der „Kranz der Gerechtigkeit“, derunvergängliche Lohn, ist auch für ihn bereit und für alle, die sich nach derErscheinung des Herrn sehnen.
In der Darstellung der Realität, die seinen Mitarbeitererwartet, geht Paulus noch einen Schritt weiter. Timotheus soll auch wissen,dass auf die vielgepriesene geschwisterliche Liebe kein allzu großer Verlassist: Niemand ist für ihn eingetreten. Alle haben ihn im Stich gelassen. Auchhier wird er seinem Meister gerecht: „Möge es ihnen nicht angerechnet werden.“ Gottallein – davon ist Paulus felsenfest überzeugt - ist der feste Boden, auf dener sich stellen soll.[2] Auf ihn allein istVerlass.
(3) Auch Dietrich Bonhoeffer ist dem Galgen in diesemvertrauenden Bewusstsein entgegengegangen: „Das ist das Ende, für mich derBeginn des Lebens.“
In einer Predigt (in Barcelona) schreibt er: „Herr, lehredoch mich, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat undich davon muss. (Ps 39,5). Wollen wir gedankenlos dieser Tatsacheentgegengehen? Wollen wir leichtsinnig bleiben bis zur letzten Stunde? Nein,lasst uns in Gottes Namen ernst machen mit uns und d.h. mit dem Letzten, mitdem Tode und dann lasst uns schauen auf das Wunder, was geschehen ist. Lasstuns an die Grenzen der Welt, der Zeit denken, - und es wird ein Wunderbaresgeschehen. Die Augen werden uns aufgetan dafür, dass die Grenze der Welt, dasEnde der Welt – der Anfang eines Neuen ist, der Ewigkeit.“ (Dietrich BonhoefferWerke 10, Seiten 501f)
29. Sonntag Zweiter Brief an Timotheus 3,14-4,2
14 Du aber bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. Du weißt, von wem du es gelernt hast; 15 denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus. 16 Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, 17 damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk.
1 Ich beschwöre dich bei Gott und bei Christus Jesus, dem kommenden Richter der Lebenden und der Toten, bei seinem Erscheinen und bei seinem Reich: 2 Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung!
(1) Der heutige Lesungs-Text (2 Tim 3,14-4,2) mündet in den Höhepunkt und Abschluss des Briefes (2 Tim 4,1-8). Diese aufrüttelnde Schlussmahnung macht vor allem diesen Brief – neben dem ersten Brief an Timotheus und den Titus-Brief - zum Testament des Apostels an Timotheus und an alle Gemeindeverantwortlichen in seinem Missionsgebiet.[1]
In einigen Passagen seines zweiten Briefes an Timotheus motivierte Paulus seinen Mitarbeiter zu energischem Einsatz (1,6-8; 2,1-3.15.22). Er ermutigt ihn nun, dort weiterzumachen, wo er bereits mit ihm angekommen ist. Aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen baut Paulus auf seinen Mitarbeiter (3,10-12).
Zunächst ermutigt Paulus den Briefempfänger an dem festzuhalten, was er gelernt und wovon er sich überzeugt hat (Vers 14). Dann betont er den Nutzen der heiligen Schrift für die Erfüllung seiner Aufgabe (Verse 15-17) und schließlich fordert er ihn auf mit aller Entschiedenheit „das Wort“ zu verkündigen (4,1-2).
(2) Paulus fordert Timotheus also auf, an dem festzuhalten, was er gelernt und wovon er sich überzeugt hat (Vers 14). Was Paulus mit dem Gelernten meint, das hat er bereits ausführlich in den vorausgehenden Versen dargelegt. Timotheus hat mit Paulus in einer Lebens-, Lern- und Schicksalsgemeinschaft das Evangelium unter schwierigen Bedingungen verkündet. Der Apostel erinnert ihn an das, was er, Timotheus, an ihm gesehen und mit ihm in Erfüllung des Missionsauftrages durchlebt hat. Paulus bestätigt ihm, dass er sich als sein Mitarbeiter bereits bespielhaft bewährt hat: „Du aber bist mir gefolgt in der Lehre, im Leben und Streben, im Glauben, in der Langmut, der Liebe und der Ausdauer, in den Verfolgungen und Leiden, denen ich in Antiochia, Ikonion und Lystra ausgesetzt war. Welche Verfolgungen habe ich erduldet! Und aus allen hat der Herr mich errettet.“ (2 Tim 3,10-11) Paulus macht mit dem letzten Satz Timotheus Mut sich auch möglichen, zukünftigen Verfolgungen nicht zu entziehen und verleiht der Hoffnung Ausdruck, dass der Herr auch ihn aus den Verfolgungen erretten wird. Mit Verfolgung müssen freilich alle rechnen, die zu Jesus Christus gehören: „Aber auch alle, die in der Gemeinschaft mit Christus Jesus ein frommes Leben führen wollen, werden verfolgt werden.“ (2 Tim 3,12)
Die zweite Säule seiner Sendung durch den Apostel - neben der ersten, die im Festhalten an der Botschaft und am Verkündigungs-Stil besteht, die er von Paulus gelernt hat - sind die heiligen (alttestamentlichen) Schriften. Sie galten als vom Geist Gottes eingehaucht, also unter dem Beistand Gottes entstanden. Paulus hebt hervor, dass sie weise machen zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus; sie sind also durch die Brille Jesu zu lesen. Sie beinhalten den Anruf Gottes, seinem Willen entsprechend zu leben und rüsten ihn aus, den Dienst, den Paulus ihm anvertraute, zu erfüllen. Wenn er sich in die heiligen Schriften meditierend vertieft und sie auslegt, wird ihm die „Erziehung zur Gerechtigkeit“, der ihm Anvertrauten, gelingen. Aber nicht nur der Hirte, sondern vielmehr jeder Christ soll von Kindheit an in den Umgang mit den heiligen Schriften (Altes und Neues Testament) eingeführt werden und vertrauten, meditierenden und persönlich anwendenden Umgang mit ihnen pflegen.
Im anschließenden Höhepunkt seines geistlichen, testamentarischen Vermächtnisses fordert Paulus seinen Freund und Mitarbeiter auf, „das Wort“ mutig zu verkündigen und darauf zu achten, dass es nicht verfälscht und entstellt wird. Das erfordert Unterscheidung, kritische Auseinandersetzung, Zurechtweisung und Ermahnung, aber nie als Demonstration der Macht, sondern vielmehr in Geduld[2] und Belehrung.
(3) Dietrich Bonhoeffer bekennt in einem Brief, was es für ihn bedeutet existentiellen Zugang zur Bibel gefunden zu haben: „Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert hat und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Das ist auch wieder sehr schlimm zu sagen. Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und geschrieben - und ich war noch kein Christ geworden, sondern ganz wild und ungebändigt mein eigener Herr. Ich weiß, ich habe damals aus der Sache Jesu Christi einen Vorteil für mich selbst, für eine wahnsinnige Eitelkeit gemacht. Ich bitte Gott, dass das nie wieder so kommt. Ich hatte auch nie oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden. Das habe ich deutlich gespürt und sogar andere Menschen um mich herum. Das war eine große Befreiung.“ (Dietrich Bonhoeffer Werke 14, Seiten 112-114 in Auszügen)
[1] Vgl. Apostelgeschichte 20,22-32
[2] Ruhiges und beherrschtes Ertragen von etwas, was unangenehm ist oder sehr lange dauert.
28. Sonntag 2 Tim 2,8-13
8 Denke an Jesus Christus, auferweckt von den Toten, aus Davids Geschlecht, gemäß meinem Evangelium, 9 um dessentwillen ich leide bis hin zu den Fesseln wie ein Verbrecher; aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt. 10 Deshalb erdulde ich alles um der Auserwählten willen, damit auch sie das Heil in Christus Jesus erlangen mit ewiger Herrlichkeit.
11 Das Wort ist glaubwürdig: Wenn wir nämlich mit Christus gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben; 12 wenn wir standhaft bleiben, werden wir auch mit ihm herrschen; wenn wir ihn verleugnen, wird auch er uns verleugnen. 13 Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.
(1) Wann immer sich eine neue Bewegung etabliert sieht sie sich mit Fragen und Problemen von innen und von außen konfrontiert. Sie muss sich die Klarheit über die Frage verschaffen, was das Wesen ihrer Bewegung ist, welches Ziel sie verfolgt und welche Voraussetzungen die Personen mitbringen müssen, die sie leiten sollen. Die Umwelt nimmt ihre neue Existenz wahr, beobachtet sie aufmerksam, ob sie ihre Interessen gefährden und ihren Errungenschaften zuwiderhandeln. Von der daraus resultierenden Einschätzung wird abhängen, ob sie der neuen Bewegung wohlwollend oder feindselig begegnen.
Die ersten Christen mussten die Gestalt ihrer Bewegung erst finden. Was war der Kern der Botschaft, den sie im Auftrag Jesu der Welt verkünden sollten? Es ist die sogenannte Apostolische Lehre, das was Jesus die Apostel gelehrt hatte, und im Evangelium ihren Niederschlag fand.
Paulus wurde „sein Evangelium“ bei der Begegnung mit Jesus vor Damaskus geoffenbart und dort erhielt er die Sendung zum Heidenmissionar. Er hat zeitlebens Männer und Frauen um sich gesammelt, die ihm bei der Erfüllung seines Auftrages halfen. Und jetzt, wo er mit dem Tod rechnen musste, appellierte er an Timotheus, seinen Freund und Mitarbeiter, die Sendung, die er ihm anvertraut hatte konsequent und selbstlos zu erfüllen, wenn nötig auch mit der Bereitschaft Leiden in Kauf zu nehmen.[1] Um Timotheus bewusst zu machen, dass er ein außerordentliches und anspruchsvolles Amt übertragen bekommen hat, vergleicht er sein Amt mit dem Status von Offizieren, Wettkämpfern und hart arbeitenden Bauern. Aber Paulus belässt es nicht allein beim Aufweis der Herausforderungen, die sein Amt beinhalten, er begründet sie auch.
(2) Im Kern seiner Begründung steht der Gedanke, dass Jesus Christus aus dem Geschlecht Davids, vom Tod auferstanden ist. In Jesu Auferstehung und seiner Herkunft aus dem Hause Davids hat sich die davidische Messias-Verheißung erfüllt. Das bedeutet aber gleichzeitigt, dass Jesus von seinem Volk mehrheitlich abgelehnt, verurteilt, ausgeliefert, von den Römern zum Tode verurteilt und als Verbrecher hingerichtet wurde. Aber Gott hat ihm Recht gegeben, hat ihn auferweckt und zu seiner Rechten erhöht. Durch seinen Sühne-Tod hat Jesus die Welt mit Gott versöhnt. Diese „Frohe Botschaft“ soll allen Menschen angeboten werden.
Jesus hat also in viel grausamerem Maße am eigenen Leib erfahren, was ihm, Timotheus in viel geringerem Maße zugemutet wird. Aber auch er, Paulus selbst, hat viele Strapazen, Misserfolge, Demütigungen und Leiden um des Evangeliums willen erduldet. Gerade jetzt sitzt er wie ein Verbrecher, gefesselt in einem Gefängnis in Rom. Aber er ist auch zutiefst überzeugt, dass das Wort Gottes nichts und niemand an der Ausbreitung wird hindern können und, dass die Leiden um Christi und des Evangeliums willen Frucht bringen.
Der größte Missionar der apostolischen Zeit, Paulus, teilt Timotheus ebenfalls mit, warum er das alles zu ertragen bereit ist: Er tut es für die Auserwählten, „damit auch sie das Heil in Christus Jesus erlangen mit ewiger Herrlichkeit.“ Paulus will seinem Mitarbeiter klar machen, dass er mit seiner Leidensbereitschaft für die Weitergabe des Evangeliums wie Jesus und er selbst, „Mensch für andere“ ist. Auf dieses Privileg sollte er nicht verzichten.
Schließlich zeigt Paulus seinem Mitarbeiter wohin ihn sein Engagement für das Evangelium im Dienste Jesu führen wird: Die vielen kleinen und großen Tode, die er in der täglichen Nachfolge sterben wird, sind bei Gott gut aufgehoben und gehen nicht ins Leere. Sie haben ihren Sinn. „Wir können mit Christus sterben, weil er für uns gestorben ist. Christi Sterben für uns schenkt uns Anteilhabe am Reich Gottes und dies ist Anteilhabe an der Gemeinschaft mit Christus.“[2] Wenn er standhaft bleibt, geduldig ausharrt, ist das noch lange kein Scheitern.[3] Wenn er aus Angst und Feigheit einmal Christus verleugnet, wird das nicht das Ende sein. Denke er an Petrus und seine Tränen der Reue! Denn weit über die Verleugnung stellt Paulus die Treue Christi. Die Verleugnung wird durch das Bekenntnis Jesu zu den Menschen, die Gott retten will, aufgehoben.
(3) Das Evangelium ist die Quelle und der Maßstab des Gedenkens an Jesus Christus. Es soll nicht nur die Mitte im Dienst des Apostelschülers sein, sondern auch in unserem. Dieses Gedenken vollzieht sich mit Kopf, Herz und Verstand. Dieses Gedächtnis sollte auch unser ganzes Leben prägen.
Dietrich Bonhoeffer formuliert es so: „Wir müssen uns immer wieder sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen, Handeln, Leiden und Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er erfüllt.“[4]
[1] 2 Tim 2,2f: Was du vor vielen Zeugen von mir gehört hast, das vertraue zuverlässigen Menschen an, die fähig sein werden, auch andere zu lehren! 3 Leide mit mir als guter Soldat Christi Jesu!
[2] T. Söding, Gottessohn, 110; Mt 26,29: Ich sage euch: Von jetzt an werde ich nicht mehr von dieser Frucht des Weinstocks trinken, bis zu dem Tag, an dem ich mit euch von Neuem davon trinke im Reich meines Vaters.
[3] Lk 22,28ff: Ihr aber habt in meinen Prüfungen bei mir ausgeharrt. 29 Darum vermache ich euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat: 30 Ihr sollt in meinem Reich an meinem Tisch essen und trinken und ihr sollt auf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.
[4] Dietrich Bonhoeffer Werke 8, 572-574
27. Sonntag C 2 Tim 1,6-8.(9-12)13f
6 Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteilgeworden ist! 7 Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. 8 Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn und auch nicht meiner, seines Gefangenen, sondern leide mit mir für das Evangelium! Gott gibt dazu die Kraft:(9 Er hat uns gerettet; mit einem heiligen Ruf hat er uns gerufen, nicht aufgrund unserer Taten, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt wurde; 10 jetzt aber wurde sie durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus offenbart. Er hat den Tod vernichtet und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium, 11 als dessen Verkünder, Apostel und Lehrer ich eingesetzt bin. 12 Darum muss ich auch dies alles erdulden; aber ich schäme mich nicht, denn ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, und ich bin überzeugt, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren). 13 Als Vorbild gesunder Worte halte fest, was du von mir gehört hast in Glaube und Liebe in Christus Jesus! 14 Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt!
(1) Jeder von uns kennt die Zeiten des Stillstandes, der Lähmung, der Dürre und des Miss-Trostes im geistlichen Leben. Gott scheint sich zurückgezogen zu haben, nichts mehr geht leicht von der Hand. Stress und Ruhelosigkeit stellen sich ein. Was ist in solchen Situationen zu tun? Der heilige Ignatius von Loyola rät, in solchen Zeiten sich an Gegebenheiten zu erinnern, in der der Trost und die Leichtigkeit das geistliche Dasein mit Ruhe, Sammlung und Ausgeglichenheit dominierten. Umgekehrt empfiehlt er in den Hoch-Zeiten des geistlichen Lebens an die Trockenheit zu denken, um nicht übermütig zu werden. Die heutige Lesung bietet eine zusätzliche Hilfe an, denn auch der Amtsträger Timotheus blieb von geistlicher Antriebslosigkeit nicht verschont.
Der Zweite Brief an Timotheus hat testamentarischen Charakter. Paulus will Timotheus auf seinen Tod vorbereiten. Der Apostel legt großen Wert darauf, dass sich Timotheus an seinem (paulinischen) Evangelium orientiert.
(2) Der Lesungs-Text setzt unausgesprochen eine Situation voraus, in der Timotheus und die Christen der ihm anvertrauten Gemeinden müde geworden sind und eine gewisse Passivität vorherrschte. Der Einsatz für den Glauben und das Zeugnis[1] für Christus, die Spott und Hohn oder vielleicht sogar Verfolgung hervorrufen könnten, hatten an Strahlkraft verloren. Diese Gleichgültigkeit wollte Paulus keineswegs akzeptieren. Er ermutigte seinen Freund und Mitarbeiter Timotheus die Gnade neu zu entfachen, die er ihm bei der Amtsübertragung, durch die Auflegung seiner Hände vermittelte. Die glosende Glut des Kleinglaubens soll wieder auflodern zur begeisterten Glaubens-Flamme. Der Heilige Geist kann die Umpolung von einer Glaubenspraxis, die von Verzagtheit bestimmt ist, zu einer kraftvollen, liebenden, überzeugten und besonnen bewirken. Diese Gnadengabe wurde ihm verliehen. Dass sie in ihm erneut wirksam werden kann, dafür muss er sich öffnen und um sie beten.
Timotheus hatte offenbar ein Problem damit, unangepasst zu sein. In der Welt zu leben, aber nicht aus der Welt zu sein, tendiert zur Außenseiter-Existenz, die oft mit Angst vor Anfeindungen der Gesellschaft einhergeht. Damit muss sich Timotheus anfreunden. Paulus ermutigt ihn, sich weder Jesu, noch seiner zu schämen, sondern sich entschieden zu Christus zu bekennen und ebenso zu ihm, der um Christi willen im Gefängnis sitzt. Er soll sich zur Bereitschaft durchringen mit ihm zusammen für das Evangelium zu leiden. Das Mitleiden mit dem Apostel und der leidensbereite Einsatz für das Evangelium nach des Apostels Vorbild kennzeichnen den wahren Amtsträger.
Im Anschluss an einen Bekenntnishymnus entfaltet Paulus sein Evangelium (Verse 9-12). In ihrer Mitte steht das Erscheinen des Heilandes Jesus Christus. Mit der Menschwerdung Jesu beginnt das rettende Ereignis der Erlösung, das im Evangelium verlautbart wird. In der Auferweckung Jesu ist die Auferstehung der Toten begründet. Als letzter Feind Gottes und der Menschen wird der Tod vernichtet. Jesu Auferstehung ereignet sich für die Menschen, weil er ihnen radikal Anteil gegeben hat an seiner Beziehung zum Vater. Verkünder dieses Heilsgeschehens sind der Apostel und die Gemeinden. Zur Sendung des Verkündigers dieser „Frohen Botschaft“ von Menschwerdung und Auferstehung gehört aber auch das Leiden für das Evangelium. Diese Verse, die nicht in die Lesung aufgenommen wurden, veranschaulichen das Heilshandeln und die Gnade Gottes. Paulus motiviert auf dieser Grundlage Timotheus, seinen Forderungen und Ermutigungen zu entsprechen.
Der Apostel mahnt seinen Mitarbeiter: „Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut!“ Das „anvertraute kostbare Gut“ ist die Fachbezeichnung für die apostolische Lehre, also die Lehre, die Jesus den Aposteln zur Verkündigung anvertraut hat und die diese weitergegeben haben. Sie ist identisch mit dem Evangelium, dem Wort Gottes. Einerseits handelt es sich hier um die Glaubenswahrheit, die Gott selbst dem Apostel anvertraut hat und andererseits um die Glaubenslehre, die Paulus den Apostelschülern und den von ihnen bestellten Verkündern zur Verkündigung weitergab. Für ihre Bewahrung und rechte Auslegung sorgt der Heilige Geist. Timotheus hat sich an die „gesunden Worte“ zu halten und sie in Glaube und Liebe zu bewähren.
(3) „Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut!“ Ist das der Sargnagel jeden progressiven Handelns in der Kirche? Die Kirche und die Päpste werden ja immer mit dem Vorwurf konfrontiert unheilbar konservativ zu sein. Konservativ hat mit dem Lateinischen conservare zu tun. Etwas Wichtiges ist gefährdet und muss unbedingt bewahrt und gerettet werden. Was muss die Kirche retten und unversehrt überliefern?
In der Mitte des christlichen Glaubens steht Jesus Christus. Er ist das letzte und endgültige, unüberbietbare Wort, das Gott gesprochen hat. In Jesus Christus hat Gott alles gesagt, sich selbst ausgesagt. In ihm hat er auch alles getan. Im auferweckten und erhöhten Christus ist die Welt schon vollendet. Das Entscheidende in der Weltgeschichte ist also bereits geschehen. Dieses Heils-Geschehen muss deshalb im Evangelium verkündet und immer wieder in die Gegenwart gestellt werden. Christen und Christinnen müssen bis in ihr Herz hinein konservativ sein, denn das Entscheidende ist schon geschehen und weil es ihnen von Gott anvertraut wurde. Alle Getauften müssen das ihnen anvertraute Gut bewahren und weitergeben. Die Sache Gottes zu leben ist freilich immer progressiv.[2]
Die heutige Lesung bietet aber auch eine Medizin gegen Lethargie und Gleichgültigkeit an. Paulus motiviert seinen Mitarbeiter, sich in der Kraft des Heiligen Geistes sich der Amtsübertragungs-Gnade zu öffnen und um sie zu beten. Uns ermutigt er, uns der Taufgnade zu erinnern, uns ihr zu öffnen und ebenfalls um sie zu beten, damit wir gemäß dem Effata-Ritus Gottes Wort, das Evangelium, hören und es verkündend leben.
[1] Teilhard de Chardin: „Beten sie für mich, dass ich mich niemals dazu hinreißen lasse, etwas anderes zu wollen als das Feuer.“
[2] Siehe G. Lohfink, Verharmlosung, 208 - 211
26. Sonntag C 1 Tim 6,11-16
11 Du aber, ein Mann Gottes, flieh vor alldem! Strebe vielmehr nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut! 12 Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist und für das du vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis abgelegt hast!
13 Ich gebiete dir bei Gott, von dem alles Leben kommt, und bei Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis abgelegt hat und als Zeuge dafür eingetreten ist:
14 Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen Jesu Christi, unseres Herrn, 15 das zur vorherbestimmten Zeit herbeiführen wird der selige und einzige Herrscher, der König der Könige und Herr der Herren, 16 der allein die Unsterblichkeit besitzt, der in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat noch je zu sehen vermag: Ihm gebührt Ehre und ewige Macht. Amen.
(1) Paulus hat im Brief an seinen Mitarbeiter und treuen Freund Timotheus bereits viele Forderungen, die Gruppen, aber auch einzelne Gemeidemitglieder betreffen, formuliert. Paulus hat diese Forderungen in der Hoffnung aufgestellt, dass Timotheus sie umsetzt. Zuletzt forderte er den rechten Umgang mit dem Reichtum (Verse 6-10). Timotheus solle sich von Habsucht fernhalten („flieh vor allem“). Zum Schluss des Briefes fasst Paulus alle seine genannten Forderungen in einem Auftrag zusammen, den zu erfüllen er Timotheus gebietet.
Timotheus, der ja schon einige Zeit in einer Lebens-, Lern- und Verkündigungsgemeinschaft mit Paulus unterwegs war, hat bei ihm vieles für die Erfüllung seines Auftrages gelernt. Dennoch bietet Paulus seinem jungen Freund eine Rüstung an, mit der er den „guten Kampf des Glaubens kämpfen“ kann.
(2) Paulus legt ihm nahe unermüdlich nach bestimmten Haltungen zu streben: Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut. Ihre Verinnerlichung und Anwendung werden ihm helfen in unterschiedlichen Situationen in angemessener Weise den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde, sowie den Ketzern in der Gesinnung Jesu zu begegnen. Gerechtigkeit bezeichnet hier in ihrem ethischen Sinn das rechte Verhalten.[1] Glaube meint die Haltung, die die überlieferte Glaubenswahrheit festhält und dafür eintritt. Frömmigkeit ist die tief im Glauben wurzelnde Haltung, die die Gottesverehrung in das Zentrum der Lebensgestaltung stellt. Die Liebe orientiert sich an der Liebe Gottes, die sich nicht darin zeigt, dass sie tut, was die geliebte Person verlangt, sondern was diese vom Liebenden braucht. Damit der Mensch Gott und seinen Nächsten lieben kann, muss er sich zunächst Gottes Liebe schenken lassen. Die Standhaftigkeit ist das geduldige Ausharren unter üblen Bedingungen und das Ertragen böser Dinge. Die Sanftmut ist die ausgeglichene, ruhige, geduldige und wohlwollende Gesinnung, die selbst bei Kränkungen, Schmähungen und körperlicher Gewaltanwendung nicht in Zorn gerät, sondern ein besonnenes Verhalten hervorbringt.
An die Seite dieser Haltungen stellt er das „Kämpfen des guten Kampfes des Glaubens“. Timotheus, sein Mitarbeiter, soll den Anfechtungen und der Gegnerschaft mit Mut und Glaubenskraft entgegentreten und sie bestehen. Schließlich rät er ihm „das ewige Leben zu ergreifen“.
Gott hat in Jesus Christus radikal Anteil genommen am menschlichen Leben. Deshalb kann Jesus, der am Kreuz gestorben ist, durch seinen Tod nicht nur seinen eigenen Tod überwinden, sondern allen, die sterben müssen, die Tür zum ewigen Leben öffnen. Die Hoffnung auf die Ewigkeit, die Jesus den Menschen gibt, öffnet die Konzentration auf die Liebe. Gottes Liebe will Ewigkeit, oder sie ist keine Liebe. „Die Liebe hört niemals auf (1Kor 13,8). Dieses die Zukunft vorwegnehmende Hoffnungs-Wissen soll das gegenwärtige Handeln des Timotheus bestimmen.
Für seine Berufung zum ewigen Leben hat er das „gute Bekenntnis“ vor vielen Zeugen abgelegt. Es handelt sich dabei entweder um das Taufbekenntnis oder das Bekenntnis bei der Bischofsweihe. Möglicherweise ist das Messias-Bekenntnis gemeint, das Petrus auf die Frage Jesu: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ abgelegt hat: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Genau diese Frage stellte der Hohepriester Kajaphas Jesus beim Verhör. Jesu Antwort führt zu seiner Verurteilung und zur Auslieferung an Pilatus. Allerdings hat sich Petrus während des Verhörs im Hof vor dem Gebäude, in dem das Synhedrion tagte, von Jesus distanziert. Könnte da eine Warnung an Timotheus mitschwingen? Dass nämlich das verbale Bekenntnis allein noch nicht viel bedeutet, sondern durch konkrete Taten bewiesen werden muss.
Paulus „gebietet“ Timotheus die Auftragserfüllung „bei Gott“ und „bei Jesus“, der vor Pontius Pilatus das „gute Bekenntnis“ abgelegt und als Zeuge dafür eingetreten ist. Timotheus soll also - entsprechend Jesu Vorbild - seinem Auftrag treu bleiben und für das Evangelium Zeugnis ablegen. Jesus ist der Märtyrer und Zeuge, der sein Leben für Gott eingesetzt hat. Jesu Martyrium weist nicht nur auf die Rettung hin, die Gott im Sinn hat, sondern er verwirklicht sie.[2]
Der Zeitraum für die Erfüllung des Auftrags ist auf die ausstehende Zeit bis zum Widerkommen Jesu begrenzt: „Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen Jesu Christi, unseres Herrn.“ Hier steht die Annahme im Hintergrund, dass das Wiederkommen Jesu noch zu Lebzeiten des Timotheus geschehen wird.[3] Darüber hinaus soll er seinen Auftrag uneigennützig, unbestechlich und ohne die guten Sitten zu verletzen, erfüllen. Alles das soll er beherzigen im Blick auf die größere Ehre Gottes.
(3) Die Anweisungen, die der Apostel seinem Mitarbeiter gibt, sind auch für uns eine Hilfe, unseren Glauben im herausfordernden Alltag zu bewähren und in Geduld zu wachsen. Es wird uns in Erinnerung gerufen, dass wir den Glauben nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten verkünden. Entscheidend ist auch die Umsetzung der Erkenntnis, dass geistliche Autorität nicht auf den Einsatz von Machtmitteln besteht, sondern durch verinnerlichte und gelebte Haltungen, die Jesus selbst vorgelebt hat. Das setzt eine innige Beziehung mit Jesus voraus, die täglich neu gelebt werden muss.
[1] Im Unterschied zum paulinischen Verständnis von Gerechtigkeit.
[2] T. Söding, Gottessohn, 108: „suchte man eine theologische Komprimierung der Prozesserzählung, fände man sie in 1Tim 6,13.“
[3] T. Söding, Gottessohn, 349: „Nach Markus steht für Jesus im Zentrum, dass der Menschensohn die Engel aussendet, um alle zusammenzuführen, die Gott retten will (Mk 13,24-27). Auf eine solche Versammlung… läuft auch hinaus, was sich nach der Johannesoffenbarung am Ende jenseits der Geschichte ereignet: das Strömen der Völker ins himmlische Jerusalem hinein (Offb 21f)… ‚Komm, Herr Jesus!‘ (Offb 22,20) ist der Bittruf, der alle Bitten zusammenfasst,…“
25. Sonntag C 1Tim 2,1-8
1 Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, 2 für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können. 3 Das ist recht und wohlgefällig vor Gott, unserem Retter; 4 er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.
5 Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und Menschen: der Mensch Christus Jesus, 6 der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur vorherbestimmten Zeit, 7 als dessen Verkünder und Apostel ich eingesetzt wurde - ich sage die Wahrheit und lüge nicht -, als Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit.
8 Ich will, dass die Männer überall beim Gebet ihre Hände in Reinheit erheben, frei von Zorn und Streit.
(1) Die Welt, in der wir leben, ist wie sie ist, und sie ist oft der Sendung und dem Dienst, dem wir als Getaufte verpflichtet sind, nicht unbedingt förderlich, ja oft hinderlich oder sogar uns gegenüber feindlich eingestellt. Die Feindschaft den Gläubigen gegenüber kann zwar Märtyrer und standhafte Glaubenszeugen hervorbringen, aber auch viel Schmerz und Leid. Aber nicht nur der Angriff auf Leib und Leben bedrohen die Verkündigung des Glaubens, auch bestimmte geistige Strömungen und Ideologien. Das ist nicht nur heute so, dass war auch damals so, als Paulus diesen Brief an Timotheus schrieb. In jener Zeit war die Gnosis sehr attraktiv, eine Art der Erlösung durch Wissen. Sie barg die Gefahr, den christlichen Glauben auszuhöhlen und umzuinterpretieren.
(2) Paulus fordert die Christen und Christinnen durch Timotheus zu Bitten, Gebeten, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen auf und stellt die Fürbitte für die Herrscher und alle Machtausübenden in ihrem konkreten, persönlichen Lebensbereich an den Beginn. Die Begünstigten des Gebetsaufrufes sollen zwar alle Menschen sein, aber nachdem sofort die ergänzende Hinwendung zu den Machthabenden folgt, gilt wohl ihnen das Hauptinteresse. Es fällt auch uns leichter, für alle Menschen zu beten, als für die Regierenden und Politiker. Es ist, als wollte der Autor sagen, ihr habt die Machthaber, die ihr verdient. Also betet für sie. Mit dieser Gebetsaufforderung weist Paulus darauf hin, dass wir uns von der Verantwortung für die Welt nicht dispensieren sollen. Wir sind für sie mitverantwortlich. Wir dürfen ihr Geschick nicht dem Schalten und Walten anderer überlassen. Wir vollziehen unsere Verantwortung mit den uns geschenkten, eigenen Mitteln, vor allem mit dem Gebet: Bitten, Fürbitte und Danksagung.
Unser Platz in der Welt ist der Ort, an dem uns die Erfüllung unserer Aufgabe aufgetragen ist, nämlich das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen, sowie der Welt bekannt zu machen, dass alle Menschen gerettet sind und alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen sollen.
Die Danksagung gilt zuerst und vor allem Gott, der in der Geschichte sein Heil wirkt und uns in Jesus Christus mit sich versöhnt hat, der uns Beziehung mit sich schenkt und „Gott-mit-uns“ ist. Wir dürfen ihm aber auch für seine Schöpfung danken, die auf ihn hin durchsichtig ist und die uns immer wieder staunen lässt und zur Anbetung einlädt. Dank schulden die Adressaten aber auch dem Römischen Reich, seiner Rechtsordnung und den Exponenten seiner Macht, soweit sie Frieden und Gerechtigkeit aufrecht halten. Denn zwischen den Zeilen ist die Befürchtung herauszulesen, dass Gefahr in Verzug und Wachsamkeit geboten ist.
Ziel der Fürbitte sind das allgemeine Wohl, der Friede und die Sicherheit, um gut leben zu können und um die Sendung zu erfüllen, die der Gemeinde und jedem einzelnen aufgetragen ist. Ein Leben in Frömmigkeit, das Gott und Christus Jesus anerkennt und ehrt durch Beten, Gottesdienstteilnahme und Gehorsam gegenüber dem Wort Jesu ist in einer stabilen und sicheren Gesellschaft eher möglich als in einer unruhigen und gefährdeten. Das gilt auch für ein rechtschaffenes Leben in Würde. Es soll einen Menschen anleiten, ein Gott wohlgefälliges und den Menschen zugewandtes Leben zu führen.
Die Christen wurden damals von ihrer Umwelt mit kritischen Augen beobachtet. Sie suchten ihren Platz in der Gesellschaft und richteten sich in ihr ein, weil sich die Wiederkunft Christi verzögerte und sie mit einer längeren Dauer bis zu seiner Wiederkunft rechnen mussten. Sie wollten sich der Welt nicht angleichen, sondern erstrebten eine Umwandlung der Gesellschaft im Geist Christi, denn Gott der Retter, will alle Menschen retten. Die „Rettung aller Menschen“ und der Hinweis auf die „Erkenntnis der Wahrheit“ ist gegen die Sektierer - die Anhänger der Gnosis - formuliert, die dies bestritten. Diese Wahrheit wurde bereits in Glaubenssätze gefasst, wie es das folgende Glaubensbekenntnis zeigt (Verse 5-7). Die Gnosis rechnet mit Störelementen in der Beziehung zwischen Jesus und Gott. Daher betont Paulus den einen Gott und den einen Mittler Jesus Christus, den konkreten Menschen aus Nazareth.
Der Mittler ist „Mittelsmann im Sinne des Mediators und Fürsprechers, des Friedensemissärs.“[1] Jesus ist demnach der Sachwalter Gottes bei den Menschen und zugleich auch Sachwalter der Menschen bei Gott. Durch seinen stellvertretenden Sühnetod ist er der Mittler unseres Heils. Das erinnert an Mk 10,45: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ Schließlich betont der Autor seine Glaubwürdigkeit und seine apostolische Autorität. Was von seiner Lehre abweicht, ist Irrlehre.
Ist der Grund, dass Gott einen Mittler braucht, seine Abwesenheit in der Welt? Nein! Gott will in der von Leid und Schuld beherrschten Welt sein Heil wirken. Im menschgewordenen Gottessohn schenkt er der Welt seine Liebe. Sie wurde in Jesus Opfer menschlicher Schuld. Gott hat sich der Welt nicht verweigert, sondern liebend hingegeben. Jesus trat als Mensch aus Fleisch und Blut auf, um sich den Menschen als ihren, mit ihnen solidarischen Retter, anzuvertrauen. In ihm hat sich Gott selbst sichtbar gemacht.
In einem neuen Abschnitt wird das Thema Beten weitergeführt. Die Anweisung für die Männer ist sehr knapp. Das Gebet und die Teilnahme am Gottesdienst dürfen weder von Streitigkeiten und Zorn noch von Unversöhntheit bestimmt werden. Das Gebet unversöhnter Christen entspricht nicht dem Willen Gottes.
(3) Die Aufforderung, für Regierung und Politiker auch außerhalb des „Allgemeinen Gebetes (Fürbitten)“ zu beten, weckt seltsame Gefühle. Das ist fast wie die Aufforderung, für die Feinde zu beten. Vertraut ist uns die Kritik an Regierung und Politikern. Wer aber in Betracht zieht, dass wir in einem Land mit sozialem Frieden, gerechter Umverteilung und relativ großer Freiheit leben, der wird wenigstens der Aufforderung zur Danksagung etwas abgewinnen können. Damit das so bleibt, braucht es verantwortungsbewusste Regierende und Politiker mit Rückgrat, nicht solche, die große Versprechungen abgeben und Vertreter der konkurrierenden Partei in den Schmutz ziehen. Es liegt an uns, wofür wir beten und wen wir wählen.
[1] T. Söding, Gottessohn, 328
24. Sonntag C 1 Tim 1,12-17
12 Ich danke dem, der mir Kraft gegeben hat: Christus Jesus, unserem Herrn. Er hat mich für treu gehalten und in seinen Dienst genommen, 13 obwohl ich früher ein Lästerer, Verfolger und Frevler war. Aber ich habe Erbarmen gefunden, denn ich wusste in meinem Unglauben nicht, was ich tat.
14 Doch über alle Maßen groß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte.
15 Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste.
16 Aber ich habe gerade darum Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als Erstem seine ganze Langmut erweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen. 17 Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen.
(1) Der erste und zweite Timotheus- und der Titus-Brief werden als Pastoralbriefe bezeichnet. Sie wollen den Hirten und Christen in Ephesus und den kleinasiatischen Gemeinden eine Hilfe für die Stärkung des Glaubens und der Gemeindeleitung geben. Der Verfasser ist aller Wahrscheinlichkeit nicht Paulus, sondern vermutlich ein unbekannter Amtsträger, der sich der Autorität des Apostels bedient, um seinen eigenen Anweisungen Gewicht zu verleihen. Ein wichtiges Anliegen der Pastoralbriefe ist das Bekenntnis zum universalen Heilswillen Gottes, der „durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus“ geoffenbart wurde. Der heutige Lesungstext ist ein Einschub, der den Dank des Apostels für das ihm von Gott geschenkte Erbarmen ausdrückt, das zugleich allen Menschen gilt. Die Pastoralbriefe geben Auskunft über die Christengemeinden im ausgehenden ersten christlichen Jahrhundert.
(2) „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten.“[1] Mit der Wendung: „Das Wort ist glaubwürdig“ werden in den Pastoralbriefen Glaubenssätze hervorgehoben, die den Glauben für den Taufunterricht, den Gottesdienst und konkreten Alltag fassbar und anwendbar vermitteln wollen. Der Zusatz „und wert, dass man es beherzigt“ verstärkt die Hervorhebung. Der Verfasser des Briefes bedient sich der Autorität des Völkerapostels, um klar zu machen, dass Jesu Sendung in die Welt ein besonderes Ziel hatte, nämlich die Rettung der Sünder. Aber nicht nur Jesu Einsatz für die Sünder zu seinen Lebzeiten und sein Sterben für sie sind Zeugnis dafür. Auch als Auferstandener setzt er dieses Werk beispielhaft an Paulus fort.
Paulus bezeugt das Handeln Gottes an sich durch die geschenkte Begegnung mit Jesus vor Damaskus. Dieses Ereignis scheidet sein Leben in ein Vorher und Nachher. Im Rückblick war das Vorher geprägt durch sein Leben als Sünder (Lästerer, Verfolger und Frevler). Dazwischen war seine Rettung. Nachher wurde er von Christus Jesus in Dienst genommen. Paulus betont, dass er Erbarmen fand, weil er in seinem Unglauben nicht wusste, was er tat. Darüber hinaus hebt er die übergroße Gnade Gottes hervor, die ihm in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte.
Das zuteil gewordene Erbarmen führt er auf das Nichtwissen aufgrund seines Unglaubens zurück. Das mildernde Motiv des Nichtwissens findet sich schon bei Jesus. Sein erstes Wort am Kreuz (Lk 23,34) ist die Bitte um Vergebung für die, die ihn annageln: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Jesus lebte, was er in der Bergpredigt verkündet hatte. Die Apostelgeschichte berichtet, dass Petrus nach der Heilung des Gelähmten der Masse ins Gewissen redete. Er erinnerte sie, dass sie „den Heiligen und Gerechten verleugnet und die Freilassung eines Mörders gefordert“ hatte. Dieser Hinweis traf sie mitten ins Herz. Dann sagte er: „Nun, Brüder, ich weiß ihr habt in Unwissenheit gehandelt, ebenso wie eure Führer“ (3,17). Im autobiographischen Rückblick des Apostels Paulus ist es diese Unwissenheit, die ihn gerettet hat. Sie machte ihn der Bekehrung und der Vergebung fähig. Das gelehrte Wissen des Schriftgelehrten und Pharisäers Saulus und sein tiefes Unwissen geben sehr zu denken.
In der Erzählung von den Magiern aus dem Osten wissen die Hohenpriester und Schriftgelehrten genau, wo der Messias geboren wird. Sie erkennen ihn aber nicht. Als Wissende bleiben sie dennoch blind (Mt 2,4-6). Insofern muss das Wort vom Nichtwissen „gerade auch heute die vermeintlich Wissenden aufrütteln. Sind wir nicht gerade als Wissende blind? Sind wir nicht gerade durch unser Wissen unfähig, die Wahrheit selbst zu erkennen, die sich im Gewussten uns zuwenden möchte?“[2]
Das empfangene Erbarmen mit der Gabe des Glaubens und der Liebe hat aber noch einen weiteren Grund: Christus Jesus konnte gerade an ihm seine Langmut erweisen zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen. Paulus, der der Steinigung des Stephanus zustimmte, den Gekreuzigten und die Christen hasste und verfolgte, hatte Jesu Langmut und Geduld herausgefordert, was schließlich in die Begegnung der beiden vor Damaskus und seiner Bekehrung und Sendung führte. Diese Vorbildhaftigkeit zeigt einerseits, welch große Wertschätzung Paulus in den paulinischen Gemeinden am Ende des ersten christlichen Jahrhunderts genoss und andererseits, dass sich dem Erbarmen Gottes und seiner Gnade alle anvertrauen dürfen. Jesu Gnade vermag auf Dauer alles.
(3) „Wir sind gerettet!“ Es gibt keine bessere Sicherheits-Polizze. Dennoch wird deren Wahrheit immer wieder bezweifelt. Sach-Wissen verbunden mit Selbstüberschätzung und Stolz führen oft zum tragischen Irrtum, man müsse oder könne seine Rettung selbst „leisten“. Wir müssen uns nicht selber retten! Das hat Christus für uns getan. Übrigens, die Gnade ist dort übermäßig, wo die Sünde mächtig ist.
Paulus wurde von seinem Hass befreit und gerettet. Unser aller Rettung „besteht in der Vergebung der Sünden und in der Erneuerung des ganzen Menschen, der Vermittlung eines authentischen Gottesverhältnisses, am Ende in der Auferstehung der Toten und dem ewigen Leben.[3]
An uns liegt es das Zeugnis der Heiligen Schrift anzunehmen: Für die, die in Christus sind gibt es keine Verdammnis (Röm 8,1-4); jeder, der an ihn glaubt geht nicht zugrunde (Joh 3,16-18); wer den Sohn hat, der hat das Leben (1 Joh 5,12f).
Letztlich ist es eine Beziehungsfrage: Lebe ich in Beziehung mit dem dreifaltigen Gott? Teile ich mein Leben mit ihm, lass ich mir von ihm in mein Leben „dreinreden“? Vertraue ich darauf, dass er mich langmütig führt, dass er es trotz aller Schicksalsschläge gut mit mir meint?
[1] Vgl. Lk 19,10
[2] J. Ratzinger, Jesus II, 231
[3] T Söding, Gottessohn, 106f
23. So C Philemon 9-17
9 b Ich, Paulus, ein alter Mann, jetzt auch Gefangener Christi Jesu, 10 ich bitte dich für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin… 12 Ich schicke ihn zu dir zurück, ihn, das bedeutet mein Innerstes. 13 Ich wollte ihn bei mir behalten, damit er mir an deiner Stelle dient in den Fesseln des Evangeliums.
14 Aber ohne deine Zustimmung wollte ich nichts tun. Deine gute Tat soll nicht erzwungen, sondern freiwillig sein. 15 Denn vielleicht wurde er deshalb eine Weile von dir getrennt, damit du ihn für ewig zurückerhältst, 16 nicht mehr als Sklaven, sondern als weit mehr: als geliebten Bruder. Das ist er jedenfalls für mich, um wie viel mehr dann für dich, als Mensch und auch vor dem Herrn. 17 Wenn du also mit mir Gemeinschaft hast, nimm ihn auf wie mich!
(1) Ein Exerzitien-Begleiter empfahl einem Teilnehmer, darüber nachzudenken, was sich in seinem Leben ändern würde, wenn er heute noch entscheidet aufzuhören, Christ zu sein. Welche Konsequenzen hätte das für sein Leben? Wenn sich nichts ändern würde, was hätte das zu bedeuten? Und wie ist das bei mir? Mir ist bewusst, dass ich mich vom Heil abschneiden würde und dass ich allein nicht glauben kann. Ich brauche zum Glauben auch eine christliche Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage interessant, was sich ändern würde, wenn einer oder eine sich entscheidet, Christ zu werden.
Die heutige Lesung gibt auf diese Frage eine Antwort. Außerdem wird sichtbar, wie Paulus mit seiner Autorität umgeht und der Apostel zeigt sich auf eine ungewöhnlich menschliche, einfühlsame und fürsorgliche Weise.
(2) Onesimus heißt der Sklave, der seinem Herrn Philemon entlaufen war. Dieser lebte vermutlich in Kolossä und war wahrscheinlich durch Paulus Christ geworden. Beide waren freundschaftlich miteinander verbunden. Philemon stellte sein Haus auch den christlichen Versammlungen zur Verfügung. Onesimus war bei seiner Flucht in Verbindung mit Paulus gekommen, der sich zu dieser Zeit im Gefängnis in Ephesus aufhielt. Ob Onesimus von seinem Herrn schlecht behandelt worden war, ob er sich etwas zu Schulden kommen ließ und fliehen musste, oder ob er einfach die Nähe des Apostels suchte, wird alles nicht gesagt.
Sicher ist, dass Onesimus dem Apostel nützlich war und sich eine besonders herzliche Beziehung zwischen dem Apostel und dem Sklaven entfaltete. Paulus, der auf sein Alter und auf seine missliche Situation im Kerker verweist, hat die Dienste des Geflohenen gern in Anspruch genommen. Aber es war wohl viel mehr als der Dienst eines Flüchtlings, der einen gewissen Schutz erfährt und dankbare Entgegennahme des Dienstes. Vielleicht hat Onesimus Paulus deshalb aufgesucht, weil ihn dessen Glaube faszinierte. Es könnte das Wissen um eine ganz andere, neue Verbindung von Brüdern und Schwestern Jesu und als Kinder Gottes in der neuen Familie Jesu gewesen sein,[1] die sie immer mehr verband. Diese offenbar sehr innige Beziehung macht Paulus zum Fürbitter für den Sklaven, den er als sein Kind bezeichnet, weil er ihm zum Vater geworden war, der ihm die Möglichkeiten und Grenzen des Lebens lehrte und ihm Sicherheit und Halt vermittelte.
Trotz dieser nützlichen Verbundenheit und geistlichen Beziehung weiß sich Paulus auch dem Recht verpflichtet. Onesimus ist laut geltendem Gesetz Philemons Besitz. Dem Besitzer ist durch den Entlaufenen ein Schaden entstanden. Dieses Unrecht möchte der Apostel wieder gutmachen und er möchte auch auf Basis der neuen Beziehung, die sie nun verbindet, Philemon zum Einlenken motivieren: Er wird Onesimus zu seinem Herrn zurückschicken. Das ist für ihn, als würde man ihm das Herz aus der Brust reißen. Gern hätte er ihn weiterhin bei sich gehabt, dass er ihm diene, solange er um des Evangeliums willen im Gefängnis weilt. Und Philemon könnte diesen Dienst als Besitzer des Sklaven sogar für sich verbuchen.
Aber weder befiehlt Paulus noch schafft er kraft seiner Autorität unverrückbare Tatbestände, sondern wünscht die Zustimmung seines Freundes. Wenn dieser sich für die gute Tat der wohlwollenden Wiederaufnahme des geflohenen Sklaven entscheidet, dann soll das seine freie Entscheidung und keine erzwungene sein. Paulus wechselt die Perspektive. Vielleicht ist das alles kein Zufall, sondern Werk der göttlichen Vorsehung. Gott sucht das Verlorene und freut sich über das Wiedergefundene. Philemon bekommt viel mehr zurück als einen entlaufenen Sklaven, nämlich einen geliebten Bruder im Herrn. Wer weiß, wieviel Freude er ihm noch bereiten wird.
(3) Paulus hat die Sklaverei nicht abgeschafft. Das konnte er auch gar nicht. Dennoch hat sich der Stellenwert der Sklaven innerhalb der christlichen Gemeinde radikal geändert. Die Gleichheit aller Menschen basiert nicht aufgrund desselben Samens, auch nicht aufgrund des allen Menschen gemeinsamen Weges von der Geburt bis zum Tod, sondern in der Zugehörigkeit zu Jesus Christus.
Im Falle des Onesimus ist Paulus Fürbitter und Bittsteller. Er pocht nicht auf seine Rechte als Apostel, fordert nicht Gehorsam gegenüber seiner Autorität. Er geht sehr sensibel vor und appelliert an das christliche Gewissen des Glaubensbruders Philemon. Paulus weiß sich für den verantwortlich, den er sich vertraut gemacht hat.
Und Onesimus, was immer auch seine ursprüngliche Absicht war, findet sich wieder in der neuen Familie Jesu, in einer Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern. In Paulus hat er einen geistlichen Vater bekommen, der ihn zu Christus geführt und ihm die wahre, innere Freiheit gelehrt hat. In Christus hat er Heil, Sinn und Ziel verheißen bekommen.
[1] Vgl. G. Lohfink, Gemeinde, 66-72
22. Sonntag C Hebr 12,18-24
18 Denn ihr seid nicht zu einem sichtbaren, lodernden Feuer hinzugetreten, zu dunklen Wolken, zu Finsternis und Sturmwind, 19 zum Klang der Posaunen und zum Schall der Worte, bei denen die Hörer flehten, diese Stimme solle nicht weiter zu ihnen reden; …
22 Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hinzugetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung 23 und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind, und zu Gott, dem Richter aller, und zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, 24 zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus,… 28 Darum wollen wir dankbar sein, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen, und wollen Gott so dienen, wie es ihm gefällt, in ehrfürchtiger Scheu;
(1) Die heutige Lesung stellt das Gegenübertreten des alttestamentlichen Gottesvolkes zum Berg Sinai dem des neutestamentlichen Gottesvolkes zum Berg Zion gegenüber. Sie ist ein Teil des Abschnittes im vorletzten Kapitel des Briefes, der in der revidierten Einheitsübersetzung mit „DIE GRÖSSE DER GÖTTLICHEN BERUFUNG“ überschrieben ist. Dem Abschnitt geht unter der Überschrift „DIE ZUCHT DES HERRN“ die Aufforderung voraus, einander und besonders die Schwachen beim Einsatz in der Nachfolge Jesu zu stärken. Nach dieser (12,12) folgt eine weitere: „Trachtet nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird! Seht zu, dass niemand von der Gnade Gottes abkomme“ …, dass keiner unzüchtig ist oder gottlos wie Esau, der für eine einzige Mahlzeit sein Erstgeburtsrecht verkaufte!“ (12,14-16).
Der Text der Lesung ist einer der Höhepunkte des Hebräerbriefes. Der Autor des Briefes, der die Leser zu mutigem Glaubenszeugnis mahnt, stellt ihnen in diesem Text Gabe und Aufgabe ihrer Berufung vor Augen: das ewige Heil, zu dem sie schon hinzugetreten sind, aber noch nicht am Ziel sind.
Der wahre Zion, die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem bedeutet ihr endgültiges Heil. Hier sind Tausende von Engeln, hier ist die festliche Versammlung, das Urbild der irdischen Ekklesia. Hier sind die schon vollendeten Gerechten versammelt, hier ist Gott, der Richter, und hier ist Jesus Christus, der Mittler des Neuen Bundes.
Die Lesung spricht also vom Zionsberg und vom Hinzutreten der Heidenchristen. Sie setzt das Schema der Völkerwallfahrt voraus, auch wenn es nicht ausdrücklich genannt wird. Was hat es mit diesem Schema auf sich?
(2) Die Verheißung der Völkerwallfahrt besagt, dass eines Tages alle Völker zum Berg Zion, nach Jerusalem, ziehen werden, um dort die Tora, das Gesetz Mose, kennenzulernen. Die Voraussetzung ist, dass das Volk Gottes, also Israel, die Tora lebt, sodass andere das sehen und sich davon angezogen fühlen, daher am Schluss die Aufforderung, selbst im Licht des Herrn zu wandeln.[1] Das Thema der Völkerwallfahrt findet sich auch bei Deutero-Jesaja (Zweiter Jesaja) und Jesaja 60 greift Jesaja 2 nochmals auf: Die Faszination der Tora spricht sich auf der ganzen Welt herum. Die Heidenvölker ziehen von überall her zum Zion. Sie wollen sehen und erfahren, wie Menschen in Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben.
Auch Matthäus 2 hat mit der Völkerwallfahrt zu tun. Die persischen Weisen, die kommen, um Christus zu huldigen, sind eine Vorankündigung dessen, was nach Ostern geschehen wird: das Kommen der Heiden zu Jesus Christus. Matthäus hat sein Evangelium gerahmt durch das sich schon ankündigende Kommen der Heiden (Kapitel 2) und den Auftrag des Auferstandenen zur Heidenmission (Matthäus 28,19-20).
So wird auch verständlich, dass Jesus sich nur in Ausnahmefällen den Heiden zuwandte, denn er war überzeugt, dass zuerst das Gottesvolk gesammelt werden und Israel das Reich Gottes annehmen muss. In der Bergpredigt lehrt Jesus den endzeitlichen Frieden und die absolute Gewaltlosigkeit, das, was gemäß Jesaja 2 die Heidenvölker von Israel lernen werden (Matthäus 5,9.38-41). Damit will Matthäus sagen: „Seit Jesus, der Messias Israels, geboren ist, erfüllt sich die endzeitliche Vision der Völkerwallfahrt. Nun kommen die Heiden zum Zion… Sie finden in den messianischen Gemeinden, die sich seit Jesus auf dem Boden Israels gebildet haben, Rettung und Heil.“[2]
(3) Der Lesungstext sagt also, dass die Glaubenden, die Heidenchristen zu diesem himmlischen Jerusalem, dem vollendeten und nicht mehr überbietbaren Heil in der Völkerwallfahrt bereits hinzugetreten sind. Da Gott aber der Richter aller Menschen ist, können sie ihr Heil immer noch verwirken. Dennoch – sie sind schon hinzugetreten. Wenn sich die Gemeinde zum Gottesdienst versammelt, dann ist sie schon mitten in der himmlischen Versammlung, ist sie schon mitten unter den Engeln und unter den verstorbenen Gerechten, ist sie schon mitten im himmlischen Jerusalem. Sie steht vor Christus, dem Mittler und dem Thron Gottes. Der Autor formuliert die Erfahrung, dass mit Jesus das endgültige und unüberbietbare Heil schon mitten in der Geschichte angekommen ist.
Für die neutestamentlichen Gemeinden war die Vision von der Völkerwallfahrt keine Utopie („Kein Ort“, „Nirgendwo“). Sie glaubten, dass die Erfüllung dieser Vision bereits begonnen hat. Sie hat begonnen, in den Gemeinden, die an Christus, das Licht der Welt, glauben und aus seinem Geist und seiner Kraft in einer neuen Lebensordnung in Frieden zusammenleben. Sie hat auch begonnen, in den Heiden, die angezogen werden vom neuen Leben der Christen.
Der Verfasser des Hebräerbriefes will seine Leser einerseits mahnen, ihr Erstgeburtsrecht nicht zu verspielen, sondern sich mit aller Kraft zu mühen, ein glaubwürdiges Zeugnis für das neue Leben der christlichen Gemeinden abzulegen und andererseits sie zu erinnern, dass sie bereits zum unüberbietbaren Heil, zum Berg Zion, hinzugetreten sind. Sie sind zwar noch nicht angekommen, aber bereits hinzugetreten. Über diese wunderbare Gabe sollen sie die Aufgabe nicht vergessen.
[1] „Viele Völker gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn vom Zion zieht Weisung aus und das Wort des HERRN von Jerusalem. Er wird Recht schaffen zwischen den Nationen und viele Völker zurechtweisen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Haus Jakob, auf, wir wollen gehen im Licht des HERRN.“ (Jes 2,3-5)
[2] G. Lohfink, Verharmlosung, 26f
21. Sonntag JK C Hebr 12,5-7.11-13
(4 Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet) 5 und ihr habt die Mahnung vergessen, die euch als Söhne anredet: Mein Sohn verachte nicht die Zucht des Herrn und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist! 6 Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. 7 Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet! Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt?
11 Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Leid; später aber gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind, Gerechtigkeit als Frucht des Friedens. 12 Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark, 13 schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern vielmehr geheilt werden!
(1) Um den vorliegenden Text zu verstehen bedarf es der Kenntnis der vorausgehenden Verse. Der Verfasser des Briefes ermutigt die Leser, mit Ausdauer im Wettkampf zu laufen, der vor ihnen liegt. Entscheidende Hilfe bringt dabei der Blick auf Jesus, dem Urheber und Vollender des Glaubens, der aufgrund der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich nahm, der die damit verbundene Schande geringachtete und sich zur Rechten Gottes setzte. Sie mögen sich auf Jesus konzentrieren, der solche Anfeindung der Sünder erduldete, damit sie nicht ermatten und mutlos werden. Der Autor will also die Hebräer aufrichten und ermutigen, den Sündern zu widerstehen. Wieso ist das nötig?
Der Hebräerbrief insgesamt ist ein Mahnschreiben mit Ermutigungen. Die anfängliche Glaubens-Euphorie der Adressaten ist durch Verfolgung, Drohungen und Diskriminierung in den Hintergrund getreten. Er betont, dass das Leben eines Christen vom Bekenntnis zum Heilshandeln Gottes in Jesus Christus bestimmt sein soll. Sie müssen sich vor dem lebendigen Wort Gottes bewähren. Er will sie neu auf den Weg verpflichten, den Jesus selbst vorangegangen ist. Wie die Jünger werden sie eingeladen, mit Jesus in einer Lebens-, Lern- und Schicksalsgemeinschaft zu leben.
(2) Die Adressaten des Briefes sind im Kampf gegen die Sünde von einer ganz besonderen Art von Sünde bedroht, der Staatsmacht. Sie haben zermürbende Verfolgungen bereits hinter sich und müssen mit neuen rechnen, ebenso mit Enteignung. Wer verliert angesichts leidvoller Erfahrungen nicht den Mut und verzagt? Und können diese lebensgefährlichen Bedrohungen nicht auch ein Hinweis dafür sein, dass Gott gar nicht auf ihrer Seite ist, sondern vielmehr fern von ihnen? Hat der Verfasser zunächst auf das Vorbild Jesu hingewiesen, um sie aufzurichten, so tut er es jetzt mit zwei Zitaten aus dem Alten Testament bzw. der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des hebräischen Alten Testamentes.
Das, was ihnen da gerade widerfährt, ist nicht, weil Gott fern wäre, sondern dass er sie damit erziehen möchte. Offenbar versteht der Autor die gegenwärtige leidvolle und lebensbedrohliche Situation seiner Adressaten als Züchtigung, durch die Gott die Hebräer läutern und in eine tiefere Beziehung zu sich führen will. Er sagt aber nichts Genaueres darüber, weswegen sie gezüchtigt werden. Das zitierte Wort von der Züchtigung aus dem Buch der Sprüche steht am Ende einer Ermahnung zur Gottesfurcht (Sprüche 3,1-12). Sind ihre schlotternden Knie, ihre Angst, Zeichen mangelnder Gottesfurcht, zu der sie zurückkehren sollen? Jedenfalls sagt der Verfasser nichts darüber, weswegen und wie sie gezüchtigt werden und wie sie damit umgehen sollen. Möglicherweise war das alles den Lesern längst durch Glaubensunterweisung bekannt und vertraut.
Zunächst, sagt der Autor, wird die Züchtigung nicht mit Freude aufgenommen, sondern sie verursacht Schmerz und Traurigkeit. Aber es wird der Zeitpunkt kommen, in dem der geschulte Umgang mit der Züchtigung seine Frucht bringt: Gerechtigkeit als Frucht des Friedens. Was heißt das für die Hebräer? Ich nehme nicht an, dass der Autor sagen will: Nehmt die Verfolgung an, denn sie ist die Strafe/Züchtigung für eure Glaubens-Müdigkeit; später, wenn ihr alles durchgestanden habt, werdet ihr das Ergebnis eurer Mühen ernten. Ich glaube, er will eher sagen: Mutiges Bekenntnis zu Jesus Christus und daraus resultierende Verfolgung und Diskriminierung gehören zum Leben von Menschen, die Jesus nachfolgen. In den Situationen, in denen ihr aufgrund eurer Glaubenstreue Leid und Schmerz ertragen müsst, habt Geduld und Ausdauer und geht zum Herrn am Kreuz und sprecht mit ihm, lasst euch von ihm trösten, bittet ihn, dass er euch hilft, aufzustehen, hadert mit ihm, wenn es nötig ist und fragt ihn, was er euch mit diesen schmerzlichen Erlebnissen sagen will. Werdet nicht müde, zu vertrauen, dass der Herr denen, die ihn lieben alles zum Guten gereichen lässt (Römer 8,17f. 28[1]). Wer im Gespräch mit dem Herrn Trost und Frieden findet, der erntet auch die Haltung der Gerechtigkeit, die das dem Willen Gottes entsprechende Verhalten mit sich bringt.
Für die Ermutigung der bedrängten Hebräer nützt der Verfasser wiederum ein alttestamentliches Zitat, diesmal aus dem Buch Jesaja (35,3). Jesaja belebt die aus den Leiden der babylonischen Gefangenschaft heimkehrenden Israeliten: „Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie! Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes! Er selbst kommt und wird euch retten.“ Das, was damals der Prophet den heimkehrenden Israeliten verheißend zurief, das ruft der Autor jetzt den entmutigten Hebräern zu. Die Stärkung angefochtener Gemeindemitglieder wird der Gemeinde aufgetragen. Das Vorbild eines Glaubensbruders oder einer -schwester kann einem Wankenden eine große Hilfe sein.
(3) Was bedeutet das für uns? Wir sind kaum von Verfolgung und Diskriminierung bedroht. Unsere Glaubenstreue heute ist durch den Materialismus, Konsumismus und Egoismus bedroht. Sinnleere und Genusssucht greifen rasant um sich. Der notwendige Kampf gegen die Sünde mit ihren Versuchungen, uns von der Nachfolge Jesu abzubringen, ist aktueller denn je, wenn wir die Augen nicht verschließen.
Christen und Christinnen sind zwar erlöst, aber bis zum physischen Tod den Versuchungen der Sünde ausgesetzt. Diesem meist inneren „Kampf“ müssen wir uns heute stellen. Nur wenn Jesus Christus das Zentrum unseres Denkens und Handelns ist, wenn wir ihn ergreifen, der uns schon längst ergriffen hat, wird es uns gelingen durch das „enge Tor“ zu gehen und die Versprechungen zu entlarven, die schnelles Glück und Leben verheißen, aber Leere, Verzweiflung und Tod bringen.
Natürlich haben auch wir Leid, Verlust, Verletzungen, Schmerz und Scheitern zu bestehen. Nirgendwo wurde uns verheißen, dass uns das erspart bleiben wird. Wir können aber gewiss sein, dass Gott ein „Gott-mit-uns“ ist und wir uns in notvollen Stunden vertrauensvoll an ihn wenden können. Der erzieherische Wert dieser existentiellen Herausforderungen besteht darin, dass wir, wenn wir sie nicht verdrängen, sondern sie im Glauben bestehen, uns einüben ins tägliche „Sterben und Auferstehen“ mit Jesus Christus.
[1] 17 Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. 18 Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll… 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht…“
Mariä Aufnahme in den Himmel Vorabend
1. Korinther 15, (50-53)54-57(58)
(50 Damit will ich sagen Brüder: Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben; das Verwesliche erbt nicht das Unverwesliche. Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden[1] – 52 plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall. Die Posaune wird erschallen, die Toten werden als Unverwesliche auferweckt, wir aber werden verwandelt werden. 53 Denn dieses Verwesliche muss sich mit Unverweslichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit.) 54 Wenn sich dieses Verwesliche mit Unverweslichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg.
55 Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? 56 Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz.[2] 57 Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch unseren Herrn Jesus Christus. (58 Daher, meine geliebten Brüder, seid standhaft und unerschütterlich, seid stets voll Eifer im Werk des Herrn und denkt daran, dass im Herrn eure Mühe nicht vergeblich ist!)
(1) Heute - am Fest Mariä Aufnahme in den Himmel - wird als zweite Lesung ein Text über die Auferstehung vom Apostel Paulus verkündet. Es handelt sich um den Schluss des 15. Kapitels aus dem Brief an die Korinther in dem er sich ausführlich mit der Auferstehung auseinandersetzt. Einige Korinther, die zwar an die Auferstehung Jesu glaubten, jedoch nicht an gegenwärtige, präsentische und individuelle Auferstehung, waren der Anlass. Paulus war klar, dass es relativ leicht ist, an die Auferstehung Jesu zu glauben, schon schwieriger sei es, an die Auferstehung bei der Vollendung am Jüngsten Tag zu glauben. Am schwersten aber sei der Glaube an die Auferstehung im konkreten Alltagsleben.
Es ist möglich, dass diese Korinther nach einer ersten Zeit freudiger Auferstehungserfahrung feststellen mussten, dass die alltäglichen, ermüdenden, lästigen und zermürbenden Widerfahrnisse diese verblassen ließen. Darüber hinaus waren sie wohl auch nicht bereit, das tägliche Sterben, welches der täglichen Auferstehung vorausgehen muss, auf sich zu nehmen. Sollte die tägliche Auferstehung nicht auch ohne Sterben möglich sein? Mit ihren Rechtfertigungen verunsicherten sie die übrigen Gläubigen, sodass Paulus sich genötigt sah, bei diesem entscheidenden Thema Klarheit zu schaffen. Er tut es sehr ausführlich, aber in einer Sprache und Begrifflichkeit, die uns wenig vertraut ist und die wir schwer verstehen.
Das Kapitel besteht aus zwei Hauptteilen, dem ersten (Verse 12-34) stellt er einen Text voraus. Auf den zweiten (Verse 35-49) lässt er einen folgen. Den Schluss bilden die Verse 50-58, wobei die Verse 50-54 über die Vollendung am sogenannten Jüngsten Tag sprechen und 55-58 zur Gegenwart zurückkehren und eine mahnende Nutzanwendung der Ausführungen bedeuten. Zum leichteren Nachvollzug der Auslegung habe ich den Lesungstext erweitert.
(2) Zunächst wende ich mich dem Verständnis der gegenwärtigen, präsentischen Auferstehung zu, die für den Apostel sehr wichtig ist. Paulus verkündet, dass die Christusgläubigen Anteil haben an der Lebendigmachung Jesu Christi - Auferstehung also nicht erst bei unserem Tod oder bei der Vollendung der Welt am Jüngsten Tag, sondern unser ganzes Leben lang, freilich in der Verbindung mit Sterben.
Im Sprachgebrauch des Apostels sind die „Geretteten“ jene, die Christus angenommen haben und in seiner Nachfolge ihr Leben gestalten, aber vor den Anfechtungen der Sünde nicht gefeit sind. Ihr ganzes Leben ist einerseits ein Mühen, um in der Spur Jesu zu bleiben und allem zu widerstehen, was sie von Gott zu trennen versucht. Andererseits machen Scheitern, Enttäuschung, Verletzung, Verlust, Schmerz usw. auch vor den Geretteten nicht Halt. Bei allen diesen Krisen muss man vom Bild, das man von sich gemacht hat, von seinen Wünschen und Träumen, Abschied nehmen und sie loslassen. Oft ist ein Hadern mit Gott unausweichlich. Der Prozess des täglichen Sterbens ist erst dann abgeschlossen, wenn sich der Beter mit der neuen Situation versöhnt hat. Dann geschieht Auferstehung mitten am Tag. Für dieses tägliche Auf(er)stehen, dem Freiwerden oder Loslassen von etwas, was hindert auf eine höhere Stufe des Glaubens vorzudringen, verwendet Paulus den Begriff Auferstehung.
Petrus, nachdem er Jesus von seinem Weg zum Sterben abhalten wollte, musste sich eine ernüchternde Zurechtweisung gefallen lassen. Außerdem hat er Jesus dreimal verraten. Wie war ihm wohl zumute als der Herr ihn fragte: „Liebst du mich mehr als diese hier?“ In Anbetracht seines Kleinglaubens, der Unverlässlichkeit seiner Zusagen und seiner Feigheit hat er sich mit seinen Schwächen angenommen und versöhnt und war bereit, sich Gott in neuem Wissen um sich selbst zu überlassen. Das war sein Sterben und Auferstehen in der Begegnung mit dem Auferstandenen am See Genezareth.
Paulus selbst war überzeugt, Gott einen Gefallen zu tun, wenn er die Mitglieder der neuen Christen-Sekte verfolgte. Er wurde zu Boden geworfen! Jesus machte ihm klar, dass er einem Irrtum aufgesessen war. Paulus musste seine Fixierung auf das Feindbild Christen loslassen und sich auf die Offenbarung Jesu einlassen. Das ließ ihn wieder aufstehen. Paulus starb mit seinen Vorurteilen und stand durch die Begegnung mit Jesus vor Damaskus als anderer Mensch wieder auf.
In den synoptischen Evangelien spricht Jesus nach der 3. Leidens-ankündigung die Jünger direkt an: „Bei euch aber soll es nicht so sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein (Mk 10,44f).“ Die Jünger, die auf dem Weg darüber diskutierten, wer unter ihnen der Größte sei, mussten sich von ihren Träumen, über anderen zu herrschen, verabschieden. Diese Ambitionen konnten sie in der Nachfolge Jesu nicht verwirklichen. Für sie galt es, wenn auch unter Zähneknirschen, zu sterben und sich mit Jesu Haltung des Dienens und der Lebenshingabe anzufreunden. Das ist das Sterben und Auferstehen der Jünger in einer immer wiederkehrenden Versuchung.
(3) Mit „Fleisch und Blut“ bezeichnet Paulus den Geretteten, der Jesus angenommen hat, aber noch eine sterbliche Existenz hat (Vers 50). Er kann das Reich Gottes erst dann erben, wenn er von der Sünde nicht mehr versucht werden kann, also auch den Tod hinter sich hat. Der Tod ist für ihn Durchgang in Gemeinschaft mit Christus. Das „Verwesliche bezeichnet den „Toten“ (Unbußfertigen, Unerlösten), der sich Jesus verweigert. Auch er wird im Tod noch nicht das Unverwesliche erben, sondern erst beim „Jüngsten Gericht“.
Das Geheimnis, das Gott dem Paulus geoffenbart hat und er mit den Lesern teilt, besagt, dass die Erlösten und Unerlösten „nicht schlafen-gemacht“ werden, und dass „Fleisch und Blut“ verwandelt (nicht auferweckt) werden. Das „Verwesliche“ (Existenz der geistlich Toten, Unerlösten, Unbußfertigen) wird am Jüngsten Tag zur Unverweslichkeit auferstehen. Das „Sterbliche“ (Fleisch und Blut, verbleibende Todesexistenz der Geretteten, Erlösten) aber wird zur Unsterblichkeit verwandelt werden. Auch die, die Jesus nicht angenommen haben, werden also bei der Vollendung auferweckt, allerdings nicht zur Gemeinschaft mit Gott. Sie müssen ewig existieren, auch wenn ihr Zustand ein düsterer ist.
Mit der Frage: „Wo ist, Tod, dein Sieg? Wo ist, Tod, dein Anreiz“ (Vers 55) beginnt die mahnende Schlussfolgerung für die gegenwärtige Situation seiner Leser. Paulus leitet aus dem überwundenen Ende eine Ermutigung für seine Leser ab. Die rhetorische Frage ist kein triumphierender Ausdruck gegenüber dem entmachteten Tod, sondern bildet den Übergang zur Gegenwart und den Beginn der Schlussfolgerungen. Mit der Frage fokussiert Paulus den gegenwärtigen Feind der Korinther. Jetzt müssen sie die richtigen Entscheidungen treffen. Jetzt trifft sie der Tod mit den Verlockungen der Sünde. Aber Gott hat ihnen „jetzt“ bereits den Sieg über den Tod in Jesus Christus geschenkt. Aber diesen müssen sie in Freiheit ergreifen und den Verlockungen der Sünde widerstehen. So entgehen sie mehr und mehr dem Tod, jetzt und am Jüngsten Tag. Dass Gott jetzt schon den Sieg über die Versuchung zur Sünde gibt, ist genau der Grund für den Dank an Gott (Vers 57). Am Ende werden sie den endgültigen Sieg über den Tod erfahren.
Abschließend ruft Paulus die Korinther auf, sich nicht beirren zu lassen durch Verlockungen, die Leben versprechen, aber Tod bringen; sich nicht zu einer Einstellung verführen zu lassen, die das Sterben mit Christus verwirft (Vers 58). Sie sollen nicht nur zum täglichen Sterben bereit sein, sondern sich darin sogar mühen. „Werk des Herrn“ bezeichnet hier die gottgemäße Anstrengung des Sterbens mit Christus. Gott wird diese, ihre Mühen fruchtbar machen.
(4) „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube… Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen. Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden (1 Kor 15,14.20-22).“
Was das für unser Leben bedeutet? Es bezeichnet einen entscheidenden Herrschaftswechsel in unserem Leben. Nicht der Tod ist das bestimmende Vorzeichen unserer Existenz, sondern das Leben, das uns Jesus erwirkt hat durch seinen Gehorsam. Jede Niederlage, alles Scheitern, jede Enttäuschung, jede Verletzung, jeder Verlust und jede Krankheit bekommen so die Möglichkeit eines Neuanfangs und des Vertrauens, ein Auf(er)stehen nach einem Gefallen-Sein. Der Tod verliert seinen Schrecken, wenn er als Durchgang und Heimkehr nach einem bewusst mit Gott und seinem Sohn geführten Leben verstanden wird.
[1] Mit N. Baumert, 301: „Alle werden wir ‚nicht-schlafen‘ gemacht (also wach und lebendig gemacht) werden, nicht alle jedoch werden wir verwandelt werden.“
[2] Mit N. Baumert, 301: „Wo ist, Tod, dein Sieg? Wo ist, Tod, dein Anreiz? Der Anreiz nun und die Verlockung zum Tod ist die Sünde, die Macht hingegen über die Sünde ist das Gesetz.“
20. Sonntag im Jahreskreis C Hebr 12,1-4
1 Darum wollen auch wir, die wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, alle Last und Sünde abwerfen, die uns so leicht umstrickt. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt, 2 und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt. 3 Richtet also eure Aufmerksamkeit auf den, der solche Anfeindung von Seiten der Sünder gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermattet und mutlos werdet! 4 Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet.
(1) Der Verfasser des Hebräer-Briefes hat sich zum Ziel gesetzt, die im Glauben ermüdeten und mutlos gewordenen Adressaten seines Briefes aufzurichten und das Feuer des einmal begeisternden Glaubens unter der glosenden Asche wieder anzufachen. Er weiß um die Kraft des vorbildlichen Lebens der Glaubenszeugen. Er hat sie im vorausgegangenen Textabschnitt eindrucksvoll aufgeführt. Er hat ihnen eine lange Liste jener Vorbilder im Glauben vorgelegt, die jedem Hebräer vertraut sind. Der Glaube der Väter, ihr auf Hoffnung gegründetes Vertrauen in die Treue Gottes, soll auch seine Leser wieder in die Spur eines Lebens in Beziehung mit Gott und seinem Sohn und des dazugehörigen Einsatzes für den Glauben führen.
(2) Zunächst ruft der Autor die Leser zum Nachdenken darüber auf, was sie hindert, freudig und mutig ihren Glauben zu leben und zu bezeugen. Sie sollen die Barrieren und Hindernisse, über die sie Macht haben, beseitigen und die Sünde abwerfen, die das Zeugnis behindert. Welche Last (Barrieren, Hindernisse) und Sünde kann er damit gemeint haben? Es können liebgewordene Haltungen, Einstellungen und Gewohnheiten sein. Vielleicht sind es Ausreden, dies oder jenes tun zu müssen, dieser oder jener Aufgabe verpflichtet zu sein? Oder handelt es sich um die Angst, durch das Glaubenszeugnis Ansehen und Anerkennung bei bestimmten Menschen zu verlieren? Ist es die Sorge, die Arbeit zu verlieren? Oder wurde die Beziehung mit Gott und Jesus vernachlässigt, sodass man nur mehr nominell Christ ist, der „Schatz“ also nicht Gott, sondern etwas anderes ist? Haben einige die Trennung von Gott unbewusst schon längst vollzogen? Die Hebräer sollen ihr Gewissen erforschen und sich fragen, was Jesus seine Jünger gefragt hat: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Und, seid ihr bereit, das Kreuz auf euch zu nehmen und mir nachzufolgen?
Wer sich bewusst und wieder neu auf Jesus einlässt und sich entscheidet, ihm nachzufolgen, dem rät der Autor, das zukünftige Leben als Christ als einen Wettlauf anzusehen. Start und Ziel markieren den Anfang und den Höhepunkt der sportlichen Herausforderung. Aber die Strecke ist ein langer Weg, ein lebenslanger Prozess. Für die Bewältigung dieser sportlichen Herausforderung braucht es Ausdauer. Durststrecken, Höhen und Tiefen, Strapazen, unüberwindlich scheinende Hürden wird es geben, wahrscheinlich auch unerwartete und überraschende Hilfe, Zeiten des Aufgeben-Wollens, Zeiten zuversichtlicher Begeisterung. Das Ziel darf nicht aus dem Auge verloren werden. Den Ablenkungen muss standgehalten werden. Wer das alles nüchtern einplant und beachtet, der hat mit einem guten Start beinah schon den halben Weg hinter sich gebracht.
Aber die entscheidende Hilfe, das erlaubte Doping bei diesem Wettlauf, ist laut Auskunft des Briefautors der Blick auf Jesus. Der Urheber und Vollender des Glaubens hat uns vorgelebt, wie das Ziel des Wettlaufs zu erreichen ist. Gewiss waren Ausdauer, Geduld und die Bereitschaft, Schmerzen auf sich zu nehmen, wichtige Eigenschaften, über die Jesus verfügte. Es war aber vor allem die Freude, die vor ihm lag, die Vorfreude, „seinen“ persönlichen Wettkampf gewonnen zu haben, der die Versöhnung Gottes mit der Welt, die Erlösung der Welt, bedeutete. Die Freude, dieses große Ziel zu erreichen, den Willen des Vaters zu erfüllen, hat ihm geholfen, die Hindernisse auf diesem Weg zu überwinden, selbst die Schmerzen und die Schmach des Kreuzestodes. Jesus ist der Urheber des Glaubens, weil er den Weg zu Gott bahnt und Vollender, weil er als Glaubender das Ziel der Gemeinschaft mit Gott erreicht hat. Er führt uns Glaubende zu Gott.
Der Schreiber des Hebräerbriefes mahnt, im Wettkampf seine ganze Aufmerksamkeit auf Jesus zu lenken, der die Anfeindungen von Seiten der Sünder erduldet hat. Angst vor Verfolgung, Benachteiligung, Hohn und Spott, sowie Diskriminierung sind Faktoren, die auch heute Menschen hindern, ihren Glauben freimütig zu bekennen. Jesus hatte die Kraft, sich den Anfeindungen zu stellen, weil er in Verbundenheit mit dem Vater lebte und in der Freude, den Willen des Vaters zu erfüllen und frei zu sein gegenüber den Anmaßungen der Menschen.
Die letzte Aufforderung des Textes, die am Vorbild Jesu Maß nimmt, scheint uns vollends zu überfordern: „Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet.“ Jesus hat sich bis aufs Blut, also bis in den Tod, gegen die Sünde aufgelehnt. Und es hat immer wieder Christen und Christinnen gegeben, die ihm darin gefolgt sind: Dietrich Bonhoeffer, Maximilian Kolbe, Franz Jägerstätter, um nur die Bekanntesten der nicht allzu fernen Vergangenheit zu nennen. Und es gibt sie auch heute in der Ukraine und in Russland. Jesus selbst hat uns nicht im Unklaren gelassen: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Manche sind bereit, mit ihm ihr Leben zu investieren, andere stellen ihre Freiheit aufs Spiel. Sind wir bereit, unsere Bequemlichkeit hinzugeben?
(3) Allein das Leben mit dem lebendigen, dreifaltigen Gott gibt Kraft und Mut zum glaubwürdigen Zeugnis für Jesus Christus. Diese Beziehung, die jedem Glaubenszeugnis zugrunde liegt, ist kein unverlierbarer Besitz, man muss ihn sich täglich neu schenken lassen. Wie die Liebe können wir auch die Beziehung zu Gott und den Mitmenschen nicht produzieren, sondern nur „reflektieren“. Wir können nur bezeugen und weitergeben, was wir empfangen haben.
19. Sonntag im Jahreskreis C Hebr 11,1-2.8-19
1 Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht. 2 Aufgrund dieses Glaubens haben die Alten ein gutes Zeugnis erhalten…
8 Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, weg zu ziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.
9 Aufgrund des Glaubens siedelte er im verheißenen Land wie in der Fremde und wohnte mit Isaak und Jakob, den Miterben der Verheißung, in Zelten; 10 denn er erwartete die Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst geplant und gebaut hat.
Aufgrund des Glaubens empfing selbst Sara, die unfruchtbar war, die Kraft, trotz ihres Alters noch Mutter zu werden; denn sie hielt den für treu, der die Verheißung gegeben hatte. 12 So stammen denn auch von einemeinzigen Menschen, dessen Kraft bereits erstorben war, viele ab; zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meeresstrand, den man nicht zählen kann.
13 Im Glauben sind diese alle gestorben und haben die Verheißungen nicht erlangt, sondern sie nur von fern geschaut und gegrüßt und sie haben bekannt, dass sie Fremde und Gäste auf Erden sind. 14 Und die, die solches sagen, geben zu erkennen, dass sie eine Heimat suchen. 15 Hätten sie dabei an die Heimat gedacht, aus der sie weggezogen waren, so wäre ihnen Zeitgeblieben zurückzukehren; 16 nun aber streben sie nach einer besseren Heimat, nämlich der himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, er schämt sich nicht, ihr Gott genannt zu werden; denn er hat ihnen eine Stadt bereitet.
17 Aufgrund des Glaubens hat Abraham den Isaak hingegeben, als er auf die Probe gestellt wurde; er gab den einzigen Sohn dahin, er, der die Verheißung empfangen hatte 18 und zu dem gesagt worden war: Durch Isaak wirst du Nachkommen haben. 19 Er war überzeugt, dass Gott sogar die Macht hat, von den Toten zu erwecken; darum erhielt er Isaak auch zurück. Das ist ein Sinnbild.
(1) Es gibt Menschen, die betonen, dass sie ihren Glauben als Segen und großes Geschenk erachten. Andere bedauern, dass sie gerne glauben würden, aber nicht können. Wieder andere lehnen den Glauben ab, weil sie meinen, dass er gegen die Vernunft verstoße.
Unter „glauben“ verstehen nicht wenige Menschen etwas für wahr halten müssen, etwa Dogmen oder bestimmte Vorschriften und Gebote. Andere wiederum bringen Wunder und Glauben in engste Verbindung. Dietrich Bonhoeffer ist überzeugt: „Alle Menschen gehen zu Gott in ihrer Not…“. Ich beantworte Fragen nach dem Glauben gerne mit einer Unterscheidung: „Wer religiöse Riten und Bräuche praktiziert, dem geht es meist darum, dass Gott seine Wünsche erfüllt. Wer glaubt und sich auf die Beziehung mit Gott einlässt, dem geht es vor allem auch darum Gottes Willen zu erfüllen.“ Wer Gottes Anruf und seine liebende Aufmerksamkeit erfährt, dessen antwortende Verbundenheit verwandelt sich zu einer dankbaren Verbindlichkeit.
(2) Vor dem Hintergrund des Christusereignisses interpretiert der Verfasser des Hebräerbriefes den Glauben der Väter neu. Gemäß seiner Auslegung war dem Abraham mehr geoffenbart worden als uns das Buch Genesis (1. Buch Mose) geoffenbart hat.
In der heutigen Lesung gibt der Autor des Briefes an die Hebräer eine Definition von Glauben: „Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht.“ Weil die Väter diesen Glauben praktizierten, hat Gott ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt. Ein Grund für den Briefschreiber, uns zu empfehlen, uns an diesem Glauben zu orientieren.
Abraham ist der Vater des Glaubens (Röm 4,1-25 bes.16). Was Glaube heißt lernen wir an seinem Leben. Gottes Ruf holt Abraham aus seiner Umwelt heraus. Er weiß, dass Gott es ist, der zu ihm spricht, ihn persönlich anredet und er gehorcht wortlos. Er verlässt seine Heimat, ohne das Ziel zu kennen. Gott hat sich in Abrahams Leben eingemischt und dieser hat Gottes Einmischung angenommen und ihm gehorcht. Wer es mit Gott zu tun bekommt, der bricht auf und lässt sich vertrauensvoll von Gott führen.
Abraham lässt sich in keiner der Städte der Kanaaniter nieder. Er siedelt als Fremder im ihm verheißenen Land. Er wohnt zwischen ihren Städten in Zelten. Sein Glaube macht ihn zum Fremden. Gebunden an Gott ist er gelöst von der Welt. Als Fremder, aufgrund seines Glaubens an Gott, wird er zu einem glaubwürdigen Zeugen für die Umwelt (Gen/1 Mose 23,6). Dasselbe wird auch Isaak zugeschrieben (Gen/1 Mose 26,3.28). Aber dieses Zeugnis ist nur möglich, weil sie in einer wertschätzenden, bewussten Distanz zu ihrer Umwelt leben. Nicht die Umwelt, sondern der unsichtbare Gott bestimmt ihr Denken und Handeln. Und das wird anerkennend wahrgenommen.
Für den Verfasser des Hebräerbriefes hat Abraham bereitsauf die kommende Herrlichkeit Gottes, auf die „zukünftige“ Stadt gewartet, er hat also nicht nur um Jesu Kommen gewusst (Joh 8,56). Gott selbst ist Planer und Bauherr dieser zukünftigen Stadt. Die Zelte des wandernden Gottesvolkes sind auf Abbruch gebaut. Die kommende Stadt Gottes aber ist auf festem Fundament gegründet. Wer es mit Gott zu tun bekommt, der lebt zwar in dieser Welt, aber er gehört nicht dieser Welt. Er ist Gast auf Erden und wandert der ewigen Heimat entgegen.
Trotz des in der Genesis berichteten ungläubigen Lachens der unfruchtbaren Sara aufgrund der Verheißung eines Sohnes (Gen/1 Mos 18,12),betont der Verfasser des Hebräerbriefes, dass Sara Gott für treu hielt, der die Verheißung gegeben hatte (Gen/1 Mos 21,6). So stammen vom Menschenpaar Abraham und Sara, deren Kraft bereits erstorben war, viele ab, wie die Sterne am Himmel und der unzählbare Sand am Meer.
Im Glauben empfingen Abraham und Sara die Kraft zur Nachkommenschaft, obwohl das menschlich gesehen unmöglich war. Ihr Glaube vertraut der Verheißung und Treue Gottes, nicht den irdischen Möglichkeiten. Gott antwortet auf den Glauben des Menschen, der „ihn für treu hält“. Wer es mit Gott zu tun bekommt und auf Gottes Treue setzt, der erlebt Wunder.
Seinen Sohn Isaak, die Erfüllung aller seiner Hoffnungen und seines Lebenssinnes, war Abraham bereit hinzugeben. Weil er glaubte, dass Gott auch Tote erwecken kann, hat er seinen Sohn zurückbekommen.
Abrahams Glaube wird einer ungeheuerlichen Probeunterworfen, nicht am Beginn seines Weges mit Gott, sondern nach einer langen Strecke gemeinsam gegangenen Weges. Gott fordert im Opfer Isaaks die Verheißung der Nachkommenschaft zurück. Nicht nur das persönliche Glück Abrahams und Saras stehen auf dem Spiel, sondern auch das Heil der Welt. Kann Gott das wirklich wollen? Abraham ist zum Opfer bereit, zu diesem ungeheuerlichen, unfassbaren Akt des Glaubens. Aber Abraham glaubt auch, dass Gott Macht über den Tod hat, er rechnet mit der Auferstehung der Toten. So wird die Opferung Isaaks zu einem „Sinnbild“ für den Tod und die Auferstehung Jesu. Der himmlische Vater hat seinen geliebten Sohn für die Sünden der Welt hingegeben. Wer es mit Gott zutun bekommt, der muss auch damit rechnen, dass er geprüft wird und seinen Glauben bewähren muss.
„Im Glauben sind die Ur- und Erzväter gestorben“, ohne dass sich die Verheißungen erfüllt hätten (Ruhe Gottes, Anbruch der Herrlichkeit Gottes…). Dennoch vertrauen sie der Zuverlässigkeit des Wortes Gottes und leben als Gäste und Fremde auf Erden. In Jesus wurde die Verheißung des Kommens des Erlösers zwar erfüllt, aber die Verheißung des Kommens, der von Gott geplanten und gebauten Stadt steht noch aus, sodass auch für uns gilt, dass wir auf der Suche nach unserer wahren Heimat sind.[1] Wer es mit Gott zu tun bekommt, der erkennt, dass er weniger dahin gehört, wo er herkommt, sondern mehr dorthin, wo er hingeht, dass er Fremder und Gast auf Erden ist und, dass seine Heimat im Himmel ist.
(3) Zum Ruf Gottes an Abraham und dessen gehorsamer Antwort sagt M. Luther: „Eben das ist die Herrlichkeit des Glaubens: nicht wissen, wohin du gehst, was du tust, was du leidest, alles, Gefühl und Verstand, Können und Wollen gefangen geben und der bloßen Stimme Gottes folgen ,also mehr sich führen und treiben lassen, denn selber treiben.“[2]
Und Joseph Ratzinger betont, dass mit Abraham dieGeschichte der Verheißung beginnt. „Abraham weist auf das Kommende voraus. Erist Wanderer, nicht nur vom Land seines Ursprungs ins Land der Verheißung,sondern Wanderer auch im Hinausgehen aus der Gegenwart auf das Künftige zu… Sostellt ihn mit Recht der Hebräer-Brief als Pilger des Glaubens aufgrund derVerheißungen dar: ‚Er erwartete die Stadt mit den festen Grundmauern, die Gottselbst geplant und gebaut hat‘ (Hebr 11,10). Die Verheißung für Abraham beziehtsich zunächst auf seinen Nachkommen, aber sie reicht darüber hinaus: ‚durch ihnsollen alle Völker der Erde Segen erlangen‘ (Gen 18,18). So ist in der ganzenGeschichte, die mit Abraham beginnt und auf Jesus zuführt, der Blick aufsGanze gerichtet – über Abraham soll Segen für alle kommen.“[3]
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zurAuferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigenHaar
Mit unserer atmendenHaut.
Nur das Gewohnte ist umuns.
Keine Fata Morgana vonPalmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hörennicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeigerlöschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennochunverwundbar
Geordnet in geheimnisvollerOrdnung
Vorweggenommen in einHaus aus Licht.
Marie Luise Kaschnitz
15 Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat. 16 Lasst uns also voll Zuversicht hingehen zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit.
(1) Der Verfasser des Briefes nimmt Bezug auf die Gefahr des Abfalls vom Glauben wegen befürchteter Verfolgungen und Leiden. Nicht nur er selbst, sondern auch die Empfänger seines Briefes haben Verfolgungen um ihres Glaubens willen bereits hinter sich. Werden diese Bedrohungen für Leib und Leben ihrem resignativen Glauben den Todesstoß versetzen? Das möchte er verhindern und die Hörer und Leser seines Briefes aufrichten und ihnen den Rücken stärken. Er ist sich bewusst, dass ihm das nur gelingen wird, wenn er es schafft, ihnen klar zu machen, dass Verfolgung und Leiden Teil ihrer Christusnachfolge sind, ihnen aber auch Anteil an Christi Herrlichkeit geben wird. Jesu Wort der Bergpredigt gilt: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.“ (Mt 5,11f)
(2) Die drei Verse unseres Lesungstextes enthalten zwei Aufgaben und deren Vorgaben. Die erste Aufgabe lautet: "Lasst uns an dem Bekenntnis festhalten", die zweite: "Lasst uns also voll Zuversicht hingehen zum Thron der Gnade..."
Die erste Aufgabe folgt der Vorgabe mit mit dem Hinweis auf den großen, erhabenen Hohenpriester, den sie nun haben: "Jesus, den Sohn Gottes." Die Erwähnung dieses "Habens des Hohenpriesters" ist dem Autor wichtig. Was sie haben besteht aus dem, was die Apostel mit Jesus erlebt und erfahren haben und als „apostolisches Erbe“ weitergaben. Es ist das Fundament eines jeden Christen auf dem er sein Glaubensleben aufbaut: Jesus aus Nazareth hat das Reich Gottes verkündet, hat gelitten und ist gestorben. Er ist auferweckt worden und ist seinen Jüngern und Jüngerinnen nahe, als Hoherpriester und Sohn Gottes.
Diese apostolische Gewissheit ist das "Guthaben", das jeder Christ mit auf den Weg bekommen hat. Auf diesem Weg soll er im Glauben wachsen und sich bewähren. Mit dem Ruf zur Übernahme der Aufgabe: "Lasst uns an dem Bekenntnis festhalten" ermutigt der Briefautor zum treuen Glaubenszeugnis für Jesus Christus, weil sich derjenige, der das tut, auf sicheren Fels stellt und auf dem Weg bleibt, der zu Gott führt.
Es gehört freilich zum Wesen des Menschen, dass er Leiden vermeiden möchte und seine Schwächen ihn oft veranlassen seinen Glauben zu verleugnen. Diesen Verführungen und Versuchungen zum Glaubensabfall ist er permanent ausgesetzt. Der Autor lenkt den Blick auf Jesus: "Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn, da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden." (Hebr 2,17f) Jesu Solidarität mit uns Menschen führte ihn in den Tod. Sie kann unsere Bereitschaft zur Solidarität mit Jesus und zum großmütigen Glaubenszeugnis für ihn wecken.
Nachdem Gott bei der Taufe, Jesus als "geliebten Sohn" proklamiert hatte, sollte er nach dem Willen des Teufels seine Macht als Gottessohn missbräuchlich demonstrieren. Jesus hat die Steine nicht in Brot verwandelt, weil er sich dem Willen Gottes verpflichtet wusste und nicht den Verführungen des Teufels. Nicht weniger als Jesu Gehorsam steht auf dem Spiel, wenn der Satan Jesus zur Untreue gegenüber dem Willen Gottes auffordert (Mt 4,3.6). Im Garten Gethsemane hat sich Jesus klar gegen seinen eigenen und für Gottes Willen entschieden (Mt 26,39). Ein letztes Mal geschieht dies als er am Kreuz hängt. Die Leute, die vorbeikommen rufen: "Wenn du Gottes Sohn bist, hilf dir selbst, und steig herab vom Kreuz!" (Mt 27,40) Jesus wurde in allem in Versuchung geführt - wie wir: Auch er stand vor der Frage, ob er dem Leiden und dem Tod ausweichen solle oder nicht? Er ist der Versuchung nicht erlegen. Er ist dem Weg, den der Vater ihm gewiesen hat und der ihn zum Vater führte, treu geblieben.
(3) Jesus verlangt von uns nicht mehr als er selbst gegeben hat. Er hat sein Leben hingegeben, um uns zu erlösen und hat vor unseren Augen einen Weg geebnet, der zu Gott führt. Das ist das große, unfassbare Geschenk, das uns Gott gemacht hat. Das gilt es zu ergreifen und die aus der Gabe der Rettung resultierende Aufgabe zu erkennen und das Erkannte zu verwirklichen: Festhalten am Bekenntnis und hingehen zum Thron der Gnade, um Hilfe zu erlangen.
Wenn unser mutiges, öffentliches Bekenntnis zu Jesus Christus unausweichlich zu Verfolgung und Leiden führt, dann dürfen wir uns vertrauensvoll hinwenden zum Thron der Gnade und uns auf die verheißene Hilfe zur rechten Zeit verlassen.
Am 14. Okt. 2018 wurde der Erzbischof von San Salvador, Oskar Romero, heilig gesprochen. Er hat sich ab einem bestimmten Zeitpunkt entschieden für Glaube und Gerechtigkeit eingesetzt. Die Wende zum Einsatz für die entrechtete und verarmte Bevölkerung war der Tod seines Freundes R. Grande und zweier seiner Katecheten. Als deren Bischof sah er sich verpflichtet – gleich ihnen – mutig für die Armen Partei zu ergreifen. Für ihn war das Bischofsamt kein Privileg, sondern Verpflichtung zur Christusnachfolge bis zur letzten Konsequenz. Die Rache der Gegner brachte ihn schließlich um, aber seine Stimme konnten sie nicht zum Schweigen bringen, bis heute!
[1] 4,14 - 5,10 Jesus wird hier als Hoherpriester und sein Wirken als priesterlicher Dienst der Versöhnung beschrieben. Als alttestamentliches Vorbild wird der vorisraelitische Priesterkönig von Jerusalem, Melchisedek, genannt (vgl. Gen 14,17-20; Ps 110,4; Hebr 7, 1-24).
28. Sonntag im Jahreskreis Hebr 4,12-13
12 Lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens;
13 vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden.
(1) Der Verfasser des Hebräerbriefes betont nicht nur das, was das Volk des Alten Bundes von jenem des Neuen unterscheidet. Er weist auch auf das Verbindende hin. In beiden wirkt der Heilige Geist und beide haben Gottes Wort empfangen. Dieses ist lebendig, kraftvoll und schärfer als ein zweischneidiges Schwert.
(2) Am Beginn der hl. Schrift steht der Schöpfungsbericht. Gott schuf durch sein machtvolles Wort die Welt: „Und Gott sprach...!“ (Gen 1,3) Den Menschen schuf er als sein Bild und Gleichnis - als sein Gegenüber. Er gab ihm Ohren zum Hören und einen Mund zum Sprechen. Der Mensch kommt im Austausch mit Seinesgleichen und mit Gott zu sich.
Abraham hat Gottes Wort in seinem Inneren vernommen. Jahwe hat sich als lebendigen Gott erfahren lassen. Als Hörer des Wortes Gottes hat Abraham eine neue Existenzweise begründet. Er hat sein Leben nicht mehr von klimatischen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen abhängig gemacht, sondern von Gottes Willen. Weil er in den grundlegenden Entscheidungen, die sein Leben bestimmten, vertrauensvoll dem Wort Gottes folgte, wurde er Vater des Glaubens.
Als die Nachkommen Abrahams in der ägyptischen Sklaverei um Hilfe heischend zum Himmel schrien, fanden sie bei Gott Gehör. Er sandte Moses mit seinem machtvollen Wort zum Pharao. Er sollte die Israeliten in die Freiheit entlassen. Der Potentat verweigerte Jahwe den Gehorsam und brachte damit viel Leid über sein Volk.
Aber auch die Israeliten murrten über den hohen Preis, den sie für ihre Befreiung zu zahlen hatten: Verlust von Bequemlichkeit und Sicherheit und Hören auf Gottes Wort. Auf dem Berg Sinai hat Jahwe, Israel die Tora gegeben, das Gesetz - die 5 Bücher Mose, um die geschenkte Freiheit füreinander zu bewahren und einander zu gewähren. Durch den Mund der Propheten hat Jahwe die Israeliten immer wieder auf seine verpflichtenden Worte in der Tora zum solidarischen Miteinander aufgefordert. Die Propheten waren es auch, die den Messias, den Christus und den Menschensohn verheißen haben.
Mit der Geburt Jesu beginnt eine neue Phase in der Geschichte Gottes mit den Menschen: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott... Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh 1,1.14).“ Nicht mehr nur durch den Mund der Propheten spricht Gott zu den Menschen, sondern er redet nun direkt durch seinen Sohn zu ihnen. Jesus sagt: „Wer mich hört, der hört den Vater.“
In der Bergpredigt hebt Jesus hervor, dass er nicht gekommen ist, um das Wort der Tora aufzuheben, sondern um es zu erfüllen. Er macht deutlich, dass er einiges mit anderen Augen sieht und neu interpretiert: „Ich aber sage euch...“ (Mt 5,17.22) Wer seine Worte hört und tut, der baut sein Haus auf Fels. (Mt 7,25)
Wenn Menschen Jesus predigen hören, stellen sie fest, dass er mit Vollmacht spricht. Jedenfalls anders als ihre Schriftgelehrten. In seiner Heimatstadt Nazareth fragen die Hörer in der Synagoge: „Woher hat er das alles?“ (Mk 6,2) Die Lebendigkeit, Wirksamkeit und Kraft des Wortes Gottes zeigt sich auch in den Berufungen der Jünger und in den Krankenheilungen. „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ (Mk 1,17) So erweckt Jesu berufendes Wort seine Jünger zu neuem Leben. Er zwingt die Dämonen durch sein Wort den Menschen freizugeben und gibt so dem Fremdbestimmten seine ursprüngliche Würde und Schönheit zurück. Kranke und Gelähmte richtet er durch sein machtvolles Wort wieder auf.
Nachdem nicht wenige an seinen Worten über sein Fleisch und Blut,[1] Anstoß nahmen, fragt Jesus seine Jünger: „Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,67f)
Gottes richtendes Wort, das schärfer als ein zweischneidiges Schwert sei, wird in der Annahme oder Ablehnung des Glaubens an Jesus wirksam. Wer Jesus nicht annimmt, spricht sich selbst das Gericht: „Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. “ (Joh 5,24)[2] Das Wort Gottes gibt uns auch – wenn wir dazu bereit sind – Einsicht in unsere innersten Regungen: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ (Lk 6,41)
(3) „Immer wieder, ohne darin nachzulassen, im Evangelium lesen, um beständig die Taten, Worte, Gedanken Jesu vor Augen zu haben. So werden wir denken, reden, handeln wie Jesus, seinem Beispiel, seiner Weisung folgen und uns nicht nach der Weise der Welt richten, in die wir so schnell zurück fallen, sobald wir die Augen von unserem göttlichen Vorbild lassen.“ (Charles de Foucauld, Brief an Joseph Hours, 3.5.1912)
[1] Joh 6,(52-59)63: Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben.
[2] Vgl.: Joh 3,17f und Joh 9,39-41;
27. Sonntag im Jahreskreis Hebr 2,9-11
9 Den, der nur für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt war, Jesus, ihn sehen wir um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt; es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt.
10 Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete.
11 Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle von Einem ab; darum scheut er sich nicht, sie Brüder zu nennen.
(1) Der Autor des Hebräerbriefes verfasste ein seelsorgerliches Mahnschreiben an Christen, die sich enttäuscht von ihrem christlichen Glauben abwenden wollen. Der Grund ihrer Enttäuschung bestand nicht etwa in unbeantworteten, theoretischen Glaubensfragen, sondern vielmehr in der traurigen Tatsache, dass die Wende zum Heil zwar angesagt worden war, Sünde und Tod aber nach wie vor den Weg des Heils versperren. Das wurde deswegen so schlimm empfunden, weil die Betroffenen bereits Verfolgungen um des Glaubens willen zu überstehen hatten und sich heimatlos fühlten. Der christliche Glaube hat ihre Erwartungen nicht erfüllen können.
Der Briefschreiber setzte sich daher das Ziel, bewusst zu machen, dass die Nachfolge des leidenden Christus das persönliche Leiden nicht ausschließt, sondern integrieren muss. Die Kraft des Glaubens und der Hoffnung helfen durchkreuztes Leben zu bestehen.
(2) Woher kommt diese Kraft des Glaubens und der Hoffnung? Sie kommt daher, dass wir durch Jesu Tod und Auferweckung erlöst und geheiligt worden sind. In der heutigen Lesung zeigt der Verfasser, dass Jesu Leiden und Sterben nicht in Sinnlosigkeit endete, sondern dass sich Gott auf seine Seite stellte. Gott hat Jesus auferweckt und zu seiner Rechten erhöht. Er hat ihn „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“. Damit bekommt auch das Leiden derer, die Jesus nachfolgen Sinn und geht nicht ins Leere.
Der Brief macht deutlich, dass Jesus uns durch sein Todesleiden gerettet/ erlöst hat. Jesu Tod war kein zufälliger Unfall der Geschichte, sondern die Erfüllung des göttlichen Heilsplanes. Jesus hat dem geheimnisvollen Willen Gottes, die Menschen aus der Schuld zu retten, freiwillig zugestimmt. Er war bereit sich in der Menschwerdung zu erniedrigen, um die Last menschlicher Schuld stellvertretend auf sich zu vereinen und durch sein Leiden und Sterben zu überwinden.
Die Voraussetzung für unsere Rettung (Befreiung) aus Schuld und Sünde war Jesu Treue zum Weg, den der Vater ihm wies. Im Ölgarten hat er dem Eigenwillen abgesagt und dem Willen Gottes den Vorzug gegeben. Am Kreuz hat seine Verbundenheit mit dem Vater die Bedrängnis der Verlassenheit besiegt. Damit hat Jesus durch Treue und Gehorsam uns Menschen das Heil gewirkt und uns den Heilsweg zum Vater geebnet. Jesus ist „für alle“ gestorben. Alle, jeder und jede muss sich persönlich entscheiden, den von Jesus geebneten Weg zu beschreiten und ihn bis zum Ziel mit Christus verbunden zu gehen. Mit Jesus gehen, bedeutet aber niemals leidens-, oder schmerzfrei durchs Leben der Auferweckung entgegen zu gehen.
Kraft zur Nachfolge schenken uns auch das Wissen und die Erfahrung, dass Jesus uns durch sein Heilshandeln und durch seinen Ruf aus der Welt ausgesondert und in seine Nähe gerufen hat. Durch ihn sind wir geheiligt. Die Gabe des Heilsangebotes verbindet sich mit der Aufgabe, ihm, dem Erlöser immer ähnlicher zu werden und an seinem Rettungswerk tatkräftig mitzuwirken. Als seine Schwestern und Brüder sind unsere Würde und vor Gott nun wieder wie am Anfang der Schöpfung. Die ungetrübte Gottesebenbildlichkeit, die die Menschen bei der Schöpfung besaßen und die sie durch ihre Anmaßung verloren haben, wurde uns durch Christus wiedergeschenkt. Dieser neue Stand verpflichtet am Rettungswerk Christi mitzuwirken: Zu suchen und zu retten, was verloren ist.
(3) Den Weg, den uns Jesus der Messias, geebnet hat, können wir erhobenen Hauptes gehen, selbst wenn sich uns Hindernisse in den Weg stellen:
Nein, bleib nicht stehen;
es ist eine göttliche Gnade,
gut zu beginnen.
Es ist eine größere Gnade,
auf dem Weg zu bleiben
und den Rhythmus nicht zu verlieren.
Aber die Gnade aller Gnaden ist es,
sich nicht zu beugen und -
ob auch zerbrochen und erschöpft,
vorwärts zu gehen bis zum Ziel.
Helder Camara
26. Sonntag im Jahreskreis Jak 5,1-6
1 Ihr Reichen,
weint nur und klagt über das Elend, das über euch kommen wird! 2 Euer Reichtum verfault
und eure Kleider sind von Motten zerfressen, 3 euer Gold und Silber verrostet. Ihr Rost wird als Zeuge gegen euch auftreten und euer Fleisch fressen wie Feuer.
Noch in den letzten Tagen habt ihr Schätze gesammelt.
4 Siehe, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben,
der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt,
schreit zum Himmel;
die Klagerufe derer, die eure Ernte eingebracht haben,
sind bis zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen. 5 Ihr habt auf Erden geschwelgt und geprasst
und noch am Schlachttag habt ihr eure Herzen gemästet. 6 Verurteilt und umgebracht habt ihr den Gerechten,
er aber leistete euch keinen Widerstand.
(1) Mit der Regelmäßigkeit der jährlich stattfindenden Salzburger Festspiele wird auch der „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal, der mit Max Reinhardt die Salzburger Festspiele ins Leben gerufen hat, aufgeführt. Der reiche Jedermann wird mit Tod und Gericht konfrontiert. Der Reiche wird sich seines miesen Charakters bewusst. Der Tod gewährt ihm einen einstündigen Aufschub, damit er einen Gefährten findet, der ihn vor den Richterstuhl Gottes begleitet. Sein Freund, die Vettern und deren Bedienstete sagen ihm ab. Die Gestalt der gebrechlichen Frau, die seine „guten Werke“ repräsentiert, signalisiert Bereitschaft, den Weg mit ihm anzutreten, fühlt sich aber zu schwach. Sie wird ihre „Schwester, den „Glauben“, motivieren, ihn zu begleiten. Jedermann bekehrt sich und entgeht so den Fängen des Teufels, der meinte, in ihm eine leichte Beute gefunden zu haben. Vom Glauben begleitet tritt Jedermann vor das göttliche Gericht.
(2) Jedem, der Reiche beneidet oder den Reichtum attraktiv findet, stellt Jakobus die Rute ins Fenster. Mag sein, dass zur Zeit, als der Brief in Umlauf kam, Reiche besondere Bewunderung und Achtung genossen. Sie haben es immerhin zu etwas gebracht und waren erfolgreich. Außerdem gilt: „Wer das Geld hat, schafft an.“ Und manche Reiche nützen das schamlos aus.
Jakobus sieht ausreichend Gründe gegen eine falsche Vorstellung gegenüber Reichen und dem Reichtum zu Felde zu ziehen. Für ihn sind die Reichen nicht die Beneidens-, sondern vielmehr die Bedauernswerten. In negativen Zusammenhängen weist er auf die Verantwortung hin, die der Reiche mit seinem Reichtum übernimmt. Wenn er den Rost als Zeugen gegen den Reichen vor dem Gericht Gottes auftreten lässt, dann will er damit sagen, dass der Rost nur deswegen zustande kam, weil er sein Kapital nicht durch den Einsatz für die Mitmenschen rostfrei hielt. Sein Getreide und andere Lebensmittel verfaulten, weil er zu lange wartete, um Wucherpreise zu verlangen. Damit ist auch die Vergänglichkeit der materiellen Besitztümer aufgezeigt. Der Briefschreiber will sagen: Wer sich nur seinem eigenen Wohl und seinem Besitz verpflichtet weiß, wer seinen Besitz hortet und um seiner selbst willen vermehrt und vergisst, dass er eine von Gott geliehene Gabe ist und somit auch eine Aufgabe, die ihn nicht von den Mitmenschen isoliert, sondern verbindet, der verfehlt sich gegen seinen Schöpfer.
Noch krasser beschreibt er den verbrecherisch, betrügerischen Umgang mit dem Kapital auf Kosten der Lohnarbeiter und zum eigenen, verschwenderischen Vorteil. Der vorenthaltene gerechte Lohn schreit zum Himmel. Jakobus weiß, wie sehr Gott himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit verabscheut. Er hat das Schreien der Kinder Israels in der ägyptischen Sklaverei gehört und zu deren Gunsten eingegriffen. Dass diese prasserischen Reichen auch noch am „Schlachttag“ dem Vergnügen frönen, ist eine Missachtung und Verhöhnung des göttlichen Gerichts. Jakobus geht auch auf die Verbindung von Reichtum, Macht und Einfluss ein. Es waren die Mächtigen und Reichen, die Jesus verurteilt und getötet haben. Es waren dieselben, die Christen im Römischen Reich verfolgten und es ist heute bei Christenverfolgungen nicht anders. Jesus aber hat die Gewalt, die von der Macht ausgeht nicht mit Gegengewalt beantwortet. Das ist das erstaunlich und provozierend Neue in dieser Welt.
Es gibt „reiche Arme“. Das sind Menschen, die ihr Leben auf das Fundament ihres Glaubens an Gott gründen. Sie definieren sich nicht über ihre Leistung und ihrem Besitz, sondern über ihre Gotteskindschaft. Dann gibt es die „armen Reichen“. Sie leiten ihren Wert und ihre Lebensberechtigung von ihrem Besitz und ihrer Leistung ab. Sie leben in ständiger Angst und werden leicht Opfer der Gier. Gibt es auch „reiche Reiche“? Ja, es gibt sie! Das sind Menschen, die zu Recht auf ihren Unternehmerlohn bestehen. Sie sind sich aber auch bewusst, dass sie ohne den Einsatz der Mitarbeiter den Betrieb nicht erfolgreich führen könnten und ihnen ein gerechter Lohn oder gar Gewinnbeteiligung zusteht. Sie wissen, dass der gerechte Lohn nicht nur in Geld, sondern auch in Wertschätzung und Wohlwollen besteht. Sie anerkennen, dass der Arbeitnehmer nicht nur Arbeitskraft, sondern auch Bruder oder Schwester ist.
(3) Wie finde ich die rechte Einstellung zum Besitz, zum Reichtum, zum Geld? Diese Frage ist nicht zu trennen von der Frage nach der rechten Einstellung auch zum Leben. Was bedeuten mir meine Beziehungen zu meiner Familie, Freunden, Mitarbeitern, übernommene Verpflichtungen gegenüber Vereinen etc. Was möchte ich in diesen Bereichen verwirklicht haben? Der Glaube schaut mir beim Nachdenken über die Schulter. Wenn ich Antworten gefunden habe, kann ich diese, meine persönlichen Werte, verwirklichen.
25. Sonntag im Jahreskreis Jak 3,(13-15)16-4,3
(13 Wer von euch ist weise und verständig? Er soll in weiser Bescheidenheit die Taten eines rechtschaffenen Lebens vorweisen. 14 Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in eurem Herzen tragt, dann prahlt nicht und verfälscht nicht die Wahrheit! 15 Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, weltliche, teuflische Weisheit.)
16 Wo nämlich Eifersucht und Streit herrschen,
da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. 17 Doch die Weisheit von oben
ist erstens heilig,
sodann friedfertig, freundlich, gehorsam,
voll Erbarmen und reich guten Früchten,
sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht. 18 Die Frucht der Gerechtigkeit
wird in Frieden für die gesät,
die Frieden schaffen.
4, 1 Woher kommen Kriege bei euch,
woher Streitigkeiten?
Etwa nicht von den Leidenschaften, die in euren Gliedern streiten? 2 Ihr begehrt
und erhaltet doch nichts.
Ihr mordet und seid eifersüchtig
und könnt dennoch nichts erreichen.
Ihr streitet und führt Krieg.
Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. 3 Ihr bittet und empfangt doch nichts,
weil ihr in böser Absicht bittet,
um es in euren Leidenschaften zu verschwenden.
(1) Der Verfasser des Briefes wendet sich an christliche Gemeinden, die mehrheitlich aus Judenchristen bestehen. Er ermutigt die Christen im praktischen Alltagsleben ihre Zugehörigkeit zu Christus zu bezeugen. Er warnt vor Verflachung des Glaubens und vor einer Scheinfrömmigkeit. In den christlichen Gemeinden scheint ein eklatanter und gefährlicher Unterschied zwischen Glaubensideal und realer Glaubenspraxis zu bestehen. Das zeigte sich zum Beispiel in der bevorzugten Behandlung des Reichen gegenüber dem Armen, die Jakobus in der Nachfolge Jesu nicht gutheißen kann. Offenbar verläuft das Leben in der Gemeinde, das geschwisterliche Miteinander nach den alten Mustern der Eifersucht und des Ehrgeizes. Ein solches Verhalten schadet der Gemeinde, weil es im Widerspruch zum eigenen Ideal steht. Wenn es nicht erkannt und überwunden wird, gleicht sich die Gemeinde der Welt an und ist nicht länger Licht für die Welt und Salz der Erde. Jakobus schreibt gegen diese Tendenz der Weltanpassung an.
(2) Im heutigen Lesungstext unterscheidet der Autor des Briefes zwei Herrschaftsbereiche, den Herrschaftsbereich der „irdischen, weltlichen, teuflischen Weisheit“ von jenem der „Weisheit von oben“. Die „irdische Weisheit“ begegnet den Menschen, die er anspricht in Form von Eifersucht, Ehrgeiz und Streit und mündet in Mord und Krieg. Die „Weisheit von oben“ wird in der Gemeinde in anderer Weise erfahren. Sie „ist erstens heilig, sodann friedfertig, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht“.
In dem von der „irdischen Weisheit“ bestimmten Bereich „herrschen Eifersucht und Streitsucht“. In jenem durch die „Weisheit von oben“ dominierten Bereich „herrscht der Friede“. Sowohl Eifersucht und Ehrgeiz, als auch Friede sind äußere Entsprechungen eines inneren Zustandes, zu dem der Mensch durch Erziehung und Erfahrung „herangereift“ ist. Durch Wort und Tat teilt der Mensch mit, was in ihm lebendig ist.
Jakobus fordert die Leser seines Briefes indirekt auf, sehr aufmerksam auf das zu achten, was um sie herum in der Gemeinde passiert. Erkennen sie in seiner Beschreibung Vorkommnisse und Zustände in ihrer Gemeinde? Herrschen in ihren Versammlungen und Aktivitäten Eifersucht und Streitsucht? Gönnt man einander den Erfolg nicht? Spricht man einander Begabungen und Fähigkeiten ab? Haben manche das Gefühl benachteiligt zu werden? Wollen einige unbedingt etwas erreichen, egal um welchen Preis? Meinen einige, Gott näher als andere, oder gar bessere Christen zu sein? Werden Mitchristen als Feinde, Rivalen oder Bevorzugte gesehen, die andere aus dem Licht in den Schatten drängen? Der Boden auf dem alles dies wächst und gedeiht sind Eigensinn, Eigenwillen und Eigennutz und das Verlangen, alles zur größeren, eigenen Ehre zu tun.
Auf die äußere Wahrnehmung muss der mutige Blick in das eigene Innere folgen. Welche inneren Regungen bewegen mich selbst? Ist da viel Unruhe in mir, Angst, Unsicherheit, Zweifel, Wut, Zorn, Neid? Wie wirkt sich das nach außen hin aus?
Umgekehrt könnte der Leser/Hörer in der Gemeinde durchaus auch herzlichem, gegenseitigen Wohlwollen begegnen, gegenseitiger Wertschätzung und Respekt, ehrlichem Miteinander, statt Gegeneinander, die Bereitschaft aus materieller und geistiger Not zu helfen, das Bemühen Kritik annehmbar zu formulieren und sich für „Ausraster“ zu entschuldigen, dass die alle verbindende Geschwisterlichkeit gefördert und geschützt wird, sodass der Frieden höher gestellt wird, als die erfolgversprechenden Aktionen. Der Boden dafür ist das Lebensziel, alles „zur größeren Ehre Gottes“ zu tun.
Wer mit solchem Verhalten den Menschen begegnet und auf die Bewegungen in seinem Inneren achtet, der wird merken, dass Friede, Freude, Ruhe, Aufrichtigkeit, Hörbereitschaft und Gleichmütigkeit die Grundströmung seines Daseins sind.
(3) Die entscheidende Haltung vor Gott, um die „Weisheit von oben“ zu erhalten, ist die „Haltung der offenen Hände“, mit der Bereitschaft, sich die Hände von Gott füllen zu lassen, alles aus Gottes Händen entgegenzunehmen, sich beschenken lassen und weiterschenken. Nicht das Nehmen und An-sich-Reißen wird empfohlen, sondern das dankbare Empfangen und Weitergeben.
Lieber Gott, erneuere deine Kirche. Fange bei mir an und höre bei den Bischöfen nicht auf!
Rezension zum Buch von Detlef Bald: Dietrich Bonhoeffer. Der Weg in den Widerstand. „Ich bete für die Niederlage meines Landes“. Darmstadt 2021
Der Autor gibt Einblick in das Ringen Dietrich Bonhoeffers um eine adäquate, christliche Antwort auf die Provokationen und Täuschungen des Nationalsozialismus. Das letzte von 13 Kapiteln beschreibt als eine Art Zusammenfassung auch die anfängliche öffentliche Ablehnung der Anerkennung Bonhoeffers in Deutschland und seiner unaufhaltsamen, weltweiten Hochachtung. (209 - 212) Der Verfasser öffnet zwölf Zugänge zur folgerechten Entscheidung Bonhoeffers, sich dem Widerstand um Canaris und Oster anzuschließen.
Die Untersuchung bietet viele interessante Informationen zu den Phasen, die den Weg Bonhoeffers in den offiziellen Widerstand markieren. Ihre gewählte Perspektive bringt überraschende und erhellende Details ans Licht, die gewöhnlich in Biographien nicht zur Sprache kommen. Die Lektüre wird bereichert durch vertiefende Einblicke in politische, soziale und persönliche Voraussetzungen der Protagonisten und der politischen Strömungen der jeweiligen Station. Der Autor thematisiert auch viele bekannte Erlebnisse, Ereignisse und Entscheidungen Bonhoeffers: Im reflektierten und konsequenten Kampf gegen das NS-Regime mündet dieses entschiedene „Gegenhandeln“ schließlich in den Widerstand und findet in der Hinrichtung am 9. April 1945 sein tragisches Ende.
Die Darstellung von Bonhoeffers Klar- und Weitsicht sowie die entschiedene Umsetzung des Erkannten in konkretes Tun beeindrucken. Beides – Analyse und Handeln – war Bonhoeffer nicht in die Wiege gelegt worden. Das Zustandekommen seines einjährigen Aufenthaltes in New York, der die Weichen seines Lebens richtungsweisend stellte, nahm er als ein unerwartetes Geschenk gerne an. Die Fäden im Hintergrund zog sein Entdecker Superintendent Max Diestel. (57)
Die Erfahrungen Bonhoeffers in der „anderen, neuen Welt“ haben sein Denken und sein Handeln (Lebensmotto: „Christentum bedeutet Entscheidung“) grundlegend neu orientiert und motiviert. Er hat sich an seinem Studienort, dem Union Theological Seminary, von Professoren und Studienkollegen inspirieren lassen. (42) Maßgeblich aber waren für sein späteres Leben seine Offenheit für die Begegnung mit Afroamerikanern und ihrer Lebenswelt, ihrer Diskriminierung durch die weiße Mehrheitsbevölkerung, die von der Kirche abgesegnet war. Er lernte Vertreter der Befreiungsbewegung und ihre Publikationen kennen. Jedenfalls ließ er im gelobten Land der „Neuen Welt“ auch deren dunkle Seiten an sich heran.
Im „Union“ eignete sich Bonhoeffer eine klare Haltung gegenüber Rassismus, sozialer und ökonomischer Diskriminierung und angemaßtes Herrentum an. Er war empört, dass die „weiße Kirche“ die Schwarzen aus ihren Gottesdiensten ausschloss. So war er auch willens, der Kirche in Deutschland die Stirn zu bieten und ihren Gleichschritt mit den Nazis als Verirrung zu verurteilen. Aber New York brachte nicht nur in politischer Hinsicht eine Lebens-Wende. Er betonte, dass er auch zur Bibel fand – vor allem zur Bergpredigt. Er, der vor noch nicht allzu langer Zeit in guter protestantischer Tradition den Krieg gerechtfertigt und die Bergpredigt für irrelevant erklärt hatte, denkt nun in die Gegenrichtung: Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes, insbesondere der Bergpredigt. (51)
Auf diesem geistigen Fundament und mit der Bereitschaft zu entschiedenem Handeln kehrte er 1931 nach Deutschland zurück. Wie er in Harlem schwarze Frauen und Kinder unterrichtete, so übernahm er in Berlin-Wedding Jugendarbeit. Er antwortete auf seine Überlegungen zur sozialen Frage mit konkreten Taten, real im verrufenen und kirchenfernen Proletarier-Milieu, in dem Armut und Unmoral dominierten. Erstaunlich ist sein solidarisches Leben mit den Jugendlichen. Mit seinem Freund Franz Hildebrandt verfasste er einen „Lutherischen Katechismus“, um die Jugendlichen auf die Konfirmation vorzubereiten. Sie wollten den Burschen auch Kriterien an die Hand geben, mit denen sie die menschenverachtenden Ziele und Verführungen des Nationalsozialismus durchschauen konnten. Sie betonten, dass alle Zwietracht in der Welt überwunden werden müsse und allein christliche Brüderlichkeit Frieden stiften könne. Bonhoeffer wollte „diese Jugendlichen vor NS-Tendenzen schützen und ihnen Hoffnung vermitteln, dass ihre Zukunft nicht in Armut und Verzweiflung enden würde.“ (61)
Später begründete er in einer Rede vor Pfarrern, dass die Kirche Recht und Aufgabe hätte, dem Rad in die Speichen zu fallen, wenn die Politik (das NS-Regime) gegen das Recht verstoße. Er appellierte an die Solidarität mit den Juden. (69) Dieser aufrüttelnden Botschaft verschloss sich die Mehrheit der anwesenden Pfarrer.
Auf mutige und prophetische Weise nahm er am 1. Februar 1933 im Radio Stellung zur Machtübernahme Hitlers (30. Jän.): Der „Führer“ gebärdet sich als Messias. Wenn er sich nicht an das Recht hält, wird er zum „Verführer“. (11) Er wies klar auf die Gefahren des Führersystems hin. Die Unterwerfung unter den Führer bedeute Selbstentrechtung und Selbstentmündigung der Bürger. Bald schon galt: Der Führer hat beschlossen! Die Rechtsstaatlichkeit war aufgegeben und der Diktatur das Tor weit geöffnet.
Nach seiner Ernennung zum Jugendsekretär des ökumenischen Weltbundes (Herbst 1931) und während seiner Tätigkeit als Pfarrer in London (1933-1935) widmete sich Bonhoeffer der Erarbeitung einer Friedensethik. Dafür setzte er sich intensiv mit den Fragen des Krieges auseinander: „Die Geschichte des Westens belehrt uns, dass dies eine Geschichte der Kriege gewesen ist.“ (78) „Herrschaft über die Natur führe zu einer Kultur nicht nur gegen die Natur, sondern auch gegen den anderen Menschen’“. (79) Große Beachtung fand seine Friedensrede am 28. Aug. 1934 in Fanö (Dänemark). Der Pfarrereid auf Hitler und die Aufrüstung der Reichswehr signalisieren zwei direkte Anlässe. (91) Er prangerte das Kriegstreiben der Nazis an und beschwor den Frieden. Jeder zukünftige Krieg werde mit dem äußersten Einsatz technischer Mittel geführt werden und eine Maschinerie des Todes in Gang setzen. Das Leid werde unermesslich sein. „Es gab nur eine alternative Lösung: Frieden... Es ist als ob alle Mächte der Erde sich verschworen hätten gegen den Frieden; das Geld, die Wirtschaft, der Trieb zur Macht, ja selbst die Liebe zum Vaterland sind in den Dienst des Hasses hineingerissen, Hass der Völker, Hass der Volksgenossen gegen eigene Volksgenossen.“ (95) Für die Nazis war diese Rede eine ungeheure Provokation.
Die Planungen für eine Indienreise liefen seit Dietrichs Pfarrertätigkeit in London und parallel zu den Vorbereitungen der Friedensrede in Fanö. Er erwartete sich durch die Begegnung mit der östlichen Glaubenswelt, Mahatma Gandhi und Rabindranath Tagore, Impulse für seine Friedensethik, besonders hinsichtlich des gewaltfreien Widerstandes. Seine Indienreisepläne waren keine modische Eintagsfliege. Schon bei der Rückreise aus New York 1931 hatte er einen Indien-Aufenthalt erwogen. Die Zusage an die Bekennende Kirche, im Herbst 1934 im kommenden Jahr die Leitung des Predigerseminars in Finkenwalde bei Stettin zu übernehmen, beendeten seine Reisepläne. (98) Detlef Bald hat den zahlreichen Berührungspunkten im Denken Gandhis und Bonhoeffers angemessene Aufmerksamkeit geschenkt. (98 - 113)
Bonhoeffer wurde zum „Staatsfeind“ erklärt, die Lehrerlaubnis an der Universität entzogen (5. Aug. 1936) und das Predigerseminar in Finkenwalde geschlossen (28. Sept. 1937). Ziel der Ausbildung im Predigerseminar war eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft von Pfarrern, die fähig sind „in den gegenwärtigen und kommenden kirchlichen Kämpfen“ ihre Aufgaben zu erfüllen. (116) „Das Motto, das Bonhoeffer dabei vorschwebte, könnte umschrieben werden: Grundlegung innerhalb der Mauern der Gemeinschaft (intra muros) für eine Bewährung im Leben (extra muros).“ (115) Auf das Redeverbot im Reichsgebiet (Sept. 1940) folgte das Publikationsverbot (März 1941).
Bonhoeffer wurde in den Strudel einer existentiellen Entscheidungskrise hineingerissen. Sein zweiter Aufenthalt in New York sollte zur Klärung beitragen. Einladungen zu Lehrveranstaltungen in New York und Chicago lagen vor. In New York angekommen bedrängten ihn wieder Unruhe und Zweifel. Deutschland bewegte ihn ebenso wie ‚die Brüder drüben und ihre Arbeit.’“ (133) Schließlich traf er die Entscheidung, in die „Heimat“ zurückzureisen (20. Juni). Statt einem Jahr blieb er nur zwei Monate in den USA (Juni/Juli 1939). Er kehrte in sein Land zurück, um dessen Schicksal zu teilen. (160)
Um der Einberufung zum Wehrdienst zu entgehen, suchte Bonhoeffer freiwillig um Dienst als Militärseelsorger an. Dienst mit der Waffe und ein Eid auf Hitler waren für ihn undenkbar. Der Bescheid war negativ. Im Frühsommer 1940 wurde er in den Kreis des Widerstandes unter Admiral Wilhelm Canaris, dem Leiter der Heeresabwehr und Generalmajor Hans Oster, dem Chef der Zentrale des Geheimdienstes, aufgenommen. (144) Hans von Dohnany, Bonhoeffers Schwager, Jurist und Leiter des Referates für Politik im Geheimdienst, wurde für Dietrich die entscheidende Bezugsperson im Widerstand. Die Abwehr nutzte seine Verbindungen in Kirche und internationaler Ökumene, „um vor allem Informationen nach Großbritannien zu geben oder zu berichten, was dort über alliierte Politik verdeckt zu erfahren sei.“ (145) Ziele des militärischen Widerstandes waren das Attentat auf den „Führer“, Sturz des NS-Regimes, Beseitigung der Diktatur und Verhandlungen für ein Kriegsende, danach Etablierung von Rechtsstaatlichkeit und Frieden, eine gerechte Sozialordnung in freiheitlicher Gesellschaft. (146)
Bonhoeffer wurde in die Erarbeitung von Konzepten einer Friedens- und Gesellschaftsordnung für die Zeit nach dem Krieg involviert. Als im Mai 1942 der Beistandsvertrag zwischen London und Moskau im Radio gemeldet wurde, reiste Bonhoeffer als Bote zu Lordbischof Bell, damit dieser vermittelnd in London für den Widerstand eintrete. Dieser wollte als zukünftiger Verhandlungspartner der Alliierten akzeptiert werden. Zur Vertrauensbildung nannte Bonhoeffer die Namen der Militärs, die bereit waren, den Putsch mitzutragen und erläuterte die Ziele des Widerstandes. Das von Bischof Bell an das „Foreign Office“ weitergeleitete Memorandum wurde zwar freundlich, aber negativ bewertet. Der Widerstand musste sich darauf neu erfinden. (170)
Dietrich Bonhoeffer war am Projekt „Unternehmen Sieben“ beteiligt, wie es bereits von der Außenstelle in Wien mit Erfolg praktiziert wurde. Der Abtransport jüdischer Bürger konnte dadurch verhindert werden. „Es brauchte mehr als ein Jahr, diese Gruppe im Spätherbst 1942 über Basel in die Freiheit zu bringen mit der Legende, Richtung Südamerika zu fahren, von dort aus in die USA zu gelangen, um militärisch relevante Informationen zu liefern.“ (175f) Die Widerstandsgruppe um Canaris rettete so 14 jüdische Mitbürger und bewies Mut und Solidarität mit den Juden.
Da ein Ende des Krieges nur durch die Beseitigung Hitlers erreichbar schien, fand sich Bonhoeffer – im Unterschied zu Helmut James Graf von Moltke, Mitglied des Kreisauer Kreises und ebenfalls Protestant – mit dem Tyrannenmord ab. (161, 180) Aber keines der geplanten Attentate (13. und 21. März 1942) gelang. Nachdem Hitler das Attentat vom 20. Februar 1944 überlebt hatte, übte er grausame Rache.
Eberhard Bethge überliefert in seiner Bonhoeffer-Biographie: In außergewöhnlich herzlicher Atmosphäre unter Freunden antwortete Dietrich Bonhoeffer auf die Frage, welche Bedeutung die gegenwärtige Lage im Krieg für ihn ganz persönlich habe, wofür er bete. „Wenn Sie es wissen wollen, ich bete für die Niederlage meines Landes, denn ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, um für das ganze Leiden zu bezahlen, das mein Land in der Welt verursacht hat.“ (159) „Bonhoeffer nahm die historische, übergroße Schuld mitleidend und kollektiv auf sich.“ (160)
Der Aufenthalt in New York öffnete Dietrich Bonhoeffer die Augen: Er sah die Auswirkungen der Rassendiskriminierung, der unbewältigten „Sozialen Frage“, der Bewertung des Krieges und die Legitimierung all dessen durch die Kirche. Er war sensibilisiert für die Weichenstellungen der Reichskirche und des NS-Regimes, entlarvte dessen „Maskerade des Bösen“ und gestaltete sein überzeugtes, widerständiges Handeln. Das führte ihn in letzter Konsequenz in den Kreis des Widerstandes um Canaris und Oster.
„Ihr, die das Leben gabt für des Volkes Freiheit und Ehre,
nicht erhob sich das Volk, euch Freiheit und Leben zu retten.“ (Ricarda Huch) (211)
Immerhin hat der Verfasser Dietrich Bonhoeffer ein literarisches Denkmal gesetzt. Detlef Bald ist es gelungen, sein Thema kompetent, ausführlich und sehr ansprechend darzustellen sowie die Einzigartigkeit Bonhoeffers im Denken und Handeln sichtbar zu machen.
Kurt Udermann,
24. Sonntag im Jahreskreis Jak 2,14-18
14 Meine Schwestern und Brüder,
was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben,
aber es fehlen die Werke?
Kann etwa der Glaube ihn retten?
15 Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung sind
und ohne das tägliche Brot 16 und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden,
wärmt und sättigt euch!,
ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen –
was nützt das? 17 So ist auch der Glaube für sich allein tot,
wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.
18 Aber es könnte einer sagen: Du hast Glauben
und ich kann Werke vorweisen;
zeige mir deinen Glauben ohne die Werke
und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben. [1]
(1) Jakobus spricht das Problem, das er lösen möchte mutig und direkt an: „Meine Schwestern und Brüder,
was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben,
aber es fehlen die Werke?... So ist auch der Glaube für sich allein tot,
wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.“ Der Grund, seiner Sorge Ausdruck zu verleihen, dürfte ein Einwand gewesen sein, der seine Option für die Armen relativierte: „Die Bevorzugung des Reichen ist doch nur allzumenschlich und nicht von großer Bedeutung. Wichtiger sind doch die innerlichen, geistlichen Erfahrungen.“ Jakobus sieht darin ein Abweichen von der Botschaft Jesu.
Für den Autor ist es wichtig, auf dem Weg Jesu zu bleiben und seine Anliegen zu verfolgen. Zudem sieht er in der Betonung der Innerlichkeit und einer Geringachtung des Handelns, eine große Gefahr für den Glauben in der Nachfolge Jesu.
Ich erinnere mich daran, was ein geistlicher Lehrer unserer Tage festgestellt hat: „Wenn einer beschließt, aus der Kirche auszutreten und sich in seinem Leben danach überhaupt nichts ändert, dann hat er sich schon lange davor von ihr abgewandt.“ Bei dieser Feststellung steht die Ansicht im Vordergrund, dass die Zugehörigkeit zur Kirche sowohl innerliche, als auch äußere Konsequenzen mit sich bringt, dass sowohl die Lebenseinstellung, als auch die Lebensvollzüge davon betroffen sind. Wenn der Austritt (Lebenseinstellung) nichts am konkreten Lebensvollzug ändert, war der Austritt schon viel früher vollzogen worden, oder es kam nie wirklich zum Eintritt. Allerdings muss man Menschen, die sich enttäuscht von der Kirche abwenden, zugestehen, dass sie nach wie vor aus einer Beziehung mit Jesus Christus leben.
(2) Für Jakobus ist der Glaube mehr als ein Für-wahr-halten von Glaubenssätzen, auch mehr als die Erfüllung bestimmter religiöser Leistungen (Gesetzes-Glaube), die doch wieder nur der Bestätigung der eigenen Kräfte und Fähigkeiten dient. Glaube, wenn er nicht tot ist, sondern lebendig sein soll, muss Werke hervorbringen, muss konkret und fruchtbar werden. Im praktischen Verhalten zeigt sich Entscheidendes, ob nämlich der Glaube wirklich Glaube ist.
Glaube („pisteuein“) bedeutet, auf der Basis gegenseitigen Vertrauens in einer Beziehung verbunden sein. Er beginnt mit der Einladung Gottes/Jesu: „Ich stehe an der Tür und klopfe. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich bei ihm eintreten.“ (Offb 3,20) Das ist der Anfang der Beziehung. Sie beschränkt sich nicht auf Innerlichkeit. Das Gegenteil ist der Fall, gerade wenn diese Beziehung das Innerste des Menschen berührt, wird sie Konsequenzen für alle Lebensvollzüge haben. Wie ein Verliebter die Welt plötzlich mit anderen Augen sieht und anders agiert, so auch einer, dem Christus, Begegnung und Beziehung schenkt.
Bei den Werken handelt es sich um Werke, die die Frucht der Beziehung mit Jesus sind. In dieser Beziehung geht es um Hören und Antworten in Wort und Tat, um Empfangen und Geben, um Austausch miteinander. Meine Beziehung mit Jesus wird fruchtbar für den Nächsten. Glaube ist nur Glaube, wenn er in der Liebe tätig ist. Es geht um Werke des aufmerksamen Gehorsams im Hören des Wortes Jesu. Die Werke sind verleiblichte Lebenszeichen des Glaubens.
Die mit Jesus aufgenommene Beziehung muss aber in Treue gepflegt werden, sie bedarf der Zeit des Gesprächs (Gebet) mit Jesus und dem verbindlichen Handeln (Aktion), wenn der Auftrag dazu erging. Das Stehen in der Offenheit des Hörens und im praktischen Gehorsam sind Lebenszeichen des Glaubens. Jesus bringt dies im Gleichnis vom Weinstock und den Reben zum Ausdruck. Nur in enger Verbundenheit mit dem Weinstock bringt die Rebe reiche Frucht. Durch unsere Zugehörigkeit zu Jesus Christus und in seiner Nachfolge sind wir gewürdigt „Gottes Mitarbeiter“ und seine Werkzeuge, mit Gott verbundene Werkzeuge zu sein. Wir sind es, wenn wir durchlässig werden für seine Liebe zu unseren Mitmenschen.
Jakobus legt großen Wert darauf, dass jeder Glaubende aus der Beziehung mit Jesus heraus handelt. Eine „Arbeitsteilung“ akzeptiert er nicht. Den Einsatz für die Schöpfung dürfen wir nicht auf die „Grünen“ oder den „Ärzten ohne Grenzen“ abwälzen und uns aufs Beten konzentrieren. „Was willst Du Herr, dass ich tun soll? Ja, Herr, Dein Wille geschehe!“ Nur konkrete Zeugnisse und Werke sind sichtbar und lassen die Menschen fragen: „Wer tut so etwas und warum? Aus welcher Quelle lebt er?“
(3) Wie die Blätter und Früchte eines Baumes Zeichen seiner Lebendigkeit sind, so sind unser Zeugnis für Christus in Wort und Tat, Lebenszeichen unseres Glaubens. Sie können sehr vielfältig und auch unspektakulär sein. Wichtig ist, dass wir den Auftrag aus dem Gespräch mit dem Herrn verbindlich in die Tat umsetzen.
[1] 2,18 Möglicherweise beginnt in V. 18b die Entgegnung auf den Einwand von 18a, und man könnte übersetzen: Nun wird einer sagen: Du hast den Glauben, und ich habe die Werke. - Dann zeig mir doch deinen Glauben ohne die Werke, und ich . . .
23. Sonntag im Jahreskreis Jak 2,1-5
1 Meine Schwestern und Brüder,
haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus,
den Herrn der Herrlichkeit,
frei von jedem Ansehen der Person! 2 Wenn in eure Versammlung
ein Mann mit goldenen Ringen
und prächtiger Kleidung kommt
und zugleich kommt ein Armer in schmutziger Kleidung 3 und ihr blickt auf den Mann in der prächtigen Kleidung
und sagt: Setz du dich hier auf den guten Platz!
und zu dem Armen sagt ihr: Du stell dich
oder setz dich dort zu meinen Füßen! – 4 macht ihr dann nicht untereinander Unterschiede
und seid Richter mit bösen Gedanken?
5 Hört, meine geliebten Brüder und Schwestern!
Hat nicht Gott die Armen in der Welt
zu Reichen im Glauben
und Erben des Reiches erwählt,
das er denen verheißen hat, die ihn lieben?
(1) Zu den "Tischregeln der Gottesherrschaft" gehört nicht nur die Regel: Strebe bei einem Festmahl nicht zu den "Ehrenplätzen", sondern suche einen unteren Platz. Aufgrund der heutigen Lesung gilt auch der Grundsatz: Die Armen sind den Angesehenen/Reichen vorzuziehen. In den Gemeinden hat sich diese Tischregel jedenfalls nicht durchgesetzt. Wie wenig dieser die kirchlichen "Würdenträger" entsprechen, liegt ebenfalls auf der Hand.
(2) Jedes Urteil, jede Entscheidung bedarf der Alternativen aus denen gewählt werden kann. Die verschiedenen Möglichkeiten müssen dann anhand eines Maßstabes, eines Kriteriums unterschieden und bewertet werden. Jene Alternative, die dem Kriterium am ehesten entspricht bekommt den zu verwirklichenden Vorzug. Im vorliegenden Fall gibt es drei Möglichkeiten. Die erste Alternative ist die bevorzugte Behandlung des Angesehenen/Reichen, die zweite, die bevorzugte Behandlung des Armen und die dritte, die gleiche wertschätzende Behandlung des Armen und des Angesehenen/Reichen. Entscheidend sind die Überlegungen hinsichtlich des Kriteriums, der zur Auswahl stehenden Alternativen.
In dem vom Verfasser des Briefes beschriebenen Fall fiel die Entscheidung klar zugunsten der ersten Alternative aus - für die bevorzugte Behandlung des Angesehenen/Reichen. Der Briefschreiber unterstellt den Akteuren, dass sie "bösen Gedanken" als Kriterium bei der Bewertung der Alternativen folgten. Wie könnten sie gelautet haben? So etwa: Wenn ich den Angesehenen/Reichen ehre, bringt das mir selbst und auch der Gemeinde Vorteile. Er könnte bei der nächsten Spendensammlung einen noch größeren Betrag spenden. Vielleicht kommt er mir entgegen, wenn ich etwas von ihm brauche? Möglich, dass er für die Gemeinde ein gutes Wort bei passender Gelegenheit einlegt.
Jakobus macht ihnen klar, dass sie sich für die falsche Alternative entschieden haben. Sie hätten den Armen, wenn schon nicht bevorzugen, so wenigstens mit der gleichen Wertschätzung wie dem Angesehenen/ Reichen begegnen sollen. Sie haben ihren Glauben nicht frei gehalten „vom Ansehen der Person.“ Sie haben sich von den goldenen Ringen und der prächtigen Kleidung korrumpieren lassen.
Jakobus gibt ihnen einen klaren Grundsatz für das Verhalten gegenüber Angesehenen/Reichen und Armen in der Gemeinde. Den Armen ist der Vorzug zu geben. Die Option für die Armen begründet er mit dem Hinweis, dass Gott die Armen der Welt erwählt hat, um sie durch Glauben reich und zu Erben der Königsherrschaft Gottes machen will. Ziel der Gemeinde ist nicht die Gemeinschaft der „Reichen und Schönen“, sondern der Armen, die „durch Glauben reich" geworden sind, Gottes Liebe angenommen haben und bereit sind für die Sache Gottes einzutreten. Ihr Reichtum besteht in der Beziehung mit Gott, ihrem Lebensziel, zu dem hin sie miteinander wachsend unterwegs sind.
(3) Der Maßstab für das Verhalten der Gemeinde gegenüber Armen und Reichen orientiert sich an Jesus. Sein Leben ist ein Leben in Armut für die Armen. Unter ärmlichsten Verhältnissen ist er als armer Leute Kind in einer Wohnhöhle oder in einem Stall zur Welt gekommen. Er hat mit jenen Menschen Kontakt gesucht, die unter den Sammelbegriff "Arme" fallen: Bettler, Blinde, Taube, Kranke, Lahme, Aussätzige, Besessene, Sünder, Prostituierte, Zöllner, Mörder... Er hat den Umgang mit den Mächtigen und Einflussreichen nicht gesucht, um sich in ihrem Licht zu sonnen. Er hat die "Angesehenen/Reichen" aber auch nicht prinzipiell von der Gottesherrschaft ausgeschlossen, wiewohl er betonte, dass sie es schwer haben hineinzukommen. Er hat die Armen selig gepriesen und empfohlen, Arme als Gäste zum Essen einzuladen, weil sie die Einladung nicht mit einer Gegeneinladung zurückzahlen können. Gott wird ihnen diese Weitherzigkeit vergelten. Auch Jesu Sterben geschah in großer "Armut": Verraten, verleumdet und an die Besatzungsmacht ausgeliefert, starb er am Kreuz, verhöhnt als Verbrecher, obwohl er unschuldig war.
22. Sonntag im Jahreskreis Jak 1,17-18.21b-22.27
17 Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk
kommt von oben herab,
vom Vater der Gestirne[1],
bei dem es keine Veränderung oder Verfinsterung gibt. 18 Aus freiem Willen
hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren,
damit wir eine Erstlingsfrucht seiner Schöpfung seien.[2]
21b Nehmt in Sanftmut das Wort an,
das in euch eingepflanzt worden ist
und die Macht hat, euch zu retten! 22 Werdet aber Täter des Wortes
und nicht nur Hörer,
sonst betrügt ihr euch selbst! 27 Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es
vor Gott, dem Vater:
für Waisen und Witwen in ihrer Not zu sorgen und sich unbefleckt von der Welt zu bewahren.
(1) Dietrich Bonhoeffer spricht einmal in wenigen Sätzen vom Segen eines Lebens mit dem Wort Gottes: „Wo Gottes Wort bei mir ist, finde ich in der Fremde meinen Weg, im Unrecht mein Recht, in der Ungewissheit meinen Halt, in der Arbeit meine Kraft, im Leiden die Geduld.“[3]
(2) Jede Gabe und jedes Geschenk Gottes hat die Qualität, den Menschen, wenn er die Gabe annimmt und sie sich zur Aufgabe werden lässt, Gott näher zu bringen. So ist es auch mit der Gabe Gottes schlechthin: dem menschgewordenen Wort (Logos) Gottes, Jesus Christus. Wer es annimmt, sich auf es (ihn) einlässt und zur entscheidenden Richtschnur seines Lebens erklärt, der überwindet aufgrund dieser Beziehung jetzt schon den Tod und lebt mit Gott verbunden.
Gott hat die Empfänger seiner kostbaren Gabe nicht aufgrund irgendeines Verdienstes, einer besonderen Leistung oder eines hervorragenden Talents berufen, sondern frei gewählt. Er hat sie "geboren" durch das "Wort der Wahrheit", durch das Evangelium Jesu Christi. Durch die Frohbotschaft, die Jesus in Wort und Tat verkündete (nicht das Buch ist gemeint) und die dadurch aufgenommene Beziehung zu ihm, sind sie zur Welt gebracht. Als durch das "Wort der Wahrheit" Geborene, sind sie "Erstlingsfrucht" der Schöpfung Gottes. Sie sind von Gott berufene Bilder und Gleichnisse des Wortes Gottes, Zeugen Jesu Christi.
Jakobus fordert seine Leser und Hörer auf: „Nehmt in Sanftmut das Wort an“. Man kann es sich gut vorstellen, das Wort in Form des Buches - in der Schale der offenen und ausgestreckten Hände liegend - zum Herzen zu führen. Es ist dennoch merkwürdig, dass das, was ohnehin schon in uns eingepflanzt ist, noch näher zur Lebensmitte hingeführt werden soll. Es entspricht andererseits der Wirklichkeit, dass uns "das Wort (Gottes)" vertraut ist, wir uns aber lieber auf andere attraktive Worte verlassen.
Im Samengleichnis mahnt Jesus eindringlich guter Boden für den Samen des Wortes Gottes zu sein. Angesichts der Tatsache, dass Dreiviertel der Saat auf schlechtem Boden verkommt, macht Jesus – bei der Erklärung des Gleichnisses - auf drei Gefährdungen aufmerksam, die es unmöglich machen, guter Boden zu sein: Die erste Gefährdung besteht darin, dass ich Gottes Wort gar nicht wirklich hören will, nämlich mit der Konsequenz, mich durch das Wort verwandeln zu lassen. Das Wort hören und nicht verstehen bedeutet, es nur zu hören, aber es sich nicht zu Herzen gehen lassen. Ich muss mich also vom Wort Gottes berühren lassen und bereit sein, Jesu Hand und Fuß und Sprachrohr in der Welt zu sein, also „Täter des Wortes“ zu werden.
Eine weitere Gefährdung ist der Irrtum, zu meinen, das gehörte Wort, unser Glaube bedürfe keiner Vertiefung. Das vor langer Zeit im Religionsunterricht Gehörte reicht längst nicht aus. Wir müssen unseren Glauben hegen und pflegen. Wir müssen unseren Glauben auch verstehen und gegenüber Nichtglaubenden rechtfertigen und argumentieren können. Außerdem sollte uns nicht schon der geringste Gegenwind umwerfen. Wir müssen uns auch bemühen in der Beziehung mit Jesus zu wachsen. So wie wir auch in unserer Beziehung zu den Mitmenschen wachsen sollten.
Die dritte Gefährdung sind falsch gesetzte Prioritäten. Spielt Gott wirklich die erste Geige in meinem Leben? Ist mein Herz wirklich bei Gott? Nur wenn ich die Prioritäten richtig gesetzt habe, wenn ich an Gottes Vorsehung, an seinen Segen und seine Führung auch für mich glaube, weiß ich, dass es zwar auf mich ankommt, aber nicht von mir abhängt. Ich muss nicht alles im Griff haben und brauche nicht in den Sorgen und Existenzängsten zu ersticken. Ich darf darauf vertrauen, dass Gott alles zum Guten wenden wird.
Wenn ich beim Lesen oder Betrachten der Heiligen Schrift einen Impuls in diese oder jene Richtung verspüre, muss ich diesen vor Gott prüfen. Wenn ich erkannt habe, was Gott will, dass ich verwirkliche, dann sollte ich nicht zögern, denn es ist Gottes Wille. Das Lesen und Betrachten des Wortes Gottes verlangt verbindliches Tun. Charles de Foucauld betont: „Man versteht das Evangelium nicht, wenn man es nur liest; man versteht es nur, wenn man es tut.“
Dem Auftrag "in der Welt, aber nicht von der Welt zu sein" entspricht der am besten, der sich den Armen, Witwen und Waisen verpflichtet weiß. Er entrinnt der allgegenwärtigen Gefahr zu korrumpieren.
(3) „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.“[4]
[1] 1,17 Vater der Gestirne, wörtlich: Vater der Lichter; der Ausdruck bezeichnet Gott als den Schöpfer der Gestirne.
[2] 1,18 Wort der Wahrheit: das Wort des Evangeliums mit seiner Christusbotschaft und seiner sittlichen Forderung.
[3] D. Bonhoeffer, Behütet
[4] D. Bonhoeffer, Behütet
21. Sonntag im Jahreskreis Eph 5,21-33
21 Einer ordne sich dem andern unter
in der gemeinsamen Furcht Christi! 22 Ihr Frauen
euren Männern wie dem Herrn; 23 denn der Mann ist das Haupt der Frau,
wie auch Christus das Haupt der Kirche ist.
Er selbst ist der Retter des Leibes. 24 Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet,
so sollen sich auch die Frauen in allem den Männern unterordnen.
25 Ihr Männer,
liebt eure Frauen,
wie auch Christus die Kirche geliebt
und sich für sie hingegeben hat, 26 um sie zu heiligen,
da er sie gereinigt hat durch das Wasserbad im Wort! 27 So will er die Kirche herrlich vor sich hinstellen,
ohne Flecken oder Falten oder andere Fehler;
heilig soll sie sein und makellos.
28 Darum sind die Männer verpflichtet,
ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib.
Wer seine Frau liebt,
liebt sich selbst. 29 Keiner hat je seinen eigenen Leib gehasst,
sondern er nährt und pflegt ihn,
wie auch Christus die Kirche. 30 Denn wir sind Glieder seines Leibes.
31 Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen
und sich an seine Frau binden
und die zwei werden ein Fleisch sein. 32 Dies ist ein tiefes Geheimnis;
ich beziehe es auf Christus und die Kirche.
(1) Der amerikanische, geistliche Schriftsteller Richard Rohr, erhielt eines schönen Tages von einer Frau folgende Zeilen: „Als Frau habe ich mich, wie so viele andere Frauen auch, taub gestellt gegenüber allen seinen Worten, die wir in der Liturgie hörten. Und diese Einstellung gibt es unter Frauen immer noch, die am liebsten die Kirche verlassen würden, wenn sie hören, dass wir unseren Ehemännern gegenüber unterwürfig sein sollen. Jahrhundertelang haben Frauen genau deswegen Missbrauch erlitten. Was kann man tun, um Paulus im Denken der Frauen zu rehabilitieren?“[1]
Ja, was ist zu tun? Das Wort der Bibel, das uns nicht genehm ist, einfach ignorieren und statt „peinlicher Sätze“, wohlklingende verkünden? Da sitzt mir D. Bonhoeffers Wort im Nacken: Wir sollen uns nicht zu Richtern des Wortes Gottes erheben, sondern uns dem Gericht des Gotteswortes unterstellen. Bleiben noch die Fragen: Ist die Übersetzung korrekt? Verstehen wir den Text richtig? Darüber hinaus gibt Widerspruch zu denken: „Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus.“ Wenn sowohl Männer als auch Frauen angesprochen sind, warum wird dann eine einseitige Unterwerfung der Frauen gefordert?
(2) „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn (Christus);“ So lautet die anstößige Formulierung, die viele Frauen derart blockiert, dass sie nicht mehr weiterhören. Sie argumentieren: Unterordnung der Frau unter den Mann kann doch nicht „Frohbotschaft“ sein. Fragen wir zunächst: Welchen Stellenwert hat diese Aussage für einen gläubigen Menschen? Es handelt sich nicht um eine Aussage Jesu, sondern des Apostels und ist keine für alle Zeiten geltende Offenbarung. Es ist eine aus der damaligen gesellschaftlichen Situation ergebende Forderung. sondern eine, sich aus der Situation ergebende Forderung, die in dieser Sie gilt in dieser Form solange, wie diese Umstände aktuell sind.
Was damit gemeint ist, verdeutlicht ein anderer anstößiger Paulustext: Bei Gebetsversammlungen soll die Frau das Wort ergreifen, nicht aber bei beratenden Gemeindeversammlungen. Ist das Heuchelei? Paulus argumentiert nicht theologisch, sondern weist auf menschliche Tradition und kulturell bedingtes Empfinden bei Griechen und Juden hin. Offenbar denkt und handelt er nach dem Prinzip: Das Verhalten der Gemeinde soll der Kultur, der gesellschaftlichen Ordnung und Tradition nicht zum Anstoß werden. Nach dem gleichen Prinzip würde Paulus heute sagen: Die Frau kann und soll z. B. im Pfarrgemeinderat mitreden.
Abgesehen von dieser Klarstellung kann unser problematischer Satz auch anders übersetzt werden. Er streicht das anstößige „Unterordnen“ nicht. Durch den Zusammenhang, der sichtbar wird, erscheint es aber weniger anstößig.[2] Die Begründung für die Unterordnung der Frau beruft sich auf eine damals gesellschaftlich vorgegebene Ordnung. Sie besagt, dass der Mann „Haupt der Frau“ ist. Daher möge sie sich unterordnen. Paulus appelliert an die geistliche Bereitschaft der Frau, die von der Gesellschaft vorgegebene Unterordnung im Geiste Christi frei und selbstbewusst zu vollziehen.
Er ermutigt sie, die gesellschaftliche Ordnung einzuhalten durch einen Vergleich mit Christus und der „ekklesia“ (Versammlung, Menschheit).[3] Den Verweis auf Christus als „Haupt der Versammlung“ hat der Apostel als Vergleich herangezogen, weil in der hellenistischen Gesellschaft der Ehemann „Herr/ Kyrios“ genannt und als „Haupt der Frau“ bezeichnet wird. Jedenfalls ist die Unterordnung der Menschheit unter Christus von Gott gesetzt, die der Frau unter den Mann ist menschliche Ordnung und hat natürlich nicht dasselbe Gewicht. Die Forderung der Unterordnung der Ehefrau unter den Ehemann ist nicht göttliches, sondern zeitgebundenes Gesetz.
Wie könnte Paulus also heute formulieren? Er würde kaum von „unterordnen“ reden, sondern eher von gegenseitigem „achten und respektieren“ der Partner. Zum Beispiel: „Ihr Frauen achtet und respektiert eure Männer als eure geliebten Partner.“ Die Liebe des Ehemannes zur Ehefrau würde er an der Liebe Christi zur „ekklesia“ orientieren und er würde vom Angebot der Liebe Christi an jeden Menschen reden und von der Freiheit des Menschen dieses Angebot anzunehmen oder abzulehnen.
Bei aller Aufregung über diese Stelle sollten wir die anderen kostbaren Aussagen des Textes nicht überhören. Beachtlich sind die Aussagen über Christus und seine Beziehung zur Menschheit. Christus erscheint als „Haupt“ als „Retter“ seines „Leibes“, der „Versammlung“, der ganzen Menschheit, die er mit aufmerksamer, zärtlicher Liebe umsorgt, reinigt und mit Heiligem Geist erfüllt und so zu Gerechtigkeit und Liebe führt, die Gottes Gefallen finden. Paulus geht von der innigen Liebe der Eheleute aus und sieht auch umgekehrt in der Liebe Christi zu den Menschen eine Motivation für die Liebe von Eheleuten, besonders für den Ehemann, der der Hauptangesprochene ist.
(3) Paulus legt weder der Frau noch dem Mann ein Gebot vor, das den Stellenwert wie eines der 10-Gebote hätte, vielmehr ein hohes Ideal, eine Zielvorstellung, wie es die Seligpreisungen sind. Der Apostel lädt uns ein, sie zu verwirklichen. Die Liebe Christi nachzuahmen kann aber nur bedeuten aufzubrechen, um mehr und mehr zu dieser Liebe hin zu wachsen.
[1] R. Rohr, Paulus 95
[2] Die paraphrasierende Übersetzung stammt von Nobert Baumert, Völker 336: „Lasst euch mit Geist erfüllen, so dass ihr euch einander unterordnet in einer von Christus geprägten Ehrfurcht: Ihr Frauen (ordnet euch unter) euren Ehemännern als dem („Kyrios“, eurem gesellschaftlich verantwortlichen) Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau (ist ihr übergeordnet), wie auch der Christus Haupt der Versammlung (der gesamten Menschheit) ist, Er, der Retter des Leibes. Ja, in der Tat, wie die Versammlung dem Christus untersteht, so (unterstehen) auch durchaus die Ehefrauen ihren Männern (in der damaligen Gesellschaft).
[3] N. Baumert, Völker 340f: Die Einheitsübersetzung setzt für „ekklesia“ automatisch „Kirche“ - das trifft hier nicht zu!
Mariä Aufnahme in den Himmel 1 Kor 15,20-27a
20 Christus ist von den Toten auferweckt worden
als der Erste der Entschlafenen. 21 Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist,
kommt durch einen Menschen
auch die Auferstehung der Toten. 22 Denn wie in Adam alle sterben,
so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. 23 Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge:
Erster ist Christus;
dann folgen, wenn Christus kommt,
alle, die zu ihm gehören. 24 Danach kommt das Ende,
wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft entmachtet hat
und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt. 25 Denn er muss herrschen,
bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. 26 Der letzte Feind, der entmachtet wird,
ist der Tod. 27a Denn: Alles hat er seinen Füßen unterworfen.
(1) Das Thema Auferstehung, das im Zentrum der heutigen Lesung steht, wirft mehr Fragen auf als es Antworten darauf gibt. Der Text der Lesung stellt uns vor Augen wie Paulus sich die Auferstehung derer denkt, die Jesus Christus annehmen und jener, die dies nicht tun. Es handelt sich jedenfalls um eine Frage mit der sich schon die Christen in Korinth auseinander gesetzt haben. Paulus betont aber auch, dass bei der Befreiung aus Sünde und Tod, der Mensch zum Mittun aufgefordert ist.
Leukios fragte, ob ihm jemand den Zusammenhang zwischen der Auferstehung Jesu und unserer Auferstehung erklären kann. Er bekam folgende Antwort: „Als ich im Gottesdienst diesen Abschnitt hörte, ist mir vor allem dieses in den Ohren geblieben: dass Christus der Erste ist, der auferweckt worden ist, oder der Erstling... Das ist für mich darum wichtig, weil ich dann Tod und Auferweckung Jesu nicht nur als geschichtliches und starres Datum zu betrachten habe, sondern als etwas, das den Anfang bildet: den Anfang des neuen Lebens, den Anfang einer neuen Gesellschaft,... Ich habe das an einem Bild festmachen können, das Paulus, wenn ich ihn richtig verstehe, selber gebraucht: So wie Adam der erste der Menschen ist, die in die Welt kommen und sterben, so ist Christus der Erste derer, die auferstehen werden.“[1]
(2) Unsere "Lebendigmachung" (Auferweckung) hängt von unserer Beziehung zu Jesus Christus ab. Sie war jedenfalls notwendig geworden durch Adams Verweigerung gegenüber Gottes Willen. Er wollte selbst sein wie Gott, ließ Gott nicht Gott sein. Dadurch kam der Tod in die Welt. Dagegen steht die Verheißung, dass wir Menschen, die wir in Adam gestorben sind, durch Christus lebendig gemacht werden
Jesus Christus ist nach der bestimmten Reihenfolge der Erste, der von Gott lebendig gemacht wurde. Dann müssen als zweite die, die zu Christus gehören, lebendig gemacht werden, schließlich alle Übrigen, wenn Christus die Königsherrschaft an Gott übergibt.[2] Die „Christusleute“ empfangen das Auferstehungsleben bereits jetzt anfanghaft (!) in der Begegnung mit Christus. Die „Übrigen“ aber erst, wenn Christus "die Königsherrschaft dem Vater übergibt", wenn sein rettendes Wirken – bei diesen erfolglos - zum Ende kommt.
Denen, die zu Christus gehören, ist die Parousia, die Gegenwart Christi, verheißen. Sie ist ein Geschenk, das Leben vermittelt und das die einzelnen Menschen in verschiedener Stärke erfahren können. Durch sie werden die „Christusleute“ von Gott "lebendig gemacht", nicht nur in der Anfangsbekehrung und Taufe, sondern immer wieder neu durch sein Wort, seinen Geist, seine Liebe und Nähe in ihrem Leben als Gläubige.
Die Befreiung aus der Macht der Sünde und des Todes ist ein Kampf, in dem die Menschen nicht passiv bleiben dürfen, sondern zum Mittun aufgefordert sind. Der Anführer ist Christus. Der Feind ist kein menschliches Heer, sondern sind Mächte, Kräfte und Gewalten anderer Art.[3] Jeder, der sich zu den „Christusleuten“ rekrutieren lässt, entscheidet sich dazu und begibt sich auf den Weg des Gerettetwerdens. Wer sich zu ihm bekennt, wird von Christus lebendig gemacht, immer neu und mehr, durch seine persönliche Nähe. Wer sich in seiner Lebenszeit dem Anruf Christi verweigert, bleibt Teil der übrigen großen Masse (Legionäre).
Wie aber werden die „Übrigen“ lebendig gemacht? Es sind jene, die nicht zu Christus gekommen sind und seine Botschaft nicht angenommen haben; jene, die nie durch die erweckende Gegenwart Christi verändert und lebendig gemacht worden sind, da sie ihn nicht angenommen haben, obwohl er auch um sie gekämpft hat. Lebendig gemacht werden sie dann, wenn Christus die Herrschaft auch über sie, seinen erfüllten Rettungsauftrag, den sie nicht annahmen, dem Vater am Ende der Zeit übergibt.
Die Christusgläubigen, die den Retter annehmen und Vergebung ihrer Sünden erlangen, werden damit bereits jetzt von der Herrschaft der Sünde befreit und empfangen daraufhin das Auferstehungsleben. Bei den anderen kämpft Christus ebenfalls darum, dass sie von der Sündenmacht befreit werden. Sie bekommen ebenfalls und immer wieder die Chance zur Umkehr. Doch wenn der Mensch sie nicht annimmt, dann bleibt er unter der Oberbefehlsgewalt der Mächte und Gewalten, bis diesen durch den physischen Tod die Macht entzogen wird. Paulus betont, dass Christus zuerst darum kämpft, alle Menschen von jeder fremden Macht zu befreien, um sie schließlich aufgrund ihres Mittuns, vom Tod zu befreien, wobei er die einen bereits jetzt mit dem Auferstehungsleben beschenkt, die anderen am Ende mit einer Auferweckung in "Unverderblichkeit".[4]
(3) Das „Lebendiggemachtwerden“ aller Menschen wird nicht ausschließlich auf den „Jüngsten Tag“ verschoben, sondern wird immer wieder, auch bereits in dieser Zeit geschehen. Wir sind eingeladen, Jesu Christi Liebe und Nähe zu suchen, uns von seinem Wort ermutigen, trösten und herausfordern und von seinem Geist inspirieren zu lassen.
[1] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Paulus 137
[2] Im Hintergrund dieser Darlegung steht das Bild von einem Heeresaufgebot. Ein anführender Feldherr sammelt eine Kerntruppe, eine Schar verlässlicher und überzeugter Soldaten. Die größere Anzahl bilden die Legionäre, die wenig überzeugten, bloß um den Sold kämpfende Soldaten.
[3] Das können Menschen versklavende mächtige Ideologien sein: Nationalismus, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus, Militarismus, Rassismus, jede Art von Totalitarisus, Konfessionalismus und auch und vor allem Geiz und Neid. Oft erscheinen sie im Gewand von Sachzwängen mit ideologischem Hintergrund.
[4] N. Baumert, Seelsorger 286: „‚Unvergänglich’ sind die Menschen nicht etwa von Natur aus, etwa aufgrund einer ‚unsterblichen’ Seele, sondern immer durch Gottes Wirken in Jesus Christus, durch den sie lebendig gemacht werden.’“
19. Sonntag im Jahreskreis Eph 4,(29)30-5,2
29 Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt. 30 Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes,
den ihr als Siegel empfangen habt für den Tag der Erlösung![1] 31 Jede Art von Bitterkeit
und Wut und Zorn
und Geschrei und Lästerung
mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! 32 Seid gütig zueinander,
seid barmherzig,
vergebt einander,
wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.
5,1 Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder 2 und führt euer Leben in Liebe,
wie auch Christus uns geliebt
und sich für uns hingegeben hat
als Gabe und Opfer, das Gott gefällt![2]
(1) Die Ermutigung am Ende der Lesung soll die Hörer oder Leser des Lesungstextes zur Verwirklichung der vorausgehenden Forderungen für ein gedeihliches und attraktives Miteinander in der Gemeinde motivieren: „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und führt euer Leben in Liebe,
wie auch Christus uns geliebt
und sich für uns hingegeben hat“ (5,1f).
(2) Die Lesung geht von einem Wortgefecht aus, das zu eskalieren droht und nicht nur die Beteiligten schädigt, sondern auch Ansehen und Attraktivität der Gemeinde und nicht zuletzt den Heiligen Geist. Wer wird einer solchen Gemeinschaft angehören wollen, deren Zusammenleben von Streit und Entzweiung geprägt ist? Wie aber können unvermeidbare unterschiedliche Standpunkte für die Gemeinde nutzbar gemacht und Konflikte gelöst werden, ohne tiefe Gräben zu hinterlassen? Gibt es dafür eine Technik, eine Methode? Nicht die Lösung eines Kommunikations-Trainers bietet der Apostel an, sondern das Wirken des Heiligen Geistes.
Stellen wir uns die Situation des Wortgefechtes unter Gemeindemitgliedern vor: Es besteht die Gefahr, dass sich einer eines besonders verletzenden, bösen Wortes bedient, um im Kampf der Wörter den entscheidenden Schlag zu führen. Paulus möchte die Eskalation des Wortgefechtes verhindern. Um de-eskalierend zu wirken rät er, auf ein böses Wort kein böses, sondern ein gutes Wort folgen zu lassen. Die Tendenz, dass auf ein böses Wort ein noch böseres folgt, soll gestoppt werden. Freilich kommt es auf das "gute Wort" an. Es muss ehrlich sein und Emotionen und Gedanken auf eine andere Ebene heben, von der Ebene persönlicher Betroffenheit auf die Ebene des „neuen Miteinanders“. Der andere muss sich ernst genommen fühlen und spüren, dass er nicht "vernichtet" werden soll. Es geht in erster Linie darum aus dem Reiz-Reaktions-Muster auszubrechen (auf ein verletzendes Wort folgt ein noch verletzenderes). Wir wissen, dass das nicht leicht ist. Die Versuchung den Vernichtungsschlag zu führen ist sehr stark.[3]
Paulus empfiehlt, sich in einer solchen Situation dem Heiligen Geist zu öffnen: Ihr seid gesiegelt für einen Tag einer Loslösung. Gott löst euch durch seinen Geist los von dem bösen Wort, das in euch aufsteigt. Loslösung geschieht also auf Anregung und in der Kraft des Heiligen Geistes, wenn man sein Angebot annimmt. "Das ist dann nicht etwa 'euer großer Tag', sondern ist ein Tag, an dem in der Kraft des Heiligen Geistes etwas geschieht, was aber nicht geschehen könnte, wenn ihr ihm nicht folgen würdet! 'Besiegelung mit dem Geist' besagt ja nicht etwa, dass alles abgeschlossen und 'versiegelt' ist, sondern dass der Geist uns definitiv gegeben ist, damit wir nun mit ihm und in ihm handeln!"[4] Der Heilige Geist ist betrübt, wenn ihr sein Angebot nicht wahrnehmt.
Wenn wir uns für das Wirken des Heiligen Geistes öffnen geschieht Arbeit an der Wurzel: Sich Jesu Sicht aneignen, mit ihm auf Gottes Willen hören und ihm nachfolgen. Wer gütig und barmherzig ist und vergeben kann, der ist in der Lage „jede Art von Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung“ aus seinem Leben mit den Mitmenschen zu verbannen. Gott selbst ist der Maßstab für ein solches Verhalten: "wie Gott in Christus uns vergeben hat".
Es gilt, Gott in seiner Liebe nachzuahmen. Wie sehr Gott uns liebt, hat er uns durch seinen Sohn vor Augen geführt. Dies sollten wir immer neu verinnerlichen, denn es ist die Grunderfahrung, auf die jedes christliche Engagement aufbaut. Wie auch Kinder zur Liebe befähigt werden, wenn sie die Liebe der Eltern erfahren und diese dann nachahmen, so sollen auch die Leser und Hörer des Briefes die Liebe Gottes durch Jesus nachahmen. Wir dürfen und müssen uns immer wieder vergewissern, wie sehr Gott uns als seine Kinder liebt. Wenn wir diese Liebe auf uns wirken lassen werden wir befähigt sie mit anderen zu teilen.
Worin zeigte sich die Liebe Jesu zu uns? In seiner Geduld, seiner Vergebung, seinen Heilungen und Erweckungen, seinen Ermutigungen, Unterweisung und Stärkung durch den Geist. Der Einsatz Christi für uns ist als Darbringung für Gott zu einem wohlriechenden Duft zu verstehen. Als "Wohlgeruch für Gott" werden sowohl Brandopfer wie Speiseopfer bezeichnet, steht aber auch allgemein für etwas, das Gott wohlgefällt.
(3) Paulus schlägt vor, mit dem guten Wort das böse zu besiegen, damit der, der es braucht, gestärkt wird. Die, die es hören, sollen daraus Nutzen ziehen. Das ist gewiss nicht leicht. Es setzt die Erfahrung voraus, von Gott geliebt zu sein. Aber nicht nur das, auch eine bewusste Orientierung an Jesus, sowie Erfahrung im Umgang mit Emotionen wie Bitterkeit, Wut, Zorn etc., das Widerstehen spontaner Reaktionen und das bewusste „Sich-Offenhalten“ für das Wirken des Heiligen Geistes.
[1] Ich folge der Übersetzung von N. Baumert, Völker 317 : „Überdies betrübt ihr (durch ein böses Wort) den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr doch gesiegelt worden seid für einen Tag einer Loslösung (dafür, dass Gott euch dann vom Bösen lösen möchte).“
[2] 5,2 Wörtlich: als Gabe und Opfer für Gott zum wohlriechenden Duft. Ich übersetze mit N. Baumert, Völker 317: "Und gestaltet euer Leben (unter den Völkern) in Liebe wie auch Christus (der Messias) uns geliebt und sich für uns eingesetzt hat als eine Darbringung und Opfergabe für Gott zu einem wohlriechenden Duft."
[3] „Pretty Woman“ ist ein typisches amerikanisches Hollywood-Märchen, verfilmt mit Julia Roberts und Richard Gere. Ein erfolgreicher Geschäftsmann und eine Prostituierte verlieben sich. Zu guter Letzt heiratet er sie. Mich interessiert eine Nebenhandlung: Der Geschäftsmann ist ein Corporate Raider, ein Finanzinvestor, der eine Mehrheitsbeteiligung an Unternehmen erwirbt, um sie anschließend entweder mit Gewinn weiter zu veräußern oder zu zerschlagen. Edward fängt an, im Spiegel von Vivians Sichtweise seine berufliche Tätigkeit und seine Motivation in Frage zu stellen. Es kommt zum Gespräch, bei dem die Zerschlagung des Familienunternehmens Morse „finalisiert“ werden soll. Aber Viviens Sichtweise verursacht dem kühlen und rücksichtslosen Rechner ernsthafte Zweifel. Er lenkt ein und führt mit dem Senior-Chef Morse ein Einzelgespräch. Edward beschließt, das Familienunternehmen nicht zu zerschlagen, sondern es zu sanieren. Hier hat jemand seine Sicht geändert und auf seine innere Stimme gehört.
[4] N. Baumert, Völker 321
18. Sonntag im Jahreskreis Eph 4,17(18f).20-24
17 Das also sage ich und beschwöre euch im Herrn: Lebt nicht mehr wie die Heiden in ihrem nichtigen Denken![1] (18 Sie sind verfinstert in ihrem Sinn. Sie sind dem Leben Gottes entfremdet durch die Unwissenheit, in der sie befangen sind, durch die Verhärtung ihres Herzens. 19 In ihrer Haltlosigkeit gaben sie sich der Ausschweifung hin, um jede Art von Unreinheit in Habgier zu vollführen.)
20 Ihr aber habt Christus nicht so kennen gelernt. 21 Ihr habt doch von ihm gehört und seid unterrichtet worden, wie es Wahrheit ist in Jesus. 22 Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet, 23 und lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken! 24 Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.[2]
(1) Offenbar ist es für erwachsene Menschen schwer ihr Leben grundlegend positiv zu ändern. Sind gar die im Recht, die sagen, dass sich ab einem bestimmten Zeitpunkt der Mensch nicht mehr ändert? Er bleibt im Fahrwasser seiner Kindheits- und Jugenderfahrungen.
Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau weist auf die geringen Chancen hin: "Auf je tausend, die an den Blättern des Bösen zupfen, kommt einer, der an der Wurzel hackt." Große Verbesserungen in unserem Leben können wir also nur dann erzielen, wenn wir aufhören an den Blättern der Einstellungen und Verhaltensweisen zu zupfen. Wir müssen die Arbeit an den Wurzeln aufnehmen, denen diese Einstellungen und Verhaltensweisen entsprießen.
Jeder sieht die Welt durch die einzigartige Brille seiner persönlichen Erfahrung. Wir sehen also die Welt nicht so wie sie ist, sondern so, wie wir sind - oder wie wir sie zu sehen konditioniert sind. Was wir sehen (wahrnehmen) steht in enger Wechselwirkung zu dem, was wir sind. Wir können unser Sehen nicht sehr verändern, ohne gleichzeitig unser Sein zu ändern, und umgekehrt.[3]
Der „neue Mensch“, von dem in der heutigen Lesung die Rede ist, repräsentiert ein „neues Sein“, das Sein aus und mit Jesus Christus. Mit dem „neuen Sein“ geht eine neue Sichtweise einher, nämlich das Sehen der Welt mit den Augen Jesu.
(2) Wem bestätigt der Apostel Paulus, dass sie nicht ebenso wie Heiden leben?[4] In Eph 2,11-13 sprach er zu den Heidenchristen, den Christusgläubigen aus den Völkern, dass sie vorher ohne Gott, ohne verheißenen Christus gelebt hätten und darüber hinaus Israel gegenüber fremd waren.
Hier, am Beginn der Lesung, bestätigt (!) Paulus den christusgläubigen Juden, dass sie nicht leben wie die Heiden, die die Einladung zum Glauben an Jesus Christus nicht angenommen haben. Deren Lebenswandel ist nach wie vor von Unkenntnis des wahren Gottes geprägt. Deshalb sind sie Spielball ihrer Begierlichkeit und Zügellosigkeit (V 18f).
Sie, die Judenchristen haben schon lange mit dem Messias/Christus gelebt, wenn auch zunächst nur in der Haltung des Wartens auf den verheißenen Messias. Der Christus ist erst recht Teil ihres Lebens geworden als sie das Evangelium Jesu „gehört“, darin „unterrichtet“ worden sind und in ihm den verheißenen Christus anerkannt haben. Damit haben sie den „alten Menschen“, die Wurzel aller ins Verderben führender Begierlichkeit und die Verweigerung Gott gegenüber abgelegt und wurden „erneuert“. Gott lässt sie nach dem Herrschaftswechsel, der Distanzierung vom „alten Menschen“ und der Hinwendung zu Jesus Christus, nicht allein und ohne Hilfe. Die Beziehung mit Jesus ist die „Wurzel“ aus der, der „neue Mensch“ hervorwächst. An ihr muss gearbeitet werden, damit der „neue Mensch“ immer mehr Gestalt annimmt. Aus der Wurzel leben bedeutet vor allem in Beziehung mit Jesus leben, ihm nachfolgen.
Mit dem „neuen Menschen“ wird der Heilige Geist gegeben. Gott sorgt für sie durch seinen Geist und erneuert sie in ihrem geistlichen Denken. Das nimmt konkrete Formen in dem „neuen Menschen“ an, den sie angezogen haben. Von jetzt an denken sie anders. Vom „neuen Menschen“ in ihnen gehen Impulse aus, die ihr Handeln verändern und erneuern wollen.
Das alles ist Erklärung dafür, dass sie nicht so leben wie die Heiden (V 17-19), da sie aus einer anderen Wurzel leben. Und nun erst recht, da Jesus, die Erfüllung ihrer Messias-Erwartungen zur alles tragenden Wurzel geworden ist. Der Herrschaftswechsel, der Übergang vom „alten Menschen“ zum „neuen Menschen“ setzt die Entscheidung zur Annahme des Angebotes zur Lebens- Lern- und Schicksalsgemeinschaft mit Jesus voraus. Aus der Beziehung mit Jesus bezieht der „neue Mensch“ die konkreten Einstellungen und Handlungen.
Der Text schließt mit der Schöpfung: Der "neue Mensch" ist "nach Gott geschaffen." Das befähigt ihn auch zu gerechtem Handeln und einer echten Heiligkeit: Zur Nächsten- und Gottesliebe.
(3) Es geht im heutigen Abschnitt aus dem Brief an die Epheser um einen entscheidenden Perspektivenwechsel, um das Ablegen der einen Brille und das Aufsetzen einer anderen. Der „alte Mensch“ sieht durch die (alte) Brille, die die Welt ohne Gott sieht und alles Lebende in den Dienst der eigenen Interessen stellt. Das führt im schlimmsten Fall zu Gier und Zügellosigkeit. Der „neue Mensch“ sieht durch die (neue) Brille, die die Welt mit den Augen des Messias Jesus sieht und was im besten Fall zur Gottes- und Nächstenliebe führt.
[1] Ich folge hier nicht der Einheitsübersetzung, sondern N. Baumert, der 17 b nicht als Aufforderung, sondern als Aussage übersetzt: „17 Insofern nun erkläre und bestätige ich im Herrn, dass ihr nicht ebenso lebt, wie in der Tat die Völker leben, nämlich in der Torheit ihres Verstandes.“
[2] Auch die V 22-24 sind nach N. Baumert nicht als Aufforderung, sondern als Aussage zu übersetzen: „20 Ihr aber habt den ‚Messias’ (Christus) nicht so kennengelernt – 21 wenigstens wenn ihr von ihm gehört habt und in ihm unterrichtet worden seid, wie es wirklich ist: 22 dass ihr in Jesus abgelegt habt den der früheren Lebensart entsprechenden alten Menschen, der mit seiner trügerischen Begierlichkeit ins Verderben führt; 23 erneuert jedoch werdet ihr im Geist eures Denkens 24 und angezogen habt ihr den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen worden ist in Gerechtigkeit und einer von der Wahrheit geprägten Heiligkeit."
[3] Vgl. St. Covey, Wege, 53
[4] Vgl. N. Baumert, Völker, 311-313
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17. Sonntag im Jahreskreis Eph 4,1-6
1 Ich, der Gefangene im Herrn, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. 2 Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, 3 und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens!
4 Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung in eurer Berufung; 5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, 6 ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.
(1) Dass sich das Judenchristentum schwer tat, sich für die Heiden (Völker) zu öffnen hat seine Gründe. Jesus wusste sich zunächst auch nur zu den „Verlorenen“ des Hauses Israel gesandt. Nur vereinzelt ließ er sich mit Heiden ein (und war überrascht von ihrem Glauben). Erst nachdem sich die Ablehnung seiner Glaubensbrüder aus dem Gottesvolk verfestigte, änderten sich seine Festlegungen. Nach seiner Auferstehung sendet er seine Jünger mit dem Taufbefehl in alle Welt.
Das Ringen um die Öffnung ist in den Kapiteln der Apostelgeschichte dokumentiert. Die Bekehrung des Kornelius, die Auseinandersetzungen zwischen Petrus und Paulus, wie auch das Apostelkonzil, geben beredtes Zeugnis. Wie es konkret vor Ort aussah lehrt uns nicht zuletzt der Brief des Apostels Paulus an die Epheser. Für Paulus ist die Öffnung des Heilsangebotes für die ganze Menschheit von Anfang an Teil des Planes Gottes.
(2) Nicht die Erwählung des Gottesvolkes Israel steht am Anfang der Bibel, sondern die Schöpfung der Welt. Die erste biblische Gestalt ist nicht Abraham, sondern Adam. Adam meint in den ersten Kapiteln der Genesis aber keineswegs einen Einzelnen, sondern "Menschheit". Die Bibel beginnt also mit der Menschheit. Wegen der Verweigerung gegenüber dem Willen Gottes (Sündenfall) und der Überhebung des Menschen (Stadt- und Turmbau von Babel), entfremdet sich die Menschheit von Gott. Mit Abraham beginnt Gott sein Erlösungswerk mit der ganzen Menschheit. Eine Verheißung bringt Abraham auf den Weg: Einmal ein großes Volk und zum Segen für andere zu werden. Außerdem sollen sich in ihm "Segen zusprechen alle Geschlechter der Erde." "Du sollst ein Segen sein", wird noch einmal gesteigert zu einem Segen, der die ganze Menschheit umfasst. Es geht Gott um alle Völker, um alle Geschlechter der Erde. Der weltumgreifende Horizont ist im Blick.
Für die Erfüllung seines Erlösungswerkes wählt Gott ein Volk (Dtn 7,6-8). "Erwählt zu sein, wird nicht zum Privileg, nicht zur Bevorzugung vor anderen, sondern zur Existenz für die anderen und damit zur schweren Last der Geschichte".[1] Erwählung ist aber immer auch mit einem Auftrag verbunden. Gott will alle Menschen befreien und verwandeln. Dafür braucht er in der Welt einen Anfang, einen Ort und Zeugen. Die Erwählung Israels ist kein Selbstzweck und dient auch nicht der Selbstverwirklichung.
Die Judenchristen (von Ephesus) sind das Gegenüber zu seinem "ich", das er noch hervorhebt durch "der Gefangene im Herrn".[2] Diese Charakterisierung ist in geistlichem Sinne zu verstehen. Es ist ein Ehrentitel und betont seine Autorität den Briefempfängern gegenüber. Paulus trägt ihnen auf, ihre Berufung im Dienste der ganzen Menschheit in großer Demut anzunehmen und auszuüben. Er ermutigt er sie im Umgang mit den Menschen und besonders auch mit denen aus den Völkern, unabhängig davon, ob sie an Christus glauben oder nicht, Milde walten zu lassen. Sie sollen weder schroff noch arrogant sein. Dass ist alles andere als leicht, weil den Juden von der ganzen Welt Feindschaft entgegenschlägt. Er motiviert sie, im Umgang mit den möglichen Adressaten des Evangeliums, den Menschen aus den Völkern, offen und aufgeschlossen zu begegnen.
In der neuen Einheit mit Christus sollen die angeredeten Judenchristen neu das Miteinander mit allen Menschen lernen, indem sie andere Menschen ertragen und auch gelten lassen. Die Einheit des Geistes sollen sie in Liebe mit allen Menschen hegen und pflegen. Die Erfahrung des Friedens des Auferstandenen möge sie zu einem Band machen, das alle Menschen zusammenhält. Die Christusgläubigen aus den Juden sollen ihre einmalige Berufung für die Völker erkennen und alle Menschen, ob christusgläubig oder nicht, als Mit-Glieder in demselben Leib in Milde annehmen.
Das folgende Bekenntnis zum Leib/Geist, Herrn und Gott, dem Vater aller, ist die Voraussetzung für alle weiteren Ermutigungen. Es existiert nur "ein einziger Leib". Er ist von Anfang an vorhanden. Der ein- und derselbe Geist belebt von Anfang an die Glieder dieses Leibes. Alle Völker sind zu ein- und demselben "Trauen(Glauben)" auf Gott in Christus berufen.[3] Dieses "Trauen" ist wechselseitig zu verstehen: Zuerst ist das Trauen Gottes zu uns Menschen in Christus, dem unser Trauen zu Gott in Christus entsprechen soll. Wie im Alten Testament wird dreifach zum Ausdruck gebracht, dass Gott sich um alle Menschen kümmert - also auch um die Völker. Gott steht über allen, ist inmitten aller und in allen.
Das betont Paulus gegenüber christusgläubigen Juden, ohne dabei zu leugnen, dass Gott ihnen, seinem auserwählten Volk in besonderer Weise nahe war und ist und sein wird.
(3) „Als erstes würde ich raten, dass die Christen alle miteinander anfangen müssen, wie Jesus Christus zu leben. Wenn ihr im Geist eures Meisters zu uns kommen wolltet, könnten wir euch nicht widerstehen.“ (M. Gandhi)
[1] N. Lohfink, Kirche, 57
[2] N. Baumert, Völker, 282-287
[3] N. Baumert, Völker, 286: Die sechsmalige Nennung des Zahlwortes "eins" in den drei Versen zielt auf die gegenseitige Bezogenheit von Juden und Völkern im Heilswirken Gottes.
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16. Sonntag im Jahreskreis Eph 2,(11f)13-18
11 Erinnert euch also, dass ihr früher von Geburt Heiden wart und von denen, die äußerlich beschnitten sind, Unbeschnittene genannt wurdet. 12 Zu jener Zeit wart ihr von Christus getrennt, der Gemeinde Israels fremd und von dem Bund der Verheißung ausgeschlossen; ihr hattet keine Hoffnung und lebtet ohne Gott in der Welt.[1]
13 Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, in Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen.14 Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile - Juden und Heiden - und riss die trennende Wand der Feindschaft in seinem Fleisch nieder.[2]
15 Er hob das Gesetz mit seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in sich zu einem neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden[3] 16 und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. 17 Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und Frieden den Nahen.
18 Denn durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.
(1) In Erfüllung seiner Sendung wandte sich der Apostel Paulus zunächst immer an Juden, um ihnen das Evangelium von Jesus, dem lange erwarteten Messias, zu verkünden und erweiterte seine missionarischen Bemühungen auch auf Heiden. Die von ihm gegründeten Gemeinden bestanden bald schon aus Juden- und Heidenchristen. Aber hat Paulus da nicht Grenzen überschritten, die nicht überschritten werden durften? Legte Gott nicht selbst größten Wert auf die Absonderung und Trennung Israels von den anderen Völkern, um billige Anpassung und Abfall zu verhindern? Paulus liefert den Judenchristen Argumente für die radikale Neuorientierung seines Verhaltens und lädt heidnische Sympathisanten des Judentums ein, sich seiner Botschaft anzuschließen.
Paulus zieht einen Strich unter die Vergangenheit und beschreibt eine Wende vom Einst zum Jetzt, vom Totsein zum Lebendigsein, vom Fernsein zum Nahesein. Betroffen von dieser einschneidenden Wende, die Gott in Jesus Christus herbeiführte, sind die Beziehungen der Juden und Heiden zu Gott: „Durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater“ und die Beziehung der Juden und Heiden zueinander.
(2) Zunächst spricht der Völkerapostel die Empfänger seines Briefes, die Judenchristen (in Ephesus) an und erklärt ihnen die Wende in der Beziehung Gottes zu Israel. Gott hat diese durch den Messias Jesus an ihnen vollzogen: „Ihr wart tot infolge eurer Verfehlungen und Sünden... Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht.“ (Eph 2,1.4/5) Paulus betont, dass sie (er und die Judenchristen) aus Gnade und durch „Trauen“ gerettet sind (2,8). Gott hat sie, die wegen ihrer Sünden tot waren, aus Liebe, zusammen mit Christus lebendig gemacht. Dadurch „wollte er den kommenden Zeiten den überfließenden Reichtum seiner Gnade zeigen (2,7).“
Die entscheidende Wende für die Heidenchristen beschreibt Paulus im Bild von fern und nahe: „Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen.“ Er erläutert diese Aussage und redet nun nicht über die Heiden, sondern spricht sie direkt an. Er rechnet damit, dass die Judenchristen in Ephesus einigen Heidenchristen und Interessenten den Brief zur Kenntnis bringen werden.[4] Warum gerieten die Heiden in die Ferne (von Christus getrennt, der Gemeinde Israels fremd, vom Bund der Verheißung ausgeschlossen, ohne Hoffnung und ohne Gott) und mussten in die Nähe geholt werden? Sie gelangten immer mehr ins Abseits, weil sie sich Gott entfremdeten und ihn ablehnten. Durch das Sterben des Messias Jesus holte Gott sie heim, in seine Nähe.
Ihre Entfremdung und Abwendung von Gott hatte für die Heidenvölker weitreichende Konsequenzen. Weil Gott ihre Sünde zuwider war, entstand seine Feindschaft zu den Völkern, die sich auch auf das Verhältnis des Gottesvolkes zu den Völkern negativ auswirkte. Gott hat sich aus allen Völkern, Israel als sein Eigentumsvolk auserwählt, mit dem Auftrag, sich von den Heiden mit ihren Tendenzen zur Selbsterhebung und Gottlosigkeit fernzuhalten. So wurde mittels Geboten und Verboten in der Tora[5], dem Gesetz und den Propheten eine Wand errichtet, die ein Miteinander von Juden und Heiden ausschloss.
Die Wand, die Israel von den Völkern und die Völker von Israel fernhalten sollte, wurde niedergerissen, weil Gott allen Menschen und damit auch den Heiden, in Christus ein neues Friedensangebot machte. Durch den Kreuzestod seines Sohnes hat Gott auch die Trennung zwischen den beiden Teilen der Menschheit (Juden und Heiden)[6] aufgehoben und beide Gruppen miteinander eins gemacht. Der Messias Jesus hat in seinem Fleisch eine Feindschaft beendet, die Gott selbst durch „die Ordnung der Verbote“ errichtet hatte. Die Beseitigung der Wand geschieht aber nicht durch die Außerkraftsetzung der Tora (des Gesetzes), sondern durch die Aufhebung eines bestimmten „Systems von Verboten“.[7]
Jesus hat die Feindschaft in seiner Person getötet. Das weist auf seinen Tod hin. Mit seinem „Kommen“ ist dann wohl an seine Auferstehung gedacht. Die Botschaft der Auferstehung war der Friede von Gott her, der „Friede den Fernen und den Nahen.“ (Jes 57,9) Die ausgegrenzten Heiden wurden zunächst nahe gerückt, sodass sie mit den Juden, die schon nahe waren, verbunden werden konnten. Damit ist ein neues Miteinander grundgelegt. Das war der letzte Schritt der Aufhebung der Trennungs-Vorschriften, der schon von den Propheten angekündigt worden war.[8]
(3) Mit diesen Argumenten hat Paulus - nach der Heimholung der Heiden - ein Fundament für das gemeinsame Haus für Juden- und Heidenchristen gelegt. Damit hat er Klarheit geschaffen für seine Verkündigungstätigkeit, für die Zusammensetzung der Gemeinden und für das Selbstverständnis sowohl der Juden- als auch der Heidenchristen und die Spaltung der Menschheit überwunden. Die neue Gemeinsamkeit von Israel und den Völkern ist darin begründet, dass Christus beiden einen neuen Zugang zu Gott schenkte und die trennende Wand zwischen ihnen niederriss.
[1] 2,12 von dem Bund, wörtlich: von den Bündnissen. - Gemeint sind die Bundesschlüsse Gottes mit Abraham, Mose usw.; vgl. Röm 9,4.
[2] 2,14 Er vereinigte die beiden Teile, wörtlich: Er machte die beiden zu einem.
[3] 2,15f «Die zwei» und «die beiden» bezeichnen die Juden und die Heiden. Die Spaltung der Menschheit in verschiedene Gruppen wurde innerhalb der Kirche aufgehoben.
[4] G. Lohfink, Verharmlosung, 271: Wie ja überhaupt die Zusammensetzung der judenchristlichen Gemeinden in den Anfängen der Erklärung bedarf: „Wer waren denn die Heiden, die Paulus in so großer Zahl für Christus gewonnen hat? Es waren fast ausnahmslos Heiden, die im räumlichen und geistigen Umfeld jüdischer Synagogengemeinden lebten. Sie waren fasziniert vom jüdischen Monotheismus, von der Wohltat des Sabbats und der Armenfürsorge der Synagoge. Man nannte diese Heiden ‚Gottesfürchtige’ (vgl. Apg 16,14; 17,17; 18,7). Diese ‚Gottesfürchtigen’ waren Freunde und Sympathisanten Israels... Sie hatten sich (sofern sie Männer waren) noch nicht beschneiden lassen. Sie hielten die Tora noch nicht in ihrem vollen Umfang... Paulus hat also nicht einfachhin Heiden bekehrt, sondern Heiden aus dem Umfeld der Synagoge – und nur deshalb konnte er so schnell derart viele Gemeinden gründen: Seine Zuhörer waren auf die Botschaft von Jesus Christus bereits vorbereitet.“
[5] Das Gesetz wurde als Umfriedung Israels, als trennender, schützender Zaun verstanden. So wurde es zum Symbol der Absonderung. Es soll das Volk vor der heidnischen Verunreinigung schützen, aber seine effektive Wirkung war Spaltung. Ein Beispiel: „Du hüte dich aber, mit den Bewohnern des Landes, in das du kommst, einen Bund zu schließen; sie könnten dir sonst, wenn sie in deiner Mitte leben, zu einer Falle werden. Du darfst dich nicht vor einem andern Gott niederwerfen. Denn Jahwe trägt den Namen ‚der Eifersüchtige’; ein eifersüchtiger Gott ist er.“ (Ex 34,12.14 u.a.)
[6] In der jüdischen Welt war der Gedanke verbreitet, dass die Welt in die zwei großen Gruppen der Juden und Heiden aufgeteilt ist.
[7] N. Baumert, Völker 237
[8] Jes 11,10 u.a.: „An jenem Tag wird es der Sproß aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig.
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15. Sonntag im Jahreskreis Eph 1,3-14
3 Gepriesen sei Gott, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.[1]
4 Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Grundlegung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor ihm. 5 Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und zu ihm zu gelangen nach seinem gnädigen Willen, 6 zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn.
7 In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. 8 Durch sie hat er uns reich beschenkt mit aller Weisheit und Einsicht, 9 er hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im Voraus bestimmt hat in ihm.[2] 10 Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, das All in Christus als dem Haupt zusammenzufassen, was im Himmel und auf Erden ist in ihm. 11 In ihm sind wir auch als Erben vorherbestimmt nach dem Plan dessen, der alles so bewirkt, wie er es in seinem Willen beschließt; 12 wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben.[3]
13 In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; in ihm habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt. 14 Der Geist ist der erste Anteil unseres Erbes hin zur Erlösung, durch die ihr Gottes Eigentum werdet, zum Lob seiner Herrlichkeit.
(1) Schreibt Paulus mit dem Lobpreis Gottes am Beginn seines Briefes an die Epheser eine neue Heilsgeschichte? Handelt sie von Christusgläubigen sowohl aus dem außerwählten Volk Gottes als auch aus den Heidenvölkern? Es wäre eine Heilsgeschichte der Kirche.
Aber das hat der Apostel Paulus nicht im Sinn. Er sieht sich vor eine andere Aufgabe gestellt. Er will denen, die an Jesus, den Christus glauben und die dem auserwählten Volk Israel angehören, klar machen, dass der Glaube an den gekommenen Messias keinen Bruch mit ihrem Glauben, sondern vielmehr seine Vollendung bedeutet.
Im Hintergrund des außergewöhnlichen Lobpreises steht die ganze Heilsgeschichte Israels von der Berufung Abrahams über die Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten, der Gabe der Tora und des Bundes vom Sinai, der Landgabe, den Messias-Verheißungen der Propheten und deren Ankündigungen der Völkerwallfahrt bis zum Kommen des Messias Jesus, seinem Wirken, seinem Leiden und Sterben am Kreuz und seiner Erhöhung, sowie seinem Auftrag überall auf der Welt das Evangelium zu verkünden.
(2) Am Beginn steht als Überschrift ein Lobpreis Gottes. Es folgen drei Abschnitte, die verschieden lang sind und jeweils um ein bestimmtes Thema kreisen. Jeder Abschnitt wird mit dem refrainartigen Bekenntnis geschlossen, dass Gott für die jeweilige Offenbarung seiner Herrlichkeit Lobpreis gebührt.
Paulus eröffnet die Eulogie mit einem Preis Gottes. Jahwe, der „Ich-bin-da“ (Ex 3,14), der Bundes-Gott Israels ist auch der Gott und Vater Jesu. In ihm ist er neu und vertieft gegenwärtig als fleischgewordenes Wort Gottes, als Immanuel, „Gott ist mit uns“ (Mt 1,23). In der angebotenen und angenommenen Gemeinschaft mit Jesus, der zur Rechten Gottes im Himmel throhnt, erreicht Gottes Segen sein Ziel bei den Menschen.
Zunächst geht es um die Vorherbestimmung und Erwählung des Volkes Israel zur Sohnschaft durch Jesus Christus vor der Grundlegung der Welt (Verse 4-6). Jesus ist der Mittler des Segens. In ihm sind die Israeliten vor und seit Jesu Wandel auf Erden erwählt „heilig und untadelig“ vor Gott zu leben, ein heiliges Volk zu repräsentieren, das der Berufung zu einem Leben wie es dem „Bild und Gleichnis Gottes“ entspricht, folgt. Jesus hat nicht nur Kunde vom gerechten und barmherzigen Gott gebracht, er hat auch den Zugang zum barmherzigen Vater erschlossen. Durch Jesus gelangen wir zum Vater „zum Lob seiner herrlichen Gnade“. Durch unsere Nachfolge Jesu in einer Lebens- Lern- und Schicksalsgemeinschaft mit ihm, gereicht unser Leben zur größeren Ehre Gottes.
Das nächste große Thema (Verse 7-12) ist die zur erfüllten Zeit geschehene Offenbarung in Jesus Christus vor ganz Israel und die Vollendung des göttlichen Planes: die Erlösung durch das vergossene Blut des Christus. Gottes herrliche Gnade ist das Geschenk seines geliebten Sohnes Jesus, in die Krippe (unter den Weihnachtsbaum) gelegt. Mit seinem Blut, dem Blut des Ohnmächtigen und Gewaltlosen, hat er uns mit Gott versöhnt. Er hat nicht nur seinen Mördern ihre Schuld vergeben, sondern hat an ihrer Stelle ihre Schuld mit seinem Tod beglichen. Auch für unsere Sünden hat er sich annageln lassen. Diese Befreiung von belastender Schuld und Sünde macht den Reichtum der Gnade Gottes aus. Gott allein kann aus Falschem Gutes machen und auf krummen Zeilen gerade schreiben. Israel hat durch die Erlösung in Jesus Christus sein verheißenes Erbe (Losanteil) empfangen. Ganz Israel wurde als Erbe eingesetzt, denn es hatte den Messias erwartet, der nun tatsächlich unter ihnen aufgetreten war.[4]
Das alles ist nicht aus verhangenem Himmel in die Welt hereingebrochen. Die Schriften des Alten Testaments, die Tora, die Geschichts-, Propheten- und Weisheitsbücher sind die oft vergessenen Zeugen der Verheißungen vom Kommen des Messias/Christus in der „Fülle der Zeiten“. Ganz Israel war Träger dieser Verheißung, die alle Völker betraf.[5]
Im dritten Abschnitt (Verse 13-14) werden die Empfänger des Briefes – es handelt sich um christusgläubige Juden - direkt angesprochen. Durch den Messias, Jesus von Nazaret, sind auch sie, die Leser und Hörer dieses Briefes, zur Gemeinschaft mit Jesus Berufene und Erben und mit Gottes Segen gesegnete. Sie haben das Evangelium ihrer Rettung angenommen und sind in der Sohnschaft durch den Heiligen Geist besiegelt und bestätigt worden. Der Heilige Geist ist eine Vor-Leistung ihres Erbes[6], das sie befähigt Söhne und Töchter Gottes zu werden in Jesus Christus. Es liegt nun an ihnen zu erkennen, welche Aufgabe Gott ihnen aus dieser Gabe zumutet. Sie haben jedenfalls die Voraussetzung weiterhin „Loslösung zu erwerben“, d. h. sich für den Dienst in der Nachfolge Jesu von allem „freizuhalten“, was sie von Gott und ihrem Dienst wegführen könnte, denn sie sind immer noch auf dem Weg.[7]
(3) Paulus kam es darauf an, die Rolle Israels im Geschehen der Heilsgeschichte zu klären und den neuen Abschnitt in der Offenbarung Gottes in Christus in die Heilsgeschichte Israels einzuordnen. Die Christen, vor allem jene, die aus dem Judentum kommen, sollen in der Christusoffenbarung keinen Bruch sehen, sondern vielmehr die Erfüllung alles dessen, was Gott verheißen hat.
[1] 1,3 Die Gemeinschaft mit Christus (vgl. 1,13f) wurde durch die Taufe begründet.
[2] 1,9f Der Verfasser spricht von einem „Geheimnis“, weil der Heilsplan, der durch Christus verwirklicht wurde, vorher nicht bekannt war; auch jetzt kennen ihn nur die Glaubenden (vgl. die Anmk. zu 3,3-6).
[3] 1,12 Mit denen, die „schon früher auf Christus gehofft haben“, sind wohl die Judenchristen gemeint.
[4] Diejenigen, die Christus nicht erkannt haben, sind nicht abgeschrieben, sondern bleiben Träger der Messias-Verheißung.
[5] Vgl. Gen 12,1-3
[6] Josua bekam den Auftrag: „Verlose das Land als Erbbesitz.“ Diese Redeweise stammt aus der Situation der Landnahme, wird aber bald im übertragenen Sinn gebraucht für das Heil, das Gott seinem Volke schenkt (Jos 13,6f).
[7] N. Baumert, Israels Berufung, 180 übersetzt den Vers 14 so: „Dieser ist eine Vorleistung unseres Erbes, mit dem Ziel einer Loslösung des Erwerbens zu einem Lob seiner Herrlichkeit.“ Vgl. die Auslegung Seite 190
Zum Evangelium: Kurt Udermann, Neuer Wein gehört in neue Schläuche! Mit dem Wort Gottes durchs Leben. Gedanken zu den Sonn- und Feiertagsevangelien im Jahreskreis B. Memoiren-Verlag Bauschke
[1] 12,7 Paulus spricht wohl von einer Krankheit, die sein Wirken beeinträchtigte (vgl. Gal 4,13f). Näheres wissen wir darüber nicht.
[2] J. Ratzinger, Jesus II, 298f: „Paulus hat seine mystischen Erfahrungen, wie zum Beispiel die in 2 Kor 12,1-4 geschilderte Erhebung bis in den dritten Himmel, ganz klar von der Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Damaskus unterschieden, die ein Ereignis in der Geschichte, eine Begegnung mit einem Lebenden war,“
[3] meist ein dünner, kleiner spitzer Pflanzenteil; offenbar handelt es sich um ein chronisches Leiden, das ihn gelegentlich belastet, schmerzt und seinen Elan beeinträchtigt; dies machte ihn scheinbar in den Augen seiner Gegner verachtenswert;
13. Sonntag 2 Kor 8,(1-2)7.(8.) 9.13-15
(1 Wir berichten euch jetzt, Brüder und Schwestern, von der Gnade, die Gott den Gemeinden Mazedoniens erwiesen hat.[1] 2 Während sie durch große Not geprüft wurden, verwandelten sich ihre übergroße Freude und ihre tiefe Armut in den Reichtum ihrer selbstlosen Güte.)
7 Wie ihr aber an allem reich seid, an Glauben, Rede und Erkenntnis, an jedem Eifer und an der Liebe, die wir in euch begründet haben, so sollt ihr euch auch an diesem Liebeswerk mit reichlichen Spenden beteiligen. (8 Ich meine das nicht als strenge Weisung, aber ich gebe euch Gelegenheit, angesichts des Eifers anderer auch eure Liebe als echt zu erweisen.) 9 Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen...
13 Denn es geht nicht darum, dass ihr in Not geratet, indem ihr anderen helft; es geht um einen Ausgleich. 14 Im Augenblick soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft. So soll ein Ausgleich entstehen, 15 wie es in der Schrift heißt: Wer viel gesammelt hatte, hatte nicht zu viel, und wer wenig, hatte nicht zu wenig.[2]
(1) Paulus appelliert brieflich an die Korinther, dass sie sich am „Liebeswerk“ für die Heiligen in Jerusalem beteiligen mögen. Auf dem Apostelkonzil hat er zugesagt für die „Armen“ in Jerusalem eine Spendenaktion in seinen Gemeinden durchzuführen. Die Sammlung sollte Ausdruck der Solidargemeinschaft zwischen den heidenchristlichen Gemeinden und der judenchristlichen Urgemeinde sein. Zuvor hat er im Brief das Konfliktpotential, das seine Beziehung zu den Korinthern belastete, mutig angesprochen. Sein Mitarbeiter Titus hat ihnen einen Brief, den sogenannten „Tränenbrief“ des Paulus überbracht und ihnen den Standpunkt des Apostels erklärt. Die Korinther haben die Gegenspieler des Paulus zur Rede gestellt, das Angebot zur Umkehr angenommen und sich mit ihm „versöhnt“. Paulus will Titus nochmals zu ihnen senden und hofft, dass es ihm gelingt, die Korinther zum Ergreifen der „Gnade des Gebens“ zu motivieren.
(2) Im Lesungstext versucht Paulus nun selbst die Korinther für die Hilfsaktion zu gewinnen und sie möglichst gut darauf einzustellen. Er tut es auf zweifache Weise. Er stellt ihnen das Beispiel der christlichen Gemeinden in Makedonien und Jesus Christus als Vorbild vor Augen. Die Sinnspitze seiner Ausführung bilden Überlegungen für ihr Spenden. Paulus zielt nicht darauf, dass die Korinther möglichst tief in die Tasche greifen, sondern dass die Spendenaktion ihrer inneren Haltung entspricht und zu ihrem geistlichen Wachsen beiträgt.
Damit kein Konkurrenzdenken unter den Gemeinden hinsichtlich des Spendens entsteht und eine Gemeinde die andere übertreffen will, nennt Paulus nicht die Höhe der Spenden, betont aber, dass die ohnehin materiell nicht reich gesegneten Makedonier über seine Erwartungen hinaus reichlich gegeben haben.
Dass die Makedonier in ihrer schwierigen sozialen Lage so großzügig spendeten ist nicht selbstverständlich. Dass sie es dennoch getan haben führt Paulus auf ein „Gnadengeschenk Gottes“ zurück. Da die Gnade Gottes den Menschen immer auch zu einer Antwort ruft, sind in den Augen des Apostels die schenkenden Makedonier die eigentlich Beschenkten. Sie haben großzügig ihre Hände im Trauen auf Gott geöffnet und haben sich damit auch Gott und dem Paulus in die Hände gelegt. So steigen die Geber mit großem geistlichen (Gnaden-) Gewinn aus der Spendenaktion aus. Daher appelliert Paulus an die Korinther, dass auch sie wie die makedonischen Christen ihre Liebe bewähren, indem er auf das Beispiel Jesu hinweist: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“
Jesus ist nicht bloß Mensch geworden, sondern unter den Menschen zu einem der Ärmsten, um uns den Weg zum wahren Reichtum zu zeigen. Jesus kam nicht in einem Palast auf die Welt. Er war armer Leute Kind, hat macht-, besitz- und heimatlos mit Freunden gelebt. Er hat auf Beglaubigungswunder verzichtet und in Ohnmacht für seine Sendung gelebt. Seine Armut bestand darin mit dem Geringsten auf Augenhöhe zu leben. In seiner Armut wird aber zugleich sein Reichtum sichtbar: seine Gemeinschaft mit dem Vater. „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“ (Mt 11,27) Diesen Reichtum, der das Leben in Fülle über den Tod hinaus in sich trägt, hat Jesus allen Menschen verfügbar gemacht.
Arme Menschen werden aber nicht einfach reich gemacht, sondern auf einen Weg des Reichwerdens berufen. „Durch seine Armut reich werden kann man nur, wenn man zunächst Christi ‚Armut’ annimmt, sodann sein eigenes Armsein erkennt, anerkennt und mit Christi Armut vereint – und das heißt, seine Armut in die Hände Gottes legt. Erst dann kann man ‚aufgrund seiner Armut reich werden’.“[3] Paulus wünscht den Korinthern, dass sie durch das Armwerden in Christus reich werden zur Schlichtheit des Gebens.
Die Überlegungen, die Paulus für das Spenden vorlegt, sollen davor bewahren, dass sich der Geber übernimmt. Sie mögen von ihrem Reichtum mit Freude und innerer Überzeugung angemessen geben, aber so, dass sie nicht selbst in Not geraten. Die Jerusalemer erhalten so einen Beitrag und Linderung ihrer Not. Aber sollen die Korinther es tun, um es zurückgezahlt zu bekommen (Do ut des! - Geben, um zu empfangen!)? Ob das im Sinne Jesu wäre?[4] Absichtsloses Geben kann aber dadurch motiviert werden, indem man sich die Möglichkeit vor Augen stellt, selbst einer absichtslosen Hilfe zu bedürfen. Paulus könnte auch meinen, dass die Korinther schon im Voraus von den Jerusalemern mit geistlichen Gaben beschenkt worden sind (z.B.: mit der hl. Schrift des AT) und ihre Spende Ausdruck des Dankes ist.[5]
Mit dem angemessenen Spenden ist nicht gemeint, dass alle auf ein gleiches materielles Niveau gebracht werden sollen. Paulus verdeutlicht dies mit dem Hinweis auf das Mannawunder beim Auszug aus Ägypten (Ex 16,18): Wer für sich und seine Familie sorgte, der sammelte mehr - wer nur für sich, natürlich weniger. Keiner Gleichheit redet er das Wort, sondern der angemessenen Verschiedenheit.
(3) Wir sind also auf den Weg des Reichwerdens berufen. Was motiviert uns ihn zu gehen, da es sich nicht um materiellen Reichtum handelt? Wir müssen uns einiger grundlegender Wahrheiten vergewissern. Wir haben uns das Leben nicht selbst gegeben. Es ist uns geschenkt und wird uns eines Tages wieder genommen. Ich bin der Gestalter meines Lebens. Mein Leben auf ein bestimmtes Ziel hin zu orientieren ist mir aufgegeben. Wenn ich anerkenne, dass Gott mir das Leben anvertraut hat und ich mich ihm gegenüber in meinem Tun und Lassen verantwortlich weiß, dann ist klar: Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, das die Fülle verheißt und zu einer Weggemeinschaft einlädt, die selbst der Tod nicht trennen kann. Wer mit ihm geht und sich von ihm führen lässt, der kann und wird Überraschungen erleben.
[1] 2 Kor 9,1 f; Röm 15,26
[2] Ex 16,18
[3] N. Baumert, Rücken, 148
[4] Lk 14,14: „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“
[5] N. Baumert, Rücken, 154f: Man könnte so übersetzen: „Im Augenblick soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, weil auch ihr Überfluss eurem Mangel abhalf/abhilft.“ Diese Übersetzung ist durchaus möglich.
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12. Sonntag 2 Kor 5,(12f)14-17
(12 Damit wollen wir uns nicht wieder vor euch rühmen, sondern wir geben euch Gelegenheit, rühmend auf uns hinzuweisen, damit ihr denen entgegentreten könnt, die sich nur rühmen, um ihr Gesicht zu wahren, ihr Herz aber nicht zeigen dürfen.[1] 13 Wenn wir nämlich von Sinnen waren, so geschah es für Gott; wenn wir besonnen sind, geschieht es für euch.)
14 Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben.[2] 15 Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde.
16 Also schätzen wir von jetzt an niemand mehr nur nach menschlichen Maßstäben ein; auch wenn wir früher Christus nach menschlichen Maßstäben eingeschätzt haben,
jetzt schätzen wir ihn nicht mehr so ein.[3]
17 Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.
(1) Paulus ringt in seinem Brief an die Korinther um deren Zustimmung zu seiner Art der Verkündigung, die ihnen ärmlich und unattraktiv erscheint. Er hat versucht darzulegen, dass sein „tägliches Sterben“ für die Sache Christi nicht gegen seine Glaubwürdigkeit als Gesandter Gottes spricht. Er hat das „Mit-Sterben-mit-Christus“ bewusst gewählt, weil es ihn mehr mit Christus verbindet.
Er betont, dass er mit allem, was er bisher in seinem Brief an sie geschrieben hat und was er noch schreiben wird, nicht sich selbst hervorheben will (Vers 12). Vielmehr will er ihnen eine Unterscheidungshilfe für den Umgang mit den „Geschäftemachern“[4] an die Hand geben. Er unterstellt diesen, dass sie fromme Worte machen, um die Korinther zu beeindrucken. Nach seinem Ermessen missbrauchen sie das Evangelium zur eigenen Imagepflege und verdrehen es. Sie geben so zu erkennen, dass ihre Worte nicht durch eine persönliche Christusbeziehung gedeckt sind. Der Apostel ist überzeugt: Wer in Christus lebt braucht keine frommen Worte, um dies zu beweisen.
Er traut den Korinthern zu, dass sie ein solches Verhalten bei diesen „gewissen Leuten“, die mit Empfehlungsschreiben kamen und die sich durch ihre Verkündigung bloß selbst empfehlen, entlarven können. Image-Pflege macht sie verdächtig. Sie sollten auch merken, dass er anders ist, nämlich echt, weil in einer persönlichen Christus-Beziehung lebend. Sein Beispiel sollte ihnen die nötige Sicherheit bei der Unterscheidung geben (Vers 12).
Er spricht auch mutig an, was sich trennend zwischen sich und die Korinther gestellt hat. Bei einer Auseinandersetzung ist Paulus leidenschaftlich heftig geworden und offenbar „außer sich“ geraten. Daran nahmen sie Anstoß: Wer so heftig und emotional reagiert, der agiert allzu menschlich und kann daher kein Mann Gottes sein. Soll er immer den Demütigen und Sanften spielen? Ist nicht auch von Jesus überliefert, dass er emotional, mitunter auch zornig werden konnte? Er entschuldigt seinen damaligen Ausbruch nicht, sondern erklärt ihn für berechtigt. Sollte er denn nicht leidenschaftlich reagieren, wenn das Evangelium missbraucht und verdreht wird? Wie Gottes Zorn von Barmherzigkeit umfangen ist (Hosea 8), so spürt Paulus auch in sich zwei gottgewirkte Antriebe: Einerseits die Heftigkeit gegen den Missbrauch und andererseits die Gegensteuerung, die ihn zur Liebe zu den Korinthern bewegt (Vers 13).
(2) Die Liebe Christi „drängt“ Paulus zu einer grundlegenden Glaubenserfahrung: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung; Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ Worin gründet dieses „In-Christus-Sein“, wodurch ein Mensch eine „neue Schöpfung“ wird? Paulus erklärt: „Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde.“
Zwischen den Zeilen kann man schlussfolgern, wenn einer für alle gestorben ist, und somit alle gestorben sind, (damit sie durch seinen Tod das Leben haben), dann sind alle gestorben, (damit auch er, der Eine, Leben hat). Ergebnis ist, dass die (in der Taufe Gestorbenen und Auferweckten – dargestellt durch Untertauchen und Auftauchen im Taufbecken) „Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde.“ „Leben für“ meint nicht eine einmalige schriftliche Stimmabgabe oder ein einmaliges verbales Zeugnis, sondern vielmehr „leben mit“. Es bedeutet ein Mitsein in einer Lebens- Lern- und Schicksalsgemeinschaft mit Jesus Christus. Es ist die Entsprechung zu Jesu Versprechen: „Ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Wer die „Neuschöpfung“, das neue Sein in Jesus Christus annimmt und ergreift, der wird merken, dass es neue Lebensimpulse und Antriebe mit sich bringt, ebenso andere Wünsche. Zu diesen gehört zuerst und vor allem die Liebe. Das hat natürlich Konsequenzen für den Umgang mit den Brüdern und Schwestern im Glauben und mit allen Mitmenschen. Diejenigen, die „eine neue Schöpfung“ sind, sehen ihre Mitmenschen mit den Augen Jesu und beurteilen das Gegenüber nicht mehr nur nach menschlichen Maßstäben.
Paulus hat Jesus verfolgt, weil er ihm auf die falsche (fleischliche) Weise begegnet ist. Durch das Sterben und Auferstehen mit Christus ist es aber überwunden. Er begegnet den Korinthern nicht auf diese voreingenommene, egoistische und lieblose Weise, sondern in der Liebe, die Christus zu ihnen hat. Das Alte, die Begegnung auf fleischliche, egoistische und lieblose Weise, ist vergangen. Das Neue, die Begegnung in der Liebe Christi, ist geworden. Es ist die Liebe Christi, die Paulus als Kraft und Antrieb wahrnimmt. Damit zeigt er den Korinthern, dass in ihm, der mit Christus in Tod und Leben verbunden ist, die Liebe Christi sein muss und dass sie sein Verhalten ihnen gegenüber bestimmt.
(3) Paulus hofft, dass die Korinther (und wir) den Blick nach oben wenden, denn nur so können sie (und wir) die Wahrheit seiner Worte erfassen. Menschsein für andere kann seiner Ansicht nach nur der, der zuerst Mensch ist „für und mit Christus“.
So sind die wahren Verkünder Jesu und seiner Botschaft diejenigen, die „in Christus“ sind, an deren Leben Jesu Schicksal und seine Überwindung des Bösen abzulesen ist. Diese Botschaft des Apostels desavouiert alle seine Widersacher, die sich selbst inszenierend in das Rampenlicht stellen.
[1] Vgl. die Übersetzung von N. Baumert, Rücken, 110: „12 Nicht empfehlen wir euch schon wieder uns selbst, sondern (mit all dem Gesagten) sind (wir) daran, euch einen Ansatzpunkt für ein Auftreten zu geben, und zwar im Interesse von euch, damit ihr etwas habt gegenüber denen, die auf äußerliche Weise ihr Image pflegen und nicht von Herzen her ein echtes Selbstbewusstsein haben.“
[2] Auch bei den Versen 14 und 15 folge ich der Übersetzung von N. Baumert: „14 Die Liebe des Christus nämlich ist es, die uns zusammenhält, uns, die wir zur Überzeugung gekommen sind, dass ein einzelner anstelle von allen gestorben ist, folglich alle insgesamt gestorben sind (auch ich), und er anstelle von allen gestorben ist, damit sie, sofern sie leben (auch ich) nicht mehr aus sich selbst leben, sondern durch den, der statt ihrer gestorben ist und auferweckt wurde.“
[3] 5,16 Wörtlich: Also kennen wir von jetzt an niemand mehr dem Fleisch nach; auch wenn wir früher Christus dem Fleisch nach gekannt haben, jetzt kennen wir ihn nicht mehr so.
[4] Gegnerische Missionare traten auf und versuchten, die Gemeinde gegen ihn aufzuwiegeln. (Einheitsübersetzung, 380)
11. Sonntag 2 Kor 5,6-11
6 Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind; 7 denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. 8 Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein.
9 Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind. 10 Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.
11 So versuchen wir, erfüllt von Ehrfurcht vor dem Herrn, Menschen zu gewinnen; Gott aber kennt uns durch und durch. Ich hoffe, dass auch euer Urteil über mich sich zur vollen Wahrheit durchgerungen hat.
(1) Paulus ist immer noch beschäftigt den Korinthern klar zu machen, dass die Bedrängnisse mit denen er zu leben hat und seine Bereitschaft zum „täglichen Sterben“ weder gegen seine Sendung von Gott, noch gegen die Glaubhaftigkeit seiner Botschaft, noch gegen seine geistliche Lebendigkeit sprechen. Ganz im Gegenteil: Weil er in ihrer Welt und zu dieser Zeit das Evangelium unverkürzt verkündet, hat er mit ständigen Herausforderungen und Bedrängnissen zu leben. Er kann beides annehmen, weil er erfahren hat: Wenn er mit Christus stirbt, wird er mit ihm auch auferweckt.
(2) Der Völkerapostel betont seine Zuversicht. Was bedeutet sie? Sie bedeutet, eine Perspektive für die Zukunft, ein Ziel, ein Konzept für den Weg zum Ziel zu haben. Ein Sprichwort sagt: „Auch wenn der Wind noch so gut ist, aber das Ziel nicht bekannt ist, wird das Schiff nie ankommen.“ Begleiter auf dem Weg unseres Lebens ist der Glaube, das Ziel ist das ewige Leben mit dem dreifaltigen Gott. Unser Leben als Christen wird von zwei Voraussetzungen bestimmt: vom Leben im Leib, daher haben wir ein endliches, begrenztes Leben und vom Leben im Geist mit der Möglichkeit über das Irdische hinauszudenken, das Leben zu transzendieren, mit Gott und seinem Sohn im Heiligen Geist in Verbindung zu treten, in eine Verbindung, die der Tod nicht trennen kann. Als Menschen, die sich mit Christus verbinden können, gehen sie vertrauend ihrem Ziel entgegen und hoffen dort von Jesus Christus in die Arme genommen zu werden.
Das Wissen des Apostels, „dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, so lange wir in diesem Leib zu Hause sind;“ kann seine Zuversicht nicht mindern. Er ist sich bewusst, dass er, solange er in dieser Welt lebt, nur „im Trauen auf Gott“ leben kann. Paulus stellt das „Fern vom Herrn Sein“ und „In der Fremde leben“ und dem „Zu Hause Sein in diesem Leib“ das "Daheim beim Herrn Sein" gegenüber. „Leib“ und „Herr“ sind Gegensätze. Er lebt also gleichzeitig in zwei Welten.
Das „Zu Hause Sein in diesem Leib“ bedeutet aber, dass die Maßstäbe dieser Welt sein Leben bestimmen möchten. Aber genau mit dieser Aussicht kann und will er sich nicht abfinden. Um nicht in die Gefallsucht- und Anpassungsfalle zu tappen „ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein.“ Auch wenn wir nicht in der Gewissheit der Anschauung Gottes leben und geradlinig unseren Weg zum Ziel gehen können, so ist es uns doch möglich, dass wir uns mit dem Herrn vereinigen und uns den rechten Weg und Gottes Willen zeigen lassen. Gebet und Handeln, Aktion und Kontemplation sollten einander ergänzen. Das Ruhen an der Brust des Herrn im vertrauten Gespräch gibt Trost, Kraft und Ermutigung für den Weg zum Ziel.
Paulus klärt also seine Beziehung zu Welt und Christus und erklärt einen bewussten Übergang von Fremdbestimmung durch die Maßstäbe dieser Welt zum Führen lassen von Christus. Nicht der „Leib“ und die „Welt“ sollen sein Leben und das der Christen bestimmen, sondern der Herr Jesus Christus. So lebt Paulus in zwei Wirklichkeiten, in der Welt (Leib) und in Christus, aber Heimat ist ihm Jesus Christus allein. Christen kennen das Fremdsein in dieser Welt.
Der Vorwurf der Weltflucht an die Adresse des Apostels geht ins Leere: Wer ihn „verdächtigt, er würde der Verantwortung für die Welt entfliehen, der hätte ihn gründlich missverstanden, diesen Mann, der mit seinem ganzen Einsatz am entscheidensten Punkt zur Rettung der ‚Welt’ ansetzt, der weiß, dass nur Einer der Retter der Welt ist, und der als Hirte die Verantwortung für jenen Teil der Welt, der ihm anvertraut ist, voll wahrnimmt.“[1]
Der Apostel gründet seine Zuversicht nicht nur auf der Erfahrung des Wachsens an den Problemen, des Geführtwerdens vom Herrn, sondern noch an einer anderen Tatsache: auf seiner Erkenntnis, dass seine Ehre darin besteht, dem „Herrn zu gefallen“[2]. Er nimmt dabei Bezug auf den „Richterstuhl Christi“. Vom Urteil Christi lässt er seine Lebens- und Handlungsprioritäten (Werte) bestimmen. Möglich, dass Paulus von der Vorstellung seines Lebensendes und der Rechenschaft für sein Tun und Lassen, seine Werte ableitete; wahrscheinlich aber auch dadurch, dass er im täglichen Austausch mit dem Herrn seine Handlungs-Optionen besprach. Als Ergebnis kam heraus: „ihm zu gefallen, ob wir Daheim oder in der Fremde sind.“ Paulus sucht also nicht die eigene Ehre - vielmehr erfüllt ihn die Ehrfurcht Christi, die ihn motiviert „Menschen zu gewinnen“.[3] Schließlich gibt Paulus seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich die Korinther in ihrem Urteil über ihn und seine Botschaft „zur vollen Wahrheit durchringen“ werden.
(3) Viele Menschen verwirklichen in ihrem Leben bestimmte Werte, ohne dass ihnen diese auch bewusst wären. Stephen Covey ist überzeugt, dass zu einem guten (Selbst-) Management auch ein Bewusstsein der eigenen Werte gehört. Er schlägt eine Übung vor, um den persönlichen Werten auf die Spur zu kommen: Der Übende solle sich einen wichtigen, runden Geburtstag[4] vorstellen. Menschen mit wichtigem Bezug zu ihm (Gattin, Tochter, Chef, Freund, Vereinsobmann) halten eine Rede, in der sie ihn würdigen. Der Übende soll sich überlegen, was er sich wünscht,[5] dass diese Personen über ihn bei ihrer Laudatio sagen. Vom Ergebnis seines Nachdenkens über seinen „guten Ruf“ kann er seine Werte ablesen und beginnen, sie in seine Planung zu integrieren, damit ihre Verwirklichung nicht dem Zufall überlassen bleibt. Um seine Gegenwart zu planen, hat der Übende das Ende vorweggenommen.
[1] N. Baumert, Rücken, 102
[2] N. Baumert, Rücken 100-109
[3] Apg 9,1-22; 22,5-16; 26,12-18
[4] Der Autor schlägt das Begräbnis des Übenden selbst vor.
[5] Nicht zu verwechseln mit der Übung zur Fähigkeit der Selbswahrnehmung: „Wie glaube ich, dass andere mich wahrnehmen?“
10. Sonntag 2 Kor 4,(12)13-5,1
(12 So erweist an uns der Tod, an euch aber das Leben seine Macht.) 13 Doch haben wir den gleichen Geist des Glaubens, von dem es in der Schrift heißt: Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet. Auch wir glauben, und darum reden wir 14 Denn wir wissen, dass der, welcher Jesus, den Herrn, auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch (vor sein Angesicht) stellen wird. 15 Alles tun wir euretwegen, damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade den Dank vervielfachen, Gott zur Ehre.[1]
16 Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. 17 Denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, 18 uns, die wir nicht auf das Sichtbare starren, sondern nach dem Unsichtbaren ausblicken; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig.
1 Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.[2]
(1) Paulus setzt seine Verteidigung gegen seine Widersacher in Korinth fort. Wer sind diese? Es sind Gläubige aus der Gemeinde, die viele der übrigen Gemeindemitglieder unter ihren Einfluß gebracht haben; Leute, die sich religiös stark fühlen, mit ausgeprägtem Drang zum Imponieren auftreten und sich in den Vordergrund spielen. Sie stellen Paulus in Frage, weil er unermüdlich von Leidens- und Kreuzesnachfolge predigt. Das ist ihrem „positiven Denken“ unzumutbar. Paulus sieht sich also mit Vertretern verschiedener (Eigen-) Interessen und mit Menschen auf unterschiedlichen geistlichen Entwicklungsstufen konfrontiert.
Seinen Gegnern gegenüber hebt Paulus die wahre Kraft Gottes hervor, die sich in seinem „Inneren“ als tragende Kraft in herausfordernden Situationen bewährt. Seine geistliche Lebendigkeit zeigt sich in der Bewährung seines Glaubenslebens, in seinem lebendigen, hoffnungsvollen und engagierten Einsatz mit Blick auf das „Unsichtbare“. Die Erfahrungen von Gnade und der Herrlichkeit Gottes sind die Triebkräfte seines unermüdlichen Dienstes.
(2) Der Apostel geht auf ihre Redeweise ein: Ja, der „Tod“ erweist seine Macht über ihn. Während über sie, die Korinther, das „Leben“, Macht hat. Paulus ist aber überzeugt, dass die Korinther ihr „Leben“, seiner Predigt und seinem „Sterben“ verdanken. Sie sollten ihm auch zutrauen, dass nicht nur sie einen lebendigen Glauben praktizieren, sondern auch er, von dem sie es eigentlich gelernt haben.
Paulus zieht den Psalm 116 als Argumentationshilfe bei („Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet.“). Ein Beter rief in äußerster Bedrängnis zu Gott und wurde erhört. Die Korinther müssten verstehen, dass er sich, genauso wie der Beter des Psalms, vertrauend an Gott wenden darf. Er tut es aus dem Wissen, dass Gott, so wie er Jesus nicht im Tod gelassen hat und auferweckte, auch ihn auferwecken werde. Wenn er mit Jesus stirbt, wird er auch ihn lebendig machen, zusammen mit den Korinthern. Gott werde seinen Apostel, Paulus, öffentlich als lebendig vor seinen Gegnern erweisen, die ihm in ihrer Anmaßung die geistliche Lebendigkeit aus Gott absprechen; umgekehrt aber für sich in Anspruch nehmen.
Seine geistliche Lebendigkeit ist aber nur möglich, weil Gott ihn immer wieder erweckt und lebendig macht, auch durch ihr Zutun. Paulus weiß, dass viele Korinther Gott für seinen Dienst als Apostel danken. Im Dank der Korinther erkennt er auch Gottes gnädige Zuwendung für sich. Deren Dank lässt die Gnade, die seinen Dienst begleitet, mehr und mehr wachsen und nach außen dringen. So wird im Geist das „Leben“ in ihm wahrnehmbar, jene Herrlichkeit Gottes, von der schon lange die Rede war und die ihm einige Korinther absprechen wollten.
Paulus baut auf die Fürbitte der Korinther und vertraut in seinem täglichen „Sterben“ auf Gott, dass das von Gott geschenkte Leben immer reicher wird. Daher zieht er sich nicht resigniert zurück. Er wendet sich weder mürrisch ab, noch weicht er dem täglichen Sterben aus. Offenbar erfährt sein „innerer Mensch“ immer wieder eine Stärkung, wird innerlich neu und ist im Frieden. Darum erfüllt Paulus unverdrossen seine Sendung.
Er formuliert ein großartiges Bekenntnis: "Die Bedrängnis, die ich auszustehen habe, ist zwar übermäßig, aber ist doch immer nur von kurzer Dauer ... im Vergleich zu der Herrlichkeit Gottes, die ich als Frucht meiner Arbeit und Mühe erkenne und die von dauerhafter, unzerstörbarer Qualität ist."[3] Das ist nicht nur sporadisch eine Ausnahme-Erfahrung, sondern es ist grundsätzlich so. Mit Herrlichkeit meint Paulus nicht äußeren Erfolg, sondern das "Unsichtbare", jene Dimension, die man nur im Heiligen Geist wahrnehmen kann und die den "inneren Menschen" verwandelt. Er erfährt sie als eine Fülle von Licht und Kraft.
Paulus will mit seiner Verteidigung die „Herrlichkeit Gottes“ in sich nachweisen (Vers 17). Sie ist als „Frucht des Todes“ (seiner Arbeit und Mühen, Verleumdungen und Demütigungen... - Vers 12), sichtbar geworden. Fassbar und sichtbar freilich nur für jene, deren Augen nicht durch Misstrauen und Selbstgefälligkeit getrübt sind.
Nach dem Abbruch des irdischen Zeltes wird der Mensch das Gebäude („Wohnung von Gott“, „ewiges Haus“ - eine Entsprechung des inneren Menschen, der reicher wird an wiederholtem Sterben und Leben), das er schon lange hatte, aber für irdische Augen unsichtbar war, nun mit neuen Augen sehen. Dieses Gebäude ist eine Metapher für die ewige Wirklichkeit, die er jetzt immer mehr erwirbt und die bereits in ihm lebt und wächst.
(3) Der Völkerapostel hat die besondere Gabe, seine konkreten Lebenssituationen von seinem Christusglauben her zu deuten und zu leben. Wie Jesus selbst, ist auch Paulus überzeugt, dass das „Leben“ nur durch den Tod hindurch zu haben ist. [4] Das Auferstehungsleben aber beginnt schon hier und jetzt und nicht erst im Jenseits.
[1] Bei den Versen 14 und 15 folge ich der Übersetzung von N. Baumert, Rücken, 85: „im Wissen darum, dass er, der den Herrn Jesus erweckt hat, auch uns mit Jesus erwecken und so öffentlich lebendig erweisen muss zusammen mit euch. (kursiv von mir) 15 Das Ganze geschieht ja nicht ohne euer Zutun, so dass die Gnade (in uns) nachdem sie durch (euch) Viele die Danksagung vervielfacht hat, überreich zur Gottesherrlichkeit wird.“
[2] 5,1-10 Paulus vergleicht den Leib mit einem Zelt, einer Wohnung, einem Haus oder einem Kleid;
[3] N. Baumert, Rücken, 89
[4] Mk 8,34f: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“
Dreifaltigkeitssonntag Röm 8,(12f)14-17
(12 Wir sind also nicht dem Fleisch verpflichtet, Brüder, sodass wir nach dem Fleisch[1] leben müssten. 13 Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die sündigen Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben.)
14 Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen,
sind Kinder[2] Gottes. 15 Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen,
sodass ihr immer noch Furcht haben müsstet,
sondern ihr habt den Geist der Kindschaft[3] empfangen,
in dem wir rufen: Abba, Vater!
16 Der Geist selber bezeugt unserem Geist,
dass wir Kinder Gottes sind. 17 Sind wir aber Kinder, dann auch Erben;
Erben Gottes
und Miterben Christi,
wenn wir mit ihm leiden,
um mit ihm auch verherrlicht zu werden.
(1) Der Gott der Israeliten und Jesu Vater ist kein selbstgefälliger, unbewegter Beweger, den die Not der Menschen nicht berührt. Er ist ganz und gar Mitteilung, sich verströmendes Leben, lautere gegenseitige Hingabe, Geben und Empfangen. Da wir durch den Geist der Sohnschaft Kinder Gottes sind, Brüder und Schwestern Jesu, Erben Gottes und Miterben Jesu, sind wir hineingenommen in das Geheimnis des dreifaltigen Gottes.
(2) Paulus hat im bisherigen Verlauf seines Briefes an die Römer unmissverständlich den Zusammenhang zwischen Sünde und Tod aufgezeigt: Sünde hat den Tod zur Folge. Konsequenterweise fordert er die Römer nun auf, der Sünde zu widerstehen. Er ist überzeugt, dass sie als Getaufte und gerecht Gemachte, den Geist empfangen haben und dadurch befähigt sind die Sünde zu entlarven und sich dagegen zu entscheiden. Sollten sie aber den Impulsen des Fleisches gehorchen und nach dem Fleisch leben, dann würden sie wieder zurückfallen in den Bereich der Fremdbestimmung und Selbstentfremdung und das neue Leben im Geiste verlieren.
(3) Um Leben oder Tod hier und jetzt, geht es dem Völkerapostel in diesem Textabschnitt. Es geht nicht um den physischen Tod am Ende unseres Lebens, auch nicht um den Tod unseres Leibes. Es geht um das "Töten" dessen (Vers 13), was unsere innere Quelle, die uns mit Gott verbindet, austrocknet und verkümmern lässt. Tod meint "jene tödliche Dimension im Menschen, die in der Gottferne besteht, während 'Leben' das Geschenk Gottes im Geist ist: die Nähe zu Gott, die als Kindschaft beschrieben wird.“[4]
Paulus versucht mit einer weiteren Frage, die Römer zum Widerstand gegen Sünde und Tod zu motivieren. Er ermutigt sie, sich zu erinnern, welche Art des Geistes sie erfuhren, als sie Jesus Christus angenommen und seinen Geist empfangen haben. War es der Geist der Knechte oder der Geist der Freien? Fühlten sie etwa Furcht und Angst, weil sie empfanden, dass sie seinen Ansprüchen nie und nimmer gewachsen sein würden, weil sie seine Gesetze und Gebote niemals erfüllen könnten, weil ihnen der Mut und die Kraft zur Kreuzesnachfolge fehlten? Der Geist, der "euch zu Knechten macht" ist nicht irgendein böser Geist, sondern eine Etappe auf dem Heilsweg Gottes, die Israel seit seinen Anfängen wohlbekannt ist.
Der Gott Israels ist kein Gott, den die Not seines Volkes nicht berührt. Er sah die Sklavenhaltergesellschaft Ägyptens und hörte das Schreien der Israeliten. Jahwe befreite sie aus der Sklaverei und führte sie ins gelobte Land. Damit sie in der befreienden Liebe Gottes bleiben konnten, gab er ihnen die Tora. Die Gesetzesbeobachtung aber entwickelte eine Eigendynamik. Die Liebe zu Gott und zueinander trat in den Hintergrund und die fromme Leistung der Gesetzesbefolgung in den Vordergrund, ebenso die Angst, die Gesetze nicht auf Punkt und Strich zu erfüllen. Das führte in „Knechtschaft“.
Oder haben sie - die Christen in Rom - vielleicht doch nicht den Geist, der sie zu Knechten macht, empfangen, sondern den Geist, der sie zu Söhnen macht? Haben sie den Geist erfahren, der ihnen Beziehung schenkt, Befreiung aus unterschiedlichsten Abhängigkeiten und Zwängen; einen Geist, in dem ihnen die Größe und Würde ihres Daseins aufgrund ihrer Berufung bewusst werden ließ, sodass sie sich wie Söhne Gottes fühlen? „Paulus lässt uns wissen, dass die Christen aufgrund der ihnen von Jesus geschenkten Beteiligung an seinem Sohnesgeist ermächtigt sind zu sagen: ‚Abba, Vater’ (Röm 8,15; Gal 4,6). Dabei ist klar, dass dieses neue Beten der Christen eben nur von Jesus her möglich ist, von ihm her – dem Einzigen.“[5]
Der Geist, den sie durch Jesus Christus empfingen, ist ein Geist der Sohnschaft. Das Zutrauen zu Gott in ihrem Herzen ist der Ausweis, dass sie von einem neuen Geist berührt und geführt werden. Wenn sie freilich gestehen, dass es eher jener Geist ist, der sie zu Knechten macht, der in ihnen wirkt, dann sind sie "noch nicht durchgestoßen zu jenem Trauen, aufgrund dessen uns Gott gerecht macht und neues Leben gibt!"[6]
Die Lesung endet mit dem Hinweis darauf wie sich „unser“ Erbe erfüllt: Unsere Kindschaft als Erben und Miterben erfüllt sich dann, wenn wir mit Jesus Christus „leiden,
um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“
(4) Jesu gemeinsames Leben mit seinen Jüngern bestand in einer Lebens-, Lern- und Schicksalsgemeinschaft. In diesem Miteinander wurde der Geist der Sohnschaft (!) sichtbar, den Jesus in die Welt brachte. Es bedeutete die Überwindung von Egoismus und Selbstgefälligkeit und führte zu einem Denken vom anderen her, sowie zum Mut sich die Zugehörigkeit zu Jesus „etwas kosten zu lassen.
Dreifaltigkeitssonntag - Evangelium
Mt 28,16-20
In jener Zeit 16 gingen die elf Jünger nach Galiläa
auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. 17 Und als sie Jesus sahen,
fielen sie vor ihm nieder,
einige aber hatten Zweifel.
18 Da trat Jesus auf sie zu
und sagte zu ihnen:
Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde.19 Darum geht
und macht alle Völker zu meinen Jüngern;
tauft sie
auf den Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes 20 und lehrt sie,
alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.
Und siehe,
ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.
(1) Es war zunächst ein Engel, dann Jesus selbst, der den Frauen mitteilte, dass sie den Jüngern ausrichten sollen, dass er ihnen nach Galiläa vorausgehen werde (Mt 28,6f.10). Das Wiedersehen soll also in Galiläa stattfinden. Dort, wo Jesus mit seiner öffentlichen Verkündigung begann, im „Galiläa der Heiden“. Dort will er seinen Jüngern als Auferstandener begegnen, was auf die Fortführung seines Werkes zielt. Die elf Jünger folgten dem Auftrag Jesu zum Wiedersehen kommentarlos. Vermutlich konnten sie sich ein Leben außerhalb ihrer Apostelgemeinschaft gar nicht mehr vorstellen und empfanden Jesus immer noch als ihren Meister.
(2) Jedenfalls stiegen sie auf den Berg in Galiläa, den Jesus ihnen angegeben hatte, der aber ungenannt bleibt. Hier geschieht nun das Unerwartete, aber doch irgendwie Ersehnte und Erhoffte. Die Erschütterung durch die Gegenwart des Gekreuzigt-Auferstandenen zwingt sie in die Knie. Doch einige von ihnen trauen ihren Augen nicht und zweifeln.
Das aber konnte Jesus nicht abhalten auf sie zuzugehen und zu ihnen zu sprechen. Als Auferstandener und zur Rechten Gottes Erhöhter ist er der Kyrios der Welt. Am „Berg des Auferstandenen“ erklärt der Herr nun – im Gegensatz zur Ablehnung der angebotenen Weltherrschaft durch den Teufel am „Berg der Versuchung“ (Mt 4,8f): „Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde.“ Als solcher, der zu seinen Lebzeiten den Willen Gottes erfüllte und die Ohnmacht wählte, der gekreuzigt und von Gott auferweckt wurde, sendet er die Elf, dass sie sein Werk auf Erden weiterführen und vollenden.
Jesus, der selbst während seines irdischen Lebens in der Vollmacht Gottes die Menschen lehrte und heilte (Mt 7,23), hat seine Jünger schon einmal ausgesandt und ihnen dafür Anweisungen gegeben, die ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Nur sind sie ab jetzt nicht mehr allein zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt, sondern zu allen Völkern. Alle Menschen sollen sie zu seinen Jüngern machen.
Die „Völkerwallfahrt“ nach Jerusalem erfährt so eine gewisse Umorientierung. Die Völker der Welt pilgern nicht mehr nach Jerusalem, weil sie sich von der Art und Weise wie die Juden die Tora verwirklichen und in Frieden leben, angezogen fühlen. Diese Verheißung hat sich für den Evangelisten Matthäus durch die drei Weisen, die einem Stern nach Betlehem gefolgt sind und das Jesus-Kind in der Krippe anbeteten, verdichtet. Nun kommen die Heiden zu Jesus Christus.
Die Jünger sollen nun nicht mehr nur „Menschenfischer“ in Israel sein und warten bis die Menschen aus den Völkern nach Jerusalem kommen, sondern vielmehr zu den Völkern gehen, um die Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Unerlässlich ist die Taufe. Durch Jesus werden sie hineingenommen in das Leben des dreifaltigen Gottes. Das kommt einem Herrschaftswechsel gleich. Der Getaufte lebt nicht mehr nach dem, was ihn in den Augen der Menschen groß macht, sondern er räumt Gott Herrschaft über sich ein und tut das, was Gott gefällt. Er begibt sich auf einen Weg, auf dem er wie Petrus lernen muss, nicht das zu wollen, was die Menschen wollen, sondern, was Gott will. Das ist freilich alles andere als leicht. Aber auch dafür hat Jesus vorgesorgt: „Lehrt sie,
alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.
“
Was diese Lehre, die es zu befolgen gilt, beinhalten soll, ist bei Matthäus ziemlich klar: vor allem die Verwirklichung der Bergpredigt, angefangen von den Seligpreisungen bis zur Feindesliebe. „Mit ihr ist zwar kein Staat zu machen“, aber sie ist den Gemeinschaften, die sich in der Nachfolge Jesu sehen, als „Magna Carta“ aufgegeben. Die Jüngergemeinde soll sie in ihrem Miteinander praktizieren, um alternative Möglichkeiten des Miteinanders sichtbar zu machen. Jüngerwerdung der Völker bedeutet also, dass die Völker mit Jüngergemeinden durchsetzt werden, um so Salz der Erde zu sein. Die Urkirche hatte Gemeinden, die viele Menschen faszinierten. Auf solche Gemeinden käme es auch heute wieder an.
Wenn die „Zwölf“ der Sendung Jesu treu bleiben wird er mit ihnen sein „alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Der Auferstandene wird seine Macht einsetzen, um den Seinen gegenwärtig zu sein, denn Jesus ist der „Immanuel, der ‚Gott mit uns.’“
(3) Ist dieser Auftrag der Missionierung, alle Menschen zu Jüngern Jesu zu machen, von irgend jemand außer Kraft gesetzt worden? Es scheint so! Ich habe den Eindruck, dass die Kirche an sich selbst resigniert. Denn, wenn sie nach dem Wort Jesu leben und handeln würde, wenn sie Salz der Erde und Licht der Welt wäre, dann fiele die Gefahr des Zwanges und der Manipulation weg und die Menschen würden tatsächlich die Kirche als Kontrastgesellschaft attraktiv finden und Jünger Jesu werden wollen. Auf das gelebte Beispiel kommt es an. Aber davon sind wir bedauerlicherweise weit entfernt.
Vielleicht sind es auch nicht mehr die „großen Kirchen“, die den Spuren Jesu folgen, sondern die sogenannten Sekten und kleinen, christlichen Gemeinschaften, die durch ihr Miteinander und Ernstnehmen der hl. Schrift Jesus glaubwürdiger verkünden als die Großkirchen.
[1] Das Leben „nach dem Geist“ ist hier einem Leben „nach dem Fleisch“ gegenübergestellt; „Fleisch“ bezeichnet in biblischer Überlieferung das Irdische und Vergängliche, das, worauf man sich nicht verlassen darf, wenn man nicht der Sünde verfallen will. Deshalb kann das Wort „Fleisch“ auch den Menschen bezeichnen, der von der Sünde beherrscht wird.
[2] Im Originaltext steht eindeutig „Söhne Gottes“. Ein Text, der zwischen Kind und Sohn wechselt, sollte man nicht einebnen.
[3] Im Originaltext steht „Sohnschaft“; im Gegensatz dazu steht der „Geist, wie ihn der Sklave hat – nicht der Sohn des Hauses“ (W. Bauer, Wörterbuch 1663);
[4] N. Baumert, Christus, 148
[5] J. Ratzinger, Jesus, 395
[6] N. Baumert, Christus, 149
Pfingstsonntag Gal 5,16-24
16 Darum sage ich: Lasst euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen.
17 Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so dass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt.
18 Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.19 Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar:[1] Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, 20 Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, 21 Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und ähnliches mehr. Ich wiederhole, was ich euch schon früher gesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben.
22 Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht.
24 Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt.
25 Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen.
(1) Paulus hat in Galatien christliche Gemeinden gegründet. Als er sich in Ephesus befindet, wird er mit der Tatsache konfrontiert, dass Irrlehrer, Verwirrer und Evangeliumsverdreher in den Gemeinden Galatiens Unruhen verursachen. Diese Irrlehrer verbreiten, dass Christen der Tora folgen sollen und dass die Beschneidung für das Heil unabdingbar sei.
Mit dem Brief will Paulus die Galater mit guten Gründen überzeugen, dass die Forderungen der Evangeliumsverdreher die Botschaft Jesu falsch interpretieren. Im Text der heutigen Lesung gibt Paulus den Galatern Unterscheidungshilfen an die Hand, mit denen er sie befähigen möchte, dass sie selbst das in die Irre führende und geistlose Wirken der Irrlehrer erkennen. Er geht davon aus, dass sichtbarem Verhalten bestimmte Einstellungen zugrunde liegen und bestimmte Impulse das Verhalten auslösen. Die Impulse kommen aus zwei unterschiedlichen „Ecken“: dem „Begehren des Fleisches“ und dem „Begehren des Geistes“. Nach Paulus wird menschliches Handeln ausgelöst und ermöglicht durch Anlagen und Handlungsimpulsen, denen dann die Entscheidung des freien Willens folgt, der dies jeweils in die Tat umsetzt oder auch nicht.[2] Fleischliches Begehren steht bei Paulus für alles, was aus einem egoistischen und selbstgefälligen Denken resultiert. Das Begehren des Geistes steht für das, was aus der Einstellung zum Lieben und Dienen hervorgeht.
(2) Paulus ermutigt die Galater, sich vom Geist leiten zu lassen und keinesfalls vom Begehren des Fleisches.[3] Er ist überzeugt, dass im Inneren des Menschen kein Machtkampf entgegengesetzter Kräfte tobt und der Mensch deswegen oft anders handelt, als er eigentlich will.[4] Der Geist ist selbstverständlich stärker. Der Mensch muss ihm Raum geben und ihm in seinem Handeln folgen. Paulus mahnt die Galater von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen.
Wenn der Völkerapostel den Galatern den Lasterkatalog vorlegt, dann will er damit nicht behaupten, dass ihre Gemeinden derart in amoralisches Fahrwasser geraten sind. Er hofft trotzdem, dass sie bei der Nennung von „Spaltungen und Parteiungen“ ihre eigene Gemeindesituation wiedererkennen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wer jedenfalls den Impulsen zu solchen, oder ähnlichen Handlungen, wie sie im Lasterkatalog aufgereiht sind folgt, der kann die Gottesherrschaft nicht erben.
Während die fleischliche Begehrlichkeit zu hektischem Aktivismus führt, wächst das Handeln im Geist organisch wie eine Frucht aus dem Samen hervor. Aber auch hier muss der freie Wille des Menschen tätig werden.
Paulus stellt den Tugendkatalog anders als sonst zusammen. Seine auswählende Hand zeigt sich darin, dass Freude, Freundlichkeit, Selbstbeherrschung und pistis (Glaube) nur in diesem Tugend-Katalog vorkommen.[5] Es geht vor allem um die menschliche Seite des Trauens (pistis), um ein Zutrauen als Vertrauenshaltung nicht nur anderen Menschen, sondern primär Gott gegenüber. Wer also im Geist lebt, der braucht nicht zu fürchten, dass das Gesetz, die Tora, ihn verurteilt, vielmehr bestätigt und lobt es solche Verhaltensweisen. Für Paulus ist das Gesetz keineswegs abgeschafft, sondern weiterhing gültig, um Sünde aufzudecken und Gutes zu fördern.
Christen müssen dem „Begehren des Fleisches“ immer wieder neu eine Absage erteilen und damit aller Selbstgefälligkeit. Sie vermögen es im Heiligen Geist und im Trauen dessen, der sie geliebt und für sie hingegeben hat. Die Überwindung der Antriebe, die zur Sünde und Abhängigkeit führen, bezeichnet Paulus als Kreuzigung. Für Irrlehrer gilt also: Soweit sie sündigen Leidenschaften und Begehrlichkeiten (Egoismus, Selbstgefälligkeit) folgen, gehören sie nicht zu Jesus Christus.
(3) Es gibt zwei literarische Zeugnisse, in denen im einen Fall ein Impuls aus dem „Begehren des Fleisches“ und im anderen Fall einer aus dem „Begehren des Geistes“ durch die freie Entscheidung des Menschen in einem Wunsch zum Ausdruck kommt: Als König Midas von den Göttern einen Wunsch frei bekommt, bittet er darum, dass alles, was er berühre zu Gold werden solle. Bald schon erkennt er, dass er sich Verderben gewünscht hat. Das Wasser, das Brot, der Wein, alles wurde zu Gold, als er es berührte.
Anders wählt König Salomo. Als er einen Wunsch von Gott frei bekommt, wählt er ein hörendes Herz, damit er Gottes Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. Weil Salomo diese Bitte aussprach und nicht um langes Leben, Reichtum oder den Tod seiner Feinde bat, sondern um Einsicht gebeten hat, um auf das Recht zu hören, hat Gott seine Bitte erhört.
Paulus legt uns ans Herz: Tut etwas nicht schon deshalb, weil es euch gefällt, sondern nur wenn es vom Geist kommt.
[1] 5,19-21.22-26 Paulus bringt hier einen sog. „Laster-“ und einen „Tugendkatalog“, vgl. z. B. Röm 1,29-31; 1 Kor 6,9f.
[2] N. Baumert, Trauen, 141
[3] Ich folge der Übersetzung von N. Baumert, Trauen, 140
[4] Auch die Einheitsübersetzung legt den Gedanken nahe, dass der Mensch guten wie bösen Kräften ausgeliefert sei.
[5] Die Einheitsübersetzung übersetzt pistis (Glaube) hier mit Treue, N. Baumert, dem ich folge, mit Trauen.
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7. Sonntag in der Osterzeit 1 Joh 4,11-16
11 Liebe Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.12 Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet.
13 Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt: Er hat uns von seinem Geist gegeben.
14 Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.
15 Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott. 16 Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.
(1) Die heutige Lesung ermutigt uns zu zweifachem Handeln: zunächst einmal, dass wir einander lieben und dann, dass wir bekennen, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Beides sollte dankbare Antwort auf Gottes vorausgegangene Liebe sein. Vom besonderen Geschenk der Liebe Gottes hat die Lesung vom vergangenen Sonntag gehandelt.
(2) Warum ist dem Verfasser des Ersten Johannesbriefes das Bekenntnis zu Jesus, als dem Sohn Gottes, so wichtig? Es wird vermutet, dass die Judenchristen der kleinasiatischen christlichen Gemeinden Probleme mit der Überbetonung der Göttlichkeit Jesu hatten. Es könnte sich um ein Problem handeln, das jenem ähnlich ist, das im Johannes-Evangelium zum Murren und schließlich zur Spaltung unter den Jüngern führte als Jesus sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“[1] Den Anspruch, welchen Jesus hier erhebt, konnten viele nicht mehr folgen und trennten sich von ihm. Johannes fordert nun die Adressaten seines Briefes und uns auf, Jesus Christus als Sohn Gottes zu bekennen. Wer das tut, in dem bleibt Gott, das heißt, er bleibt in Verbundenheit mit ihm, durch die allein er Frucht bringen kann. Damit erweist sich Johannes hier als Verteidiger der Göttlichkeit Jesu.
Niemand kann Gott mit seinen leiblichen Augen sehen, aber Gott kann mitten in der Welt erfahren werden, nämlich dann, „wenn wir einander lieben.“ Gott hat in seiner großen Liebe, seinen Sohn für uns dahin gegeben, um uns zu retten. „Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.“ Die Forderung der Liebe als Aufgabe aus der zuvor empfangenen Gabe der Liebe, erinnert uns an die Fußwaschung im Johannesevangelium. Wie Knechte ihrem Herrn oder deren Gästen, wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße. Er stellt das Herr-Knecht-Verhältnis auf den Kopf. Petrus ahnt die Konsequenzen der Fußwaschung für sich und die Jünger und verweigert sie. Weil er aber Anteil am Herrn haben möchte, willigt er schließlich ein. Und so lautet Jesu Auftrag an seine Jünger: „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“[2] Es ist dieses neue, liebende Miteinander der „Familie Gottes“, das Jesus in die Welt gebracht hat. Daher muss konsequenterweise die Maxime christlichen Handelns so lauten: „Wie Gott durch Jesus uns, so wir untereinander!“
Die heutige Lesung betont, dass sich Gottes Liebe in unserem liebenden Miteinander vollendet! Das ist somit die denkwürdige Ansage dieser Lesung: Gottes Liebe, die in Jesu Verkündigung und in seinem sühnenden Leiden und Sterben für uns seinen Anfang nahm, vollendet sich in unserer gegenseitigen Liebe. Dafür braucht Gott die Kirche als den Ort, an dem Menschen einander in Liebe begegnen, oder wie Paulus fordert: „Einer schätze den anderen höher ein als sich selbst!“. Es braucht die Kirche als die Gemeinschaft, über die Menschen staunend sagen: „Seht, wie sie einander lieben!“ Hier gelten offensichtlich andere Maßstäbe als sonst in der Welt. Das gibt uns wirklich Hoffnung. Aber müssen wir nicht Christen angesichts der Tatsache, dass Gottes Liebe sich in unserem liebenden Miteinander vollenden sollte ehrlicherweise bekennen, dass wir noch in christlicher Steinzeit leben?
Der Lesungstext mündet in die Spitzenaussage der gesamten biblischen Botschaft: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“ Hier wird Liebe nicht vergöttlicht, sondern die Göttlichkeit Gottes als Liebe bestimmt. Sie besteht in der rettenden Zuwendung Gottes zu den Menschen in seinem Sohn Jesus Christus. Er hat sein Leben hingegeben, damit wir das Leben haben. Das „Bleiben-in“ verweist uns an das Gleichnis vom Fruchtbringen.[3] Nur in Verbindung mit dem Weinstock kann die Rebe Frucht bringen. Nur in Verbundenheit mit Jesus Christus und mit Gott kann unser Leben als Christen fruchtbar werden.
(3) Am Ende der Bildrede vom „Fruchtbringen“, legte Jesus seinen Jüngern nochmals die Liebe ans Herz: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, ... Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“[4]
[1] Joh 6,56-58
[2] Joh 13,14f.34f
[3] Joh 15,1-17
[4] Joh 15,9f.12f
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Christi-Himmelfahrt Eph 1,17–23
17 Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn,
der Vater der Herrlichkeit,
gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt.
18 Er erleuchte die Augen eures Herzens,
damit ihr versteht,
zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid,
welchen Reichtum
die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt
19 und wie überragend groß
seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist
durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.
20 Er ließ sie wirksam werden in Christus,
den er von den Toten auferweckt
und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat,
21 hoch über jegliche Hoheit und Gewalt,
Macht und Herrschaft
und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Weltzeit,
sondern auch in der künftigen genannt wird.
22 Alles hat er ihm zu Füßen gelegt
und ihn, der als Haupt alles überragt,
über die Kirche gesetzt.
23 Sie ist sein Leib,
die Fülle dessen, der das All in allem erfüllt.
(1) Der Verfasser des Briefes an die Epheser unternimmt den Versuch die Adressaten zu einer Glaubensvertiefung zu motivieren. Er tut dies nicht, indem er warnt oder mahnt oder gar mit der Hölle droht, sondern er versucht es vielmehr durch Hinweise darauf, was durch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Glauben und durch die Öffnung für Neues zu gewinnen ist. Er präsentiert den Weg, den er einzuschlagen vorschlägt, in Form von Fürbitten und Bekenntnissen.
(2) Offenbar wendet sich der Autor an Hörer bzw. Leser jüdischer Herkunft. Und er beginnt mit niemandem Geringeren als mit Gott selbst. Er wendet sich mit seinen Bitten an Gott und Inhalt der Bitte ist ein vertieftes Verständnis des Handelns Gottes an Israel. Dieser Gott an den er sich wendet ist der Gott Israels, der auch der Gott ihres gemeinsamen Herrn, Jesus Christus, ist. Es ist Gott Jahwe, der Israel aus allen Völkern zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat, der Gott der Väter Abraham, Isaak und Jakob. Er hat das Schreien seines Volkes in der Sklaverei Ägyptens gehört und in die Freiheit geführt und ihnen das gelobte Land als Erbteil zugewiesen und durch Propheten und Könige geführt, aus dem Exil wieder heimgeführt und aufs Neue durch Jesus Christus an Israel gehandelt. Diesem Gott, der in der Geschichte an Israel und durch Israel an der ganzen Welt wirkt, sollen sich die Judenchristen öffnen und ihn in diesem vielleicht unerwartet Neuen erkennen. Darum bittet Paulus um den Geist der Weisheit und der Offenbarung für seine Hörer in den Gemeinden, damit sie ihren Ort in der Heilsgeschichte tiefer erkennen. Es geht um ein tieferes Verstehen, denn Gott hatten sie schon erkannt (Eph 1,11-13). Der Autor weiß nur zu gut, dass die Erkenntnis Gottes nicht erworben, sondern geschenkt wird. Die Erkenntnis ist eine Erfahrung des Glaubens und der Liebe. Sie ist der erkennende Glaube und die erschließende Liebe (H. Schlier).
Die nächste Bitte wird konkreter. Der Fürbitter betet darum, dass Gott den Angesprochenen die Augen des Herzens öffnen möge. Paulus hilft uns diesen Gebetswunsch zu verstehen: „Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.“ In dem Maße nämlich, wie das Herz im Glauben angesprochen und in der Liebe bewegt wird, ist der Christ ein Sehender.
Was sollen sie mit den Augen des Herzens sehend verstehen? Sie sollen verstehen zu welcher Hoffnung sie berufen sind. Die Juden haben bereits vor dem Auftreten Jesu im Messias, der ihnen verheißen worden war und auf den sie warteten, auf Gottes Handeln gehofft. Paulus bittet Gott, dass sein Offenbarungsgeist die Adressaten tiefer verstehen lehre, dass nämlich Jesus diese Hoffnung ist. Der Erhöhte ist zwar unseren leiblichen Augen verborgen, doch vermögen die Augen des Herzens durch der Geist der Weisheit erkennen, dass sich die Berufung Israels in Jesus verwirklicht. Die Briefempfänger mögen erkennen, dass die Verheißung des Messias in Jesus Christus besteht, auf den alle in Israel gehofft hatten.
Aber Jesus Christus erfüllt nicht nur die Messias-Erwartung Israels, sondern er ist auch das den Heiligen[1] verheißene Erbe. Erbbesitz und Erbe sind Begriffe aus der Frühzeit Israels und stehen für die Sehnsucht der aus Ägypten geflüchteten Ex-Sklaven nach einem Stück Land, das sie ihr Eigen nennen dürfen. Gott schenkt jetzt seinen Sohn als Erbzuteilung. Der Reichtum an Herrlichkeit ist in ihnen[2]. Für viele muss am Anfang eine überwältigende Erfahrung gestanden haben[3] worin sie Gottes Ruf und das seinem Volk verheißene Erbe erkannt haben. Diese Menschen waren beim Hören der Botschaft Juden, die als solche in der Person Jesu Christi die Erfüllung der ihnen von Gott gegebenen Verheißungen erkannten. Paulus wünscht hier jüdischen Christusgläubigen, dass sie Christus, der „in ihnen“ lebt (Gal 2,20) immer tiefer begegnen mögen.
Er wünscht ihnen aber auch, dass sie wahrnehmen, wie Gott seine Macht an ihnen den Glaubenden (Trauenden) erweist. Jetzt spricht Paulus zu seinen Adressaten über ihre neue Stellung als christusgläubige Juden. Er schließt sich bewusst mit ein. Aus der Gesamtzahl Israels hebt er nun die Gruppe heraus, die Gottes Wirken an Israel in noch höherem Maße erfahren hat. Dieses große Geschenk mögen sie, die mit Glauben auf das Evangelium geantwortet haben, immer tiefer verstehen. Dazu hilft, wenn sie das Wirken der Macht Gottes an Christus betrachten. Zur Deutung der eigenen Erfahrung verweist Paulus auf das Wirken Gottes in Jesus Christus, welches die Grundlage ihrer neuen Lebensqualität ist.[4] Wie Gott an Jesus gehandelt hat wird er auch an ihnen handeln. Damit wird endgültig sichtbar wie Gott an ihnen handelt: „Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr gerettet. Er hat uns mit Christus Jesus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben“ (Eph 2,24).
(3) Paulus sagt aber nicht nur, wie Gott seine Macht an Jesus erwiesen hat und wie er sie an denen erweist, die glauben. Er zeigt ihnen und uns auch den Ort, wo all das erfahren und erlebt werden kann.
Gott hat seine Macht an Jesus erwiesen, den er auferweckt „und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat,
hoch über jegliche Hoheit und Gewalt...“. Die Erhöhung Christi hat aber nicht die Trennung von der Gemeinde zur Folge, sondern in seiner neuen Existenzweise ist er als Haupt der Kirche ganz nahe gekommen. Der Autor ist an einer genaueren Bestimmung der Mächte und Gewalten nicht interessiert. Allerdings betont er: Es gibt überhaupt keine Macht mehr über die der erhöhte Christus nicht als Herr gesetzt wäre.
Die Dämonie des Bösen liegt zwar „über der Gesellschaft und setzt sich in ihr als Verschleierung, Lüge, Unfreiheit, Rivalität und Gewalt immer wieder durch. Demgegenüber gibt es in der Welt eine andere Macht, die mächtiger ist als diese scheinbar unüberwindbaren Mächte und Gewalten. Es ist die Macht des Gekreuzigten. Ihr Ort ist die Kirche. Die Menschen in der Kirche sind nicht anders, aber es gibt in ihr von Christus her den Raum der Versöhnung und des Friedens, das ist kein Verdienst der Kirche, sondern reine Gnade, die Fülle Christi.“[5]
[1] „Die Heiligen“ ist die übliche Anrede für die Christen und meint mehr als bloße Mitgliedschaft
[2] wie in Kol 1,27
[3] Apg 2,37-39; 5,14
[4] Vgl. N. Baumert, Berufung, 201-206
[5] G. Lohfink, Kirche, 349
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6. Sonntag in der Osterzeit 1 Joh 4,7-10
7 Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. 8 Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe.
9 Darin offenbarte sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. 10 Darin besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.
(1) Die Lesung beginnt mit einer ungewohnten und selten verwendeten Anrede: „Geliebte“. Diese Anrede entspricht dem Anliegen des Verfassers. Er drückt darin aus, dass er sich in einer nicht selbstverständlichen Beziehung an seine Hörer bzw. Leser wendet. Als von Gott Geliebter spricht er zu den ebenfalls von Gott geliebten Brüdern und Schwestern in den Gemeinden. Er und sie sind Teil einer Beziehung, in der sich Gott ihnen in Liebe geschenkt hat.
Darum verwundert seine Aufforderung nicht: „wir wollen einander lieben;“ Sie ist uns bekannt von der Forderung der Gottes- und Nächstenliebe.[1] Doch die folgende Formulierung überrascht: „jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott.“ Wen betrifft das? Jeden der gut und hilfsbereit ist? Jeden der liebt, um geliebt zu werden? Jeden, der sich in Liebe zum Partner verzehrt? Nein, nicht jedwede Zuwendung aufgrund unterschiedlichster Motive zu einem anderen Menschen ist gemeint. Es geht um die Zuwendung zum Bruder und zur Schwester, zu Menschen, die durch eine Neugeburt aus Gott neue Menschen geworden sind, die eine neue Existenzweise angenommen haben, die einem Herrschaftswechsel zugestimmt haben, die Gott Herrschaft über sich eingeräumt haben. Ihre Liebe stammt aus Gott und sie erkennen Gott. Denn „erkennen“ in der Bibel hat immer mit "erkennen in Beziehung" zu tun und ist niemals nur Gedankenarbeit. Ihre Liebe zueinander ist prioritär, aber nicht ausschließend. Sie ist Zeugnis für die Liebe Gottes zu allen Menschen.
(2) Der Spitzensatz nicht nur dieses Abschnittes, nicht nur des Briefes, sondern des Evangeliums überhaupt, ist der Satz: „Gott ist Liebe.“ Schon im Alten Testament wurden Aussagen über Gott getätigt: über Gottes Gerechtigkeit und seine Weisheit; Gottes Treue zu seinem Volk wurde betont; von der Macht Gottes wurde ebenso gesprochen wie von seinem Zorn. Hier handelt es sich um Eigenschaften Gottes, die in seinem Wirken unter den Menschen zum Vorschein kommen.
Sie zeigen aber nicht sein Wesen, aus dem diese Eigenschaften hervorgehen. Gottes Wesen ist Liebe. Das erwählte Volk Israel weiß schon etwas von dieser Liebe (Dtn 7,7f[2]) Die Propheten Jeremia und Hosea wissen, dass diese Liebe aufgrund der Treulosigkeit Israels leidet und in Zorn geraten kann. Dennoch verstieg sich keiner der Propheten zur Aussage: „Gott ist Liebe.“
Der Verfasser liefert auch die Begründung dafür, dass Gott Liebe ist. Die Sendung Jesu aus Nazaret, sein Leben, seine Verkündigung, seine Praxis, sein Leben in einer Lern- und Schicksalsgemeinschaft mit seinen Jüngern und Jüngerinnen, sein Leiden, Sterben und seine Auferstehung sind der Grund. Das geschah, „damit wir durch ihn leben“.
Auch wir heute leben durch ihn. Erst wenn wir zum eigenen Lieben befreit sind, gewinnen wir im Lieben das wahre Leben. Lieben und Leben gehören also zusammen. Das Geschenk der erlösenden, befreienden Liebe Gottes ist auch eine Verpflichtung, eine Aufgabe. Das was in Jesus lebendig war, seine Liebe, lebt durch uns weiter. Er, das gesprochene Wort der Liebe Gottes soll durch uns weitergesagt und vor allem nachgeahmt werden, damit wir und andere durch ihn leben.
Aber das Leben „durch ihn“ wird ermöglicht durch Jesu Sühnetod für unsere Sünden, wodurch er uns mit Gott versöhnt hat. Seit Adam will der Mensch sein wie Gott, lebt im Aufruhr und Fremdbestimmung, Eigennutz und Eigensinn, zerstört sich und seine Umwelt. Gott tut das völlig Unerwartete: Er liebt uns trotz unserer Verweigerungen, Undankbarkeit und Lieblosigkeiten. Jesus nimmt all unsere Schuld auf sich und mit in den Tod. Gottes Liebe stirbt, „damit wir durch ihn leben“.
Nur wer die Liebe Gottes am Kreuz des Sohnes schaut, der kann die wahre Liebe Gottes „erkennen“. Die Liebe Gottes empfangen wir von Jesus aus seiner durchbohrten und blutenden Hand. Sie schenkt unserer Seele Frieden und entlastet uns von unserer Angst, verursacht durch unsere Verweigerungen gegen Gott. Auch wenn die Botschaft vom Sühneleiden Jesu schwer verständlich ist können wir sie im Glauben ergreifen.
(3) Die „Herzmitte des Ganzen ist Gottes Liebe, die sich in Seinem Sohn Jesus Christus offenbart hat und uns Menschen zur Liebe erweckt... ’Wenn du lieben lernen willst, dann schau an, wie sehr du von Gott geliebt bist!’“[3]
[1] Mt 22,37ff: 37 Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. 38 Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
[2] Dtn 7,7f: 7 Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch der Herr ins Herz geschlossen und ausgewählt; ihr seid das kleinste unter allen Völkern. 8 Weil der Herr euch liebt und weil er auf den Schwur achtet, den er euren Vätern geleistet hat, deshalb hat der Herr euch mit starker Hand herausgeführt und euch aus dem Sklavenhaus freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
[3] A. Lefrank, Umwandlung, 530
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5. Sonntag in der Osterzeit 1 Joh 3,18-21
18 Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. 19 Und daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind. Und wir werden vor ihm unser Herz überzeugen, 20 dass, wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist als unser Herz und alles weiß.
21 Geliebte, wenn das Herz uns aber nicht verurteilt, haben wir gegenüber Gott Zuversicht; 22 und alles, was wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und tun, was ihm gefällt.
23 Und das ist sein Gebot:
Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben gemäß dem Gebot, das er uns gegeben hat.
24 Wer seine Gebote hält, bleibt in Gott und Gott in ihm. Und daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat.
(1) Johannes hat in diesem Kapitel bereits betont: „Jeder, der von Gott stammt, tut keine Sünde, weil Gottes Same in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, weil er von Gott stammt... Jeder, der die Gerechtigkeit nicht tut und seinen Bruder nicht liebt, ist nicht aus Gott“ (1 Joh 3,9f). Für Christen ist also entscheidend, dass sie mit Gott verbunden leben.
Mit nüchternem Blick auf die christlichen Gemeinden stellt der Autor fest, dass die Gnosis auch unter den Christen ihre Spuren hinterlassen hat. Das Schönreden hat Hochkonjunktur. Die Kluft zwischen Wort und konkreter Umsetzung des Wortes in Taten, die Diskrepanz zwischen Verkündigung und Leben scheint unüberwindbar. Johannes sieht sich genötigt den Finger auf diese Wunde zu legen: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Und daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind.“ Mit dem Hinweis, dass die Zugehörigkeit zu Gott untrennbar mit der konkreten geschwisterlichen Liebe in Wort und Tat zusammenhängt, hebt er das Gewicht dieses Mangels im Leben der Gemeinde hervor. Es handelt sich um ein Vergehen, das schon der Prophet Jesaja im Namen Jahwes Israel vorgeworfen hat: Dieses Volk ehrt mich nur mit den Lippen, aber sein Herz ist weit weg von mir. Jesus hat den verachteten Samariter den Juden als Beispiel vor Augen gestellt. Im Unterschied zu den Kultdienern ist er am Geschundenen nicht vorbeigegangen. Er hat sich seiner Wunden und Schmerzen angenommen. Johannes ist überzeugt, dass viele schöne Worte über die Liebe niemandem nützen, wenn das konkrete Leben von Egoismus und Eigennutz bestimmt wird. Nur wer in Wort und Tat liebt, der ist aus der Wahrheit, d.h. er handelt aus der Verbundenheit mit Gott. In ihm wird das neue Leben aus Gott fruchtbar.
Johannes möchte mit seiner eingängigen Formulierung eine persönliche und gemeindliche Gewissenserforschung anstoßen und zeigt Richtung und Ziel: Versöhnung mit Gott in Jesus Christus und vertieftes Leben in Verbundenheit mit Gott. Die Versöhnung mit Gott setzt große Ehrlichkeit voraus. Wer sich mutig öffnet und sich der Herausforderung des verurteilenden Herzens stellt, seinen Stolz, seinen Neid, seine Eifersucht, seine Angst zu kurz zu kommen, seine Bequemlichkeit, seine Überheblichkeit und Lieblosigkeiten, seine Feigheit und seinen Verrat annimmt, der kann sich wie Petrus an Jesus wenden: „Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe.“ Wir dürfen uns Gottes Gnade in Jesus Christus anvertrauen, denn ihre Größe zeigt sich darin, dass Gottes Sohn für unsere Sünden starb. Wenn dieser schmerzlich-heilsame Prozess der Selbsterkenntnis und Selbstannahme und Übergabe der Schuld (Mist) durchlaufen ist, dann ist unser Herz versöhnt und verurteilt uns nicht mehr. Das versöhnte Leben mit Gott in Jesus Christus für die Brüder und Schwestern geht weiter. Gott geht mit uns und wirkt durch uns, „weil wir seine Gebote halten und tun, was ihm gefällt.“
Johannes schenkt nun dem „Hauptgebot“ alle Aufmerksamkeit. Es ist das Ziel seiner Intervention. Dessen Beachtung ist die beste Gewähr, dass Fehlentwicklungen im persönlichen Glauben und in der Gemeinde vermieden werden: „Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben gemäß dem Gebot, das er uns gegeben hat.“ Der „Name“ ist in der Bibel nichts Äußerliches. Er enthält das ganze Wesen und Werk dessen, der diesen Namen trägt. Josua, Jeschua, Jesus war ein häufiger Name, wurde durch Jesus Christus zu einer wesenhaften Bezeichnung. Der Engel Gottes offenbarte Josef im Traum, dass Maria einen Sohn gebären wird; „ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ (Mt 1,21) Darauf kommt es also an, dass wir an Jesus, den Sohn Gottes, den Erlöser und verheißenen Messias (Christus) glauben. Die Liebe, die Gott uns in seinem Erlöser geschenkt hat, drängt uns die besondere Ausprägung der Liebe Gottes in Jesus weiterzugeben: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,34)
Die erfahrbare Konsequenz aus diesem neuen Sein als Getaufte: Ich lebe in Gott/Christus und Gott/Christus in mir. Der Heilige Geist lässt mich das erkennen, wenn ich gottgefällige Dinge tue, die „auf meinem Mist“ gewachsen sind.
(3) Angesichts dieses Textes schlage ich vor, dass Pastoraltheologen und/oder Religions-soziologen den realen Zustand unserer Kirche und Pfarrgemeinden vor dem Hintergrund der Fragen, die diese Lesung stellt, erheben. Wie steht es z.B. um die Brüderlichkeit/ Geschwisterlichkeit der Gläubigen in den Gemeinden, der Priester miteinander, der Laienmitarbeiter untereinander und der Bischöfe? Welchen Stellenwert hat die Berufung in der Kirche? Welche Bedeutung hat der Taufschein bei mangelhafter Taufvorbereitung Unmündiger? Glauben Christen der Esoterik oder Jesus Christus?
4. Sonntag in der Osterzeit 1 Joh 3,1-2(3)
1 Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es. Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.
2 Liebe Brüder, jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
3 Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist.[1]
(1) Der 1. Johannesbrief wurde wahrscheinlich in der Zeit zwischen 90 und 100 n. Chr. geschrieben. Anlass für die Abfassung war der Kampf der kleinasiatischen Gemeinden gegen die aufkommenden, attraktiven frühgnostischen Geistesströmungen. Der Gefahr der spirituellen Verflüchtigung der wesentlichen Heilstatsachen musste begegnet werden. Der Apostel Johannes, der von Ephesus aus in der kleinasiatischen Christenheit wirkte, erinnert an die ursprünglichen Weisungen Jesu und holt den Glauben aus den geistigen Höhen zurück auf die Ebene des irdischen Heilshandelns Jesu.
(2) Liebe ist nicht einfach machbar und kann auch nicht eingefordert werden. Sie ist die Antwort auf eine erfahrene „Anrede“ in unterschiedlichen Formen. Manchmal ist es ein Lächeln, das einlädt, in eine Beziehung einzutreten, in der sich gegenseitige Liebe entfalten kann. Auch in der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen waltet dieses Gesetz. So betete Johannes vom Kreuz: „Mein Herr und mein Gott! Wer dich mit reiner und schlichter Liebe sucht, warum sollte er dich nicht finden, ganz wie er es wünscht und ersehnt? Bist du es doch, der sich als Erster auf den Weg macht, um denen zu begegnen, die dich finden wollen“ (Weisungen 2).[2]
Gott ist es also, der den Anfang machte, in der Beziehung damals (und mit uns heute), als er uns den Erlöser sandte: „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es.“ Die große Liebe des Vaters besteht im Geschenk seines Sohnes, Jesus Christus. Jesus, in Betlehem geboren und in Nazareth aufgewachsen, hat als Wanderprediger das Reich Gottes verkündet. Er hat Apostel und Jünger als Mitarbeiter berufen und mit ihnen das neue Miteinander in der neuen Familie Gottes gelebt. Zu dieser Familie gehört, wer den Willen Gottes sucht und ihn tut. Er selbst ist dem Willen des Vaters und seiner Sendung treu geblieben, bis zur Hingabe seines Lebens. Sein Tod bedeutet Leben für die Welt - unsere Rettung. Denen, die ihm folgten versprach er Anteil an seiner Herrlichkeit beim Vater, wie er sie schon zu Lebzeiten gelehrt hatte - Gott als Vater anzusprechen. Als seine Brüder und Schwestern sind sie auch Kinder seines Vaters.
Die Größe seiner Liebe zu ihnen bringt er beim Abendmahl zum Ausdruck: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Schon am Anfang seines Evangeliums hat Johannes auf das große Geschenk hingewiesen für diejenigen, die Jesus in ihr Leben aufnehmen: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die ... aus Gott geboren sind. (Joh 1,12f)“[3]
Johannes (wie auch Paulus) weiß, dass der Gabe der großen Liebe Gottes, die Übernahme einer Aufgabe entspricht: Wie Jesus ihnen die Füße gewaschen hat, so sollen auch sie einander die Füße waschen und einander lieben wie er sie geliebt hat. Im vorliegenden Brief mahnt er zum Tun der Gerechtigkeit und ruft zur „Bruderliebe“ auf. Jedenfalls muss der konkreten Liebe Jesu, ihre gegenseitige, konkrete Liebe entsprechen.
Kann unsere Gotteskindschaft konkret erkannt werden oder ist es nur Schönrederei? Johannes führt einen merkwürdigen Beweis. Wir erkennen es an der ablehnenden Haltung der „Welt“. Dass wir aus Gott geboren und vom Geist Gottes bestimmt werden, merkt die „Welt“ und fühlt sich bedroht. Sie ist nicht bereit, sich dem Neuen zu öffnen, sondern verschließt sich und lehnt es ab. Wer sich Gott verschließt, dem werden die Handlungen der „Gotteskinder“ zum Anstoß.[4]
(3) Wir sind aber nicht nur Kinder Gottes. Über uns waltet noch ein anderes Geheimnis. Wir werden zwar nie perfekt sein, dennoch wartet auf uns eine große Zukunft, die jetzt noch nicht einmal offenbar ist: „Wir werden ihm ähnlich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir werden in den verwandelt, den wir schauen dürfen.[5] Ansatzweise dürfen wir die verwandelnde Kraft des Herrn schon erfahren, wenn wir die heilige Schrift betrachtend auf den Herrn schauen und bitten: „Herr schenke mir ein Herz nach deinem Herzen und einen Geist nach deinem Geiste.“ Darin besteht unsere Heiligung.
[1] 3,3 Er: gemeint ist Christus, das große Beispiel der Heiligung.
[2] Zitiert nach R. Nürnberg, Ergriffen 18
[3] Auch der Apostel Paulus betont das unfassbare Geschenk der Gotteskindschaft: „Ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. (Röm 8,15ff)“
[4] Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
[5] Paulus formuliert es so: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. (1 Kor 13,12)“
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3. Sonntag in der Osterzeit 1 Joh 2,1-5a
1 Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt.
Wenn aber einer sündigt,
haben wir einen Beistand beim Vater:
Jesus Christus, den Gerechten.
2 Er ist die Sühne für unsere Sünden,aber nicht nur für unsere Sünden,
sondern auch für die der ganzen Welt.
3 Und daran erkennen wir, dass wir ihn erkannt haben: wenn wir seine Gebote halten. 4 Wer sagt: Ich habe ihn erkannt!, aber seine Gebote nicht hält, ist ein Lügner und in dem ist die Wahrheit nicht. 5a Wer sich aber an sein Wort hält, in dem ist die Gottesliebe wahrhaft vollendet.
(1) Der Film „Mission“ erzählt von den Jesuitenreduktionen in Paraguay und hält mit elektrisierenden Szenen in Atem.[1] Rodrigo Mendoza, dargestellt von Robert De Niro, betätigte sich als Sklavenjäger und ermordete seinen Bruder. Als Pater Gabriel in die Missionsstation zurückkommt wird er mit Rodrigo konfrontiert. Dieser steht immerhin zu seiner Schuld, hat aber jeden Lebensmut verloren. Der Jesuitenpater versichert ihm: „Auch für dich gibt es Erlösung.“ Diesen Ermutigungsversuch des Paters weist Rodrigo zurück. Für ihn, den Mörder, Sklavenhändler und Söldner gäbe es keine Erlösung. Gabriel versucht Licht in seine Finsternis zu bringen: „Du hast den Weg des Verbrechens gewählt. Wähle jetzt den Weg der Buße.“ Schließlich sagt Rodrigo im Aufflackern eines letzten Lebensfunkens: „Bist du bereit mich scheitern zu sehen?“ Rodrigo schleppt den Sack, der seine einstigen Statussymbole, Rüstung, Degen und anderes enthält mühsam hinter sich her. Der Sack symbolisiert seine Schuld. John, ein anderer Jesuit, hat große Mühe Rodrigos selbst auferlegte Sühne mit anzusehen. Er schneidet das Seil, an dem er den Sack mitschleppt durch. Aber dieser Versuch, Rodrigos Sühne abzukürzen hilft ihm nicht wirklich. Rodrigo holt die Last nochmals aus der Tiefe. Erst als ein Indianer, statt Rodrigo in den verdienten Tod zu stoßen, das Seil durchschneidet und den belastenden Sack in die Tiefe befördert, kann dieser befreit weinen und lachen zugleich vor Glück. Jetzt, da er auch von den Indianern Vergebung erlangt hat, kann er sich selbst auch vergeben. Schließlich bittet er um Aufnahme in den Jesuitenorden.
(2) „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ Diesem Auftrag folgt auch der Verfasser dieses Briefes. Es handelt sich nicht um Bauernfängerei. Er weiß, dass er etwas Kostbares anzubieten hat, nämlich die Befreiung von Schuld und Sünde und die daraus resultierende Jüngerschaft. Was er anzubieten hat ist also sowohl eine Gabe als auch eine Aufgabe. Dennoch muss er Irrtümer und Missverständnisse ausschließen. Eine Quelle für Verdrehungen war damals die Bewegung der Gnosis. Christen wurden verunsichert, denn die Gnostiker behaupteten, dass sie, die Christen bloß Glauben haben, während sie selbst Wissen hätten. Diese Behauptung entlarvt Johannes als grobe Fehleinschätzung und Lüge.
Wenn der Lesungstext mit der Mahnung beginnt, nicht zu sündigen, so grüßt hier nicht der moralische Zeigefinger, sondern ist vielmehr der Sorge geschuldet, durch Leichtsinn der Beziehung mit Jesus verlustig zu gehen. Denn die Gewähr dafür, dass Jesu Erlösungswerk, sein stellvertretendes Leiden und Sterben für uns, fruchtbar wird, besteht darin, dass wir das Geschenk der Erlösung annehmen und in dieser geschenkten Freiheit leben. Genau das hat auch das Volk Israel erfahren. Nach der Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten, diesem großen Geschenk der Zuwendung Gottes zu seinem Volk, bekam Israel auf dem Berg Sinai das Gesetz, die Tora, nicht um das Volk unter ein Joch zu pressen, sondern damit es in gerechtem Miteinander leben kann.
Johannes ist Realist genug, um zu wissen, dass damit die Sünde (Eigennutz, Eigenwille und Eigensinn) nicht endgültig aus dem Leben gebannt sind. Das, was wir Gott in unserem Leben vorenthalten, ist immer in Gefahr sich eigenmächtig zu verselbständigen. Wenn der Rückfall in die Sünde eintritt, dann rät er, nicht zu resignieren und aufzugeben, sondern sie anzunehmen und sie bei Jesus abzuladen. Er, der ein für alle Mal für unsere Schuld gestorben ist, ist jederzeit bereit uns zu entlasten. Er hat die nötige Autorität. Er ist der Gerechte, unser Beistand, Anwalt und Fürsprecher. Indem er uns unsere Schuld abgenommen und auf sich geladen hat, hat er uns gerecht gemacht, hat er uns mit Gott versöhnt. Er hat uns würdig gemacht erhobenen Hauptes unter die Augen Gottes zu treten. Wenn nun jemand Bedenken hat und sich fragt: Warum gerade ich, ich verdiene dies doch gar nicht?, darf er unbesorgt sein. Allen Menschen ist dieses große Geschenk zugesagt. Allen Menschen soll und darf dieses Angebot zur Versöhnung vorgelegt werden. Damit wird der kleinen Schar der Nachfolger Jesu ungeheure Weite geschenkt.
Sind die „Wissenden“ nun die besseren Christen? Sie erleben großen Zulauf und sind sehr attraktiv. Johannes polemisiert nicht, sondern präsentiert ein klares Kriterium: Wer Gott/Jesus Christus wirklich erkannt hat, der beschränkt sich nicht auf sein Wissen, sondern überzeugt durch das Halten und Bewahren der Gebote. In dieselbe Richtung weist das Wort: „So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.“ (Jak 2,17). Ignatius von Loyola sagte später: Den Glauben verkündet man mehr durch Taten als durch Worte. Johannes bezieht sich auf die Erfahrung, dass der, der in Beziehung mit Jesus lebt, in Jesu Gestalt verwandelt wird und mehr und mehr Jesu Geistes Kind wird. Er weiß sich reich beschenkt und es drängt ihn die erfahrene Liebe weiter zu schenken. Die Lebens- und Lerngemeinschaft mit Jesus mündet in eine Schicksalsgemeinschaft, in die Übernahme seines Lebensstils. Wer sich im Wort der Heiligen Schrift der Beziehung mit Jesus betrachtend anvertraut und sich von ihm verwandeln lässt und durch sein Leben konkret bezeugt was in seinem Inneren lebendig ist, in dem vollendet sich wahrhaft die Liebe Gottes.
(3) Rodrigo, der ehemalige Sklavenjäger wollte als Jesuit neu anfangen, wusste er doch, „Jesuit sein heißt als Sünder dennoch geliebt sein.“ Ihm war bewusst geworden: Selbst erlösen kann ich mich nicht, dazu brauche ich Gott, dazu brauche ich andere. Auch er war bereit für seine Freunde, die Guarini-Indianer zu sterben. Er griff zu den Waffen, um sie zu beschützen und starb im Kugelhagel. Gabriel, sein Oberer, griff zur Monstranz, um den Kindern, Frauen und Alten in den Tod vorauszugehen.
[1] Mission ist ein Film aus dem Jahr 1986, der von Roland Joffé gedreht wurde. Das Buch folgt dem Theaterstück „Das heilige Experiment“ des österreichischen Dramatikers Fritz Hochwälder.
Zum Evangelium: Kurt Udermann, Neuer Wein gehört in neue Schläuche! Mit dem Wort Gottes durchs Leben. Gedanken zu den Sonn- und Feiertagsevangelien im Jahreskreis B. Memoiren-Verlag Bauschke
Weißer Sonntag 1 Joh 5,1-6
1 Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, stammt von Gott, und jeder, der den Vater liebt, liebt auch den, der von ihm stammt. 2 Wir erkennen, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote erfüllen.
3 Denn die Liebe zu Gott besteht darin, dass wir seine Gebote halten. Seine Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was von Gott stammt, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube. 5 Wer sonst besiegt die Welt, außer dem, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?
6 Dieser ist es, der durch Wasser und Blut gekommen ist: Jesus Christus. Er ist nicht nur im Wasser gekommen, sondern im Wasser und im Blut. Und der Geist ist es, der Zeugnis ablegt; denn der Geist ist die Wahrheit. (7 Drei sind es, die Zeugnis ablegen: 8 der Geist, das Wasser und das Blut; und diese drei sind eins. 9 Wenn wir von Menschen ein Zeugnis annehmen, so ist das Zeugnis Gottes gewichtiger; denn das ist das Zeugnis Gottes: Er hat Zeugnis abgelegt für seinen Sohn.)
(1) Viele Menschen sehnen sich nach Freiheit, nach äußerer, aber auch nach innerer, geistiger Freiheit. Die 2. Lesung aus dem 1. Johannesbrief weist den Weg zum Gewinn der wahren Freiheit. Die Leitlinie auf dem Weg zu diesem Ziel ist der Glaube an Jesus, den Messias (Christus) und Sohn Gottes. Er bezieht die Liebe zum Bruder und zur Schwester in der Gemeinde, die sich an Geboten (!) orientiert. Dieser Glaube führt schließlich zum Sieg über die Welt.
(2) Zunächst lohnt der Blick auf den Kontext des Johannes-Briefes. Es fällt auf, dass der Verfasser in drei Sätzen das „Geborensein aus Gott“ betont. Jeder, der die Gerechtigkeit tut, ist aus Gott geboren, ebenso jeder, der Gott liebt und auch der, der glaubt, dass Jesus der Christus ist. Durch die Formulierung "jeder" haben alle drei Sätze absolute Gültigkeit. Jeder Christ muss die Gerechtigkeit tun, Gott lieben und Jesus als Christus glauben. Nur in diesem Dreiklang besteht Harmonie. Wird der eine oder andere Satz absolut gesetzt, verführt er leicht zu Fehlhaltungen.
Der Glaube, von dem hier die Rede ist, meint nicht die Zustimmung zu einem Glaubenssatz, sondern die innere Überzeugung, die einen Menschen berührt, in Beschlag nimmt und Beziehung sucht. Gemeint ist der Glaube, dass der Mann aus Nazareth, Jesus, der Christus ist. Dass er der von den Propheten verheißene und von unzähligen Generationen erwartete Messias ist, der im verrufenen Palästina geboren, gelitten, gestorben und auferstanden ist. Das zu glauben ist alles andere als selbstverständlich. Wer glauben kann, dass Jesus der Christus ist, "der ist aus Gott geboren." Dieser Glaube ist ein Geschenk Gottes. Er trägt Gottes Wesen, seine Liebe, in sich. Diese drängt ihn zur geschwisterlichen Liebe. Er staunt und freut sich nicht nur über sein eigenes Geborensein aus Gott, sondern auch über das seiner Brüder und Schwestern. Er ist wie sie, Kind des einen Vaters.
"Wir erkennen, dass wir unsere Brüder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten." Die Liebe zu den Brüdern und Schwestern hängt nicht von meiner Selbstliebe ab, sondern von meiner Liebe zu Gott und dem Halten der Gebote. Meine Liebe zu Gott ist meine Antwort auf die zuvor von ihm empfangene Liebe.
Gibt es eine Liebe, die sich an Gottes Geboten orientiert? Jesus selbst hat oft genug nach Heilungen gesagt: Gehe hin und sündige nicht mehr. Er hat gegen eine unverbindliche, absichtsvolle Freundlichkeit angekämpft, die gab, um bei nächster Gelegenheit zurückzube-kommen. Jesu Liebe ist eine Hilfe im Kampf gegen Sünde und gegen Irrtümer. Nur wenn unsere Liebe, die Art der Liebe Gottes an sich trägt, ist sie Liebe im Sinne Jesu. Wenn wir Gott und seine Gebote als Wegweiser und Grenzsteine und darüber hinaus seine Barmherzigkeit vor Augen haben, dann lieben wir die Brüder und Schwestern als, „Aus-Gott-Geborene“, als die, die von Gott stammen.
Die allgemeine Anschauung ist, dass das Halten der Gebote doch eher schwer ist. Diese kommt daher, dass wir in der Welt leben und die Welt ihren Anspruch auf uns nicht aufgegeben hat. Wir müssen uns dem Zugriff der Welt entziehen. Johannes hat schon darauf hingewiesen: "Größer ist der in euch als der in der Welt." (1 Joh 4,4) In der Geburt aus Gott gründet der Sieg. Nur der von Gott Geliebte vermag das zu wollen, was Gott will und nicht das, was die Menschen wollen.
Unser eigener Einsatz und Gottes Handeln wirken im Geheimnis des Glaubens zusammen: "Und dies ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube." Der Glaube ist der Sieg über die Welt. In Jesu Kreuz und Auferstehung ist dieser Sieg sichtbar geworden. Der Gläubige nimmt am vollendeten Sieg des Herrn teil. Glaube bedeutet hier Aneignung dessen, was Gott anbietet.
"Wer sonst besiegt die Welt außer dem, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist." Es geht wiederum nicht um eine erzwungene Zustimmung zu einem Glaubenssatz. Es handelt sich um einen persönlichen und in Freiheit gewonnenen Glauben. Er ist die dankbare Annahme des "Aus-Gott-Geborenseins" und des neuschaffenden Wirkens Gottes. Wer glauben kann, dass Jesus, der Messias, der Sohn Gottes ist, der ist tatsächlich Sieger über die Welt, er hat Anteil am Sieg des Christus.
(3) Wer als Glaubender die Welt besiegt hat, der lebt in der Welt und hat die Attraktion der Welt, die von Gott wegführt überwunden. Er ist auf einem Weg unterwegs zu einem Ziel, das er aber auch schon irgendwie erreicht hat - die Heimat bei Gott. Er lebt in der Welt unter offenem Himmel.
Zum Evangelium: Kurt Udermann, Neuer Wein gehört in neue Schläuche! Mit dem Wort Gottes durchs Leben. Gedanken zu den Sonn- und Feiertagsevangelien im Jahreskreis B. Memoiren-Verlag Bauschke
Ostersonntag 1 Kor 5,6-8
6b Ihr wisst, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? 7 Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid. Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden. 8 Lasst uns also das Fest nicht mit dem alten Sauerteig feiern, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.
(1) Paulus ist mit der Tatsache konfrontiert, dass ein Mitglied der Christengemeinde in Korinth in einer inzestuösen Beziehung lebt. Für den Apostel ist das ein klarer Verstoß gegen das Gebot Gottes und diese/r Christin/Christ hat keinen Platz in der Gemeinde. Selbst für die Heiden ist ein solches Verhalten ein „no go“. Den Verantwortlichen in der Gemeindeleitung ist das allerdings nicht so klar. Sie konnten sich auf keine klare Ausschluss-Entscheidung verständigen. Für Paulus ist das inakzeptabel. Er besteht darauf jenes Gemeindemitglied, wenn es nicht bereit ist diese Beziehung abzubrechen, aus der Gemeinde auszuschließen. Der Weg zurück ist bei erfolgtem Abbruch möglich.
Paulus kämpft dafür, dass der Name Jesu unter den Heiden nicht zum Gespött wird. Die Nachfolge Jesu zeigt sich in der Gemeinde auch in bestimmten sittlichen Standards.Die Wahrheit stellt sich nun aber doch anders dar. Die Gemeinde muss sich daher entschieden vom Verhalten dieses Einzelnen distanzieren, damit nicht auch anderes, das mit der Botschaft Jesu unvereinbar ist, akzeptiert wird. Heuchelei muss unterbunden werden, damit das Licht des Evangeliums und der Gegenwart Gottes in der Gemeinde von Korinth nicht verdunkelt werden.
(2) Der Apostel macht seine unbeugsame Haltung nicht von der Zustimmung der Korinther abhängig, aber er sucht ihr geistliches Einverständnis. In einem Bild versucht er ihnen zu erklären, worum es ihm geht. Dieses Bild bedarf einiger Erläuterungen. Es geht um das Paschafest, dem Osterfest der Juden. Vor dem Fest muss alles Gesäuerte aus dem Haus entfernt werden. Zur Feier des Festes braucht es das Paschalamm und die ungesäuerten Brote (Mazzen). Anhand der Hauptbestandteile des Paschafestmahles zeigt Paulus das Dilemma in das sich die Gemeinde gebracht hat, aber auch den Ausweg.
Das geschlachtete Paschalamm Jesus Christus ist bereitgestellt. Was nicht vorhanden ist, das sind die ungesäuerten Brote. Warum? Weil es sie nicht gibt! Warum gibt es sie nicht? Weil der Teig (die Gemeinde) durch den kleinen Anteil des Sauerteiges der Bosheit und Schlechtigkeit (der Mann, der in der inzestuösen Beziehung lebt) „versauert“[1] (versaut, zerstört) wurde.
Damit das Paschafest gefeiert werden kann und ungesäuertes Brot bereit steht, muss der alte Sauerteig von jenen (Gemeindemitgliedern) entfernt werden, die ja ohnehin (durch die Taufe) schon ungesäuerte Brote der Wahrheit und Lauterkeit sind. Das Fest ist in Gefahr, wenn die Gemeinde durch Wort oder Tat die Botschaft Jesu verdunkelt. Alles steht für das Fest bereit, wenn die Gemeinde als „Christus in der Welt gegenwärtig“ (Bonhoeffer) lebt, wenn sie tatsächlich Salz der Erde, Licht der Welt und Stadt auf dem Berge ist.[2]
(3) Sowohl das Pesachfest im Judentum als auch das Osterfest im Christentum nehmen eine hervorragende Stellung in der Liturgie ein. Das Pesachfest feiert die Befreiung und Herausführung aus der ägyptischen Sklavenhaltergesellschaft sowie die Hineinführung ins gelobte Land. Das Osterfest feiert die Erlösung/Befreiung des Menschen aus der Sklaverei und Fremdbestimmung durch die Sünde und die Ermöglichung des ewigen Lebens.
Der Mensch empfängt das Ostergeschenk Gottes in Jesus Christus - Erlösung und Ermöglichung des ewigen Lebens - durch die Taufe. Das Geschenk der Taufe enthält aber auch eine Aufgabe: Jesus durch Wort und konkrete Lebenspraxis glaubwürdig nachzufolgen.
Die Lesung erinnert uns, dass zur rechten Feier des Osterfestes die Erinnerung gehört, dass Gottes Geschenk der Auferweckung Jesus die verbindliche Nachfolge enthält: „Wie Christus das Osterlamm ist, so sollen wir das ungesäuerte Brot sein.“[3] Wir sollen Brot sein für das Leben der Welt.
[1] N. Baumert, Sorgen des Seelsorgers, 69.
[2] Was würde Paulus zum Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche sagen? Die Kirche entfernt sich vom Evangelium, wenn sie auf das Leben und Zeugnis in Lauterkeit und Wahrheit in den Gemeinden und Kirchenleitungen keinen Wert legt.
[3] N. Baumert, Sorgen des Seelsorgers, 69.
Karsamstag B Röm 6,3-11
3 Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind?[1] 4 Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben.
5 Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein.[2] 6 Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. 7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. 8 Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.
9 Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. 10 Denn durch sein Sterben ist er ein für allemal gestorben für die Sünde, sein Leben aber lebt er für (durch) Gott. 11 So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde (aufgrund der Sünde) tot sind, aber für (durch)[3] Gott leben in Christus Jesus.
(1) Der Apostel Paulus selbst ist ein gutes Beispiel für einen Herrschaftswechsel, der eine fundamentale Lebensneuorientierung zur Folge hat. Eine geheimnisvolle Begegnung führte zu einem neuen Denken und einem neuen Lebensstil. Charles de Foucauld führte ein anstößiges Leben, sodass sich seine Familie genötigt sah, ihn zu entmündigen. Obwohl er mit fünfzehn Jahren den Glauben verloren hatte, gloste ein Fünkchen Hoffnung: „Mein Gott, wenn es dich gibt, dann lass mich Dich erkennen.“ Nach dem geschenkten Herrschaftswechsel lebte er das Wort: „Herr Jesus, was willst du, dass ich tun soll?“ Viele Menschen, die ein verborgenes Leben führen, haben ebenso einen Herrschaftswechsel erlebt und mitvollzogen. Sie haben sich von den fremdbestimmenden Mächten befreit und Jesus Christus Herrschaft über sich gegeben.
(2) Offenbar wollten die Römer das Sündigen und die Erfahrung der Vergebung („felix culpa“ - glückliche Schuld) unter einen Hut bringen. Ist es für einen Getauften möglich, Jesus Christus nachzufolgen und einen heidnischen Lebensstil zu führen? Auf diese Frage antwortet der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer. Seine Antwort ist klar: Wer getauft ist, wer zu Jesus Christus und zu seinem Leib, der Kirche, gehört, der soll als „neuer Mensch“ leben. Unser „alter Mensch“ wurde vernichtet, damit wir frei von Sünde leben können. Wir sollen uns als Menschen begreifen, die durch die Sünde tot sind, aber durch Gott leben in Christus Jesus, als Menschen, die das Angebot des Herrschaftswechsels annehmen und mitvollziehen. Es ist also möglich, dass ein Mensch nicht mehr will, was die Menschen wollen, was er tun soll, sondern Gott und seinen Plänen folgt. Es ist möglich, dass ein Mensch neu geboren wird, ohne in den Mutterschoß zurückkehren zu müssen.
Paulus begründet seine Festlegung mit dem Taufverständnis der frühen Kirche. Er erklärt, wie der Übergang vom „alten“ zum „neuen Menschen“ geschieht. Paulus geht von der Adam-Christus-Parallele aus. Durch das Essen des Apfels vom verbotenen Baum hat Adam sich im Ungehorsam dem Willen Gottes verweigert und den Tod nach sich gezogen. Jesus hingegen hat im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes die Schuld des Menschen, die durch Adam in die Welt gekommen ist, auf sich genommen und durch seinen Tod vernichtet und Leben über den Tod hinaus ermöglicht.
Wer sich entschied, sich taufen zu lassen, lernte, dass er auf Jesu Tod getauft wurde; dass der Tod Jesu ihn von seiner Schuld befreite, dass er aber auch mitgekreuzigt und mitbegraben wird. D.h. im Extremfall wird er in der Nachfolge Jesu sein Kreuz auf sich nehmen und Tode in vielfacher Gestalt erleiden müssen. Auf jeden Fall bedeutete es den Exodus (Auszug) aus vielen Vollzugsweisen der heidnischen Gesellschaft. Vieles, was Heiden erlaubt war (Tierhetzen, Gladiatorenkämpfe usw.), war Christen verboten. Einiges, wozu das römische Imperium verpflichtete, mussten Christen verweigern (Militärdienst, göttliche Verehrung des Kaisers usw.). Es gab eine umfangreiche Liste christlicher Verweigerungen. Für manche Christen bedeutete es auch den Ausschluss aus der Herkunftsfamilie. Christwerden bedeutete für viele Menschen Auszug, Ausschluss, Bedrohung und Lebensgefahr.
Aber kann man von Mangel, Verzicht und Angst leben? Was erklärt die Attraktivität der damaligen christlichen Gemeinden? Wer um Eingliederung in die christliche Gemeinde bat, der lernte, dass er nicht nur mit Christus begraben wird, sondern auch in seiner Auferstehung mit ihm vereinigt ist. Das erlebte er konkret in der neuen Familie Jesu, der neuen Gesellschaft (Kirche), in die er als Bruder oder Schwester aufgenommen wurde. Die Schwestern und Brüder im Glauben folgten dem Beispiel Jesu, der seinen Brüdern die Füße gewaschen hat und für seine Freunde gestorben ist. Ein solches Leben zu führen ist freilich nur möglich, wenn es in innigster Beziehung mit Jesus geführt wird.
Das bedeutete nicht, dass die Sünde in der christlichen Gemeinde ihre Macht völlig verloren hat. Ihrem engmaschigen Netzwerk kann sich auch die Kirche nicht entziehen. Die Sünde ist weiterhin in der Welt mächtig und der Getaufte kann jederzeit in den Unglauben zurückfallen und Jesus Christus verleugnen.
(3) „Wohl schon seit dem 2. Jahrhundert musste der Taufbewerber einen Bürgen vorweisen, der für die Ernsthaftigkeit seiner Umkehr einstand. Er hatte an einem dreijährigen Taufunterricht teilzunehmen, der sorgfältig in das jüdisch-christliche Unterscheidungswissen und in die Lebensform des Glaubens einführte. Die Alte Kirche ging mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, dass das christliche Leben den Taufbewerbern nicht von selbst zufliegt, sondern erlernt werden muss. Sie gingen auch davon aus, dass das Böse mächtig ist und dass um jeden Fußbreit der Gottesherrschaft gekämpft werden muss.“[4]
Es schmerzt zu sehen, wozu die österreichischen röm. kath. Bischöfe die Taufe haben verkommen lassen. Zumal für den Empfang eines jeden Sakramentes der Glaube vorauszusetzen ist.
[1] 6,3-11 Dass der Getaufte «mit Christus gestorben» ist, bedeutet, dass er am Tod Jesu teilhat. Er erhält Anteil an dem durch den Tod Jesu bewirkten Heil, hat aber in der Nachfolge Jesu während seines irdischen Lebens das Kreuz auf sich zu nehmen.
[2] 6,5 ihm gleich geworden, wörtlich: mit ihm zusammengewachsen.
[3] Ich folge der Übersetzung von N. Baumert, Christus, 104
[4] G. Lohfink, Kirche, 261
Palmsonntag B Phil 2,6-11
6 Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, 7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen; 8 er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, 10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters.
(1) Der Philipperhymnus, den die heutige Lesung verkündet, ist einer der ältesten Versuche den gesamten Heilsweg Jesu Christi in den Blick zu nehmen. Er präsentiert den irdischen Weg Jesu keineswegs als Erfolgsgeschichte. Dem Augenschein nach handelt es sich um eine „Karriere nach unten“.
Heute wird bei der Palmsegnung der feierliche Einzug nach Jerusalem als Evangelium und in der Kirche die Passion Jesu verkündet. Triumph und Ohnmacht sind in der heutigen Liturgie einander gegenübergestellt. Abstieg und Erhöhung sind auch die entscheidenden Themen des Hymnus. Wie ist es möglich, dass Gott derart auf sein Gott-Sein verzichtet, bewusst den letzten Platz einnimmt und sich sogar kreuzigen lässt? Ist das nicht völliger Unsinn? Aber Unsinn ist noch lange nicht sinnlos.[1]
Wird der Christus-Hymnus im Zusammenhang des Philipperbriefes gelesen, dann wird klar, dass Paulus Jesu bewusst gewählte Selbsterniedrigung seinen Adressaten als Beispiel für ein erlöstes Miteinander der Brüder und Schwestern in den Gemeinden ans Herz legt: Wie Jesus sich erniedrigte, so sollen auch sie dem anderen den Vorzug geben, den anderen höher einschätzen als sich selbst.
Der Apostel selbst hat Jesu innere Haltung immer tiefer verstanden. Seit seiner Begegnung mit Jesus bei Damaskus ist er in die Schule Jesu gegangen und hat die Liebe begriffen, die Jesu Beziehung zum Vater und den Menschen erfüllte. Diese Liebe, die ihn bis zur Annahme des letzten Platzes und des Kreuzestodes führte. Paulus hat seine Ohnmacht, Hilflosigkeit und Schwachheit im Dienst seiner Sendung annehmen können, weil Jesus, der Sohn Gottes, es vorgelebt hatte.
(2) Im ersten Teil des Hymnus stellt Paulus dar wie sich der Messias – der zugleich Gott war, unter den Menschen verhielt. Vom Messias, dem irdischen Jesus, sagt Paulus, dass er sein gottgemäßes Auftreten in der Welt nicht ängstlich festgehalten, sondern auf dessen Gebrauch verzichtet hat. Dies stand vor allem bei den Versuchungen in der Wüste und im Garten Getsemani am Prüfstand. Jesus Christus hat in der Empfängnis Sklavengestalt ergriffen und wurde als wirklicher Mensch geboren. In der Sklavenexistenz hat er sich leer und frei gemacht durch Erniedrigung unter andere Menschen. Viele Christen waren in der Antike Sklaven ohne politisches Bürgerrecht. Sie waren zwar nicht völlig ohne Rechte, konnten aber ihre Rechte nicht einklagen. Als Mensch erniedrigte sich Jesus unter Menschen und ist den Tod eines Sklaven gestorben. In all dem hatte er sich der Führung Gottes überlassen.
Wo aber war Gott bei diesem Drama? Die Menschen haben Jesus dem schimpflichen Verbrechertod übergeben. Gott aber hat Jesus, der sich als Mensch selbst erniedrigt hat "über alle erhöht" und ihm den Namen Gottes gegeben und ihn verehrungswürdig gemacht. Im Auferstandenen wird der Mensch Jesus, der gottgleich ist, auf den Thron über alle Welt erhoben. Wenn Begegnung mit Jesus Christus seit seiner Erhöhung geschieht fallen alle personalen Wesen vor Christus auf die Knie und bekennen: "Jesus Christus ist der Herr."
(3) Für Paulus ist die innere Haltung und Bereitschaft den unteren Platz einzunehmen sehr wichtig.[2] Sie ist "in Christus Jesus" der Schlüssel zu einem erlösten Miteinander.[3] Allerdings muss der Mensch zuvor die Vergebung der eigenen Sünden durch Jesus Christus erfahren haben.[4] Nur die überwältigende Erfahrung als Sünder dennoch geliebt zu sein und seine Würde neu erlangt zu haben, öffnet ihm Herz und Verstand für die Einnahme des unteren Platzes. Nur aus der Erfahrung dieser geschenkten Freiheit ist die Haltung des Unterordnens lebbar. Diese neue Freiheit befähigt ihn, Gott als Gott anzuerkennen und den Menschen zu dienen. Sie bedeutet nicht, dass man sich anderen willenlos ausliefert. Paulus geht davon aus, dass man dem anderen hilft in ähnlicher Haltung zu antworten, indem man ihm wohlwollend und zuvorkommend begegnet.
Wir werden nicht aufgefordert uns bis in den Tod zu erniedrigen. Paulus sagt nicht: „’Habt Gesinnung wie Jesus“, sondern: „’Habt die Gesinnung, die einem In-Christus-Sein entspricht.’“[5] Paulus legt uns die Beziehung zu Jesus Christus ans Herz und das Handeln aus dem Hören auf das göttliche Herz.
[1] Den Sinn scheinbar unsinnigen Handelns hat kein anderer so meisterhaft in einer Erzählung vermittelt wie der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard: „Der König und das Bettelmädchen“
[2] Damit ist Paulus ganz in der Spur Jesu, der empfiehlt beim Gastmahl den untersten Platz einzunehmen, denn wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden; der beim letzten Abendmahl seinen Jüngern Sklavendienst verrichtet, indem er ihnen die Füße wäscht; der von sich sagt, dass er nicht gekommen sei, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen;
[3] N. Baumert, Trauen, 300
[4] Für Paulus war dies die Begegnung mit Jesus vor Damaskus.
[5] N. Baumert, Trauen, 293
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Hochfest der Gottesmutter Maria - Neujahr Gal 4,4-7
4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, 5 damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen.
6 Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater. 7 Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.
(1) Während seines Gefängnisaufenthaltes in Ephesus sieht sich Paulus mit einem schwierigen Problem konfrontiert. Was er nicht für möglich gehalten hat, ist eingetreten. Christen und Christinnen unter den Galatern sind bereit, die Beschneidung anzunehmen und sich freiwillig dem Gesetz zu unterstellen. „Evangeliumsverdrehern“ war es gelungen die Galater zu diesem Schritt zu bewegen. Paulus war entrüstet und etwas ratlos. Hat er ihnen nicht in aller Klarheit und Deutlichkeit versichert, dass sie durch Glauben gerecht gemacht wurden und durch nichts anderes? Paulus musste die Galater überzeugen, dass ihre Entscheidung für die Beschneidung und die Übernahme der Tora ein Irrweg ist.
Menschlich allerdings ist das Vorgehen der betroffenen Galater verständlich. Wer sich beschneiden lässt, der trägt ein äußeres Zeichen der Verbundenheit mit dem Volk Gottes. Das vermittelt die Sicherheit der Zugehörigkeit zu einer großen Gemeinschaft. Wer sich den Mühen der Befolgung der Gebote der Tora unterzieht, der kann eine Leistung vorweisen und auch das gibt Sicherheit. Die äußere Zugehörigkeit und die religiöse Leistung gefährden aber das Eigentliche: das tägliche Mühen um den Glauben, um die Beziehung mit Gott.
(2) Paulus versucht in seinem Brief die Galater argumentativ von seiner Sicht des Heilshandelns Gottes zu überzeugen. Er bezieht sich auf Abraham. Durch ihn sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen (Gen 12,3b). Darüber hinaus soll nicht ein Haussklave, sondern ein leiblicher Sohn sein Erbe sein (Gen 15,4b). Aus diesen beiden Verheißungen formt Paulus einen „Erbschaftsbeweis“, wonach er Juden („unmündige Söhne“) und Heiden („Sklaven“) als legitime Erben der Verheißung darstellt.[1] Auf unterschiedlichen Wegen, die durch ihre Herkunft bedingt sind, erlangen sie das Heil.
In der heutigen Lesung erklärt Paulus in den Versen 4-5 den Galatern wie die Juden die Sohnschaft erlangten und zu rechtmäßigen Erben wurden. Durch die Geburt des Gottessohnes und der Erfüllung seiner Sendung durch seinen Tod am Kreuz, hat er die Sünden (die, die Tora aufdeckt und verurteilt) vergeben und die Sünder mit Gott versöhnt, wodurch sie die Sohnschaft erlangten. Dadurch wurden die „Unmündigen“ zu rechtmäßigen Erben.
Ihnen aber, den Galatern, die Söhne sind,[2] sagt Paulus, dass Gott ihnen „den Geist seines Sohnes in ihr Herz sandte, den Geist der ruft: Abba, Vater.“ In wem der Geist Christi zum Vater ruft, der ist nicht mehr Sklave, sondern Sohn. Paulus zieht daraus den logischen Schluss: „Bist du aber Sohn, dann auch Erbe.“[3]
Paulus will den Galatern sagen: Ihr seid bereits Söhne und Erben. Statt euch der Beschneidung und dem Gesetz zu unterwerfen, wäre es sinnvoller, wenn ihr eure ganze Kraft in eure Beziehung zu Gott investieren würdet. Ihm zu trauen und sich ihm anzuvertrauen ist gewiss schwieriger als sich durch Äußerlichkeiten und religiöse Leistungen abzusichern.
(3) „Und wäre Christus tausend Mal in Betlehem geboren, aber nicht in dir, wärst du dennoch verloren.“[4] Wir können Christus Jesus in uns zur Welt kommen lassen, indem wir die von Jesus angebotene Beziehung zu ihm aufnehmen, aus ihr leben und immer wieder vertiefen. Die innere Bewegung, die uns mit Gott verbindet und auf unsere „Sohnschaft“ hinweist, muss nicht der ausdrückliche Abba-Ruf sein. Es ist auch der Geist, der unsere Sehnsucht auf Gott hinlenkt, der uns lobend, dankend und bittend mit ihm verbindet.
[1] Gal 4,1-3: Ich will damit sagen: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in keiner Hinsicht von einem Sklaven, obwohl er Herr ist über alles; 2 er steht unter Vormundschaft, und sein Erbe wird verwaltet bis zu der Zeit, die sein Vater festgesetzt hat. 3 So waren auch wir, solange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte dieser Welt.
[2] Gal 3,26: Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus.
[3] Gal 3,29: Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.
[4] Angelus Silesius
Fest der heiligen Familie Kol 3,12-21
12 Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! 13 Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. 15 In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!
16 Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade. 17 Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!
18 Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt. 19 Ihr Männer, liebt eure Frauen, und seid nicht aufgebracht gegen sie! 20 Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem; denn so ist es gut und recht im Herrn. 21 Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden.
(1) Das Schiff Kirche ist vom Schiffbruch bedroht. Aber selbst ein günstiger Seegang ist nutzlos, wenn der Steuermann das Ziel nicht kennt. Wissen die Verantwortlichen der Kirche um die Sendung und das Ziel der Kirche, um die Aufgabe des Volkes Gottes?
Der Gedanke, dass Gott in der Welt ein Volk braucht - nicht um seiner selbst willen, sondern um der Welt willen – durchzieht die biblischen Bücher. Gott will durch sein Volk die Welt verändern und heiligen. Darum darf sich das Gottesvolk weder der Welt anpassen, noch sich ihr anbiedern. Es muss das Neue, das durch Abraham in die Welt gekommen ist und durch Jesus Christus vollendet wurde, unter sich verwirklichen. Die Kirche macht es sich zu leicht, der Welt vorschreiben zu wollen wie sie zu leben habe, sich selbst aber nicht bemüht die Botschaft Jesu glaubhaft zu verwirklichen.
(2) Gemäß der heutigen Lesung soll die Kirche eine Kontrastgesellschaft sein, die sich von der (heidnischen) Gesellschaft[1] unterscheidet. Der Verfasser des Briefes an die Kolosser stellt einer vorausgegangenen Liste von Lastern der heidnischen Gesellschaft[2] das kontrastierende Leben der christlichen Gemeinde gegenüber. In den darauf folgenden Versen wird das neue Leben in Christus durch weitere positive Haltungen beschrieben. In den Schlussversen wird das abweichende Verhalten der Gemeinde auf den familiären Alltag heruntergebrochen.
Unsere Lesung beginnt mit der Entfaltung des Bildes vom Anziehen des „neuen Menschen“. Dies konkretisiert sich in den Haltungen: Erbarmen, Güte, Demut, Milde und Geduld. Die Christen von Kolossä haben Jesus Christus angenommen und werden daher als Erwählte, Heilige und Geliebte bezeichnet. Bei der Aufforderung zur Vergebung geht es um das Vergeben persönlicher Verletzungen. Wie Gott der Herr ihnen vergeben hat, so sollen auch sie einander vergeben. Zu den genannten Haltungen kommt die Liebe hinzu. Sie fasst die Tugenden zu einem schön gebundenen "Blumen-Strauß der Reife" zusammen.[3]
Auf die Aufforderung die Liebe „anzuziehen“ folgt der Wunsch des Friedens. Der Friede solle als „Schiedsrichter“ bei Entscheidungen in ihren Herzen dominieren. In unseren Herzen tobt manchmal ein Kampf zwischen gegensätzlichen Interessen. Egal, ob ich mich für eine von zwei Alternativen bei einer Wahl (z. B. Berufswahl) entscheiden muss oder einen konkreten Schritt in einer Beziehung setzen muss – jener Alternative oder jenem Schritt ist der Vorzug zu geben, bei dem sich der Friede Christi einstellt. Das gelingt nur, wenn sich der Gläubige jeweils neu an Christus wendet.
Paulus appelliert dann an den Charme der Christen von Kolossä. Der soll in ihrer Kommunikation zum Ausdruck kommen. Wenn sie einander lehren und das Evangelium gegenseitig ans Herz legen, sollen sie das in kluger und geschickter Weise tun, um der Redeweise Christi zu entsprechen.
Aber nicht nur in ihrem Reden soll ihr Charme zum Vorschein kommen: Ihre Psalmen, Hymnen und Lieder sollen aus dem Herzen kommen und Schönheit haben. Ihr Reden und Tun insgesamt geschehe "im Namen Jesu" d.h. so wie Jesus es tat und unter seiner Führung. Wenn sie in ihrem Tun von Christus getragen werden, wird ihnen bewusst, dass es Gott ist, der ihnen durch Christus alles schenkt. So können sie den Dank durch Christus, dem Vater zurückgeben.
Die abschließende „christliche Hausordnung“ wird im Wortgottesdienst meist – zu unrecht – willkürlich gestrichen. Man kann der Frau nicht zumuten sich dem Mann unterzuordnen. Aber steht das wirklich da? Der Verfasser des Kolosser-Briefes zeigt eine klare Tendenz, die (vom staatlichen Gesetz) schwächer Gestellten zu stützen. "Er will nicht etwa sagen, dass die gesellschaftliche Unterordnung der Frau speziell durch Christus bedingt sei oder verstärkt würde, sondern dass die Frauen die vorgegebene Ordnung so vollziehen mögen, wie es im Herrn recht ist!"[4] Er gibt der Frau einen Maßstab an die Hand, nach dem sie von Fall zu Fall "im Herrn" d.h. vor Gott „überlegt und sich so, wie sie es jeweils für richtig erachtet, unterordnet."[5] "Christus in euch" ist die letzte Autorität für ihr Handeln.[6] Paulus meint also keine fraglose Unterwürfigkeit der Frau.
"Im Herrn" wird beim Mann nicht wiederholt, gilt aber auch für ihn, wenn er aufgefordert wird seine Frau zu lieben. Er muss sein Handeln am Handeln Jesu orientieren und ihm gegenüber verantworten. Er wird nur allgemein ermahnt, seine stärkere Stellung nicht zu missbrauchen. Warum nur die Väter ermahnt werden ihre Kinder nicht einzuschüchtern, hängt wohl damit zusammen, dass Väter eher zu Machtmissbrauch gegenüber Schwächeren neigen.
(3) Die Kirche ist dann Licht der Welt und Salz der Erde und erfüllt ihre Aufgabe als Volk Gottes in der Welt, wenn sie das kontrastierende Verhalten, welches einem Leben „in Christus“ entspricht, verwirklicht. Es gibt also keinen Grund, Texte aus der Heiligen Schrift einfach nicht zu verkünden, als ob wir „Herren“ über das Wort Gottes wären. Wir dürfen Paulus durchaus unterstellen, dass er Jesus richtig verstanden hat.
[1] Heute hat es allerdings den Anschein, dass in der demokratischen Gesellschaft mehr biblische Werte verwirklicht sind als in der Kirche.
[2] Kol 3,7-10: „Einst war auch euer Lebenswandel von solchen Dingen bestimmt, ihr habt darin gelebt. Jetzt aber sollt auch ihr das alles ablegen: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung und schmutzige Rede, die aus eurem Munde kommt. Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und habt den neuen Menschen angezogen, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen.“
[3] N. Baumert, Berufung, 154
[4] N. Baumert, Berufung, 155
[5] N. Baumert, Berufung, 156
[6] N. Baumert, Berufung, 156: „So möge die Frau vor Gott prüfen und erkennen, wie sie im konkreten Fall eine Unterordnung vollziehen soll (vgl. Eph 5,21-24), ohne ihre Würde zu verlieren... Immer verweist Paulus die Partner auf ihre Gottesbeziehung, von der aus sie jeweils ihre Beziehung zu einander ordnen sollen.“
4. Adventsonntag Röm 16,25-27
Ehre sei dem, der die Macht hat, euch Kraft zu geben - gemäß meinem Evangelium und der Botschaft von Jesus Christus, gemäß der Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war, 26 jetzt aber nach dem Willen des ewigen Gottes offenbart und durch prophetische Schriften kundgemacht wurde, um alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen.
27 Ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre durch Jesus Christus in alle Ewigkeit! Amen.
(1) „Ehre sei dem, der die Macht hat, euch Kraft zu geben.“ Der Römerbrief endet mit diesem Lobpreis Gottes. Alle Aufmerksamkeit wird auf den machtvollen Gott gelenkt. Ihm gebührt Lob und Ehre für das Werk seiner Schöpfung und für sein Handeln in der Geschichte. Gleichzeitig ist aus ihm eine Ermutigung herauszuhören. Er enthält die Einladung sich von Gott Kraft geben zu lassen. Wofür aber sollen sich die römischen Christen stärken lassen?
Paulus begründet in diesem Brief seine Absicht, die Christen und Christinnen in Rom aufzusuchen, „ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet.“[1] Er wurde aber daran gehindert. Er bedauert das, „denn wie bei den anderen Heiden soll meine Arbeit auch bei euch Frucht bringen.“ Es liegt ihm jedoch viel daran auch den Römern das Evangelium zu verkünden: „Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen.“[2] So sollen sich die römischen Gemeindemitglieder durch die rettende Kraft des Evangeliums stärken lassen, um selber an der Sendung des Völkerapostels – nämlich den Völkern das Heil zu verkünden – Anteil nehmen. Das vermögen sie, wenn sie die briefliche Botschaft des Apostels, das „neue Leben und die Hoffnung des Christen“[3] annehmen und verwirklichen.
(2) Dass es angebracht ist, Gott, der Kraft gibt und stärkt, zu loben und wohl auch zu danken, hat Paulus in „seinem Evangelium“ ausführlich und engagiert nachgewiesen. Sein Evangelium ist die Verkündigung des Leidens und Sterbens, sowie der Auferstehung Jesu. Durch Jesus Christus hat Gott die Welt mit sich versöhnt und die Menschen gerecht gemacht und gerettet.
„Ohne Gott ist die Welt absurd, mit Gott ist sie ein Geheimnis“, sagte einmal Kardinal Henry Newman. Die Diskrepanz zwischen menschlichem Denken und dem überraschenden und anderen Handeln Gottes, kommt im „Geheimnis“ zum Ausdruck. Was lange Zeit unausgesprochen und verschwiegen worden war, ist „jetzt“ in und durch Jesus Christus geoffenbart worden. Diese Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus hat ein klares Ziel: „alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen.“[4]
Die besondere Sendung, die Jesus dem Paulus auftrug, war die Verkündigung des Evangeliums unter den Völkern. Dies verlor der Apostel niemals aus dem Blick. Er legte darauf Wert, dass auch die neugegründeten Gemeinden, sich dieses Anliegen zu eigen machten. Das neue Leben in der Gemeinde, das sich in einem erlösten Miteinander, mit neu gewonnener Freiheit und Verbundenheit ausdrückt, soll Magnet für Menschen sein, die dem Geheimnis ihres Lebens auf der Spur sind.
(3) Viele Bibelwissenschafter neigen zur Annahme, dass dieser Lobpreis Gottes am Ende des Römerbriefes, ein späterer Zusatz ist. Der Verfasser dieser Verse wollte nicht nur den Brief mit einem kräftigen Schlussakkord ausklingen lassen, sondern dem Apostel Paulus ein ehrendes Denkmal setzen. Der Hinweis auf die „prophetischen Schriften“ und die Nennung des Zieles der Offenbarung des bisher verschwiegenen Geheimnisses: „um alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen“, rechtfertigen die Annahme, dass mit den „prophetischen Schriften“ nicht die alttestamentlichen Bücher der Propheten gemeint sind, sondern vielmehr die Briefe des Apostel Paulus, unter diesen vor allem der Römerbrief. Vermutlich steht im Hintergrund der Vorgang der Auswahl verbindlicher Zeugnisse über Jesus Christus für die christlichen Gemeinden. Neben dem Alten Testament, das dem jüdischen Ursprung der Kirche geschuldet war und als Hinweis auf den kommenden Messias gelesen wurde, dürften die Paulusbriefe zu den „prophetischen Schriften“ gerechnet worden sein. Dieses Auswahlverfahren hat schließlich zur Kanonisierung (Festlegung) der neutestamentlichen Schriften geführt, die im Verlauf des 2. Jahrhunderts vor sich gegangen ist.
Vielleicht wird uns vor diesem Hintergrund der Klärung verbindlicher, identitätsstiftender, heiliger Schriften, die Bedeutung der geistlichen Schriftlesung für unser geistliches Leben in der Nachfolge Jesu bewusst. Viele Brüder und Schwestern und auch christliche Gemeinschaften beziehen ihre geistlichen Impulse aus der Lektüre der Heiligen Schrift. Die Verkündigung der Heiligen Schrift bildet einen Schwerpunkt der sonntäglichen, gottesdienstlichen Versammlung. Damit bekundet die Kirche, dass das Hören des Wortes Gottes fundamental ist.
Der erste Abschnitt des Briefes endet mit einem Lobpreis: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!“ Der Verfasser des Zusatzes schließt ab: „Ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre durch Jesus Christus in alle Ewigkeit! Amen.“
[1] Röm 2,11
[2] Röm 2,15.16
[3] Röm 5,12-8,39
[4] N. Baumert, Hochform 426, übersetzt: „... eine Botschaft vom Trauen unter allen Völkern bekannt gemacht worden ist...“ Das Evangelium des Apostels ist die Mitteilung von Gottes Heilshandeln für alle Menschen und nicht die Einforderung eines Gehorsams.
3. Adventsonntag 1 Thess 5,16-24
16 Freut euch zu jeder Zeit!
17 Betet ohne Unterlass!
18 Dankt für alles; denn das will Gott von euch, die ihr Christus Jesus gehört. 19 Löscht den Geist nicht aus! 20 Verachtet prophetisches Reden nicht! 21 Prüft alles, und behaltet das Gute! 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt!
23 Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt. 24 Gott, der euch beruft, ist treu; er wird es tun.
(1) Texte, die wir spontan als schön empfinden und innerlich uneingeschränkt bejahen, weil sie klar und einleuchtend scheinen, sind in Gefahr, dass wir unsere eigene Botschaft aus ihnen herauslesen und nicht die der Autoren. Wir lesen im Text unsere eigene Biografie. Oft bleiben wir auch an der Oberfläche eingängiger Worte hängen. Das ruft ein Wort Dietrich Bonhoeffers in Erinnerung: "Wir müssen die biblischen Texte gegen uns selber lesen." Damit meint er, dass wir bereit sein müssen, uns vom biblischen Wort herausfordern zu lassen. Die Zumutung unseres "schönen" Lesungs-Textes ergibt sich aus dem Kontext.
Die heutige Lesung gehört zum Abschnitt der "Anweisungen für das Gemeindeleben". Sie sind das Resümee des Briefes und münden in einen Segenswunsch. Der Aufforderung, sich jederzeit zu freuen, gehen konkrete Anweisungen voraus: Die Mitglieder der Gemeinde sollen die Gemeinde-Leitung anerkennen, hochachten und lieben. Sie sollen untereinander Frieden halten und diejenigen zurechtweisen, die ein unordentliches Leben führen. Die Ängstlichen sollen sie ermutigen, sich der Schwachen annehmen und Geduld mit allen haben. Keiner soll Böses mit Bösem vergelten und alle sollen sich immer bemühen, einander und allen Gutes zu tun. Das ist das wirklich authentische Leitbild der Kirche. Für deren Verwirklichung formuliert Paulus praktische Weisungen, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen.
(2) Wer die Lesung liest, oder hört - und zwar gegen sich selber - und sich fragt, was will Gott mir damit sagen?, der anerkennt, dass es für die, die zu Jesus gehören, Gottes Wille ist, zunächst einmal die drei Imperative - "Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles;" – als Grundlage zu verwirklichen.
Paulus betont in diesem Brief mehrmals, dass er durch den vorbildlichen Glauben der Gemeindemitglieder und das Wachsen der christlichen Gemeinde von Thessalonich, Freude erlebt. Diese Freude versteht er nicht zuletzt auch als Lohn für seine missionarischen Bemühungen.[1] Was aber bedeutet der Aufruf an die Brüder und Schwestern, sich jederzeit zu freuen? Eine solche Aufforderung ist doch eher ungewöhnlich. Kann man denn Freude befehlen?
Es geht dem Apostel nicht darum, Gefühle zu manipulieren, sondern er ist überzeugt, dass die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, der tiefste und innerste Grund sich zu freuen ist. Sie bedeutet durch Jesu Christi Tod und Auferstehung, von Gott angenommen und erlöst zu sein und in unzerstörbarer Beziehung mit Jesus zu leben. Die Zugehörigkeit der Gemeindemitglieder zu Jesus Christus motiviert, sich zu freuen, zu beten und zu danken. Das Bewusstsein - zum Leben in Christus und mit Christus berufen zu sein, schafft einen Grundwasserspiegel freudiger und dankbarer Gestimmtheit, der es ermöglicht, sich jederzeit zu freuen.
Ohne Unterlass zu beten und für alles zu danken, sind eng miteinander verbunden. Beten meint vor allem Lobpreis Gottes. Wenn sich ein Jude an Gott wendet, ob in Freud oder Leid, spricht er: "Gepriesen bist Du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt;" erst dann folgen Bitten und Dank. Zuerst dankt er für das, was Gott ihm schon geschenkt hat, an Taten, die ihn froh gemacht haben, an Begegnungen und Erfahrungen. Dann erst wendet er sich in bittender Haltung an Gott. Jedoch noch nicht sofort mit einer konkreten Bitte, sondern er tritt in einen Dialog mit Gott darüber ein, was geschehen müsse.[2]
Die drei ersten "Befehle" des Apostels können wir als innere Bedingung für das spezifische Vorangehen in Unterscheidungsfragen der Gemeinde verstehen. Anschließend schreibt Paulus den Thessalonichern vier markante Leitsätze ins pfarrgemeindliche Stammbuch:
"Löscht den Geist nicht aus!" Das heißt: weiterhin das verkündete Wort mit Freude aufnehmen und bezeugend weitergeben (1 Thess 1,2-7). Und es heißt auch, der Berufung "heilig zu sein", zu folgen.[3]
"Verachtet prophetisches Reden nicht!" Offenbar hatte die Gemeinde noch nicht gelernt, Unterscheidungsprozesse kontrovers und konstruktiv durchzuführen. Die gemeinsame Suche nach dem, was Gott will, dass die Gemeinde tun soll, befand sich noch im Anfangsstadium. Jedenfalls sah sich der Apostel genötigt, der konstruktiven Kritik, dem ehrlichen Wort über den traurigen Zustand des Gottesvolkes in der Gemeinde-Versammlung, Raum zu geben.[4]
"Prüft alles, und behaltet das Gute!" Die Christen und Christinnen von Thessalonich waren nicht nur Bürger der Königsherrschaft Gottes, sondern auch des Römischen Reiches. Sie waren konfrontiert mit dem römischen Zeitgeist, mit römischen Leitbildern und Moden, mit deren Gewohnheiten und Gebräuchen. Nicht alles war mit ihrem Christsein vereinbar. Da Paulus nicht für alles Wählen und jedes Verhalten klare Handlungsanweisungen geben konnte, wollte er die Brüder und Schwestern befähigen, eine Vorgehensweise zu entwickeln und zu praktizieren, die ihnen hilft herauszufinden, was zu wählen und was zu verwerfen ist. Das betraf natürlich auch innerkirchliche Angelegenheiten.
"Meidet das Böse in jeder Gestalt!" Das Böse steht im Widerspruch zur Gottesherrschaft. Es hemmt deren Wachstum und beeinträchtigt das Zeugnis in der Nachfolge Jesu, sowohl der Einzelnen als auch der Gemeinde. Paulus mutet den Thessalonichern die Last der Unterscheidung zu. Sie müssen selbst herausfinden, was ihrem Leben aus der Taufgnade widerspricht und mit ihrer Berufung unvereinbar ist. Diese Zumutung bedeutet aber auch die Anerkennung, selbstverantwortlich, vor Gott, Entscheidungen treffen zu können.
Seine Anweisungen für die innere Voraussetzung zur Verwirklichung nachfolgender Leitsätze, um die Gemeinde in der Spur der Nachfolge Christi zu behalten, beendet der Apostel mit einem entlastenden Segenswunsch: "Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre (euch) ... unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt." Paulus versichert die Thessalonicher der Hilfe Gottes im Umgang mit ihren Problemen. Gott wird ihnen zeigen, was sie zu tun haben und ihnen die Kraft geben, es zu tun.
Die Zusage, dass Gott treu ist und "es" tun wird, erinnert an die Ermutigung in Nehemia 8,10: "Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke".
(3) Mit den "Anweisungen für das Gemeindeleben" gibt Paulus den Thessalonichern seine Vision von Gemeinde (5,12-15) mit auf den Weg. Er gibt ihnen aber auch Prinzipien und eine Strategie an die Hand, die ihnen deren Verwirklichung ermöglichen soll (5,16-22). Nicht zuletzt erbittet er vom "Gott des Friedens" Hilfe für die Erfüllung ihres Auftrags (5,23-24). Ihr respektvolles Mit- und Füreinander als Brüder und Schwestern des Vaters im Himmel, ist unaufdringlich, aber sichtbar für den, der es sehen möchte. Macht dieser Text des Apostel Paulus nicht radikal und schmerzlich bewusst, woran es unseren Gemeinden und unserer Kirche wirklich fehlt?
[1] 1 Thess 2,19f; 3,9
[2] N. Baumert, Weg des Trauens, 332: „Wie viele Anläufe zum Bittgebet verlaufen im Sande, weil der Mensch sich auf diesen Klärungsprozess überhaupt nicht einlässt, sondern meint, Gott müsse sofort gerade das tun, worum der Mensch selbst ihn jetzt bittet."
[3] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis 37: „‚Ziemlich oft spricht Paulus von unserer Heiligkeit und von unserer Heiligung. So schreibt er an einem Ort, wenn ich mich recht erinnere: Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung. An einem anderen Ort schreibt er: Gott hat uns nicht zur Lasterhaftigkeit berufen, sondern zur Heiligung, und er bittet für uns, dass unsere Herzen gefestigt seien, untadelig in Heiligkeit vor unserem Gott bei der Ankunft unseres Herrn Jesus, und am Schluss des Briefes wünscht er: Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar. Ich verstehe das so, dass wir uns das ganze Leben hindurch heiligen sollen oder besser heiligen lassen sollen. Das ist eigentlich das einzige Gebot, das wir haben.’"
[4] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis 40: „‚Paulus kritisiert unser Volk, das ist wahr. Aber haben das die Propheten nicht auch gemacht? Es wird doch niemandem einfallen, all die kritischen Worte der Propheten gegen Israel aus unseren Heiligen Schriften herauszustreichen.’"
2. Adventsonntag 2 Petr 3,8-14
Das eine aber, liebe Brüder, dürft ihr nicht übersehen: dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind.[1] 9 Der Herr zögert nicht mit der Erfüllung der Verheißung, wie einige meinen, die von Verzögerung reden; er ist nur geduldig mit euch, weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle sich bekehren.
10 Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb. Dann wird der Himmel prasselnd vergehen, die Elemente werden verbrannt und aufgelöst, die Erde und alles, was auf ihr ist, werden (nicht mehr) gefunden.[2]
11 Wenn sich das alles in dieser Weise auflöst: wie heilig und fromm müsst ihr dann leben, 12 den Tag Gottes erwarten und seine Ankunft beschleunigen! An jenem Tag wird sich der Himmel im Feuer auflösen, und die Elemente werden im Brand zerschmelzen. 13 Dann erwarten wir, seiner Verheißung gemäß, einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt.
14 Weil ihr das erwartet, liebe Brüder, bemüht euch darum, von ihm ohne Makel und Fehler und in Frieden angetroffen zu werden.
(1) Der Zweite Petrusbrief wurde wahrscheinlich in den Jahren 64/65 n. Chr. in Rom vom Apostel Petrus geschrieben. Er wendet sich in diesem Schreiben ausnahmslos an alle Christen. Es ist sein Vermächtnis, da er seine Lebenszeit an sein nahes Ende gekommen sieht.[3]
Petrus will den Glauben seiner Leser durch die Festigung ihrer Hoffnung auf das Wiederkommen Christi und durch die Warnung vor Irrlehrern stärken. Im 2. Kapitel des Briefes beschreibt er das Auftreten und Wirken von Irrlehrern. Gegen die „Verzögerungs-Spötter“ argumentiert er in der heutigen Lesung.
In den Gemeinden sind Leute aufgetreten, die aufgrund des Nicht-Eintretens der Naherwartung, ihren Glauben aufgegeben haben. Weil das verheißene, nahe Ende noch nicht angebrochen ist, sich also verzögert, warfen sie ihren Glauben an Jesus Christus über Bord. Aufgrund der Nichterfüllung der Naherwartungs-Verheißungen waren der Kirche und den Gemeinden tatsächlich große Probleme entstanden, deren zersetzende Wirkung wir heute vielleicht nicht mehr begreifen.
Unter Naherwartung versteht man „die Vorstellung vom unmittelbaren Bevorstehen des Weltendes und des damit verbundenen endgültigen Anbruchs des Reiches Gottes bzw. der Parusie des Menschensohnes mit den endzeitlichen Ereignissen der Auferstehung der Toten und des Weltgerichts.“[4] Die synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) zeigen nicht nur, dass mit Jesus das Reich Gottes bereits angebrochen ist, sondern auch, dass die gegenwärtige Generation den endgültigen Anbruch des Reiches Gottes erleben wird. So sagt Jesus in Markus 9,1: „Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes in (seiner ganzen) Macht gekommen ist.“[5]
Wie sind die biblischen Schriftsteller mit diesem Problem umgegangen? Zunächst folgte man der Meinung, dass das Ende tatsächlich nahe bevorsteht (1 Thess 4,15-17[6]). Eine andere Einstellung taucht in 2 Thess 1,4-7 auf: Die Verfolgungen und Nöte der Gemeinde werden als notwendige Bewährung vor der Parusie (Wiederkunft Christi) verstanden. Schließlich wird vor einer übertriebenen Naherwartung, die sogar als Irrlehre bezeichnet wird, gewarnt (2 Thess 2,2-8).
(2) Dass das Ausbleiben der Parusie zu einem immer größeren Problem für die Gläubigen wurde, hat seinen Niederschlag in der heutigen Lesung gefunden. Weil sich die Parusie-Verheißung nicht erfüllt hat, haben einige Christen nicht nur ihren Glauben aufgegeben, sondern auch Gott in Frage gestellt. Ihr Argument lautet: „Wo bleibt denn seine verheißene Ankunft? Seit die Väter[7] entschlafen sind, ist alles geblieben, wie es seit Anfang der Schöpfung war.“[8] Petrus weist zunächst darauf hin, dass vor der Ewigkeit Gottes, sich die Zeitfrage gänzlich relativiert. Die mit der Uhr messbare Zeit ist nur für uns Menschen von Bedeutung, nicht aber für Gott. Das entscheidende Argument für das Ausbleiben der Parusie ist aber die Geduld Gottes. Er will, dass alle umkehren und niemand zugrunde geht, wenn der „Tag Gottes“ überraschend wie ein Dieb hereinbricht. Der Verfasser begründet das Kommen Christi in Herrlichkeit am „Tag Gottes“ mit der Offenbarung am Berg der Verklärung in Markus 9,1-10.[9] Auf dem Berg haben die Apostel die Herrlichkeit Christi geschaut. Gott gab ihm Ehre und Herrlichkeit und offenbarte ihn als seinen geliebten Sohn, der ganz nach seinem Geschmack ist. Die Erfahrung der Verklärung Jesu begründet und gewährleistet die zukünftige Erfüllung der Verheißung. Die Begründung baut auf das Wort Gottes und der Offenbarung Jesu als Sohn.
(3) Wie sollen wir als Christen angesichts der (noch) nicht erfüllten Naherwartung unser Leben gestalten? In Jesus von Nazaret hat Gottes „schon immer auf die Welt zukommende Gnade endgültig ihr Ziel erreicht. Damit ist Endzeit. Wenn das Reich Gottes trotzdem noch nicht in seiner ganzen Fülle da ist, so liegt das nicht daran, dass Gott es noch zurückhält, sondern daran, dass wir es noch nicht voll ergriffen haben. Überall ist noch Unglaube. Das Reich Gottes kann noch nicht volle Realität werden. Was mit Christus schon da ist, hat sich noch nicht durchgesetzt. Aber das liegt nicht an Gott. Es liegt an uns, an unserer mangelnden Umkehr. Von Gott her gesehen ist alles da, ist alles angeboten. Wir müssten es nur ergreifen.“[10]
Genau das will uns auch die heutige Lesung sagen: Wir können die Ankunft des Herrn in Herrlichkeit durch ein „heiliges und frommes“ Leben beschleunigen.
[1] Vgl. Psalm 90,4
[2] 3,10 die Erde und alles, was auf ihr ist, wörtlich: die Erde und die Werke auf ihr. - Die eingeklammerten Worte „nicht mehr“ finden sich nur bei wenigen Textzeugen, sind aber für den Sinn des Satzes notwendig.
[3] 2 Petr 1,14
[4] Finkenzeller, Naherwartung, LdkD, 386
[5] Vgl.: Mk 13,28-30: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr (all) das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft.“ Mt 10,23: „Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, so flieht in eine andere. Amen, ich sage euch: Ihr werdet nicht zu Ende kommen mit den Städten Israels, bis der Menschensohn kommt.“
[6] Siehe: 32. Sonntag, Lesejahr A
[7] 3,4 die Väter: die Christen der ersten Generation.
[8] 2 Petr 3,4
[9] 2 Petr 1,16-18
[10] N. Lohfink, Verharmlosung, 30f
(1) "Gnade sei mit euch und Friede von Gott." Dieser Gruß, den Paulus an den Beginn seines Briefes an die Korinther setzt, ist ein "frommer Wunsch" mit dem er seinen Brief beginnt. Jedenfalls eignet sich dieser auch als Hoffnungswort für das neue Kirchenjahr, das wir uns immer neu einander zusprechen sollten: Wir sind berufen Empfänger und Träger der Gnade und des Friedens Gottes zu sein.
Das ist heute mindestens so wichtig wie damals. Paulus sah sich mit einer unerfreulichen Situation konfrontiert. Die Gemeinde von Korinth war eine lebendige, selbstbewusste, aufstrebende Gemeinde, die von sich Reden machte, vor allem wegen ihrer Gnadengaben, den sogenannten Charismen. Diese trugen aber nur teilweise zur Auferbauung der Gemeinde bei. Der positive Anteil wurde durch negative Auswirkungen überdeckt wenn die Gnadengaben nicht in den Dienst des Reiches Gottes gestellt wurden, sondern der Mehrung des eigenen Ansehens dienen sollten. Dies führte zu Prahlerei, Ehrsucht, Neid und Eifersucht. Diese Ichbezogenheit vieler gemeindlicher Aktivitäten führte die Gemeinschaft der Christen in Korinth an den Rand des Abgrunds einer Spaltung.
(2) Paulus erinnert die Brüder und Schwestern in Korinth daran, wie Gott an ihnen gehandelt hat und wohin er sie führen will. Es ist ein Weg, der mit der Annahme des Glaubens, den der Apostel und andere ihnen vermittelten, begonnen hat. Dieser Weg mündet in den "Jüngsten Tag", den Tag der "Offenbarung Jesu Christi, unseres Herrn." Irgendwo, zwischen diesen beiden Punkten ist die Christengemeinde von Korinth unterwegs. Offensichtlich ist Paulus überzeugt, dass er die Korinther erinnern muss, dass Gottes Gnade sie auf ihrem Weg begleitet.
Die große Gnade, die ihnen zuteil geworden war, ist Jesus Christus. Er ist zunächst und vor allem ein Geschenk Gottes, die Gnadengabe schlechthin. Gott hat sie zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus berufen. Paulus war das Werkzeug Gottes, der ihnen die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Christus gebracht hat. Sie selbst haben den Verkündigten, Christus, auf- und angenommen. In der Gemeinschaft mit ihm haben sie ihr Leben neu orientiert und Vielem den Rücken gekehrt. Der Preis, den sie für den Eintritt in die Christengemeinde bezahlt haben war hoch. Dafür aber wurden sie durch die vielen Schwestern und Brüder entschädigt, die nun mit ihnen demselben Ziel entgegengingen. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus, ihre Solidarität untereinander, sowie ihr gemeinsames Unterwegssein bedeuteten einen großen Reichtum. Sie sind sich ihrer Verantwortung für die Gemeinde und ihrer Begabungen[2] bewusst geworden.
Gott schenkte ihnen auch die Gnade „an aller Rede und aller Erkenntnis“ reich zu werden, was sie zum Zeugnis für Jesus befähigte. Für ihr Leben in, mit und durch Jesus Christus haben sie Zeugnis abgelegt. Das festigt und stärkt ihren Glauben, der Halt und festen Boden unter den Füßen gibt. Die innige Verbundenheit mit Jesus wird sie bei der "Offenbarung Jesu Christi" das volle Licht des wiederkommenden Herrn schauen lassen.
Schon über Stephanus hat sich der Himmel geöffnet und er "sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen (Apg 7,55)." Als Paulus sich Damaskus näherte, umstrahlte ihn ein Licht und Jesus sprach zu ihm (Apg 9,3). Gott hat ihm seinen Sohn geoffenbart, dass er ihn unter den Heiden verkündige (Gal 1,16). Diese Offenbarungs-Erfahrungen werden noch überstrahlt beim Wiederkommen des Herrn am "Jüngsten Tag", an dem der Menschensohn die von ihm Auserwählten zusammenführen wird (Mk 13,27).
(3) In der Adventszeit, der dunkelsten Zeit des Jahres, haben Kerzen und Licht eine große Bedeutung. "Denn die erwartete Ankunft Jesu, seine Wiederkunft, wird umfassendes Licht in unserer Finsternis sein. Dieses Licht wird nicht nur offenlegen, sondern auch wärmen und verwandeln."[3]
[1] 1,8 Gemeint ist die Wiederkunft Christi in Herrlichkeit zum Gericht und zur Vollendung der Welt (vgl. 15,23-28).
[2] Sie erlebten, dass ihre Begabungen - vergleichbar mit einem Strauß schönster Wiesenblumen - an Farbe und Buntheit zugenommen haben. Aber gerade was die Begabungen betrifft, mussten sie schmerzlich lernen, dass sie nur dann ans Ziel kommen wenn sie in den Dienst der Gottesherrschaft gestellt werden. Dann erst präsentiert sich ihr Blumenstrauß in voller Pracht. Wie im Gleichnis von den zwei Dienern, die mit ihren anvertrauten Gaben gut wirtschafteten und sie verdoppelten und als Belohnung die ursprünglich anvertrauten Gaben vermehrt wurden.
[3] K. Berger, Briefe, 135
34.Christkönig 1 Kor 15,20-26.28
20 Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen. 21 Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist,[1] kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. 22 Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.
23 Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören.[2] 24 Danach kommt das Ende, wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt. 25 Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter die Füße gelegt hat.[3] 26 Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod.
28 Wenn ihm dann alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrscht über alles und in allem.
(1) Hinsichtlich der Auferstehung spricht Paulus mit aller wünschenswerten Klarheit: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.“ Einige Verse später betont er: „Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen.“[4] Es geht bei der Auferstehung aber nicht nur um den Sinn seiner Verkündigung und um den Glauben der Menschen, sondern auch um das Ziel menschlichen Lebens. Aus dem Munde eines Zeitgenossen des Paulus in Korinth hört sich das so an: „‚Ich möchte wissen, was in meinem Tod und nach meinem Tod passiert. Ich möchte wissen, ob mich dann all das, was hier geschieht, in unserer Stadt, in unserer Gemeinde Gottes, all das, wofür ich mich eingesetzt habe und einsetze, ob mich all das noch etwas angeht. Ich möchte wissen, ob die Herrschaft des Christus auch über meinen Tod hinaus mich meint, mich ganz persönlich.’“[5] Und heute am Christkönigssonntag interessiert natürlich auch die Frage, ob und wie Jesus Christus als König herrscht.
(2) Für die Korinther ist Pauls Verkündigung der Auferstehung Jesu viel schwerer zu verstehen und anzunehmen, als für die Juden, die durch ihre Heiligen Schriften darauf vorbereitet sind. Erinnern wir uns an die Überlieferung vom Auftreten des Apostels in Athen und seiner Abfuhr als er von der Auferstehung Jesu zu reden begann.[6]
Paulus verkündet, dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Wie Jesus Mensch für andere war, so dient auch seine Auferweckung nicht seiner Selbstbestätigung, sondern uns Menschen. Sie steht im Dienste unserer Rettung. Paulus bringt dies im Bild von der Erstlingsgabe („der Erste“) zum Ausdruck. Sie wird als erste Erntegabe Gott stellvertretend für die gesamte Ernte dargebracht. Symbolisch wird die Ernte Gott dankend übereignet und aus seiner Hand entgegengenommen. Damit wird anerkannt, dass er der Spender aller guten Gaben ist. Das Bild besagt: „Die Auferstehung Jesu ist nicht nur die erste in einer langen Kette von Auferstehungen, die Gott verheißt, sondern die eine Auferstehung, in der alle anderen Auferstehungen begründet sind.“[7]
Was Paulus im Bildwort andeutete, das hat er anschließend in der Kontrast-Parallele Adam-Jesus verdeutlicht. Adams Schuld hat der Welt Unheil gebracht. Er hat sich gegen Gott aufgelehnt und wollte selbst wie Gott sein und hat so den Tod für sich und alle Menschen nach sich gezogen. Aber das sollte nicht das Ende sein. Das, was Gott mit dem Menschen (Adam) noch vorhat wird endgültig sichtbar in Jesus Christus, durch den die Auferstehung kommt. Der, welcher der Welt das Heil bringt, muss selber Mensch sein, das Leben eines Menschen führen und den Tod eines Menschen erleiden.
„In Adam“ sterben alle, weil sie sündigen und ihre Sünden Ausdruck des Widerspruchs gegen Gott und die Mitmenschen sind. „In Christus“ dagegen werden alle lebendig gemacht, weil in denjenigen, die „in Christus“ sind, bereits der Geist des Lebens wirkt, der sie künftig zur Auferstehung führen wird.
(3) Der Text manifestiert anschließend folgenden Ablauf der heilsgeschichtlichen Ereignisse: „Auferstehung Jesu – Sitzen Jesu zur Rechten des Vaters – der Vater besiegt für Jesus die Feinde des Menschen – der letzte Feind ist der Tod – Jesus kommt wieder – die Auferstehung der Toten kann geschehen, denn der Tod ist besiegt... Dann folgt die ‚Unterwerfung’ des Sohnes unter den Vater, auf dass Gott alles in allem sei.“[8]
Jesus Christus regiert jetzt als König. Er herrscht seit seiner Auferstehung und Erhöhung zur Rechten des Vaters, bis zu seiner Wiederkunft. In dieser Zwischenzeit seit Jesu Erhöhung bis zu seinem Wiederkommen leben wir jetzt. Die Zeit der Herrschaft Christi ist geprägt durch den Kampf gegen die menschenfeindlichen Herrschaften, Gewalten und Mächten. Es sind die, den Menschen verachtende Ideologien, wie Nationalismus, Rassismus, Faschismus, Kommunismus, Militarismus, Kapitalismus und jede Art von Totalitarismus. Die hauptsächlichen Mächte sind Geiz und Neid.
Das Ende kommt dann, „‚wenn jede Macht und Herrschaft und Gewalt dem Christus unter die Füße gelegt sein wird, dass der letzte Feind, der entmachtet wird, der Tod ist und dass sich letztlich der Sohn mit allem, was er sich unterworfen hat, selbst dem Vater unterwerfen wird, damit Gott alles in allem ist.’’’[9] Dass Gott alles in allem ist bedeutet, dass er alles mit seiner Herrlichkeit erfüllt.
[1] Gen 3,17-19
[2] 1 Thess 4,15
[3] Ps 110,1 und Ps 8,7
[4] 1 Kor 15,14.19
[5] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 141f
[6] Apg 17,31f: „Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, andere aber sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören.“
[7] Th. Söding, Gottessohn, 79
[8] K. Berger, Briefe, 219
[9] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 140
33. Sonntag im Jahreskreis 1 Thess 5,1-6
1 Über Zeit und Stunde, Brüder, brauche ich euch nicht zu schreiben. 2 Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.
3 Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau, und es gibt kein Entrinnen.
4 Ihr aber, Brüder, lebt nicht im Finstern, so dass euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. 5 Ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. 6 Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.
(1) Die Fähigkeit zu delegieren ist eine „not-wendende“ Begabung für Manager, die viel um die Ohren haben. Da Delegation immer mit Vertrauen verbunden ist, will sie auch gut überlegt sein. Nach der Eisenhower-Matrix sollen Angelegenheiten, die dringend, aber nicht wichtig sind, abgetreten werden, damit Zeit frei wird, für solche, die wichtig, aber nicht dringend sind.
Wenn Delegation Abtreten von Verantwortung bedeutet, kann sie verhängnisvoll sein, weil sie die Selbstbestimmung gegen Fremdbestimmung eintauscht. Leider fördert der Staat die Abtretung der Kompetenzen der Individuen, weil er zu einem nimmersatten Moloch neigt und dem Hang des Menschen zur Bequemlichkeit entgegenkommt. So nimmt die entmündigende Delegation ihren Lauf. Wir delegieren und wiegen uns in bequemer, falscher Sicherheit und bauen auf einem Fundament, das sehr fragil ist. Der Christ jedenfalls darf seine Verantwortung, die er mit der Taufe übernommen hat, nicht delegieren.
(2) Paulus konnte die besorgten Thessalonicher beruhigen. Ihre lieben Verstorbenen sind von der Begegnung mit dem wiederkommenden Christus am „Tag des Herrn“ nicht ausgeschlossen. Zusammen mit den Lebenden werden sie an der Herrlichkeit des kommenden Christus teilhaben. So konnte Paulus den besorgniserregenden Aspekt der „Wiederkunft des Herrn“ als Missverständnis entschärfen. Um den Thessalonichern zu erklären, dass die Trennung von lieben Verstorbenen keine endgültige ist, hat er ihren Blick in die Zukunft auf den „Tag des Herrn“ gelenkt. Das Heil für die Lebenden und Verstorbenen, das sich bei der Wiederkunft des Herrn endgültig vollendet, ist eine große, verheißene Gabe Gottes.
Jetzt aber liegt dem Völkerapostel viel daran, ihren Blick in die Zukunft zurück auf die konkrete Gegenwart zu lenken. Das christliche Engagement im Hier und Heute wird inspiriert und befeuert, nicht nur durch die Taufe, sondern auch vom Ende her, von der Begegnung mit dem wiederkommenden Herrn. Die Verheißung der Herrlichkeit - in der Zukunft - gibt ihnen Kraft und Zuversicht für die Gegenwart, birgt jedoch auch die Gefahr, in der Wachsamkeit, Konzentration und Einsatzbereitschaft im Dienst des Herrn nachzulassen.
Paulus verwendet das Bild vom einbrechenden Dieb, um die Konsequenz des Unvorbereitet-Seins auf den „Tag des Herrn“, oder dessen "Verschlafen", aufzuzeigen. Der Tag des Herrn kommt dann wie ein Dieb. Wenn ich keine Maßnahmen gegen den Einbruch getroffen habe, wird der Dieb ungehindert zu seiner Beute kommen. Es geht dabei nicht um irgendein Raubgut, sondern um mein Leben.[1]
Paulus warnt auch vor dem Slogan der römischen Staatspropaganda: Frieden und Sicherheit (pax et securitas). Er trägt nicht wirklich und ist nur dünnes Eis unter den Füßen und könnte dazu verleiten sein Lebenshaus auf Sand[2] zu bauen. Der "Tag des Herrn" ist so natürlich und unausweichlich, wie die Geburtswehen bei einer Schwangeren. Niemand kann ihm entweichen. Als Söhne und Töchter des Lichtes, wird der "Tag des Herrn" für die Christen in Thessalonich nicht die negativen Folgen haben, wie für die Söhne und Töchter der Finsternis, die das Licht - Jesus Christus - nicht aufnahmen und nicht an ihn glauben.
Paulus ermutigt die Thessalonicher an Jesu Projekt der Befreiung der Menschen von Fremdbestimmung und ihrer Versöhnung mit Gott, mitzuwirken. Sie sollen die ihnen geschenkte Zeit der Bewährung zu einem intensiven, christlichen Leben nutzen. Es ist der Schlüssel zum Aussperren des Diebes, der in der Nacht einbricht, und der Weg zur Begegnung mit dem wiederkehrenden Herrn. Im Alltagsleben dürfen das Ziel und der Weg zum Ziel niemals aus dem Blick verloren gehen. In dieser Hinsicht gilt es wachsam und nüchtern zu sein.
(3) Hören wir abschließend hinein in das fiktive Gespräch einiger Christen in Thessalonich: „‚Wenn wir uns immer so schwer tun, den Tod Jesu zu verstehen - hier ist der Sinn gut angegeben: Er ist für uns gestorben, das heißt mit uns bis zum letzten solidarisch geworden, damit wir vereint mit ihm leben. Ein Leben mit ihm wäre überhaupt nicht möglich, wenn er nicht bis zum Äußersten gegangen wäre. Mit ihm leben: das könnte doch der Sinn unseres Lebens sein - und unseres Sterbens... Mit ihm sind wir als Lebende, mit ihm kämpfen wir für die Befreiung der Welt und der Menschen, kämpfen mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.'"[3]
[1] Vgl. Mt 24,43-51
[2] Bergpredigt: Das Leben baut auf Fels, wer Jesu Wort hört und danach handelt. Auf Sand baut sein Leben, wer Jesu Wort hört und nicht danach handelt.
[3] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 69
32. Sonntag im Jahreskreis 1 Thess 4,13-18
13 Brüder, wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben.[1] 14 Wenn Jesus - und das ist unser Glaube - gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen. 15 Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben.
16 Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; 17 dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein.
18 Tröstet also einander mit diesen Worten!
(1) Was wird mit unseren Lieben sein die sterben, bevor Jesus wiederkommt? Werden wir dann für immer von denen getrennt sein, die uns nahe standen, von der Gattin, dem Sohn, der Freundin, dem Bruder? Wird das Glück, den wiederkehrenden Herrn Jesus Christus zu empfangen, getrübt durch das Unglück der Trennung von denen, die zwar gehofft hatten beim Fest der Parusie[2] dabei zu sein und ihr Leben darauf hin ausgerichtet haben, nur leider vor diesem Ereignis gestorben sind? Diese Fragen stellten sich die Christen in Thessalonich, die die Wiederkunft des Herrn schon bald erwarteten.
Für manche Hinterbliebene in der Christengemeinde von Thessalonich hat der Verlust eines geliebten Menschen die Vorfreude auf die Wiederkunft des Herrn radikal reduziert. Im Gespräch unter Brüder und Schwestern mag sich das Problem so angehört haben: „‚Wir haben in unserer Gemeinde mehrere Todesfälle zu beklagen, die uns hart treffen. Einige von uns kommen darüber nicht so recht hinweg. Mitten in unserem großen Aufbruch ist uns Aristia, die Frau des Demetrius... weggestorben. Warum nur? Es ist doch, als ob sie nicht dabei sein dürfte, wenn unser Herr kommt. Aristia war eine große Stütze unserer Gemeinde. Und wir waren echte Freundinnen... Ich weiß, man sollte das nicht so sagen; aber es macht nicht viel Sinn, den Herrn zu erwarten, wenn die Liebsten doch nicht mehr da sind, wenn sie bei seiner Ankunft doch nicht mitfeiern können.’“[3]
(2) Paulus, der sich nicht nur als Verkünder des Evangeliums versteht, sondern auch Seelsorger sein will, geht auf diese Frage ein, die die Christen in Thessalonich umtreibt: Er will sie trösten und sie „über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen.“ Sie sollen nicht trauern „wie die anderen, die keine Hoffnung haben.“ Was die Christen von den „anderen“, den Heiden, unterscheidet ist also ihre Hoffnung. Worauf bauen die Heiden und Neuheiden ihr Leben? Worin besteht ihre Hoffnung? Sie beten falsche Götter, Götzen, leblose, von Menschenhand hergestellte Gebilde an. Sie sind tot, nicht lebendig. Die Thessalonicher haben sich von diesen abgewandt, um den wahren, lebendigen Gott anzubeten. Und dieser Gott, der in der Geschichte handelt, hat seine Lebendigkeit nicht zuletzt dadurch erwiesen, dass er Jesus zum Leben erweckt hat.
Im ältesten seiner Briefe schon stellt Paulus den Zusammenhang zwischen der Auferstehung Jesu und der Auferstehung aller „in Christus Verstorbenen“ her. Die, die bei der Wiederkunft Jesu noch leben, haben keinen Vorteil gegenüber denen, die schon gestorben sind. Es kommt nicht auf die Begegnung von Angesicht zu Angesicht am „Jüngsten Tag“ an, sondern vielmehr auf das Leben aus der Taufgnade, auf das Leben „in Christus“. Eine Witwe, Juliane mit Namen, in Thessalonich hat ihre Hoffnung - vermittelt durch Paulus - so ausgedrückt: „‚Für Paulus scheinen die Toten nicht einfach tot zu sein. Sie schlafen auch nicht nur und warten auf eine Auferstehung am Jüngsten Tag. Sie sind in Christus... Und dann sagt Paulus noch ein zweites: Wenn der Christus kommt, dann werden auch die Verstorbenen in Christus mit ihm kommen. Auch das glaube ich. Und das genügt mir. ‚Verstehe ich dich recht, sagte Andronikus, ‚wenn wir beten oder singen Komm, Herr Jesus, dann bitten wir auch, dass die Verstorbenen mit ihm kommen?’ ‚Das ist es ja, was ich so tröstlich finde, antwortete Juliane.’“[4]
Mit dieser Hoffnung lässt es sich gut sterben, aber auch gut leben. Mit unseren Verstorbenen sind wir eins „in Christus Jesus“. Der physische Tod kann uns weder von Christus, noch von unseren Lieben trennen. Zur christlichen Gemeinde gehören, sowohl die „in Christus“ Lebenden, als auch die „in Christus“ Verstorbenen. Darauf gründet die Hoffnung der Christen. Paulus bezieht sich in seiner Argumentation nicht auf eigene Überlegungen oder eine Offenbarung des Auferstandenen, sondern auf ein Wort des irdischen Jesus.[5]
(3) Das Geschehen von Jesu Tod und Auferstehung - der Grund unserer Hoffnung - ist noch nicht abgeschlossen. Es reicht bis an unser Ufer: „‚Ich verstehe das so, dass Tod und Auferstehung eben nicht ein Ereignis ist, das in der Vergangenheit ein für allemal abgeschlossen ist, sondern dass die Erfüllung dieses Ereignisses noch aussteht. Unser Glaube blickt nicht nur auf das einmalige gestorben und auferstanden Jesu, sondern spannt sich zugleich aus nach Jesu Ankunft im Triumphzug.’“ Die Auferstehung Jesu ist gewissermaßen der Beginn seines Triumphzuges, der Vollendung findet, wenn er bei uns ankommt und so die Befreiung vollenden wird.[6] Mit den Hoffnungsworten des Apostels – aus der heutigen Lesung - dürfen wir guten Gewissens einander Trost spenden, wenn wir den Verlust eines lieben Menschen betrauern.
[1] Wie der Zusammenhang 4,13-18 zeigt, entsprang die Sorge der Thessalonicher um ihre Toten nicht einem Zweifel an der Auferstehung überhaupt, sondern der Ungewissheit, ob die bereits Verstorbenen ebenfalls am nahe erwarteten Tag des Herrn teilnehmen würden.
[2] Wiederkunft des Herrn
[3] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 57
[4] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 61
[5] Th. Söding, Gottessohn, 90, sieht in den Versen 16f das Jesuswort, „freilich nicht im Originalton, sondern in der paulinischen Applikation.“
[6] H.-J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 64
31. Sonntag im Jahreskreis 1 Thess 2,7b-9.13
7b Wir sind euch freundlich begegnet: Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt, 8 so waren wir euch zugetan und wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem eigenen Leben; denn ihr wart uns sehr lieb geworden.
9 Ihr erinnert euch, Brüder, wie wir uns gemüht und geplagt haben. Bei Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen, und haben euch so das Evangelium Gottes verkündet.
13 Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern - was es in Wahrheit ist - als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam.
(1) "Und jetzt ist es (Gottes Wort) in euch, den Gläubigen, wirksam." Mit diesen Worten endet der heute verkündete Abschnitt aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher. Dieser Spitzensatz vertieft die Aussage vom vergangenen Sonntag, dass "das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen ist, sondern überall euer Glaube an Gott bekannt geworden ist." Paulus kann also mit Dankbarkeit und Freude feststellen, dass sein und seiner Gefährten - Silvanus und Timotheus - Verkündigungstätigkeit unter den Thessalonichern, trotz mancher Hindernisse, Frucht getragen hat.
Der Völkerapostel ist sich bewusst, dass Gott hier am Werk war, dass es aber doch auch seines und seiner Gefährten Einsatzes bedurfte. Aber das allein hätte noch nicht genügt: auf Seiten der Thessalonicher brauchte es die Bereitschaft, sowohl die Boten als auch ihre Botschaft, das verkündete Evangelium, aufzunehmen.
(2) Nachdem Paulus im Brief an die Schwierigkeiten erinnerte, mit denen er bei seinen anfänglichen Bemühungen konfrontiert worden war, beschreibt er, wie er und Silvanus eine Beziehung zu den Christen und Christinnen in Thessalonich aufgebaut haben. Sie sind ihnen freundlich begegnet und waren ihnen mit mütterlicher Sorge zugetan. Die Boten des Evangeliums Gottes sind den Menschen, die sie für Christus gewinnen wollten, so begegnet, wie Christus ihnen begegnet ist. Paulus hat die große Liebe Gottes in der Begegnung mit seinem Sohn vor Damaskus erfahren. Er ist in eine Beziehung mit ihm eingetreten, die er mit nichts in der Welt tauschen möchte. Mit dieser Erfahrung des Geliebt- und Gesandtseins ist er auf die Thessalonicher zugegangen. Er hat die Brüder und Schwestern der entstehenden Gemeinde mit den Augen Jesu gesehen. Er war den Brüdern und Schwestern ein in Liebe verbundener Bruder geworden.
Die Verkündigung des Paulus beinhaltete ein doppeltes Zeugnis. Zunächst bemühte er sich ihnen am Evangelium Anteil zu geben. Er trachtete ihnen die Frohe Botschaft von Jesu Leben, seiner Hingabe am Kreuz und seiner Auferweckung glaubhaft zu vermitteln. Durch das von Gott geschenkte Heil im auferweckten Jesus Christus sind auch sie von Gott angenommen und mit ihm versöhnt. Durch die Taufe sind sie in eine unzerstörbare Gemeinschaft hineingenommen, die über den leiblichen Tod hinausgeht.
Paulus berichtet aber auch, dass er ihnen am eigenen Leben Anteil gegeben hat. Das bedeutet, dass er mit Ihnen in eine zeitlich begrenzte Lebens- Lern- und Schicksalsgemeinschaft eingetreten ist. Er hat ihnen Anteil gegeben an seinen Lebenserfahrungen, an seinen Irrungen und Wirrungen, der Verfolgung der Christen, seiner Berufung und seiner Sendung, seinem unermüdlichen Einsatz, seinen Erfolgen und Misserfolgen, seinen Zweifeln und Ängsten, seinen Plänen und Hoffnungen. Der Austausch wird aber wohl keine Einbahn gewesen sein. Auch die Brüder und Schwestern werden von ihren Erwartungen und Hoffnungen, ihrer Begegnung mit Jesus im Gebet und dem Versuch, den Alltag in seinem Geiste zu leben, erzählt haben.
Ein weiterer Aspekt im Leben des Apostels, der freilich nicht überall und von allen geschätzt wurde, war sein Anliegen, niemandem zur Last zu fallen. Von eigener Hände Arbeit wollte er leben. Vielleicht auch, um mit den arbeitenden Menschen solidarisch zu sein. Allein schon zu wissen, wie es ist müde nach der täglichen Arbeit seiner Botschaft zu zuzuhören. Er mühte sich, sowohl seine körperliche Arbeit zu verrichten, als auch das Evangelium Gottes den Menschen zu verkünden.
(3) Der Apostel Paulus war für die Thessalonicher ein glaubwürdiger Nachahmer seines geliebten Vorbildes Jesus Christus. Wundert es, dass sie selbst zu eifrigen engagierten Nachahmern des Paulus geworden sind?
"Paulus" hat das Evangelium nicht nur mit Worten verkündet, sondern 'mit Macht und mit heiligem Geist und mit voller Gewissheit', um die Thessalonicher zu gewinnen (1 Thess 1,5).
Etwas von dieser Gewissheit im heiligen Geist muss unserem christlichen Zeugnis zu eigen sein. Man kann das nicht nur mit Worten versichern, sondern es muss eine geistliche Erfahrung dahinter stehen. Wenn ich vom auferstandenen Herrn spreche, muss ich seine lebendige Gegenwart erfahren und erfasst haben. 'Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir' (Galater 2,20).
30. Sonntag im Jahreskreis
1 Thess 1,5c-10
Ihr wisst, wie wir bei euch aufgetreten sind, um euch zu gewinnen. 6 Und ihr seid unserem Beispiel gefolgt und dem des Herrn; ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis mit der Freude aufgenommen, die der Heilige Geist gibt.[1] 7 So wurdet ihr ein Vorbild für alle Gläubigen in Mazedonien und in Achaia.
8 Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, so dass wir darüber nichts mehr zu sagen brauchen.
9 Denn man erzählt sich überall, welche Aufnahme wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen 10 und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, den er von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt.
(1) Nach der spektakulären Befreiung aus dem Gefängnis von Philippi, zogen Paulus und Silvanus weiter nach Thessalonich. Wie gewohnt nahm Paulus zunächst Kontakt mit der Synagoge auf. An drei aufeinanderfolgenden Sabbaten legte er ihnen die Schriften aus und erklärte, dass der Messias leiden und auferweckt werden musste. Dieser Messias sei Jesus, dessen Evangelium er verkünde. Einige Juden ließen sich von Paulus überzeugen und schlossen sich ihm an. Die Schar der gottesfürchtigen Heiden, die mit dem Judentum sympathisierten und sich Paulus anschlossen war erheblich größer. Unter ihnen befanden sich nicht wenige Frauen aus vornehmen Kreisen.
Nach Auskunft der Apostelgeschichte wurden die Juden eifersüchtig und sie wiegelten die Stadtbevölkerung auf. Sie versuchten Paulus und Silvanus zu ergreifen, fanden sie aber nicht im vermuteten Haus vor. An ihrer Stelle wurden Jason und einige Brüder vor die Stadtpräfekten geschleppt und bezichtigt, notorische Unruhestifter bei sich aufgenommen zu haben. Sie wurden aber schließlich freigelassen. Paulus und sein Gefährte mussten aus Sicherheitsgründen heimlich aus der Stadt gebracht werden.
Paulus selbst schreibt im Brief in Erinnerung an diese Zeit der Gemeindegründung: „dennoch haben wir im Vertrauen auf unseren Gott das Evangelium Gottes trotz harter Kämpfe freimütig und furchtlos bei euch verkündet. Denn wir predigen nicht, um euch irrezuführen, in schmutziger Weise auszunutzen oder zu betrügen, sondern wir tun es, weil Gott uns geprüft und uns das Evangelium anvertraut hat, nicht also um den Menschen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüft.“[2]
(2) Dieser beherzte Einsatz – ungeachtet, permanenter Verleumdung, Verachtung, Verfolgung und Leiden - für die Verbreitung des Evangeliums, hat die Thessalonicher tief berührt. In ebendieser Einstellung und Haltung haben sie dem Beispiel des Paulus und Silvanus nachgeeifert. Der Glaube an Jesus - den Messias und der Dienst an der Weitergabe des Evangeliums fand viele aufnahmebereite Herzen und Ohren, sowohl in Mazedonien als auch in Achaia. Paulus rechnet ihnen nicht nur die Verkündigung des Wortes hoch an, sondern auch, dass ihr Glaube an Gott nicht unbeachtet blieb, sondern vielmehr überall bekannt geworden ist. Paulus und Silvanus haben in ihrer Missionierungstätigkeit Jesu Einsatz für das Reich Gottes nachgeahmt und sind zu Vorbildern für die Thessalonicher geworden. Diese wiederum wurden durch ihre Bemühungen für die Christen in ihrem Umfeld zu Vorbildern.
Auch den Thessalonichern sind Schmerz-, Leid- und Kampfbereitschaft bei der Weitergabe des Evangeliums nicht erspart geblieben. Gerade darin haben sie sich ausgezeichnet und Standhaftigkeit bewiesen. Das war keineswegs eine freudlose Zeit. Die Erfahrung von Freude im Durchstehen von Leid, war durchaus kein abwegiger Gedanke. Sie erlebten, wovon auch Petrus berichtete: „Liebe Brüder, ... freut euch, dass ihr Anteil an den Leiden Christi habt; denn so könnt ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln. Wenn ihr wegen des Namens Christi beschimpft werdet, seid ihr seligzupreisen; denn der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes, ruht auf euch.“[3]
(3) Paulus erinnert schließlich auch noch an seine Verkündigung in Thessalonich. Dieser Hinweis zeigt, womit sich die anfängliche Heidenmission auseinanderzusetzen hatte: Es galt, den Götzendienst gegenüber den vielen Göttern abzustellen und das entfachte Feuer des Glaubens an den wahren und lebendigen Gott zum Lodern zu bringen. Die Thessalonicher jedenfalls haben sich von den Götzen bekehrt und sind in den Dienst Gottes getreten. Wie Petrus im Messias-Bekenntnis – Jesus, als Sohn des lebendigen Gottes bekennt, so erwarten die Thessalonicher – Jesus, den Sohn Gottes vom Himmel her. Paulus legt großes Gewicht auf den wiederkommenden Herrn, der Gericht halten wird.[4] Aber er wird sie dem Gericht entreißen, weil er der Retter ist. „Es rettet einzig und allein der, den Gott – zu diesem Zweck – von den Toten auferweckt hat.“[5]
(4) Unser Leben als Christen und Christinnen könnte ein Glied in der Kette aus Vorbildern und Nachahmern werden, wenn wir in unserem Reden und Handeln wirklich Maß nehmen würden am ersten Glied der Kette, an Jesus Christus, und uns bemühten ihm ähnlich zu werden.
[1] Die Bedrängnis war durch die von Juden angezettelte Verfolgung verursacht (vgl. 4,14 und Apg 17,5-9).
[2] 1 Thess 2,2-4
[3] 1 Petr 4,13f
[4] In Röm 5 hingegen sagt Paulus, dass wir das Entscheidende schon hinter uns haben.
[5] Th. Söding, Gottessohn, 270
[1] Thessalonich (Thessaloniki) war in römischer Zeit Hauptstadt der Provinz Mazedonien. Wegen ihrer günstigen Lage an der Rom mit Byzanz verbindenden Fernstraße «Via Egnatia» war sie ein bedeutender Handelsplatz. - Silvanus (latinisierte Form des Namens Silas) stammte aus der Jerusalemer Urgemeinde. Er kam nach Antiochia, von wo Paulus ihn auf die zweite Missionsreise mitnahm (Apg 15,40). - Timotheus, Sohn eines heidnischen Vaters und einer judenchristlichen Mutter mit Namen Eunike, wohl schon auf der ersten Missionsreise von Paulus zum Glauben bekehrt, begleitete den Apostel von Lystra an auf seiner zweiten Reise (vgl. Apg 16,1-3; 2 Tim 1,5).
[2] Zur Dreiheit Glaube - Hoffnung - Liebe vgl. 5,8; 1 Kor 13,13; Eph 1,16-18; Kol 1,4f; Hebr 10,22-24.
28. Sonntag im Jahreskreis Phil 4,12-14.19-20
12 Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht: in Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. 13 Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt. 14 Trotzdem habt ihr recht daran getan, an meiner Bedrängnis teilzunehmen.
19 Mein Gott aber wird euch durch Christus Jesus alles, was ihr nötig habt, aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit schenken.
20 Unserem Gott und Vater sei die Ehre in alle Ewigkeit! Amen.
(1) Wer seine Taufe ernst nimmt, vor Gott und den Menschen wachsen möchte, der weiß, Nachfolge ist manchmal wie eine Achterbahn des Lebens, mit Höhen und Tiefen, Zeiten der Fruchtbarkeit und der Trostlosigkeit. Auch Paulus ist diesen Weg gegangen. Er war im Glauben soweit gereift, dass er von sich sagen konnte, dass er sich in jeder Lage zurechtfinde, dass ihn nichts von Christus trennen könne. Auch wir sind unterwegs mit Jesus Christus zum Vater.
(2) Paulus stellt in allem Jesus Christus, seinen Herrn in den Mittelpunkt. Was er für sein Selbstverständnis und sein Selbstwertgefühl braucht, das hat ihm Jesus bei der Begegnung vor Damaskus geschenkt. Vom Herrn geliebt, verwandelt und gebraucht zu werden genügt ihm, um seine Berufung zum Völkerapostel zu erfüllen. Auf seine Verdienste und empfangenen Gnaden zu pochen ist nicht seine Sache. Das tut er nur, wenn seine Gegner ihn provozieren und ihm seine Legitimität als Apostel absprechen wollen. Dann allerdings nimmt er sich kein Blatt vor den Mund.
Im 2. Korintherbrief gibt uns Paulus, der mit unglaublicher Energie wichtige Teile der damals bekannten Welt bereist, um sie mit dem Evangelium bekannt zu machen, Anschauungsunterricht in Sachen Entbehrungen um des Evangeliums willen (2 Kor 11,23-28): „Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die neunundreißig Hiebe; dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. Ich war oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Blöße. Um von allem andern zu schweigen, weise ich noch auf den täglichen Andrang zu mir und die Sorgen für alle Gemeinden hin.“
Weil Paulus sich bei dieser Selbstdarstellung nicht ganz wohl fühlt, bezeichnet er solches „Prahlen“ als „närrisch“. Er ist überzeugt, dass der Ruhm eines Apostels nur in der Teilhabe am Kreuz Christi bestehen kann: „Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn.“ (2 Kor 10,17)
Paulus betont der Gemeinde von Philippi gegenüber, dass er mit allem und jedem vertraut ist, was dem Glauben an Jesus Christus Abbruch tun könnte: mit der Angst vor Entbehrungen, Strapazen und Leiden, ebenso mit dem Überfluss, der zu Selbstgefälligkeit, Bequemlichkeit und Selbstherrlichkeit verführen kann. Paulus ist der Versuchung, Leiden und Entbehrungen auszuweichen, oder dem Wohlleben den Vorzug gegenüber Jesus zu geben, nie erlegen. Dass Jesu Auftrag und Sendung immer Priorität in seinem Leben hatte, verdankt er dem Herrn selbst: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.“
Frieden findet Paulus darin, dass er mitten in der Bedrängnis die Kraft Jesu erfährt. Das hat er im 2. Korintherbrief nach seiner „Prahlerei“ zum Ausdruck gebracht: „Sehr gern nun will ich mich noch mehr rühmen in den Schwachheiten, will sie gerne annehmen, damit über mich komme die Kraft des Christus. Darum bin ich mit den Schwachheiten zufrieden und ausgesöhnt, mit Beleidigungen, Nöten, Engpässen und Verfolgungen an Christi Stelle; denn wenn ich so schwach bin, gerade dann bin ich stark.“ (2 Korinther 12,9-10)
Paulus hat seinen religiösen Ehrgeiz seit seiner Begegnung mit dem Herrn vor Damaskus hinter sich gelassen. Jesus begegnete ihm nicht als fordernder Gott, sondern als von ihm Verfolgter. Fortan hat er nicht mehr mit Leistungsfrömmigkeit die eigene Ehre gesucht und vertraute mehr seiner Schwachheit, als seiner blinden, ichbezogenen, religiösen Leistungsbereitschaft.
(3) Der Völkerapostel Paulus ist zur Leidensbereitschaft mit seinem Herrn Jesus Christus bereit. Gerade deshalb ist er kein isolierter Einzelkämpfer. Den Philippern bezeugt er, dass Jesus ihn, in seinen Herausforderungen nicht allein lässt. Er gibt Paulus die Kraft, weder im Meer der Tränen noch der Freude zu ertrinken. Den Philippern, die an seinem Gedeih und Verderb geschwisterlichen Anteil nehmen, verheißt Paulus, dass Gott auch ihnen durch Jesus Christus Kraft schenken werde, die sie benötigen, um ihre Herausforderungen in der Nachfolge Jesu zu bestehen.
Jesus,
egal, ob Entbehrungen oder Überfluss,
ob Bedrohungen oder Annehmlichkeiten,
Paulus kennt die Bandbreite alles dessen,
womit konfrontiert wird, wer dir nachfolgt.
Auch Gefängnis und möglicher Tod
versetzen ihn weder in Panik noch in Hoffnungslosigkeit.
Er hat es erfahren und setzt darauf seine Hoffnung,
dass du, der Herr, ihm die Kraft gibst,
sich unbeschadet in jeder Lage,
in der er sich befindet,
zu bewähren.
Obwohl du die Quelle seiner Kraft bist,
dankt er den Brüdern und Schwestern in Philippi,
dass sie an seiner Bedrängnis Anteil nehmen,
dass sie ihm helfen seine Lasten zu tragen
und geschwisterliche Solidarität üben.
Die Brüder und Schwestern ermutigt er mit der Zusage,
dass der Vater ihnen durch dich geben werde,
was sie nötig haben - Kraft zum Leben und Lieben.
Was er am eigenen Leib erfahren hat,
das werden auch sie erfahren dürfen.
26. Sonntag im Jahreskreis Phil 2,1-11
1,27 Vor allem: lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht...
1 Wenn es eine Ermahnung in Christus gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, ein Erbarmen und Mitgefühl, 2 dann macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, 3 dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut.
Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. 4 Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.
5 Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
6 Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,[1] 7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; 8 er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, 10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes, des Vaters.
(1) Der besondere Wert des Philipperbriefes liegt darin, dass er Auskunft über das persönliche Wollen und Denken des Apostels Paulus gibt. Paulus mahnt die Gemeinde wiederholt zu Frieden, Einmütigkeit und Demut. Der bedeutendste Text im Brief ist das Christuslied, das den Weg Jesu Christi beschreibt und an dem die Gemeinde Maß nehmen soll.[2]
(2) Der Apostel stellt der Gemeinde von Philippi ein gutes Zeugnis aus. Er ist sehr erbaut über deren geistlichen Zustand und freut sich über ihr geistliches Wachstum. Die Saat des ausgestreuten Samens des Wortes Gottes ist aufgegangen. Das Miteinander in der Gemeinde wird von Verhaltensweisen bestimmt, die sich klar von denen, außerhalb der Gemeinde unterscheiden. Er begrüßt das hohe Maß an Sensibilität für den gemeinsamen Weg, den Jesus vorausgegangen ist und dem sie folgen. Wenn nötig, helfen sie einander von einem falsch gewählten Weg umzukehren.
Die Gemeinde weiß sich ihrer Sendung verpflichtet, so zu leben, dass Gottes Gegenwart unter ihnen aufleuchtet. Die Getauften motivieren sich gegenseitig durch Ermutigung, Trost und Wertschätzung. Sie glauben, dass die Versammlung im Geiste Jesu sie trägt und zusammenhält, nicht nur die gottesdienstlichen Versammlungen, sondern auch jene, in denen das gemeinsame, missionarische Tun beraten wird. Ihr Denken vom anderen her, ihr Bemühen, das Herz dem Bruder und der Schwester zu öffnen und Solidarität zu üben, entspricht der Nachfolge Jesu.
So weit so gut! Paulus ist erfreut über dieses Miteinander der Gemeinde. Aber etwas fehlt noch, damit seine Freude vollkommen ist, dass die Getauften in Philippi „eines Sinnes“ seien.
Der Völkerapostel weist den Weg zum Ziel: Sowohl einander in Liebe verbunden, als auch einmütig und einträchtig zu sein. Wer sich von der Liebe Gottes beschenkt erfährt, kann sich in Liebe mit dem Bruder und der Schwester verbinden, der kann auch seinen Eigensinn, Eigenwillen und Eigennutz überwinden und zur gemeinsamen Entscheidungsfindung beitragen. In einer christlichen Gemeinde bestimmt nicht „ein Großbauer über seine Knechte“, sondern in Demut schätzt jeder den anderen größer ein als sich selbst und strebt nicht nur nach dem eigenen Wohl, sondern auch nach dem des anderen. Ehrgeiz und Prahlerei sind Unkraut im Garten der Nachfolge Jesu.
Vor diesem gemeindlichen Hintergrund ruft Paulus die Gemeindemitglieder in Philippi dazu auf untereinander „so gesinnt zu sein, wie es dem Leben in Jesus Christus entspricht“. Es geht um den Geist, in dem sie miteinander Umgang pflegen, um die geistliche Einstellung mit der sie einander begegnen. An der Einstellung und Lebenspraxis Jesu sollen sie Maß nehmen. Sie sollen - wie es in der Taufliturgie heißt - Jesus Christus anziehen und ihn nachahmen. An der unfassbaren Demut Jesu sollen sie Maß nehmen. Er, der Gott gleich war „wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“. Er wurde ein Mensch, nicht um auf seine Brüder und Schwestern herabzuschauen, sondern, um ihnen ins Gesicht zu schauen und in ihnen das Abbild Gottes zu erkennen und zu würdigen. Noch tiefer führte ihn der Abstieg, er wurde „wie ein Sklave“, um zum Bruder und zur Schwester aufzuschauen. Er berührte die Aussätzigen, vergab den Sündern, aß mit den Zöllnern und wusch den Jüngern die Füße. Knecht und Diener der Menschen war er geworden und hat ihre Ohnmacht geteilt. Ein „Mensch für andere“ ist er geworden.
Sein Auftrag vom Vater bestand nicht darin, zu sterben, sondern die Menschen zu retten und zu erlösen. Diesen hat er gehorsam und gewaltlos erfüllt. Er hat auf Gottes Wort gehört, ist ihm gefolgt und hat es auch in der schweren Stunde von Getsemani durchgehalten. Die freiwillige und gehorsame Selbsterniedrigung Jesu ist der Grund für seine Erhöhung beim Vater. Ihm wird der Name Gottes, Kyrios geschenkt. Alle Geschöpfe sollen ihn als Gott anerkennen: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters. Jesus ehrte seinen Vater,[3] indem er die Gottesherrschaft (Reich Gottes), die Heiligung seines Namens und die Erfüllung seines Willens verkündete und lebte.
(3) „Die anderen lächelten, nickten ihm zu und sagten: ‚Nur zu, Anthimos. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Wie sollst du ein anderes Bild haben von Gott und von seinem Christus, wenn wir es dir durch unser Verhalten nicht deutlich machen? Wie sollst du eine Ahnung bekommen von einer anderen Politik und einer anderen Welt, wenn wir das Andere, das Neue unter uns nicht verwirklichen?’“[4]
[1] 2,6-11 Paulus greift hier einen Hymnus auf, in dem der Weg Christi von seinem vorzeitlichen Sein über seine Menschwerdung und seinen Tod bis zur Erhöhung und Einsetzung zum Herrscher des Alls beschrieben wird. Der im Lied betonte Gehorsam Jesu wird der Gemeinde als Vorbild gegenseitigen Dienens vor Augen gestellt.
[2] Strukturreformen zur Bewältigung des Priestermangels, Aufrufe, doch nicht im eigenen Saft zu schmorren, sondern missionarisch nach außen zu gehen, haben zur jahrzehntelagen Austritts- und Misserfolgsgeschichte der Kirche beigetragen. Verkündigung ohne das Verkündete auch zu leben, Organisationsformen zu wechseln ohne auf den Geist zu achten, der alles beseelen soll, führte dorthin, wo wir heute stehen: zu Familien, in denen der Glaubensvollzug ein Tabu ist, zu Gemeinden mit ausgedünntem oder gestorbenem Gemeindeleben, zu einem von Laien kontrolliertem Presbyterium. Da kommen einem die Worte des Paulus wie eine Botschaft von einem anderen Planeten vor.
[3] Joh 8,49
[4] H.J. Venetz/S. Bieberstein, Bannkreis, 173
25. Sonntag im Jahreskreis Phil 1,20ad-24.27a
20 Ich erwarte und hoffe, dass Christus verherrlicht werden wird in meinem Leibe, ob ich lebe oder sterbe. 21 Denn für mich ist Christus das Leben, und Sterben Gewinn. 22 Wenn ich aber weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbares Wirken. Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht.
23 Bedrängt werde ich von beiden Seiten: Ich habe das Verlangen, aufzubrechen[1] und bei Christus zu sein - um wie viel besser wäre das!
24 Aber euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe.
27 Vor allem: Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht.
(1) Es gibt Menschen, denen die Zeit im Gefängnis zur kostbaren „Bedenkzeit“ wird. Sie verlassen verändert und gereift diesen Ort. Die Zeit der Haft ist eine Begegnung mit sich selbst und oft auch mit Gott. Ich denke vor allem an Nino Aquino und an Nelson Mandela. Sie haben nach langjähriger Haft und ihrer Entlassung Großes für die Menschen ihrer Länder geleistet (Philippinen und Südafrika).
(2) Paulus ist im Gefängnis von Ephesus in Haft. Er wartet auf sein Urteil. Der Ausgang ist ungewiss. Er muss im schlimmsten Fall mit der Todesstrafe rechnen. Der Grund für seine Verhaftung war seine Verkündigung des Evangeliums. Damit habe er die öffentliche Ordnung gefährdet. Paulus ist auf sich selbst zurückgeworfen. Allein in seiner Zelle ringt er um die richtige Einstellung vor Gott und vor der Gemeinde. Selbst in dieser Extremsituation im Angesicht des Todes versucht er klaren Kopf zu bewahren. Er wendet sich besinnend den Quellen zu, aus denen er Kraft und Mut bezieht.
Das Fundament, auf das er sein Leben seit der Begegnung mit dem Herrn vor Damaskus gebaut hat, ist die Indienstnahme durch Jesus Christus - seine Berufung zum Völkerapostel. Diesem Auftrag treu zu dienen und damit den zu verherrlichen, den er einst verfolgte, ist nun sein Lebensziel. All sein Tun und Lassen, seine Lebensvollzüge und selbst sein Sterben sind diesem Ziel untergeordnet.
Das Wissen um den Sinn und das Ziel seines Lebens helfen ihm, gelassen auf die Möglichkeiten zu schauen, die sich vor seinem geistigen Auge auftun: Tod(esstrafe) oder Leben (in Freiheit oder vorübergehender Haftstrafe). Paulus nimmt beide Möglichkeiten in den Blick, die des Sterbens und die des Weiterlebens. Was ist die Voraussetzung zu solch einer „Freiheit des Geistes“? Der Apostel selbst bringt sie auf den Punkt: „Denn für mich ist Christus das Leben, und Sterben Gewinn.“ [2]
Schon vor Damaskus hat Paulus sein Leben in den Dienst Gottes gestellt, aber seit der Begegnung mit dem Verfolgten, ist er als Apostel in Dienst genommen und hat Jesus – dem Gekreuzigten und Auferstandenen, Herrschaft über sich gegeben. Christus anzugehören und ihm nachzufolgen bedeutet für ihn, mit ihm auch zu sterben, um an seiner Auferstehung Anteil zu haben. Wer sich Christus anvertraut und sich ihm überlässt, der stirbt zwar sich selber, aber gewinnt das Leben - ein Leben, das der Tod nicht zerstören kann. Paulus weiß, dass Christus schon hier und jetzt auf Erden sein Leben ist und nicht erst im Himmel - darum erachtet Paulus das Sterben als Gewinn. Weil er das weiß, hat er keine Angst vor dem Tode, sondern Mut zum Leben.
Weil Paulus nicht sich selber lebt, will er der Neigung nicht folgen, jetzt schon aus dieser Welt zu scheiden. Seine Berufung zum Völkerapostel widersteht der Versuchung zum frommen Egoismus. Er ist bereit und gewiss sein Leben in den Dienst des Evangeliums und der Gemeinden zu stellen. Die Entscheidung des Gerichts liegt nicht in seiner Hand. Er jedenfalls ist bereit für das eine und das andere. In dieser Freiheit des Geistes legt Paulus sein Schicksal in Gottes Hand.
Der Gemeinde in Philippi legt er ans Herz, als Gemeinde so zu leben „wie es dem Evangelium Christi entspricht.“ Nicht der einzelne Christ wird zu einem evangeliumsgemäßen Leben aufgefordert, sondern die Gemeinde. Im Miteinander der Gemeinde soll Gottes Gegenwart erfahrbar und sichtbar sein. Dann ist sie Stadt auf dem Berg, Licht der Welt und Salz der Erde. Ein Zeichen dafür, dass Leben auch anders geht.
(3) „Die Freiheit des Geistes“ (Indifferenz) ist keine lahme Leidenschaftslosigkeit, der ‚alles gleich ist’, keine Gefühllosigkeit gegenüber Werten. Indifferenz ist nur zu verstehen als Ausdruck der Liebe, die zu ‚allem bereit’ ist: ‚Ich will dir folgen, wohin du auch gehst’ (Mt 8,19) – auf Tabor und auf Golgota. Oder wie es im Trauritus heißt: ‚Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit.’“[3]
[1] aufbrechen: Umschreibung für „sterben“.
[2] W. Lambert, Wirklichkeit, 61: Für Johannes Tauler „ist die Gelassenheit das Kriterium dafür, dass ein Mensch ‚in den Grund gekommen ist’, d.h. in die Tiefe, in der sein Innerstes eins geworden ist mit Gott.“
[3] W. Lambert, Wirklichkeit, 59f
24. Sonntag im Jahreskreis Röm 14,7-9
7 Denn keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber:
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn.
9 Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende.
(1) Zu den wesentlichen Faktoren, die unser Menschsein ausmachen gehören die Tatsachen, dass der Mensch nicht für sich selber lebt und dass er immer auch anders kann. Der Mensch ist grundsätzlich auf das Miteinander angelegt. Allein und in sich abgeschlossen, verkümmert er. Er legt sich in die Welt hinein aus, mit seiner Hände und seines Geistes „Arbeit“. Er geht Beziehungen ein, lässt sich in Dienst nehmen und nimmt in Dienst. Der Religionsphilosoph Martin Buber sieht im Dialog eine notwendige Voraussetzung für das Wachsen und die Entwicklung des Menschen. Am Du wird der Mensch zum Ich. Der Mensch braucht den Austausch, den Dialog, um zu entfalten, was in ihm angelegt ist. Dialogpartner können Menschen und auch Gott sein. Dass der Mensch sich nicht selbst genügt, hat Viktor Frankl festgestellt, indem er beobachtete, dass Häftlinge, auf die ein Mensch oder eine Aufgabe warteten, das Konzentrationslager eher überlebten als andere, auf die niemand und nichts wartete.
Dass der Mensch immer auch anderes kann, ist Ausdruck seiner Freiheit. Der evangelische Theologe und Pastor Dietrich Bonhoeffer hat das eindrucksvoll bewiesen. Er war in New York in Sicherheit und hätte „seine Haut retten“ können. Er konnte sich nicht vorstellen, mit dem Gedanken leben zu können, in der entscheidenden Stunde der Bewährung, nicht bei seinen Geschwistern im Glauben präsent zu sein. Die Rückkehr nach Deutschland kostete ihm das Leben. Der Tod war für ihn nicht das Letzte. Er war überzeugt, dass ihn nichts – auch nicht der Tod - von Jesus Christus trennen kann.
(2) In seinem Brief an die Römer schaltet Paulus in den Streit zwischen einer konservativ-religiösen und einer fortschrittlichen Gruppierung, den eher grundsätzlichen Text der heutigen Lesung ein (14,7-9). Er wollte den Streithähnen ganz einfach die Unangemessenheit ihrer Auseinandersetzung vor Augen führen.
Lebensbestimmend ist für den Völkerapostel die alles entscheidende, grundlegende Beziehung zu Jesus Christus. Das gilt auch für uns Christen. In der Taufe hat vollzieht der Täufling einen Herrschaftswechsel. Er unterstellt sich der Herrschaft Gottes. Gott soll Herr in seinem Leben sein. Damit hat er vielen anderen Mächten und Gewalten, die bisher sein Leben bestimmten, eine Absage erteilt. Jesus, Gottes Sohn, soll sein Leben bestimmen: Mit dem Taufkleid hat er Jesus „angezogen“, mit der Übernahme der Taufkerze, lässt er das Licht Christi in seinem Leben leuchten und will Licht für andere sein. Im Effata-Ritus wird ihm das Ohr zum Hören des Wortes Gottes und der Mund zu dessen Weitersagen geöffnet. In der Salbung mit Chrisam ist er sich seiner Würde und Verantwortung als Getaufter bewusst geworden. In der Wassertaufe ist er grundsätzlich mit Christus gestorben und auferstanden. Nicht einmal der Tod kann diese von Gott geschenkte Beziehung zerstören. Und das heißt: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn.“
Der Getaufte weiß, dass er Eigentum Gottes ist, dass Jesus sein Besitzer ist. Das klingt nach Entfremdung und Enteignung und wirkt irgendwie bedrohlich. Es geht ja auch nicht um irgendetwas, sondern es geht um die Wahl der Gottesherrschaft mit ihrer unzerstörbaren Beziehung zu Jesus Christus. Wer diese Option wählt, der wählt das Leben und braucht den Tod nicht aus seinem Leben zu verdrängen. Er lebt, handelt, leidet und vergibt, weil er aus der Verheißung der Auferstehung lebt.
Paulus selbst versteht sich als Sklave Jesu Christi. Er weiß sich durch Jesu Lebenshingabe „gerecht gemacht“. Er anerkennt Jesu Recht auf ihn. Daher sollen auch die Christen in Rom nicht länger Sklaven der Sünde (Unreinheit, Gesetzlosigkeit), sondern der Gerechtigkeit sein.[1] Er gibt ihnen zu bedenken, dass auch sie, die von der Sklaverei der Sünde befreit sind, jetzt Sklaven der Gerechtigkeit werden können - mit dem Ziel des ewigen Lebens.
(3) Weil wir nicht uns selbst gehören, leben wir auch nicht für uns selber. Wer zu einem gemeinsamen Herrn betet, der sieht im Mitchristen einen Bruder oder eine Schwester. „Wer für den Herrn lebt und stirbt, der gehört in jedem Fall ihm, und der darf sich deshalb nicht richterlich über seine christlichen Mitgeschwister erheben.“[2] Das legt Paulus nicht nur den streitenden römischen Gruppierungen, sondern auch uns ans Herz.
[1] Röm 6,16-23
[2] K. Berger, Briefe, 117